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VwGH vom 17.10.2013, 2013/21/0121

VwGH vom 17.10.2013, 2013/21/0121

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der Landespolizeidirektion Niederösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-13-0093, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres; mitbeteiligte Partei: H, derzeit unbekannten Aufenthalts), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise am einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen, weil aufgrund der Dublin II-Verordnung Ungarn zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig sei; unter einem wurde der Mitbeteiligte gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nach Ungarn ausgewiesen. Diese Entscheidung wurde infolge Rechtsmittelverzichts des Mitbeteiligten mit rechtskräftig.

Am wurde über den Mitbeteiligten mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft B (BH) gemäß § 76 Abs. 1 FPG (iVm § 57 Abs. 1 AVG) die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. In der Begründung wurde unter anderem darauf verwiesen, dass der Mitbeteiligte in der vor der Bescheiderlassung durchgeführten Vernehmung mehrmals erklärt habe, am nächsten Tag nach Frankreich reisen zu wollen. Um zu verhindern, dass sich der Mitbeteiligte der Abschiebung nach Ungarn entziehe, sei die Verhängung der Schubhaft "das einzige Mittel".

Einer dagegen erhobenen Administrativbeschwerde vom gab der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (der belangte UVS) mit Bescheid vom gemäß § 83 FPG Folge und stellte fest, dass der Schubhaftbescheid vom und die bisherige Anhaltung des Mitbeteiligten rechtswidrig gewesen seien (Spruchpunkt I.). Zugleich stellte der belangte UVS gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorlägen (Spruchpunkt II.). Schließlich wurde der Bund zum Kostenersatz verpflichtet (Spruchpunkt III.).

Begründend führte der belangte UVS aus, die gegenständliche Schubhaft sei auf § 76 Abs. 1 FPG gestützt worden; dieser Schubhafttatbestand beziehe sich allerdings nur auf solche Fremde, die nicht Asylwerber seien. Eine Schubhaftverhängung über Asylwerber komme nur nach § 76 Abs. 2 oder Abs. 2a FPG in Betracht. Im Weiteren vertrat der UVS dann die Auffassung, durch die bloße Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz wegen Unzuständigkeit Österreichs zur Durchführung des Asylverfahrens sei die Asylwerbereigenschaft des Mitbeteiligten "als solche" nicht erloschen. Würde man vom Erlöschen der Asylwerbereigenschaft ausgehen, so läge in weiterer Folge auch die Zuständigkeit Ungarns für die Abwicklung des Asylverfahrens nicht mehr vor, weil eben ein Asylverfahren nicht mehr "abzuführen" sei. Der Mitbeteiligte sei somit nach wie vor Asylwerber, sodass die auf § 76 Abs. 1 FPG gestützte Schubhaft jedenfalls rechtswidrig sei. Inwieweit die Verhängung von Schubhaft nach § 76 Abs. 2 oder Abs. 2a FPG zulässig sei, habe der UVS im gegenständlichen Verfahren nicht zu prüfen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der Landespolizeidirektion Niederösterreich, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

Die im angefochtenen Bescheid angesprochenen Abs. 1, 2 und 2a der mit "Schubhaft" überschriebenen Bestimmung des § 76 FPG lauten:

"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung, einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.

(1a) …

(2) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde kann über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn

1. gegen ihn eine durchsetzbare - wenn auch nicht rechtskräftige - Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) erlassen wurde;

2. gegen ihn nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde;

3. gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung, durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot erlassen worden ist oder

4. auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

(2a) Die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde hat über einen Asylwerber Schubhaft anzuordnen, wenn

1. gegen den Asylwerber eine mit einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 verbundene durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde oder ihm gemäß § 12a Abs. 1 AsylG 2005 ein faktischer Abschiebeschutz nicht zukommt;

2. eine Mitteilung gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 bis 6 AsylG 2005 erfolgt ist und der Asylwerber die Gebietsbeschränkung gemäß § 12 Abs. 2 AsylG 2005 verletzt hat;

3. der Asylwerber die Meldeverpflichtung gemäß § 15a AsylG 2005 mehr als einmal verletzt hat;

4. der Asylwerber, gegen den nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde, der Mitwirkungsverpflichtung gemäß § 15 Abs. 1 Z 4 vorletzter Satz AsylG 2005 nicht nachgekommen ist;

5. der Asylwerber einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) gestellt hat und der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, oder

6. sich der Asylwerber gemäß § 24 Abs. 4 AsylG 2005 ungerechtfertigt aus der Erstaufnahmestelle entfernt hat, soweit eine der Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 bis 4 vorliegt,

und die Schubhaft für die Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist, es sei denn, dass besondere Umstände in der Person des Asylwerbers der Schubhaft entgegenstehen."

Der in der zitierten Bestimmung (mehrfach) verwendete Begriff "Asylwerber" wird im § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 wie folgt definiert:

"§ 2 (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

14. ein Asylwerber: ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens;"

Gemäß § 1 Abs. 2 erster Satz FPG ist § 76 Abs. 1 FPG auf Asylwerber nicht anzuwenden. Nach der zitierten Begriffsbestimmung ist "Asylwerber" ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zur Verfahrensbeendigung (rechtskräftiger Abschluss, Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens). Gegen Asylwerber und - wie der Ausschussbericht zum Fremdenrechtspaket 2005 (1055 BlgNR 22. GP 5) klarstellend bemerkt - auch gegen Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz erst gestellt (also noch nicht eingebracht) haben, kommt Schubhaft nur unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 oder Abs. 2a FPG in Betracht. Nach § 76 Abs. 1 FPG kann die Schubhaft somit nur gegen Fremde angeordnet werden, wenn sie (noch) keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben oder wenn deren Asylverfahren beendet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0250, und Punkt 1. des hg. Erkenntnisses vom , Zl. 2011/21/0128, mit Hinweisen auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0349, bzw. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0668).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens strittige Frage, ob der Mitbeteiligte im Zeitpunkt der Verhängung der gegenständlich zu beurteilende Schubhaft deswegen, weil der von ihm gestellte Antrag auf internationalen Schutz noch nicht inhaltlich geprüft worden war, weiterhin als "Asylwerber" zu qualifizieren war oder nicht.

Die diesbezüglich maßgebliche Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 stellt in Bezug auf den Verlust der Stellung als "Asylwerber" nur auf die Beendigung des in Österreich geführten Asylverfahrens, sei es durch Einstellung oder Gegenstandslosigkeit oder - wie fallbezogen relevant - durch dessen rechtskräftigen "Abschluss" ab. Es wird nicht dahin differenziert, ob dem rechtskräftigen Abschluss eine inhaltliche oder verfahrensrechtliche Erledigung zugrunde liegt. Auch mit einer rechtskräftigen Zurückweisung gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 wegen der aufgrund der Dublin II-Verordnung gegebenen Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates zur Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz wird somit das in Österreich geführte Asylverfahren im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 abgeschlossen. Ab diesem Zeitpunkt ist der Fremde nicht mehr "Asylwerber". Gegen ihn kann Schubhaft nach § 76 Abs. 1 FPG angeordnet werden.

Dem steht nicht entgegen, dass der Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz - wie der UVS offenbar meint - insofern weiter existent sein müsse, als er in Ungarn einer (inhaltlichen) Prüfung zu unterziehen sei. Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof in seinem (schon oben erwähnten) Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0128, vor dem Hintergrund der unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der Dublin II-Verordnung zu dem Ergebnis gelangt, dass der in einem anderen Mitgliedstaat gestellte Asylantrag auch als in Österreich gestellt anzusehen sei, wenn sich die Republik Österreich im Hinblick auf die ihr nach der genannten Verordnung zukommende Zuständigkeit zur (Wieder )Aufnahme des Fremden bereit erklärt hat und wenn der Fremde gemäß den einschlägigen Überstellungsmodalitäten nach Österreich gelangt ist. Diesfalls sei er - ohne dass es eines nochmaligen Schutzersuchens in Österreich bedürfte - als Fremder zu betrachten, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, gegen den somit Schubhaft nur nach § 76 Abs. 2 oder Abs. 2a FPG in Betracht kommt. Ein unter den genannten Bedingungen aus dem anderen Mitgliedstaat nach Österreich (rück-)überstellter Fremder könne daher nicht gemäß § 76 Abs. 1 FPG in Schubhaft genommen werden. Dazu kann des Näheren gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses verwiesen werden.

Davon ausgehend ist es umgekehrt zwar folgerichtig, dass auch im vorliegenden Fall der Mitbeteiligte, ungeachtet der Zurückweisung seines Antrages auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005, weiterhin als "Asylwerber" iSd Art. 2 lit. d der Dublin II-Verordnung - diese Bestimmung versteht unter dem "Antragsteller" bzw. "Asylwerber" einen Drittstaatsangehörigern, der einen Asylantrag eingereicht hat, über den noch nicht endgültig entschieden worden ist - zu gelten hatte. Daraus ist jedoch nicht abzuleiten, dass ihm im gegebenen Zusammenhang auch aus innerstaatlicher Sicht "Asylwerbereigenschaft" zukommen müsste.

Anders als im Fall des genannten Erkenntnisses vom ist nämlich im vorliegenden Zusammenhang eine vom Wortlaut der innerstaatlichen Regelung des § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 (iVm § 76 Abs. 2/Abs. 2a FPG) abweichende, zur Übereinstimmung mit dem Begriff des "Asylwerbers" iSd Art. 2 lit. d der Dublin II-Verordnung führende Auslegung nicht geboten. In der hier zu beurteilenden Konstellation ist nämlich ausschlaggebend, dass das in Österreich geführte Verfahren zur Bestimmung des zur Asylantragsprüfung zuständigen Staates nach der Dublin II-Verordnung rechtskräftig beendet war. Eine Verpflichtung zur weiteren Prüfung des vom Mitbeteiligten gestellten Antrages auf internationalen Schutz bestand auch unionsrechtlich nicht, sondern - sollte keine freiwillige Ausreise des Mitbeteiligten nach Ungarn erfolgen - nur (noch) die Verpflichtung zur Überstellung in den für diese weitere Prüfung zuständigen Mitgliedstaat. Von daher gibt es auch keinen Grund, den Fremden in diesem Stadium auch innerstaatlich als "Asylwerber" oder als Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, zu behandeln und nur unter den Bedingungen des § 76 Abs. 2 oder Abs. 2a FPG, die von einem (in Österreich) noch nicht rechtskräftig beendeten Asylverfahren ausgehen, in Schubhaft nehmen zu dürfen. Insoweit unterscheidet sich daher die vorliegende Fallgestaltung von jener, die dem erwähnten Erkenntnis vom (vgl. vom selben Tag auch das ebenfalls schon erwähnte Erkenntnis Zl. 2011/21/0250) zugrunde lag, weil dort Österreich unionsrechtlich - ohne weitere Voraussetzungen - zur Führung des Asylverfahrens verpflichtet war.

Daraus folgt, dass die BH als Rechtsgrundlage für die gegenständliche Schubhaft gegen den Mitbeteiligten zu Recht § 76 Abs. 1 FPG herangezogen hat.

Zu dem nach § 83 Abs. 4 erster Satz FPG bei andauernder Schubhaft vom UVS vorzunehmenden Ausspruch hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt im Erkenntnis vom , Zl. 2013/21/0008, Punkt 4.2. der Entscheidungsgründe, unter Bezugnahme auf das Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0246, nähere Ausführungen getätigt. Danach habe der UVS inhaltlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft gegeben seien. Diese Prüfung habe unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der bisherigen Schubhaft zu erfolgen. Dem liege die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zugrunde, wonach die Entscheidung des UVS als neuer (Titel )Bescheid wirke, der im Falle der Feststellung, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, die weitere Anhaltung in Schubhaft ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des UVS selbst dann legitimiere, wenn die vorangehende Anhaltung als rechtswidrig erkannt worden sei. Das hat der belangte UVS nicht beachtet, indem er - offenbar wegen der von ihm unterstellten Rechtswidrigkeit der bisherigen Anhaltung - ohne weiteres auch von der Unzulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft gegen den Mitbeteiligten ausgegangen ist.

Der angefochtene Bescheid war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am