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VwGH vom 17.10.2013, 2013/21/0132

VwGH vom 17.10.2013, 2013/21/0132

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der P, vertreten durch Mag. Alexander Fuchs, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Lüfteneggerstraße 4, gegen den Bescheid der Österreichischen Botschaft New Delhi vom , Zl. VAN131699, betreffend Versagung eines Visums, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine indische Staatsangehörige, stellte am bei der Österreichischen Botschaft New Delhi (der belangten Behörde) den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines "Schengen-Visums" für die Dauer von 90 Tagen. Sie sei, so führte sie in dem englischsprachigen Formular aus, von Beruf "house makar". Als einladende Person nannte sie ihren österreichischen Onkel B., als Zweck der Reise gab sie "family visitor" an. Angeschlossen waren die Bestätigung einer Reservierung für den Hin- und Rückflug sowie über den Abschluss einer Unfall- und Krankenversicherung. B. hatte für die Beschwerdeführerin eine elektronische Verpflichtungserklärung abgegeben.

In einer weiteren (undatierten, wiederum englischsprachigen) Eingabe ergänzte die Beschwerdeführerin, dass sie Zeit mit ihrem Onkel und seiner Familie verbringen sowie das schöne Land Österreich besuchen wolle. Sie verwies auf frühere Aufenthalte, wofür ihr Schengen-Visa für die Dauer vom bis zum und vom bis zum erteilt worden seien. Sie würde auch diesmal wieder nach Indien zurückkehren, wo sich "ihre gesamte Familie" aufhalte.

Die belangte Behörde teilte der Beschwerdeführerin in der Folge mit formularmäßiger Erledigung vom mit, dass keine weiteren Dokumente benötigt würden. Eine Prüfung habe aber ergeben, dass dem Antrag gemäß den Bestimmungen des Visakodex nicht stattgegeben werden könne. Zur Begründung wurde ausgeführt:

"Ein oder mehrere Mitgliedsstaaten sind der Auffassung, dass Sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit gemäß Artikel 2 Absatz 19 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 (Schengener Grenzkodex) oder die internationalen Beziehungen eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten darstellen." Unter einem wurde der Beschwerdeführerin die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb von sieben Kalendertagen eine abschließende Stellungnahme einzubringen.

In ihrer als "Berufung" bezeichneten, deutschsprachigen Stellungnahme vom bestritt die Beschwerdeführerin diesen Vorhalt. Sie sei bereits zweimal in Österreich gewesen, um ihre Familie zu besuchen. In Indien sei sie fest verwurzelt und habe dort ihren Lebensmittelpunkt, ihre Mutter und ihre Geschwister lebten in Indien. Sie sei Nonne und verfolge keine anderen Absichten, als bei ihrem Onkel B. zu sein, der schwer krank sei und sich einer Herzoperation unterziehen müsse (dazu sind Arztbriefe und Befunde im Akt angeschlossen). B. habe zwar drei Kinder in Österreich, aber "die Familienverhältnisse" seien nicht sehr gut. Auch beantragte die Beschwerdeführerin die schriftliche Bekanntgabe, welche Staaten der Meinung seien, sie wäre eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit oder die öffentliche Gesundheit.

In der Folge verweigerte die belangte Behörde - ohne weiteren vorangehenden Verfahrensschritt - mit dem angefochtenen Bescheid unter Verwendung des nach dem Visakodex dafür vorgesehenen Formulars das beantragte Visum.

Zur Begründung waren folgende Textbausteine angekreuzt: "Ein oder mehrere Mitgliedstaaten sind der Auffassung, dass Sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit gemäß Artikel 2 Absatz 19 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 (Schengener Grenzkodex) oder die internationalen Beziehungen eines oder mehrerer Mitgliedstaaten darstellen." und "Die vorgelegten Informationen über den Zweck und die Bedingungen des beabsichtigten Aufenthalts waren nicht glaubhaft."

Im Verwaltungsakt hielt die belangte Behörde (in teilweiser Zusammenfassung vorliegender, der Beschwerdeführerin aber nicht bekanntgegebener Aktenbestandteile) fest, bei einer routinemäßigen EKIS-Abfrage sei ein Eintrag der Beschwerdeführerin in der Personenfahndung seitens der Staatsanwaltschaft Linz (Aufenthaltsermittlung wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 StGB) hervorgekommen. Zwar habe eine Rückfrage "bei der österreichischen Behörde" ergeben, dass das Verfahren wegen Körperverletzung auf Grund einer außergerichtlichen Einigung zwischenzeitig eingestellt worden sei. Die Beschwerdeführerin sei jedoch auch als Beschuldigte wegen schwerer Nötigung ausgeschrieben. Dieses Verfahren sei nach wie vor aufrecht. Sie stelle somit eine Gefahr für die öffentliche Ordnung dar, sodass die Erteilung eines Visums verweigert werde.

Im Übrigen sei die nicht Deutsch sprechende Beschwerdeführerin - so die belangte Behörde weiter - in ihrer "in sehr guter deutscher Sprache abgefassten Stellungnahme", die daher mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von ihr verfasst worden sei, vom ursprünglichen Antrag abgewichen. Als berufliche Tätigkeit (jeweils ohne geregeltes Einkommen) werde zuerst Hausfrau, danach Nonne angegeben. Beim Reisegrund scheine ursprünglich "Tourismus und Besuch des Onkels sowie seiner Familie", jetzt "Krankheit des Onkels, Besuch zwecks Pflege" auf. Auf Grund dieser unterschiedlichen Angaben bestünden Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen der Beschwerdeführerin. Ein "dringender Reisegrund" könne nicht erkannt werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Für Erledigungen der vorliegenden Art, mit denen über einen Visumantrag abgesprochen wird, bestehen dahin Begründungserleichterungen, dass das Ankreuzen von Textbausteinen in dem nach Art. 32 Abs. 2 iVm Anhang VI des Visakodex zu verwendenden Standardformular genügt, ohne dass es einer Bezugnahme auf den konkreten Fall oder ausdrücklicher Feststellungen bedarf, sofern der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt im Akt nachvollziehbar ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang jedoch wiederholt darauf hingewiesen, dass vor der Abweisung des Visumantrages auch im Anwendungsbereich des Visakodex Gelegenheit zu einer Stellungnahme einzuräumen ist. Dazu wurde judiziert, dass das bloße Ankreuzen eines Textbausteines in der Art des vorliegenden (hier konkret: "Ein oder mehrere Mitgliedsstaaten sind der Auffassung, dass Sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit gemäß

Artikel 2 Absatz 19 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 (Schengener Grenzkodex) oder die internationalen Beziehungen eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten darstellen.") keinen ausreichenden Vorhalt darstellt. Vielmehr sind die konkreten Umstände anzuführen, die beim Botschaftsorgan eine entsprechende Annahme begründen. Das Unterbleiben eines derartigen Vorhalts begründet einen Verfahrensmangel (vgl. zum Ganzen etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 2012/21/0255 und 0256, sowie vom , Zl. 2013/21/0064, jeweils mwN).

Diese Überlegungen kommen umso mehr dann zum Tragen, wenn der in Aussicht genommene Versagungsgrund (hier einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit nach Art. 32 Abs. 1 lit. a sublit. vi des Visakodex) für sich allein nicht inhaltlich aussagekräftig ist (vgl. in diesem Sinn das zu § 21 Abs. 1 Z 3 iVm Abs. 5 Z 4 FPG ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0398).

Nur wenn die aus der Sicht der Botschaft bestehenden Anhaltspunkte für einen bestimmten Verdacht im Rahmen der Einräumung des Parteiengehörs konkret dargelegt werden, wird der Antragsteller nämlich in die Lage versetzt, dann aber auch verpflichtet, die sich daraus ergebenden Bedenken durch unter Beweis zu stellendes geeignetes Vorbringen zu zerstreuen. Einem in dieser Weise konkretisierten Vorhalt kommt vor dem Hintergrund der erwähnten, in Visaverfahren bestehenden Begründungserleichterung somit besondere Bedeutung zu (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/21/0158, mwN).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist der belangten Behörde vorzuwerfen, dass sie jede Konkretisierung des an die Beschwerdeführerin gerichteten Vorhalts vom unterlassen hat. Es verstößt daher nicht gegen das Neuerungsverbot, wenn sie in der vorliegenden Beschwerde (unter Anschluss einer entsprechenden Urkunde) vorbringt, die Staatsanwaltschaft Linz habe das gegen sie wegen des Verdachts der schweren Nötigung geführte Ermittlungsverfahren bereits mit Erledigung vom gemäß § 190 Z 1 StPO eingestellt. Mit diesem Vorbringen wird auch die Relevanz des im Unterbleiben eines konkretisierten Vorhalts gelegenen Verfahrensmangels aufgezeigt, kann doch nicht mehr von einem offenen Strafverfahren in Österreich ausgegangen werden.

Hinsichtlich des weiter herangezogenen Versagungsgrundes nach Art. 32 Abs. 1 lit. a sublit. ii iVm lit. b des Visakodex (Fehlen der Glaubwürdigkeit des Vorbringens zum Aufenthaltszweck), hat die belangte Behörde einen Vorhalt gänzlich unterlassen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführerin nach dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes schon in den Jahren 2011 und 2012 Reisevisa erteilt worden waren, wobei sie laut Auszügen aus dem zentralen Melderegister jeweils fristgerecht ausgereist war. Dies hätte im Rahmen der gebotenen Risikobewertung gemäß Art. 21 Abs. 4 Visakodex zu ihren Gunsten berücksichtigt werden müssen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die - dennoch gesondert verzeichnete - Umsatzsteuer in dieser Verordnung bereits mitberücksichtigt wird.

Wien, am

Fundstelle(n):
FAAAE-87934