VwGH vom 22.01.2014, 2013/21/0135
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des C B in W, vertreten durch Dr. Gerald Haas u.a. Rechtsanwälte in 4600 Wels, Bauernstraße 9/WDZ 3, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-720330/3/SR/ER/JO, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der bis dahin in Österreich unbescholtene Beschwerdeführer, ein rumänischer Staatsangehöriger, wurde mit Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4 StGB zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 15 Monaten (davon 11 Monate bedingt nachgesehen) rechtskräftig verurteilt. Dem lagen zumindest im Zeitraum 25. bis mehrfach mit zwei Mittäterinnen begangene Warenhausdiebstähle zugrunde, wobei der Wert der gestohlenen Gegenstände (v.a. eine Vielzahl an Bekleidungsstücken sowie 25 Sonnenbrillen) insgesamt ca. EUR 10.800,-- betrug.
Im Hinblick auf diese Straftaten verhängte die Landespolizeidirektion Oberösterreich gegen den Beschwerdeführer mit Bescheid vom gemäß § 67 Abs. 1 iVm 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) ein auf die Dauer von sechs Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
Der dagegen erhobenen Berufung hat der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (der belangte UVS) mit dem angefochtenen Bescheid vom "mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des in Rede stehenden Aufenthaltsverbotes auf 1 Jahr herabgesetzt wird". Im Übrigen wurde der erstinstanzliche Bescheid bestätigt.
Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an ihn erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B 277/2013-6, abgelehnt. Zugleich hat er die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass gemäß dem letzten Satz des § 79 Abs. 11 VwGG in der Fassung des BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren - soweit (wie für den vorliegenden "Altfall") durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG), BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist - die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden sind.
Weiters ist vorweg darauf hinzuweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung (im Februar 2013) zu überprüfen hat. Die Beurteilung des vorliegenden Falles ist daher nach dem FPG in der Fassung des FrÄG 2011, BGBl I Nr. 38, vorzunehmen.
Das bekämpfte Aufenthaltsverbot wurde auf § 67 Abs. 1 und 2 FPG gegründet. Danach ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in der Dauer von höchstens zehn Jahren (u.a.) gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Nach dem letzten Satzteil des § 66 Abs. 1 FPG ist eine Ausweisung von EWR-Bürgern, die bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben, nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
Der Verwaltungsgerichtshof ist in seiner Rechtsprechung davon ausgegangen, dass die genannten Bestimmungen vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Vorgaben der Freizügigkeitsrichtlinie (Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten), deren Umsetzung sie dienen, zu verstehen sind. Demnach sind sie in ihrem Zusammenspiel dahin auszulegen, dass hinsichtlich Personen, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, nicht nur bei der Ausweisung, sondern auch bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Gefährdungsmaßstab, der jenem in Art. 28 Abs. 2 der genannten Richtlinie entspricht, heranzuziehen ist (vgl. grundlegend das Erkenntnis vom , Zl. 2012/21/0181, und daran anschließend das Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0228). Dieser Maßstab liegt im abgestuften System der Gefährdungsprognosen über dem vom belangten UVS für maßgeblich erachteten Gefährdungsmaßstab nach dem ersten und zweiten Satz des § 67 Abs. 1 FPG.
Der hier in Betracht kommende § 53a Abs. 1 NAG stellt - entsprechend Art. 16 Abs. 1 der Freizügigkeitsrichtlinie - in Bezug auf den Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt auf einen fünf Jahre rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet ab. Diese Voraussetzung wird von dem seit über eine Anmeldebescheinigung verfügenden Beschwerdeführer, der sich nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen seit ununterbrochen und rechtmäßig in Österreich aufhält, erfüllt.
Daher hätte gegen den Beschwerdeführer als rumänischen Staatsangehörigen mit Daueraufenthaltsrecht in Österreich nur bei Vorliegen von Gründen im Sinne des Art. 28 Abs. 2 der Freizügigkeitsrichtlinie bzw. des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG ("schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit") ein Aufenthaltsverbot erlassen werden dürfen. Indem der belangte UVS nicht auf diesen höheren Gefährdungsmaßstab abgestellt hat, belastete er den angefochtenen Bescheid mit einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit. Das wird in der Beschwerde zu Recht bemängelt.
Der Beschwerdeführer ist aber auch mit der Rüge, der belangte UVS hätte eine mündliche Berufungsverhandlung durchführen müssen, im Recht. Der UVS begründete deren Unterlassung damit, dass ihre Durchführung vom Beschwerdeführer nicht beantragt worden sei. Sie sei auch nicht erforderlich gewesen, weil sich der entscheidungswesentliche Sachverhalt aus der Aktenlage ergebe und im Wesentlichen nur die Beurteilung von Rechtsfragen strittig sei.
Im vorliegenden fremdenpolizeiliche Berufungsverfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen Unionsbürger nach § 67 FPG besteht nach Art. 47 Abs. 2 der Grundrechte-Charta grundsätzlich ein Anspruch auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, wobei auf diesen Anspruch allerdings verzichtet werden kann; das ist etwa dann anzunehmen, wenn der rechtskundig vertretene Berufungswerber keinen Verhandlungsantrag im Sinn des § 67d Abs. 3 AVG stellt (vgl. des Näheren etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 2013/21/0066, und vom , Zl. 2013/21/0101, jeweils mit weiteren Nachweisen).
Im gegenständlichen Fall wurde die Berufung für den Beschwerdeführer zwar von einem Rechtsanwalt verfasst und kein ausdrücklicher Antrag auf Durchführung einer Verhandlung vor dem belangten UVS gestellt. In der Berufung wurde jedoch (u.a.) wiederholt die Einvernahme des Beschwerdeführers beantragt. Vor diesem Hintergrund verbietet sich aber ungeachtet des bestehenden Vertretungsverhältnisses die Annahme, der Beschwerdeführer habe durch Unterbleiben eines ausdrücklichen Verhandlungsantrages ungeachtet des erwähnten Beweisantrages auf die Durchführung einer Berufungsverhandlung verzichten wollen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/21/0120, und daran anschließend das Erkenntnis vom , Zl. 2012/22/0082). Im Übrigen durften die im gegenständlichen Verfahren insbesondere zu prüfenden Gesichtspunkte, zu denen in der Berufung auch die Vernehmung des Beschwerdeführers beantragt worden war (seine Gefährlichkeit und die Intensität seiner privaten und familiären Bindungen in Österreich), nicht auf die Beurteilung bloßer Rechtsfragen reduziert werden (vgl. auch dazu die schon zitierten Erkenntnisses vom , Zl. 2013/21/0066, und vom , Zl. 2013/21/0101, jeweils mit weiteren Nachweisen). Die Unterlassung einer mündlichen Berufungsverhandlung stellt somit einen in der Beschwerde auch zutreffend geltend gemachten Verfahrensmangel dar.
Der angefochtene Bescheid war allerdings schon gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der (auf "Altfälle" gemäß § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014, weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am