VwGH vom 27.05.2014, 2011/10/0186

VwGH vom 27.05.2014, 2011/10/0186

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der S Z in S, vertreten durch Dr. Richard Benda, Dr. Christoph Benda und Mag. Stefan Benda, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Pestalozzistraße 3, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA11A B26-3157/2011-4, betreffend Hilfeleistung nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde einen Antrag der Beschwerdeführerin vom auf Zuerkennung eines Kostenzuschusses für die Anschaffung bestimmter Hörgeräte gemäß §§ 2 Abs. 2 und 5, 3 Abs. 1 lit. b, 6 und 25 Steiermärkisches Behindertengesetz - Stmk. BHG ab.

Die belangte Behörde legte dieser Entscheidung die Feststellungen zugrunde, dass die Beschwerdeführerin die Hörgeräte am um EUR 3.595,20 gekauft habe. Die Steiermärkische Gebietskrankenkasse (Stmk. GKK) habe davon EUR 1.425,60 übernommen, wodurch der Beschwerdeführerin Restkosten von EUR 2.169,60 verblieben seien.

Nach einer (auf Aufforderung der belangten Behörde erstatteten) Stellungnahme der Beschwerdeführerin handle es sich bei den Hörgeräten um qualitativ mittelwertige Geräte, wobei diese Qualität aufgrund des mangelnden Sehvermögens der Beschwerdeführerin erforderlich sei.

Die Beschwerdeführerin sei bei der Stmk. GKK hauptversichert, bei der es für den Kostenzuschuss zur Anschaffung von Hörgeräten einen Hörgeräte-Gesamtvertrag gebe. Je nach "Verlauf der Hörkurve" müsse zwischen verschiedenen Klassen unterschieden werden. Hörgeräte würden nach den Tarifen der Stmk. GKK zur Gänze ersetzt; über dem Tarif liegende Anschaffungskosten würden allerdings nur dann von der Stmk. GKK ersetzt, wenn ein "Bedarf an Sonderversorgung" bestehe, was im Einzelfall ermittelt werde.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - nach Wiedergabe maßgeblicher Rechtsvorschriften - im Wesentlichen aus, diese Bestimmungen ermöglichten es, einen Kostenzuschuss nach der Kostenzuschussverordnung-StBHG für die Anschaffung eines Hilfsmittels zu gewähren. Hilfsmittel stellten eine Untergruppe der Heilbehelfe dar und dienten dem Ersatz fehlender oder unzulänglicher Körperfunktionen, um eine Beeinträchtigung zu mildern oder zu beseitigen; zu ihnen gehörten etwa auch Hörgeräte.

Gemäß § 2 Abs. 5 lit. c Stmk. BHG sei Voraussetzung für eine Hilfeleistung nach diesem Gesetz, dass der Mensch mit Behinderung keine Ansprüche auf gleichartige oder ähnliche Leistungen nach anderen gesetzlichen, statutarischen oder vertraglichen Regelungen zur Gänze geltend machen könne. Da im vorliegenden Fall von der Stmk. GKK die "Kosten für die Grundausstattung als auch einen etwaigen Sonderbedarf im Rahmen der Tarife zur Gänze übernommen" würden, bestehe keine Verpflichtung zur Leistung eines Kostenzuschusses nach dem Stmk. BHG.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Steiermärkischen Behindertengesetzes - Stmk. BHG, LGBl. Nr. 26/2004 idF LGBl. Nr. 62/2011, lauten wie folgt:

" § 2

Voraussetzungen der Hilfeleistungen

(1) Menschen mit Behinderung haben nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes einen Rechtsanspruch auf Hilfeleistungen.

(...)

(5) Voraussetzung für die Hilfeleistung ist, dass der Mensch mit Behinderung

(...)

c) keine Ansprüche auf gleichartige oder ähnliche Leistungen nach anderen gesetzlichen, statutarischen oder vertraglichen Regelungen zur Gänze geltend machen kann.

(...)

§ 3

Arten der Hilfeleistungen

(1) Als Hilfeleistung für einen Menschen mit Behinderung kommen in Betracht:

(...)

b) Versorgung mit Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen und anderen Hilfsmitteln

(...)

§ 6

Versorgung mit Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen und

anderen Hilfsmitteln

Hilfe zur Versorgung mit Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen und anderen Hilfsmitteln ist für die Beschaffung sowie für deren Ersatz, wenn diese nicht mehr zeitgemäß, unbrauchbar geworden oder verloren gegangen sind, zu gewähren. (...)

(...)

§ 25

Höhe der Hilfe zur Versorgung mit Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen und anderen Hilfsmitteln

(1) Auf Antrag ist mit Bescheid ein Kostenzuschuss zuzuerkennen, um dem Menschen mit Behinderung die unverzügliche Anschaffung von Körperersatzstücken, orthopädischen Behelfen oder anderen Hilfsmitteln zu ermöglichen.

(2) Die Landesregierung kann mit Verordnung die Art der Hilfsmittel sowie die Höhe der Kostenzuschüsse festlegen.

(3) Die Höhe des Kostenzuschusses ist mit dem 40-fachen des Richtsatzes gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 lit. a zu begrenzen.

(4) In Härtefällen kann die Bezirksverwaltungsbehörde auf Antrag Kostenzuschüsse gewähren, die über jenen durch Verordnung gemäß Abs. 2 festgelegten Kostenzuschüssen liegen."

Die (unter anderem) aufgrund § 25 Abs. 2 Stmk. BHG erlassene Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom über die Festlegung von Erkrankungen, die nicht als Beeinträchtigungen gelten, und über Zuschüsse zu Heilbehandlungen und Hilfsmitteln sowie für die Ausstattung von Kraftfahrzeugen und für bauliche Änderungen von Wohnungen/Wohnhäusern - Kostenzuschussverordnung-StBHG, LGBl. Nr. 36/2009 idF LGBl. Nr. 70/2011, lautet auszugsweise wie folgt:

" § 3

Höhe des Kostenzuschusses für Hilfsmittel

(1) Der Kostenzuschuss für Hilfsmittel beträgt 50 %, sofern das Hilfsmittel weder von einem Sozialversicherungsträger noch von einem anderen Kostenträger finanziert wird.

(2) Übernimmt der Sozialversicherungsträger oder ein anderer Kostenträger einen Teil der Kosten des Hilfsmittels, beträgt der Kostenzuschuss höchstens 30 % und darf die Restkosten nicht übersteigen.

(3) Der Kostenzuschuss wird nur unter der Zugrundelegung der Kosten für das kostengünstigste und am besten geeignete Hilfsmittel gewährt.

(4) Für Hilfsmittel zur Rehabilitation wird kein Kostenzuschuss gewährt."

2. Die Beschwerde bringt im Wesentlichen vor, die Beschwerdeführerin benötige aufgrund ihrer mehrfachen Behinderung (sie sei bei einem Alter von 38 Jahren praktisch blind und leide zudem an beidseitiger höhergradiger Innenohrschwerhörigkeit) Hörgeräte, die über die Hörgeräte-Standardausstattung hinausgingen.

Ein Anspruch auf vollständige Übernahme der Kosten für Hörgeräte durch die Stmk. GKK bestehe aufgrund des zwischen dem Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger und der Wirtschaftskammer Österreich abgeschlossenen so genannten "Hörgeräte-Gesamtvertrages" und aufgrund der Satzung der Stmk. GKK nicht, weil nach deren Bestimmungen lediglich ein Anspruch auf einen Kostenzuschuss, nicht aber auf eine vollständige Kostenübernahme bestehe. Die Leistungen für "Hilfsmittel (§ 154 ASVG)" seien in § 40 dieser Satzung geregelt; nach dessen Abs. 1 seien grundsätzlich nur Kostenzuschüsse, nicht jedoch vollständige Kostenübernahmen vorgesehen. Ein Fall des § 40 Abs. 3 der Satzung der Stmk. GKK liege bei der Beschwerdeführerin nicht vor, sodass es bei ihr nicht zu einer vollständigen Kostenübernahme durch die Stmk. GKK kommen könne. Somit sei die Voraussetzung des § 2 Abs. 5 lit. c Stmk. BHG erfüllt und der Beschwerdeführerin sei gemäß §§ 6 und 25 Stmk. BHG iVm § 3 Abs. 2 Kostenzuschussverordnung-StBHG ein Kostenzuschuss zu gewähren.

3. Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt:

3.1. Dem angefochtenen Bescheid liegt die behördliche Auffassung zugrunde, dass die Kosten für Hörgeräte "nach den Tarifen der Stmk. GKK zur Gänze ersetzt" würden, weshalb die Voraussetzung gemäß § 2 Abs. 5 lit. c Stmk. BHG für die beantragte Hilfeleistung nicht gegeben sei.

3.2. § 2 Abs. 5 lit. c Stmk. BHG normiert das Prinzip der Subsidiarität; d.h. es besteht kein Anspruch auf Leistungen nach dem Stmk. BHG, wenn der Behinderte nach anderen Rechtsvorschriften (etwa jenen des Sozialversicherungsrechtes) Anspruch auf gleichartige oder ähnliche Leistungen zur Gänze geltend machen kann. Ob ein derartiger Rechtsanspruch auf gleichartige oder ähnliche Leistungen nach anderen gesetzlichen, statutarischen oder vertraglichen Regelungen besteht, ist eine Vorfrage, die unter Bindung an die Entscheidung der dafür zuständigen Behörde bzw. des zuständigen Gerichtes zu lösen ist. Besteht noch keine solche Entscheidung, ist als Vorfrage selbständig zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die vollständige Gewährung einer gleichartigen oder ähnlichen Leistung erfüllt sind.

3.3. Tatsächlich sieht § 40 der in der Beschwerde angesprochenen Satzung 2011 der Stmk. GKK nach dessen Abs. 1 und 1a im Regelfall lediglich Zuschüsse für Hilfsmittel im Sinn des § 154 ASVG vor, sodass der Versicherte bzw. dessen Angehöriger einen bestimmten Anteil der Anschaffungskosten selbst zu tragen hat. Nach § 40 Abs. 3 der Satzung 2011 übernimmt die Kasse diesen Anteil des Versicherten bzw. dessen Angehörigen nur, wenn die Voraussetzungen des § 137 Abs. 4 lit. a oder b ASVG zutreffen:

Diese sind ein Lebensalter unter 15 Jahren oder der Anspruch auf erhöhte Familienhilfe iSd § 8 Abs. 4 bis 7 FLAG 1967 (§ 137 Abs. 4 lit. a ASVG) oder das Vorliegen einer "besonderen sozialen Schutzbedürftigkeit" des Versicherten iSd § 136 Abs. 5 ASVG (§ 137 Abs. 4 lit. b ASVG); unter Letzterem ist eine bestimmte zugespitzte Einkommenssituation des Versicherten zu verstehen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 98/08/0011, oder vom , Zl. 2010/08/0158, jeweils mwN).

Nur wenn gemäß § 40 Abs. 3 der angeführten Satzung ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf vollständige Übernahme der Kosten für Hörgeräte bestünde, könnte davon ausgegangen werden, dass sie im Sinn des § 2 Abs. 5 lit. c Stmk. BHG "Ansprüche auf gleichartige oder ähnliche Leistungen zur Gänze geltend machen kann".

4. Indem die belangte Behörde diese - sozialversicherungsrechtliche - Vorfrage außer Acht gelassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Dieser war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG (in der hier noch maßgeblichen bis zum Ablauf des geltenden Fassung; vgl. § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013) aufzuheben.

5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf §§ 47 ff VwGG und § 3 Z. 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am