VwGH vom 27.08.2020, Ra 2020/21/0255

VwGH vom 27.08.2020, Ra 2020/21/0255

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des A K M, zuletzt in V, vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , G313 2219372-7/3E, betreffend Feststellung der Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Ghanas, hielt sich auf Basis von ihm erteilten, bis gültigen Visa seit Dezember 2016 in Österreich auf. Er begab sich dann im Februar 2018 in die Bundesrepublik Deutschland, wo er einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Nachdem sich der Revisionswerber zunächst mehreren Rücküberstellungsversuchen auf Basis der Dublin III-VO entzogen hatte, wurde er schließlich am von Deutschland nach Österreich abgeschoben.

2Nach seiner Festnahme und anschließenden Vernehmung wurde gegen ihn mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Anhaltung in Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet.

3Am stellte der Revisionswerber einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des BFA vom - in Verbindung mit einer Rückkehrentscheidung und einem mit drei Jahren befristeten Einreiseverbot - zur Gänze abgewiesen wurde. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Erkenntnis als unbegründet ab. Während dieses Verfahrens war die Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft gemäß dem Aktenvermerk vom auf § 76 Abs. 6 FPG gestützt worden.

4Nachdem bereits mehrere Überprüfungen der Aufrechterhaltung der Schubhaft durch das BVwG nach § 22a Abs. 4 BFA-VG vorgenommen worden waren, legte das BFA dem BVwG am neuerlich die Verwaltungsakten vor, damit eine Schubhaftprüfung nach der genannten Bestimmung vorgenommen werde. In der unter einem erstatteten Stellungnahme ging das BFA auch auf die Frage der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes (HRZ) von der in Bern ansässigen, für deren Ausstellung zuständigen Botschaft Ghanas ein. Hierfür sei eine Identifizierung des Revisionswerbers durch eine Delegation dieser Botschaft nach dessen Vorführung erforderlich. Eine solche Delegation komme nach Auskunft der „HRZ-Abteilung“ einmal im Jahr nach Österreich; „bezüglich der Delegation in diesem Jahr“ werde „seitens der HRZ-Abteilung gerade ein Termin vereinbart“. Nach einer Urgenz vom werde „in Kürze“ ein „Delegationstermin bestätigt“, wobei allerdings auch erwähnt wurde, dass die „letzte Kommunikation“ mit dem Konsul der ghanaischen Botschaft am erfolgt und „diese“ bis jetzt unbeantwortet geblieben sei. Es sei daher am direkt an den Konsul eine „Sonderurgenz“ mit dem Antrag, im vorliegenden Fall ohne Delegationsanhörung ein HRZ auszustellen, ergangen; eine Antwort sei noch ausständig. Aus der Sicht des BFA sei aber - auch wegen der vorliegenden Reisepass- und Visadaten - ein HRZ innerhalb der Schubhafthöchstdauer mit hoher Wahrscheinlichkeit erlangbar, zumal auch von Seiten des Bundesministeriums für Inneres versucht werde, die Erlangung eines HRZ „voranzutreiben“.

5Dazu gab die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH mit Schriftsatz vom eine Stellungnahme ab, in der einleitend darauf verwiesen wurde, dass der Revisionswerber dieser Rechtsberatungsorganisation eine - dem BVwG erstmals am und nunmehr neuerlich vorgelegte - Vollmacht zur Vertretung in allen Verfahren betreffend die Schubhaftüberprüfung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG erteilt habe. In der Sache wurde dann vorgebracht, trotz der wiederholten Behauptung des BFA zu einer „baldigen Antwort“ in Bezug auf die Ausstellung eines HRZ sei dessen tatsächliche Erlangung nicht abzusehen. Bereits im vorletzten Schubhaftprüfungsverfahren sei in der Verhandlung am vom BFA behauptet worden, dass es bis Oktober 2019 zu einer Vorführung des Revisionswerbers vor die ghanaische Botschaftsdelegation kommen werde, ohne dass dies bisher der Fall gewesen sei. Die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft sei somit angesichts der Dauer von bereits mehr als neun Monaten und der Unwahrscheinlichkeit eines tatsächlich zeitnah stattfindenden Botschaftstermins nicht mehr gegeben. Es werde (erkennbar: zu diesem Thema) ausdrücklich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, in der das BFA konkret darlegen möge, wie viele Abschiebungen nach Ghana im Jahr 2019 bereits tatsächlich stattgefunden hätten, wann es zuletzt zu einem Vorführungstermin bei der ghanaischen Botschaft gekommen sei und welche Zeiträume in diesen Fällen die Ausstellung des HRZ insgesamt in Anspruch genommen habe.

6Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom , der Vertreterin des Revisionswerbers mit Wirksamkeit vom zugestellt, traf das BVwG gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG die Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig sei. Des Weiteren sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

7Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:

8Der Revisionswerber wurde seit , somit bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses fast zehn Monate, durchgehend in Schubhaft angehalten, und zwar im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt aufgrund der vorangegangenen Haftprüfung nach § 22a Abs. 4 BFA-VG gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zur Sicherung seiner Abschiebung in den Herkunftsstaat Ghana. Das setzt nach der genannten Bestimmung voraus, dass die Schubhaft zur Sicherung dieser Abschiebung notwendig ist, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist. In der Revision wird weder die Notwendigkeit der Schubhaft in Bezug auf den genannten Sicherungszweck noch das Bestehen von Fluchtgefahr bestritten und auch nicht in Frage gestellt, dass die Schubhafthöchstdauer im vorliegenden Fall gemäß § 80 Abs. 4 Z 2 FPG achtzehn Monate beträgt. Wie in der Stellungnahme vom wird in der Revision vielmehr (nur) die Unverhältnismäßigkeit einer weiteren Anhaltung im Hinblick auf die ungewisse Dauer des Verfahrens zur Erlangung eines HRZ geltend gemacht und in diesem Zusammenhang die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung gerügt.

9Diese Einwände treffen zu, weshalb sich die Revision - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG - unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig und auch als berechtigt erweist.

10Zu der angesprochenen Frage (zu deren Relevanz siehe mit Bezugnahme auf Vorjudikatur , Rn. 10/11) stellte das BVwG im angefochtenen Erkenntnis fest, aktueller Stand sei, dass am eine „Sonderurgenz“ an den ghanaischen Konsul ergangen sei, und zwar „in Form einer direkten Antragstellung“ für den Revisionswerber. Diesbezüglich werde von einer „baldigen Antwort“ ausgegangen. Laut Auskunft der „HRZ-Abteilung“ sei aufgrund der Existenz der Reisepass- und Visadaten weiterhin mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer HRZ-Ausstellung zu rechnen. Weiters werde angemerkt, dass seitens des Bundesministeriums für Inneres ebenfalls die Erlangung eines HRZ „vorangetrieben“ werde. Nach Ausstellung des HRZ könne die Außerlandesbringung innerhalb von zwei Wochen stattfinden, zumal Flugabschiebungen nach Ghana bisher reibungslos funktioniert hätten. Die Aufrechterhaltung der Schubhaft werde somit unter Berücksichtigung des „auf Hochtouren laufenden HRZ-Verfahrens“, vor allem wegen der aufgrund der zuletzt am an den ghanaischen Konsul ergangenen „Sonderurgenz“ bald erwarteten Ausstellung eines HRZ, für verhältnismäßig gehalten.

11Diesbezüglich verweist der Revisionswerber - wie schon in der Stellungnahme vom - zu Recht darauf, dass bereits in der Verhandlung vom vom anwesenden Vertreter des BFA die Ausstellung eines HRZ für Oktober 2019 in Aussicht gestellt worden sei. Es wäre daher - so wird in der Revision vorgebracht - vom BVwG der Frage näher nachzugehen gewesen, weshalb dieser Zeitplan nicht habe eingehalten werden können und wann nun konkret mit einer Ausstellung dieser Dokumente zu rechnen sei. Auf die ins Treffen geführte „Sonderurgenz“ sei schon im vorangegangenen Schubhaftprüfungsverfahren hingewiesen worden; sie sei aber bisher offenbar unbeantwortet geblieben. Die Schlussfolgerung des BVwG, es sei mit einer „baldigen Antwort“ zu rechnen, sei somit nicht nachvollziehbar. Insoweit sei daher auch kein geklärter Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG vorgelegen, der zur Abstandnahme von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung berechtigt hätte.

12Diesen Ausführungen ist beizupflichten. Das Verfahren zur Erlangung eines HRZ wurde zwar - im Hinblick auf den vom Revisionswerber behaupteten Verlust seines Reisepasses - umgehend nach der Schubhaftverhängung eingeleitet, blieb aber bisher völlig erfolglos. Dem vorgelegten Verwaltungsakt lässt sich entnehmen, dass von Seiten der zuständigen Botschaft Ghanas in Bern zuletzt mit Email vom auf konkrete Terminvorschläge für Botschaftsdelegationsanhörungen im Juli 2019 dahin geantwortet wurde, dass zwar ein Besuch im Sommer beabsichtigt sei, jedoch kein exakter Termin fixiert werden könne. Hierauf ergangene, direkt an den Konsul gerichtete Emails der mit dieser Sache befassten Mitarbeiterin des BFA vom , vom , vom und schließlich vom blieben der Aktenlage zufolge alle unbeantwortet. Vor diesem Hintergrund hätte im Rahmen der beantragten mündlichen Verhandlung mit einem Vertreter des BFA geklärt werden müssen, aus welchen Gründen nunmehr von einer - wie das BVwG unterstellte - „baldigen Antwort“ und der zeitnahen Ausstellung eines HRZ ausgegangen werden könne, obwohl die letzte Reaktion des Konsuls mehr als fünf Monate zurücklag und die dort gemachte Ankündigung einer Anreise im Laufe des Sommers 2019 nicht verwirklicht wurde. Weiters wäre in Bezug auf die „Sonderurgenz“ vom zu erörtern gewesen, aufgrund welcher Anhaltspunkte anzunehmen sei, von der Botschaft werde auf die grundsätzlich für notwendig erachtete persönliche Anhörung des Revisionswerbers vor Ausstellung des HRZ verzichtet, obwohl auf diese Email auch nach sechs Wochen überhaupt nicht reagiert wurde. Zutreffend macht die Revision auch geltend, das BVwG bzw. das BFA hätte näher darzulegen gehabt, in welcher Form konkret die Erlangung eines HRZ vom Bundeministerium für Inneres „vorangetrieben“ werde, und weshalb davon ausgegangen werde, diese Maßnahmen könnten entscheidend zur Beschleunigung beitragen. Schließlich hätten mit dem Vertreter des BFA in der durchzuführenden Verhandlung auch jene Fragen behandelt werden können, deren Klärung vom Revisionswerber in der Stellungnahme vom beantragt wurde, um ein realistisches Bild über die Praxis der HRZ-Ausstellung durch die hierfür zuständige Botschaft Ghanas erlangen und Rückschlüsse für den vorliegenden Fall ziehen zu können.

13Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Die in der Revision ebenfalls noch erörterte Frage der Notwendigkeit der Beigebung eines Rechtsberaters gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG im Schubhaftüberprüfungsverfahren nach § 22a Abs. 4 BFA-VG stellt sich im vorliegenden Fall - wie zur Vollständigkeit noch zu erwähnen ist - im Hinblick auf das Einschreiten eines bevollmächtigten Vertreters für den Revisionswerber (vgl. Rn. 5) nicht, weshalb darauf nicht einzugehen war.

14Der Kostenzuspruch gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210255.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete

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