VwGH vom 22.05.2014, 2013/21/0144

VwGH vom 22.05.2014, 2013/21/0144

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Beschwerde des CA in I, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien, Zl. UVS- 01/43/1475/2013-8, betreffend Festnahme und Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als er den Schubhaftbescheid der Landespolizeidirektion Wien vom sowie die darauf gegründete Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft für rechtmäßig erklärt (bzw. darauf bezogen die zugrunde liegende Administrativbeschwerde als unbegründet abweist) und hinsichtlich seines Ausspruchs, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen weiterhin vorliegen, sowie schließlich in Bezug auf seine Kostenaussprüche wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen (betreffend die Festnahme des Beschwerdeführers) wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1975 geborene Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger und reiste erstmals im Oktober 2003 nach Österreich ein. Er stellte hier unter falscher Identität am einen Asylantrag, der im März 2004 erstinstanzlich (daher noch ohne Ausweisung) und im September 2008 zweitinstanzlich abgewiesen wurde.

Wegen Vergehen nach dem SMG war der Beschwerdeführer mittlerweile zweimal verurteilt worden. Im Hinblick darauf war gegen ihn mit Bescheid vom ein - unbekämpft gebliebenes - zehnjähriges Rückkehrverbot verhängt worden.

Nach Abschluss des vorhin genannten Asylverfahrens erging gegen den Beschwerdeführer eine fremdenpolizeiliche Ausweisung. Einer dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien mit Bescheid vom keine Folge.

Der Beschwerdeführer verblieb im Bundesgebiet und stellte in der Folge zwei weitere Anträge auf internationalen Schutz. Beide wurden wegen entschiedener Sache, jeweils in Verbindung mit einer Ausweisung nach Nigeria, zurückgewiesen; das den zweiten Antrag rechtskräftig zurückweisende Erkenntnis des Asylgerichtshofes erging im März 2010.

Der daraufhin schließlich am nach Nigeria abgeschobene Beschwerdeführer wurde am erneut in Wien aufgegriffen. Er legitimierte sich mit einem auf den von ihm nunmehr geführten Namen lautenden nigerianischen Reisepass, der am XY 2011 in L ausgestellt worden war. Außerdem war er im Besitz eines bis gültigen italienischen Aufenthaltstitels und eines auf ihn am ausgestellten Bustickets von Wien nach Bologna für den . Er wurde gemäß "§ 39" Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG festgenommen und gab bei seiner nachfolgenden Einvernahme insbesondere an, am von Italien kommend, wo er einen Aufenthaltstitel "habe", eingereist zu sein.

Mit Bescheid vom ordnete die Landespolizeidirektion Wien hierauf gemäß § 76 Abs. 1 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft an.

Für den war dann eine Charter-Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria geplant. Diese unterblieb jedoch, weil der Beschwerdeführer am neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte. Im Zuge der am selben Tag erfolgenden Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes brachte der Beschwerdeführer wie schon im Zuge der nach seiner Festnahme stattgefundenen Einvernahme vom vor, einen gültigen italienischen Aufenthaltstitel zu besitzen. Eine daraufhin noch im Zuge der Erstbefragung vorgenommene Anfrage bei den italienischen Behörden bestätigte diese Angaben; der Beschwerdeführer habe ein bis gültiges, bei der Questura Reggio Emilia zur Abholung bereitliegendes "permesso".

Seitens des Bundesasylamtes wurden in der Folge "Dublin-Konsultationen" geführt. Mit Verfahrensanordnung vom wurde dem Beschwerdeführer im Hinblick darauf gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG 2005 zurückzuweisen.

Mit erhob der weiterhin in Schubhaft befindliche Beschwerdeführer Beschwerde gemäß § 82 FPG, in der er insbesondere beantragte, die Rechtswidrigkeit seiner Festnahme, des Schubhaftbescheides und seiner Anhaltung in Schubhaft festzustellen. Unter Verweis auf sein Aufenthaltsrecht in Italien brachte er ua. vor, dass die ursprünglich geplante Abschiebung nach Nigeria von vornherein nicht hätte in die Wege geleitet werden dürfen. Im Übrigen habe er Österreich letztlich ohnehin in Richtung Italien verlassen wollen, wozu er auf Grund seines Reisepasses und des italienischen Aufenthaltstitels nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich in der Lage gewesen wäre.

Mit dem hier bekämpften, am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Bescheid wies der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) die Administrativbeschwerde zur Gänze ab, erklärte die Festnahme des Beschwerdeführers nach § 39 FPG am , den Schubhaftbescheid vom sowie die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft für rechtmäßig und stellte fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen weiterhin vorlägen. Außerdem traf die belangte Behörde Kostenaussprüche.

Der Beschwerdeführer habe sich, so die belangte Behörde, zum Zeitpunkt seines Aufgriffs am nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Er sei somit bei Begehung einer Verwaltungsübertretung nach § 120 FPG auf frischer Tat betreten worden, sodass die Festnahme - seine Vorführung vor die Behörde zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens sei unerlässlich gewesen - zu Recht erfolgt sei. Auch die Anordnung der Schubhaft sei rechtmäßig gewesen, weil ein - im Einzelnen näher begründetes - Sicherungsbedürfnis vorliege. Wenn der Beschwerdeführer behaupte, Österreich freiwillig verlassen zu wollen, so stehe dies in offensichtlichem Widerspruch zu seinen Angaben bei einer (weiteren) niederschriftlichen Einvernahme am , wonach er "sich mit seinem eigenen Geld kein Ticket nach Italien kaufen will, weil er sein Geld für die in Italien anfallenden Kosten benötigt". Das lasse den Schluss zu, dass der Beschwerdeführer die Ausreise nach Italien nicht ernsthaft verfolgt habe und dass zu befürchten sei, er werde seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen. Der mittlerweile vierte Asylantrag des Beschwerdeführers stehe der Aufrechterhaltung und Fortsetzung der Schubhaft schließlich nicht entgegen, zumal im Hinblick auf die Bekanntgabe nach § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren als eingeleitet gelte.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG idF des BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdesachen - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind. Weiters ist vorweg darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung (mit Verkündung im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom ) zu überprüfen hat.

Gegen den Beschwerdeführer war im Mai 2006 ein zehnjähriges Rückkehrverbot erlassen worden. Dieses Rückkehrverbot wurde - spätestens 2010 im Grunde des § 62 Abs. 4 FPG idF des FrÄG 2009 mit der damals gegen den Beschwerdeführer erlassenen asylrechtlichen Ausweisung - zu einem Aufenthaltsverbot. Schon in Anbetracht dieses Aufenthaltsverbots befand sich der Beschwerdeführer bei seinem Aufgriff im Dezember 2012 nicht rechtmäßig im Bundesgebiet.

Letzteres wird auch in der nunmehr erhobenen Beschwerde nicht mehr in Frage gestellt. Wie schon im Verwaltungsverfahren wird aber behauptet, dass dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht in Italien zukomme; er sei von Anfang an bereit und auch "faktisch und rechtlich" in der Lage gewesen, freiwillig und selbstständig mit seinen Dokumenten dorthin zurückzukehren.

Dass der Beschwerdeführer im hier fraglichen Zeitraum tatsächlich in Italien aufenthaltsberechtigt gewesen sei, wurde nach der Aktenlage (über Anfrage während der Erstbefragung aus Anlass des vierten Asylantrages des Beschwerdeführers) von den italienischen Behörden - und zwar, wie hier zu ergänzen ist, umgehend - am bestätigt. Unabhängig von dieser Bestätigung bestanden aber bereits unmittelbar nach dem Aufgriff des Beschwerdeführers am Anhaltspunkte dafür, dass er in Italien aufenthaltsberechtigt sein könnte. Die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am wurden nämlich insofern gestützt, als er sich im Besitz eines - wenngleich im Oktober 2012 abgelaufenen - italienischen Aufenthaltstitels befand.

Wieso vor diesem Hintergrund nicht bereits am eine entsprechende Nachfrage bei den italienischen Behörden erfolgte (der dann am "nachgeholten" Anfrage lagen nach dem Akteninhalt keine weiteren Erkenntnisse zugrunde), ist nicht nachvollziehbar. Unter der Annahme, diese Nachfrage hätte zu keinem anderen Ergebnis geführt als jene vom , wäre die Landespolizeidirektion Wien dann aber nicht ohne Weiteres zur Erlassung des gegenständlichen Schubhaftbescheides befugt gewesen. Gegebenenfalls hätte der Beschwerdeführer nämlich nach Italien ausreisen dürfen. Offenkundig hatte er ohnehin die Absicht, dies zu tun, wie sich aus dem bei ihm vorgefundenen und auf ihn lautenden Busticket nach Bologna für den erschließen lässt. Davon ausgehend und im Hinblick auf das allen fremdenpolizeilichen Maßnahmen innewohnende Verhältnismäßigkeitsprinzip (vgl. § 13 Abs. 2 FPG) hätte die Landespolizeidirektion Wien dann aber prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer - wenn auch über fremdenpolizeiliche Aufforderung - nicht auch sofort (bis zum musste nicht zugewartet werden) freiwillig nach Italien ausreisen werde. In diesem Fall hätte es keiner Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung bedurft.

Die belangte Behörde hat zwar ausgeführt, die in ihrem Bescheid auszugsweise dargestellte Angaben des Beschwerdeführers vom betreffend Weigerung zum Kauf eines Tickets "nach Italien" ließen den Schluss zu, der Beschwerdeführer habe die Ausreise nach Italien nicht ernsthaft verfolgt. Sie hätte bei dieser Schlussfolgerung aber auch die offenkundigen Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Italien berücksichtigen und insbesondere das schon angesprochene, auf ihn lautende Busticket von Wien nach Bologna für den in ihre Erwägungen miteinbeziehen müssen. Das hat sie nicht getan. Der bekämpfte Bescheid war daher insoweit, als er die Administrativbeschwerde in Bezug auf die Schubhaft des Beschwerdeführers abgewiesen und ausgesprochen hat, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen weiterhin vorliegen, - und damit auch bezüglich der Kostenabsprüche - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die erkennbar auf § 39 Abs. 1 Z 1 FPG gestützte Festnahme des Beschwerdeführers (er wurde dann im Übrigen auch wegen Übertretung (insbesondere) des § 120 Abs. 1a FPG bestraft) ist hingegen aus den von der belangten Behörde zutreffend dargelegten Gesichtspunkten, gegen die in der vorliegenden Beschwerde auch nichts vorgebracht wird, nicht zu beanstanden. Soweit sich die vorliegende Beschwerde gegen die Abweisung der Administrativbeschwerde im Punkt Festnahme richtet, war sie daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am