VwGH vom 15.05.2012, 2009/05/0267
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde 1. des F P und 2. der R P, beide in P, beide vertreten durch Dr. Harald Lettner, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 12/Arkade, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom , Zl. IKD(BauR)-014132/2-2009-Be/Wm, betreffend Zurückweisung einer Berufung i.A. einer Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. P
B GmbH in P, vertreten durch Saxinger Chalupsky Partner Rechtsanwälte GmbH in 4600 Wels, Edisonstraße 1, und
2. Stadtgemeinde P), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben an Aufwendungen dem Land Oberösterreich insgesamt EUR 610,60 und der erstmitbeteiligten Partei insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
Mit Eingabe vom beantragte die erstmitbeteiligte Partei (im Folgenden: Bauwerberin) die Erteilung der Baubewilligung für den Umbau und die Aufstockung ihres Mühlengebäudes auf den Grundstücken Nr. 1441/2 und Nr. 1443, KG P.
Die Beschwerdeführer sind je zur Hälfte Eigentümer des Grundstückes Nr. 1432/4, KG P., und wurden zu der vom Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde für den anberaumten Bauverhandlung im Hinblick auf die Entfernung zwischen dem zu bebauenden Grundstück und ihrem Grundstück nicht geladen.
Mit Bescheid vom wurde der Bauwerberin gemäß § 35 Abs. 1 und 2 Oö. Bauordnung 1994 (im Folgenden: BO) die Baubewilligung für den Umbau und die Aufstockung des Mühlengebäudes bei ihrem Betriebsgebäude auf dem Grundstück Nr. 1443 unter Vorschreibung näher angeführter Auflagen und Bedingungen erteilt. Der Bescheid wurde den Beschwerdeführern nicht zugestellt.
Mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom wurde die von den Beschwerdeführern gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobene Berufung auf Grund mangelnder Parteistellung als unzulässig zurückgewiesen. Dazu führte der Gemeinderat (u.a.) unter Hinweis § 31 Abs. 1 Z 2, Abs. 3 und 4 BO aus, dass die geringste Entfernung zwischen dem Grundstück der Beschwerdeführer und dem Grundstück Nr. 1443 72,9 m betrage und die Beschwerdeführer daher im Sinne des § 31 Abs. 1 Z 2 BO keine Nachbarn im baubehördlichen Verfahren seien.
Der von den Beschwerdeführern dagegen erhobenen Vorstellung wurde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde vom keine Folge gegeben.
Dazu führte die belangte Behörde (u.a.) aus, die Feststellung, dass sich ihr Grundstück vom zu bebauenden Grundstück ca. 72 m entfernt befinde, sei von den Beschwerdeführern nicht bestritten worden. § 31 Abs. 1 BO iVm § 32 Abs. 1 zweiter Satz leg. cit. regle als lex specialis zu § 8 AVG erschöpfend die Parteistellung von Nachbarn im Baubewilligungsverfahren, weshalb der Argumentation der Beschwerdeführer, es sei von einem "weiteren Nachbarbegriff" auszugehen, nicht gefolgt werden könne. Abgesehen davon, dass gemäß § 31 Abs. 6 BO im Baubewilligungsverfahren die von ihnen umfangreich behaupteten Lärmimmissionen durch das Bauvorhaben nicht zu berücksichtigen seien, könnten diese eine Parteistellung nicht begründen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Die Bauwerberin hat in ihrer Gegenschrift beantragt, die Beschwerde "gemäß § 42 Abs. 1 VwGG zurück-/abzuweisen". Die mitbeteiligte Gemeinde hat sich am Beschwerdeverfahren nicht beteiligt.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 31 BO, LGBl. Nr. 66/1994, in der bei Erlassung des Berufungsbescheides geltenden Fassung LGBl. Nr. 36/2008 lautet (auszugsweise):
" § 31
Einwendungen der Nachbarn
(1) Nachbarn sind
1. bei Wohngebäuden einschließlich der zugehörigen Stellplätze für Kraftfahrzeuge sowie der allenfalls vorgeschriebenen Neben- und Gemeinschaftsanlagen: die Eigentümer oder Eigentümerinnen und Miteigentümer oder Miteigentümerinnen der Grundstücke, die vom zu bebauenden Grundstück höchstens zehn Meter entfernt sind;
2. bei allen anderen Bauvorhaben sowie für die Nachbarrechte im Sinn des Abs. 5: die Eigentümer oder Eigentümerinnen und Miteigentümer oder Miteigentümerinnen der Grundstücke, die vom zu bebauenden Grundstück höchstens 50 Meter entfernt sind.
Die Stellung als Nachbar besteht jedoch jeweils nur unter der Voraussetzung, dass diese Eigentümer oder Eigentümerinnen und Miteigentümer oder Miteigentümerinnen durch das Bauvorhaben voraussichtlich in ihren subjektiven Rechten beeinträchtigt werden können. Personen, denen ein Baurecht zusteht, sind Grundeigentümern oder Grundeigentümerinnen gleichgestellt.
(…)
(3) Nachbarn können gegen die Erteilung der Baubewilligung mit der Begründung Einwendungen erheben, dass sie durch das Bauvorhaben in subjektiven Rechten verletzt werden, die entweder in der Privatrechtsordnung (privatrechtliche Einwendungen) oder im öffentlichen Recht (öffentlich-rechtliche Einwendungen) begründet sind.
(4) Öffentlich-rechtliche Einwendungen der Nachbarn sind im Baubewilligungsverfahren nur zu berücksichtigen, wenn sie sich auf solche Bestimmungen des Baurechts oder eines Flächenwidmungsplans oder Bebauungsplans stützen, die nicht nur dem öffentlichen Interesse, sondern auch dem Interesse der Nachbarschaft dienen. Dazu gehören insbesondere alle Bestimmungen über die Bauweise, die Ausnutzbarkeit des Bauplatzes, die Lage des Bauvorhabens, die Abstände von den Nachbargrenzen und Nachbargebäuden, die Gebäudehöhe, die Belichtung und Belüftung sowie jene Bestimmungen, die gesundheitlichen Belangen oder dem Schutz der Nachbarschaft gegen Immissionen dienen. Ein Schutz gegen Immissionen besteht jedoch nur insoweit nicht, als die Nachbargrundstücke oder die darauf allenfalls errichteten Bauten nicht für einen längeren Aufenthalt von Menschen bestimmt oder geeignet sind und die Errichtung solcher Bauten auf Grund faktischer oder rechtlicher Umstände auch in Hinkunft nicht zu erwarten ist. Als längerer Aufenthalt gilt dabei jedenfalls nicht ein wenn auch mehrmaliger oder öfterer, jeweils aber nur kurzzeitiger vorübergehender Aufenthalt von Menschen. Überdies kann der Schutz der Nachbarschaft gegen Immissionen nicht dazu führen, dass die Baubewilligung für ein Bauvorhaben, das nach der für das Baugrundstück geltenden Flächenwidmung zulässig ist, grundsätzlich versagt wird.
(…)
(6) Bei baulichen Anlagen, die auch einer gewerbebehördlichen Genehmigung bedürfen, sind Einwendungen der Nachbarn, mit denen der Schutz der Nachbarschaft gegen Immissionen geltend gemacht wird, nur zu berücksichtigen, soweit sie die Frage der Zulässigkeit der Betriebstype in der gegebenen Widmungskategorie betreffen."
Die Beschwerde bringt vor, dass (zwar) die geringste Entfernung zwischen den Grundstücken der Bauwerberin und dem Grundstück der Beschwerdeführer mehr als 50 m betrage, diese (jedoch) Nachbarn der Betriebsanlage der Bauwerberin seien. § 31 Abs. 1 Z 2 BO lasse den "starren 50m-Umkreis" im Lichte der Eignung der Beeinträchtigung in subjektiven Rechten "aufweichen". Für den Fall der Überschreitung der 50 m bei unverminderter Beeinträchtigungseignung könne die Nachbarstellung "daher" auf Grund einer objektiv-teleologischen Interpretation dieser Gesetzesstelle nicht verloren gehen. Überdies habe der Gesetzgeber in § 31 BO folgende Besonderheit nicht bedacht: Die benachbarten Grundstücke der Bauwerberin befänden sich in Hanglage über der Betriebsanlage. Das der Betriebsanlage unmittelbar angrenzende Grundstück und das daneben befindliche Grundstück der Eigentümer I. hätten eine geringere Entfernung zur Betriebsanlage als die vom Gesetz geforderten 50 m, weshalb diesen Nachbarn (I.) die Parteistellung im Bauverfahren gewährt werde. Die Bemessung der Entfernung erfolge hier am Boden verlaufend von Grundstücksgrenze zu Grundstücksgrenze. Würde diese Bemessung auch für die Beschwerdeführer so erfolgen, wäre tatsächlich eine "formale Entfernung von mehr als 50 Meter" gegeben. Auf Grund der angesprochenen Hanglage sei jedoch davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer in schalltechnischer Hinsicht stärker als die anderen Nachbarn - in eventu zumindest gleich stark - betroffen seien, befinde sich doch ihr Haus etwa in derselben Höhenlage wie die Betriebsanlagenteile im oberen Teil und am Dach des neuen Mühlengebäudes. Die Bauhöhe wirke sich unmittelbar auf den Gesundheitsschutz der Beschwerdeführer im Sinn des § 31 Abs. 4 BO aus. Der Parteibegriff des § 31 leg. cit. sei daher weit auszulegen, sodass sich ausgehend von § 8 AVG die Parteistellung der Beschwerdeführer in materieller Hinsicht ergebe. Da die tatsächliche Entfernung des aufgestockten Mühlengebäudes mit aufgesetzter Aspirationsanlage zu dem in etwa gleicher Höhenlage liegenden Haus der Beschwerdeführer "objektiv messbar" sei und die Behörden die Messung dieser Entfernung nicht vorgenommen hätten, liege ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.
Darüber hinaus würden die von der Gewerbebehörde vorgeschriebenen Auflagen durch die Bauwerberin nicht eingehalten, und die Beschwerdeführer würden durch "tonhaltige Geräusche" in der Nacht gestört. Nach der von der Gewerbebehörde gewählten Vorgangsweise liege eine auflösend bedingte Betriebsbewilligung vor, die mit Ablauf des erloschen sei. Das Baurechtsverfahren sei noch nicht entscheidungsreif gewesen, und die Baubehörde hätte eine Entscheidung erst und nur im Zusammenhang mit der Gewerbebehörde erlassen dürfen. Darüber hinaus gingen die Baubehörden davon aus, dass sich die baubehördlich zu genehmigenden Maßnahmen ausschließlich auf das Grundstück Nr. 1443 bezögen, obwohl entsprechend den Ausführungen im Gewerbeverfahren der Umbau und die Aufstockung des Mühlengebäudes sowohl auf dem Grundstück Nr. 1443 als auch auf dem Grundstück Nr. 1441/2 vorgenommen worden seien. Im Übrigen sei der Bauwerberin die Anpassung der Bauplatzgrenzen aufgetragen worden, sodass die Sache mangels einer solchen Anpassung noch nicht entscheidungsreif gewesen sei.
Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde beträgt die geringste Entfernung zwischen dem Grundstück der Beschwerdeführer und dem Grundstück Nr. 1443 der Bauwerberin ca. 72 m. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 31 Abs. 1 Z 2 BO kam daher den Beschwerdeführern die Stellung als Nachbarn im Baubewilligungsverfahren nicht zu, sodass gemäß § 31 Abs. 3 und 4 leg. cit. von ihnen erhobene Einwendungen im Baubewilligungsverfahren nicht zu berücksichtigen waren.
In seinem Erkenntnis vom , VfSlg. Nr. 10.844, hat der Verfassungsgerichtshof in Bezug auf § 7 Abs. 1 Z 1 lit. a des Salzburger Baupolizeigesetzes 1973 ausgesprochen, dass es auf Grund der Verfassung dem Gesetzgeber nicht verwehrt ist, die Parteistellung für Nachbarn im Baubewilligungsverfahren, in dem es bloß auf die Wahrung baurechtlicher Interessen ankommt, auf Personen zu beschränken, bei denen nach einer Durchschnittsbetrachtung der typischerweise vom Bauwerk selbst ausgehenden Gefahren durch eine Bauführung Nachbarinteressen betroffen werden. Demgemäß hat er diese Bestimmung, worin (u.a.) nur solchen Personen als Nachbarn die Parteistellung eingeräumt ist, deren Grundstücke von den Fronten des Baues weniger als 15 m entfernt sind, in verfassungsrechtlicher Hinsicht als unbedenklich beurteilt.
Vor dem Hintergrund der genannten Judikatur begegnet die Beschränkung des Kreises der Nachbarn in § 31 Abs. 1 BO durch den Gesetzgeber keinen Bedenken. Entgegen der Beschwerdeansicht ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Kreis der Nachbarn in dieser Bestimmung hinsichtlich der dort bezogenen Bauvorhaben abschließend regeln wollte. Im Hinblick darauf ist die Beurteilung der belangten Behörde, dass den Beschwerdeführern als Eigentümern des Grundstückes Nr. 1432/4 keine Parteistellung als Nachbarn im Baubewilligungsverfahren zukam, nicht zu beanstanden (vgl. in diesem Zusammenhang etwa auch das bereits im angefochtenen Bescheid zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0064, mwN).
Soweit die Beschwerde vorbringt, dass Baumaßnahmen auch auf dem Grundstück Nr. 1441/2 vorgenommen worden seien, ist darauf hinzuweisen, dass die gegenständliche Baubewilligung nur für das Bauvorhaben auf dem Grundstück Nr. 1443 erteilt und eine Bauführung auf dem Grundstück Nr. 1441/2 damit nicht bewilligt wurde. Schon deshalb ist mit diesem Beschwerdevorbringen nichts für den Beschwerdestandpunkt gewonnen.
Auch das Vorbringen, dass gewerbebehördliche Auflagen nicht eingehalten würden, ist nicht zielführend, besteht doch in Bezug auf die Einhaltung von in einem gewerbebehördlichen Bescheid erteilten Auflagen keine baubehördliche Zuständigkeit.
Da somit den Beschwerdeführern im Baubewilligungsverfahren keine Parteistellung zukam, braucht auch nicht auf das weitere Beschwerdevorbringen, dass die Bausache - so u.a. im Hinblick auf die Notwendigkeit einer gewerbebehördlichen Bewilligung - nicht entscheidungsreif gewesen sei, eingegangen zu werden.
Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
SAAAE-87986