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VwGH vom 30.08.2007, 2006/21/0054

VwGH vom 30.08.2007, 2006/21/0054

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen-400740/38/Gf/Mu/Ga ua., betreffend Schubhaft und medizinische Versorgung während des Vollzuges der Schubhaft (mitbeteiligte Partei: L, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird, soweit er die Anhaltung des Y in Schubhaft betrifft (Punkt I. lit. a), und insoweit auch in seinem Punkt III. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Im Übrigen wird der genannte Bescheid in dem angefochtenen Punkt I. lit. b und (soweit damit zusammenhängend) auch im Punkt III. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Y, ein am geborener Staatsangehöriger von Gambia, ist während des Vollzuges einer mit Bescheid vom verhängten und am in Vollzug gesetzten Schubhaft am im polizeilichen Anhaltezentrum Linz (kurz: PAZ) verstorben.

Mit dem angefochtenen Punkt I. des Bescheides vom gab die belangte Behörde den Beschwerden des Mitbeteiligten, der behauptete, ein Bruder des Y zu sein, statt und stellte fest, dass die Anhaltung des Y in Schubhaft dem Grunde nach rechtswidrig war (lit. a) und "diesen hinsichtlich ihrer Art und Weise in seinem gemäß Art. 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Schutz vor unmenschlicher Behandlung verletzte" (lit. b). Sie verhielt den Bund zum Kostenersatz an den Mitbeteiligten (Punkt III.). Die von den (laut eigenem Vorbringen) Eltern des Y erhobenen Beschwerden wies sie - von der vorliegenden Amtsbeschwerde der Bundesministerin für Inneres unbekämpft - als unzulässig zurück (Punkt II.).

In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde (zusammengefasst) fest, Y sei am ohne gültige Reisedokumente von Italien aus in das Bundesgebiet eingereist und habe am Tag darauf einen Asylantrag gestellt. Am sei er als Asylwerber in die Bundesbetreuung aufgenommen worden. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom sei er "wegen zwei Übertretungen des Suchtmittelgesetzes" zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt worden. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom sei die Ausweisung des Y verfügt worden, der Ausweisungsbescheid sei am in Rechtskraft erwachsen.

Mit Beschluss des Landesgerichtes Linz vom sei Y "per " bedingt aus der Strafhaft entlassen worden. Mit Bescheid vom habe die Bundespolizeidirektion Linz über ihn zur zwangsweisen Durchsetzung der Ausweisung im Wege der Abschiebung in seinen Heimatstaat die Schubhaft verhängt und diese durch unmittelbare Überstellung von der Justizanstalt Linz in das PAZ am vollzogen.

Am sei Y, wie aus der "Meldung" des Stadtpolizeikommandos (PAZ) vom hervorgehe, "ohne Angabe von Gründen" in den Hungerstreik getreten. Daraufhin seien ihm Merkblätter über die Folgen eines Hungerstreiks in seiner Muttersprache ausgefolgt worden, Vertreterinnen des Vereines "Menschenrechte Österreichs" hätten mehrere Betreuungsgespräche mit ihm geführt.

Laut "Aufnahmeuntersuchung" am habe der 1,7 m große Y ein Gewicht von 76,5 kg aufgewiesen. Am ersten Tag des Hungerstreiks () sei - so das "Hungerstreik-Formular" - "ein Wert von 67 kg und als 'individuelles kritisches Gewicht' ein Wert von 54 kg festgehalten, der am (59 kg nach einem kontinuierlichen Gewichtsverlust von insgesamt 17,2 kg über die 22 Tage dauernde Schubhaft hinweg) noch nicht erreicht" gewesen sei. Die Zunge des Y sei (mit Ausnahme am ) stets feucht, seine Lippen seien am "borkig" gewesen. Es sei festgehalten worden, dass er Widerstand geleistet oder simuliert hätte.

Am sei Y daraufhin (gemäß der zuvor genannten Meldung vom ) zwecks Abklärung seines Allgemeinzustandes ("Gibt sich hinfällig, muss von 2 Personen gestützt werden, Gewichtskontrolle daher nicht genau möglich. Zunge trocken, Lippen borkig. Ambulante fachärztliche Begutachtung erb. Event. Blutkontrolle, Jonogramm erb.") und der Frage der weiteren Haftfähigkeit aus fachärztlicher Sicht um 9.30 Uhr ambulant in das Allgemeine Krankenhaus Linz (kurz: AKH) überstellt worden. Da er sich dieser Untersuchung habe widersetzen wollen und ua. mit den Füßen gegen eine Krankenschwester getreten habe, hätten ihm Hand- und Fußfesseln angelegt werden müssen. Laut Untersuchungsbefund des AKH sei die "Flüssigkeitszufuhr nicht eruierbar" und die "Kommunikation schwierig" gewesen, weil Y nicht Deutsch gesprochen habe. Außerdem habe er "trockene Lippen" und die "'Augen stets geschlossen' gehalten gehabt". Insgesamt habe er sich unkooperativ erwiesen, ein Gehen sei jedoch "mit Führung" möglich erschienen. Bei Verschlechterung des Allgemeinzustandes sei eine "Zwangsernährung (Psychiatrie)" erforderlich gewesen, weil Y zeitweise um sich geschlagen habe, weshalb die schließlich doch durchgeführte Blutabnahme schwierig bzw. riskant gewesen sei.

Nach Rückkehr in seine Zelle im PAZ um 11.00 Uhr sei Y in Abständen zwischen 15 und 30 Minuten kontrolliert worden. Bei der Kontrolle um 12.30 Uhr habe er jedenfalls auf das Öffnen der Zellentür noch reagiert. Um 12.50 Uhr sei festgestellt worden, dass er nicht mehr geatmet habe und kein Puls wahrnehmbar sei. Die verständigte Notärztin und die Polizeiärzte hätten um 13.10 Uhr den Tod des Y festgestellt.

Aus dem Obduktionsprotokoll vom gehe hervor, dass nach dem äußeren Erscheinungsbild des Y keine "wesentliche akute Unterernährung" vorliege und prima vista auch keine Anzeichen einer "klassischen Austrocknung" feststellbar gewesen seien. Aus einem danach erstellten ärztlichen Sachverständigengutachten folge, dass nach dem äußeren Erscheinungsbild und den klinischen Befunden bei Y bis zum eine lebensbedrohliche Situation nicht zwingend erkennbar gewesen sei. Nachdem Gewalteinwirkung, Alkohol oder Drogen als Todesursache mangels irgendwelcher Indizien ausgeschlossen werden könnten, habe sich die letztlich zum Tod führende "Entgleisung im Elektrolytsystem nämlich nicht schlagartig entwickeln können", sondern es müsste sich um eine über mehrere Tage fortschreitende diesbezügliche Störung gehandelt haben, die rein funktionell noch lange Zeit habe kompensiert werden können. Letztlich sei es jedoch plötzlich - vermutlich auf Grund einer akuten Herzrhythmusstörung - zum Herztod gekommen, wobei dieses Geschehen nur dann hätte verhindert werden können, wenn schon frühzeitig eine Laboruntersuchung vorgenommen worden wäre. Dazu hätte es zwar in (bloßer) Kenntnis des "Hungerstreikprotokolls" keine zwingende Veranlassung gegeben, doch hätte der im AKH erhobene Laborbefund, der ua. erhöhte Kaliumwerte ausgewiesen habe und damit eine Verschiebung im Elektrolytsystem habe vermuten lassen, offenkundig einer entsprechenden Überprüfung bedurft, wozu es jedoch auf Grund des plötzlichen Ablebens nicht mehr gekommen sei.

Eine dem entsprechend postmortal durchgeführte klinische Laboruntersuchung habe eine erblich determinierte Störung im blutbildenden System (sog. "Sichelzellenanämie") ergeben, die zu Lebzeiten des Y jedoch - wie häufig bei Personen mit schwarzer Hautfarbe - nur latent vorhanden gewesen sei (sog. "Sichelzellenanlage"). Diese hätte ex ante nur im Wege eines Sichelzellentests entdeckt werden können und habe bei Hinzutreten schädigender Ereignisse (wie etwa Sauerstoff- oder Flüssigkeitsmangel, Austrocknung) Symptome entwickeln können, die fallweise auch tödliche Folgen nach sich ziehen. Infolge der durch den Hungerstreik eingeschränkten Nahrungs-, insbesondere der verminderten Flüssigkeitszufuhr sei es unter diesen Voraussetzungen zu einer Konglomeration der roten Blutzellen und zu Durchblutungsstörungen in den verschiedenen Organsystemen sowie zu einem Blutzellzerfall gekommen. Das Zusammenwirken von Sichelzellenanlage und Flüssigkeitsmangel habe somit eine permanent fortschreitende Störung im Elektrolythaushalt zur Folge gehabt, die zwar vorerst auf Grund der an sich guten körperlichen Konstitution des Y noch habe kompensiert werden können, letztlich jedoch zum Todeseintritt durch akutes Herzversagen geführt habe.

Am habe (neben den angeblichen Eltern des Y) auch der Mitbeteiligte eine Schubhaft- und eine Maßnahmenbeschwerde erhoben (diese wird inhaltlich dargestellt).

Ergänzend sei aus der "Einvernahme sämtlicher Personen, mit denen (Y) bis zu seinem Ableben in Kontakt stand" festzustellen, dass Y weder krank noch schwach, sondern im Gegenteil sogar noch am athletisch und kräftig wirkte. Aus der Aussage der Mitarbeiterinnen des Vereines "Menschenrechte Österreich" gehe hervor, dass Y auch nach einer Woche Hungerstreik noch "das gleiche, runde Gesicht" gehabt habe und nie Folter- oder Misshandlungsvorwürfe erhoben habe.

Auf Grund des körperlichen Zustandes des Y sei davon auszugehen, dass er während der Dauer des Hungerstreiks "zumindest gelegentlich etwas Flüssigkeit und wohl auch etwas Nahrung zu sich genommen hat".

Rechtlich erweise sich die Schubhaftbeschwerde des Mitbeteiligten als berechtigt, weil die bloße Anordnung gelinderer Mittel gegenüber Y in Betracht gekommen wäre (wird näher ausgeführt).

Auch die vom Mitbeteiligten erhobene Maßnahmenbeschwerde sei erfolgreich: Wenn es ein Staat unternehme, seine "Organe und Organwalter" dazu zu ermächtigen, die Freiheit von Personen in einer Art und Weise zu beschränken, dass diese nicht mehr in vollem Umfang aus eigenem für sich selbst sorgen könnten, dann übernehme er damit gleichzeitig die Pflicht, diesen Menschen jene Bedürfnisse zu erfüllen, die nicht in einem unmittelbaren Widerspruch zum Zweck der Freiheitseinschränkung stünden. Dies umfasse es, den Betroffenen eine solche medizinische Betreuung zukommen zu lassen, wie sie "üblicherweise dem Standard seines Wohlfahrtsystems" entspreche. Andernfalls läge eine unmenschliche Behandlung und damit eine Verletzung des Art. 3 EMRK vor. Ein der EMRK verpflichteter Staat habe "jeweils in verschiedener Form rechtlich dafür einzustehen", wenn sich im Einzelfall ergebe, dass die der Freiheitsbeschränkung korrelierende Fürsorgepflicht im Ergebnis in nicht ausreichendem Ausmaß realisiert worden sei, und zwar einerlei, ob auf Grund eines kollektiven oder individuell vorwerfbaren Fehlverhaltens.

Wie sich "aus dem vorangeführten ärztlichen Sachverständigengutachten" (Anmerkung: Obduktionsprotokoll vom ) zweifelsfrei ergebe, habe Y an einer bis zu seinem Tod unerkannt gebliebenen latenten Sichelzellenanämie gelitten, die sich ex ante (nur) im Wege prophylaktischer Tests hätte feststellen lassen können. Derartige Vorsorgeuntersuchungen unter gleichzeitiger Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht durchzuführen, sei in Bezug auf Schubhäftlinge weder durch generelle noch durch individuelle Rechtsvorschriften geboten oder vorgesehen, obwohl diese Tests nicht besonders kostenintensiv seien. Unter den speziell mit Gesundheitsfragen befassten Stellen gehöre es "seit geraumer (Zeit) zum Allgemeingut" bzw. müsste es dazu gehören, "dass die Sichelzellenanämie eine nahezu ausschließlich bei Schwarzafrikanern (und das wiederum in einem nicht zu vernachlässigenden Ausmaß) vorkommende Erbkrankheit (sei), sodass also Schubhäftlinge aus diesen Gebieten ebenso wie im Hinblick auf Aids eine spezifische Risikogruppe (bildeten). Dies (gelte) in Bezug auf eine Sichelzellenanämie insbesondere dann, wenn eine auf Grund eines Hungerstreiks drohende Exsikkose als zusätzlicher Risikofaktor (hinzutrete)". Es wäre somit, hätte der Tod des Y doch nicht anders verhindert werden können, ein "Suchttest bzw. eine Hämoglobinelektrophorese und in der Folge eine Zwangsernährung" anzuordnen gewesen, um den Blutzellenzerfall zu vermeiden. Da dies nicht geschehen sei, sei Y, der Bruder des Mitbeteiligten, gerade dadurch in seinem verfassungsmäßig unbeschränkt geschützten Recht auf eine menschenwürdige Behandlung verletzt worden.

Über die gegen Punkte I. und III. dieses Bescheides erhobene Beschwerde der Bundesministerin für Inneres hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde und den Mitbeteiligten erwogen:

I. Zur Schubhaftbeschwerde:

Die im Beschwerdefall verhängte Schubhaft wurde mit Bescheid vom angeordnet und vom 12. September bis zum , also ausschließlich im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, vollzogen. Hieraus folgt, dass die materiell-rechtliche Frage ihrer Rechtmäßigkeit - mangels anders lautender gesetzlicher Anordnungen - nach den im Zeitpunkt der Anhaltung geltenden Bestimmungen (also des FrG) zu beurteilen ist (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 93/18/0255, und vom , Zl. 2001/02/0263).

Die belangte Behörde leitet daraus in ihren Ausführungen in der Gegenschrift weiters ab, zur Erhebung einer ihren Bescheid überprüfenden Amtsbeschwerde legitimiert wäre gemäß § 74 FrG (anders als davor gemäß § 53 Fremdengesetz 1992 oder nunmehr nach § 10 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100) ausschließlich die Sicherheitsdirektion.

Dem ist jedoch zu entgegnen, dass der angefochtene Bescheid im Februar 2006 erlassen wurde, sodass - in Ermangelung Anderes anordnenden Übergangsrechtes - ungeachtet der Anführung des § 73 FrG als Rechtsgrundlage in Wahrheit eine Entscheidung der belangten Behörde nach dem im Wesentlichen inhaltsgleichen § 83 FPG vorliegt. Die Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 2 FPG betrifft lediglich (noch zu vollziehende) "Schubhaftbescheide" nach dem FrG und ist somit infolge der Beendigung des Vollzuges der Schubhaft noch vor Inkrafttreten des FPG am für das vorliegende Prüfungsverfahren ohne Bedeutung.

Hingegen enthält das genannte Übergangsrecht keine Norm, wonach auf Sachverhalte, die sich vor dem ereignet haben, § 10 FPG nicht anzuwenden wäre. Die genannte Bestimmung regelt die Amtsbeschwerdelegitimation (unter anderem) des Bundesministers für Inneres und stellt daher eine verfahrensrechtliche Anordnung dar. Eine solche ist - betrifft die Zeitraumbezogenheit wie dargestellt doch nur materiell-rechtliche Fragen der Rechtmäßigkeit - ab ihrem Inkrafttreten anzuwenden (vgl. dazu allgemein etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 91/09/0186, vom , Zl. 95/09/0347, vom , Zl. 2003/08/0231, und vom , Zl. 2006/03/0067 mwN). Die Legitimation der beschwerdeführenden Bundesministerin für Inneres zur Erhebung einer Amtsbeschwerde nach § 10 FPG ist somit zu bejahen.

In der Sache macht die Beschwerdeführerin unter anderem (zusammengefasst) geltend, dem Mitbeteiligten, dessen Verwandtschaftsverhältnis zu Y bestritten werde, habe die Legitimation zur Erhebung einer Schubhaftbeschwerde gefehlt. Die belangte Behörde habe sich zur Begründung ihres gegenteiligen Standpunktes nur auf Judikatur berufen, die zu den Art. 2 und 3 EMRK ergangen sei, ohne zu thematisieren, inwieweit diese auch auf eine Rechtsverletzung nach Art. 5 EMRK angewendet werden könne.

Diese Ausführungen verhelfen der Beschwerde zum Erfolg:

Die Legitimation zur Erhebung einer Schubhaftbeschwerde wurde und wird - soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung - sowohl nach § 51 des Fremdengesetzes 1992 als auch nach § 72 FrG und nach § 82 FPG nur den nach diesen Bundesgesetzen angehaltenen Fremden eingeräumt. Die jeweiligen Materialien (zuletzt die Regierungsvorlage 952 BlgNR XXII. GP 106) führen (gleichlautend) aus, die Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat setze den vom Bundesverfassungsgesetz zum Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrG) vorgegebenen Standard um. Demnach könne jeder, der unter Berufung auf dieses Gesetz festgenommen oder angehalten werde, den unabhängigen Verwaltungssenat anrufen. Die Regelung entspreche im Wesentlichen jener des § 5a des Fremdenpolizeigesetzes 1954, die der Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof (vgl. dessen Erkenntnis vom , G 356 ua./91, 92) standgehalten habe.

Gemäß dem (Art. 6 PersFrG als Vorbild dienenden) Art. 5 Abs. 4 EMRK wird (außer bei einer - im Beschwerdefall nicht vorliegenden - Anhaltung psychisch Kranker oder von Personen, die sonst Beschränkungen ihrer Handlungsfähigkeit unterliegen) nach Ansicht des EGMR kein Recht - vom Angehaltenen verschiedener - dritter Personen, also etwa von Familienangehörigen, zur Antragstellung begründet; eine die Beschwerdelegitimation begründende mittelbare Beschwer naher Angehöriger im Fall einer Verletzung von Art. 5, 6 oder 13 EMRK wird vielmehr verneint (vgl. zuletzt etwa das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte - EGMR vom , Application Nr. 55.955/00 (Rz 22) mwN.; ebenso Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention2, Rz 12 zu Art. 34). Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dieser Rechtsprechung an. Die Beschwerdelegitimation der Hinterbliebenen zur Geltendmachung von Verletzungen des Rechts auf Leben im Falle der Tötung eines Menschen wurde nämlich mit ihrer unmittelbaren Betroffenheit auf Grund der engen Beziehung zum Opfer und damit begründet, dass eine Verletzung des Rechts auf Leben im Fall des Ablebens (und nicht nur einer Gefährdung des Lebens) anders überhaupt nicht releviert werden könnte. Soweit auf Art. 3 EMRK (Verbot der Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) Bezug genommen wurde, stand diese Rechtsverletzung in einem derart engen Zusammenhang mit dem zum Tod des Opfers führenden Geschehensablauf, dass eine getrennte Beurteilung nicht in Betracht gezogen wurde (vgl. die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom , B 159/00 = VfSlg. 16.109, und vom , B 1580/00 = VfSlg. 16.179, mwN; zur Beschwerdelegitimation von "Nicht-Adressaten des Aktes unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt" weiters B. Kneihs, Altes und Neues zum Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, ZfV 2004/324 (158)). Diese Überlegungen treffen auf die hier in Rede stehende Konstellation aber nicht zu.

Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde ihre nach § 83 Abs. 1 FPG in der Sache gefällte Entscheidung über Beschwerde einer nicht legitimierten Partei erlassen und diese daher mit Rechtswidrigkeit infolge ihrer Unzuständigkeit behaftet. Der angefochtene Bescheid war somit im Umfang seines Punktes I. lit. a und in seiner Entscheidung über den Aufwandersatz (Punkt III.) gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.

II. Zur Maßnahmenbeschwerde:

§ 68 Abs. 1 und 4 FrG lautete:

"Durchführung der Schubhaft

§ 68. (1) Für die Anhaltung in Schubhaft in Hafträumen einer Bezirksverwaltungs- oder Bundespolizeibehörde gilt § 53c Abs. 1 bis 5 VStG, für die Anhaltung in gerichtlichen Gefangenenhäusern und Strafvollzugsanstalten gilt § 53d VStG.

...

(4) Die Hausordnung für die Durchführung der Schubhaft in den Hafträumen der Bezirksverwaltungsbehörden und der Bundespolizeidirektionen hat der Bundesminister für Inneres zu erlassen. Darin sind die Rechte und Pflichten der Häftlinge unter Bedachtnahme auf die Aufrechterhaltung der Ordnung sowie unter Berücksichtigung der räumlichen und personellen Gegebenheiten zu regeln."

§ 53c Abs. 1 und 6 VStG lautet auszugsweise:

"Durchführung des Strafvollzuges

§ 53c. (1) Häftlinge dürfen ihre eigene Kleidung tragen und sich, ohne dazu verpflichtet zu sein, angemessen beschäftigen. Sie dürfen sich selbst verköstigen, wenn dies nach den verfügbaren Einrichtungen weder die Aufsicht und Ordnung beeinträchtigt noch unverhältnismäßigen Verwaltungsmehraufwand verursacht. Sie sind tunlichst von Häftlingen, die nach anderen Bestimmungen als nach diesem Bundesgesetz angehalten werden, männliche Häftlinge jedenfalls von weiblichen Häftlingen getrennt zu halten.

...

(6) Die obersten Behörden haben für den Strafvollzug in den Hafträumen der Bezirksverwaltungsbehörden oder Bundespolizeibehörden eine Hausordnung zu erlassen. Darin sind die Rechte und Pflichten der Häftlinge unter Bedachtnahme auf die Aufrechterhaltung der Ordnung sowie unter sinngemäßer Berücksichtigung der sich aus dem Strafvollzugsgesetz ergebenden Grundsätze des Strafvollzuges und der räumlichen und personellen Gegebenheiten zu regeln. ..."

Die ua. auf § 68 Abs. 4 FrG und § 53c Abs. 6 VStG gestützte (am außer Kraft getretene) Verordnung des Bundesministers für Inneres über die Anhaltung von Menschen durch die Sicherheitsexekutive (Anhalteordnung - AnhO), BGBl. II Nr. 128/1999, lautete auszugsweise:

"Anwendungsbereich

§ 1. (1) Diese Verordnung findet auf Menschen Anwendung, die angehalten werden, nachdem sie von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes festgenommen worden sind oder im Haftraum einer Sicherheitsbehörde eine mit Bescheid angeordnete Haft angetreten haben (Häftlinge).

...

Anhaltung

§ 4. (1) Die Häftlinge sind unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung ihrer Person anzuhalten.

...

Haftfähigkeit

§ 7. (1) Menschen, deren Haftunfähigkeit festgestellt oder offensichtlich ist, dürfen nicht angehalten werden.

(2) Menschen, die Krankheitssymptome oder Verletzungen aufweisen, deren Vorhandensein behaupten oder bei denen bestimmte Tatsachen für deren Vorhandensein sprechen, sind, sofern dies eine auch nur kurze Anhaltung bedenklich erscheinen lässt, erst dann aufzunehmen, wenn eine ärztliche Untersuchung die Haftfähigkeit der Betroffenen erwiesen hat.

(3) Alle Häftlinge sind ohne unnötigen Aufschub, spätestens innerhalb von 24 Stunden nach der Aufnahme ärztlich auf ihre Haftfähigkeit zu untersuchen. Sie haben sich der für die Beurteilung der Haftfähigkeit erforderlichen ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Verweigern Häftlinge die Mitwirkung an der ärztlichen Untersuchung, so ist von deren Haftfähigkeit solange auszugehen, als sie weder Krankheitssymptome noch Verletzungen aufweisen noch sonst Grund besteht, an ihrer Haftfähigkeit zu zweifeln.

(4) Bei der ärztlichen Untersuchung wahrgenommene Erkrankungen oder Verletzungen sind unter dem Gesichtspunkt der Haftfähigkeit zu beurteilen; auf die Ausstattung des Häftlings mit eigenen Medikamenten kann hiebei Bedacht genommen werden. Die Verpflichtung, Erste Hilfe zu leisten, bleibt hievon unberührt. Sind Verletzungen wahrscheinlich auf Fremdverschulden zurückzuführen oder wird Fremdverschulden behauptet, so ist hierüber ein ärztliches Gutachten zu erstellen.

(5) An Menschen, die schwer krank oder schwanger sind, dürfen Verwaltungsfreiheitsstrafen, solange dieser Zustand dauert, nicht vollstreckt werden. Das Gleiche gilt für Jugendliche unter 16 Jahren und für Frauen während eines Zeitraumes von acht Wochen nach der Entbindung.

(6) Werden Haftunfähige in eine Krankenanstalt überstellt, so ist - wenn die Betroffenen aus der Haft entlassen wurden - die Anstaltsleitung unverzüglich darauf hinzuweisen.

...

Ärztliche Betreuung der Häftlinge

§ 10. (1) Die notwendige ärztliche Betreuung der Häftlinge ist durch Amtsärzte oder sonst durch Vorsorge dafür sicherzustellen, dass erforderlichenfalls ohne unnötigen Aufschub ein Arzt einschreiten kann. Hiebei kann für minderschwere Anlässe auf die Betreuung der Häftlinge durch Sanitäter Bedacht genommen werden.

(2) Häftlinge, deren Haftfähigkeit bereits festgestellt wurde (§ 7), sind unverzüglich dem Arzt vorzuführen, wenn auf Grund bestimmter Umstände, insbesondere auch auf Grund eigener Behauptungen ihre weitere Haftfähigkeit in Zweifel steht. Der Gesundheitszustand verletzter oder kranker Häftlinge, deren Haftfähigkeit festgestellt wurde, ist unter amtsärztlicher Aufsicht zu beobachten, sodass eine Verschlechterung rechtzeitig wahrgenommen werden kann; lässt eine solche Verschlechterung den Wegfall der Haftfähigkeit besorgen, so ist unverzüglich eine amtsärztliche Äußerung einzuholen.

...

(4) Häftlinge, die in Hungerstreik treten, um ihre Haftunfähigkeit herbeizuführen, sind ohne unnötigen Aufschub dem Arzt vorzuführen; dieser hat das medizinisch Gebotene festzustellen und die Häftlinge darüber in Kenntnis zu setzen. Hiebei ist insbesondere zu entscheiden, ob die Häftlinge für die Dauer des Hungerstreiks


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1.
in einer Krankenzelle in Einzelhaft angehalten werden und
2.
einem Rauchverbot unterliegen sollen.

(5) Häftlingen steht es frei, auf ihre Kosten zu ihrer medizinischen Betreuung einen Arzt ihrer Wahl beizuziehen; diese Betreuung hat im Haftraum stattzufinden. Für die Beiziehung des eigenen Arztes zu Untersuchungen durch den in Abs. 1 genannten Arzt gilt dies nur insoweit, als es ohne eine wesentliche Verzögerung der Untersuchung möglich ist."

Aus § 7 sowie § 10 Abs. 2 AnhO geht hervor, dass die dem Bund obliegende Pflicht zur Gewährleistung der medizinischen Versorgung ua. von Schubhäftlingen in erster Linie durch die Vermittlung der notwendigen ärztlichen Hilfe (Veranlassung der Untersuchung und Bekanntgabe des Untersuchungsergebnisses) zu erfolgen hat (vgl. die allgemeinen Ausführungen des zur früheren Rechtslage ergangenen hg. Erkenntnisses vom , Zl. 95/02/0506). Weiters ist, wie sich schon aus Art. 3 EMRK ergibt, gemäß § 4 Abs. 1 AnhO die Menschenwürde des Häftlings zu wahren. Durch die Verletzung der genannten Bestimmungen können fallbezogen dessen Rechte verletzt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/01/0379).

Allein die Anhaltung einer Person (in Schubhaft) führt jedoch nach den mit der EMRK im Einklang stehenden dargestellten Regelungen des positiven Rechts nicht zu einer Erweiterung von Fürsorgepflichten des Staates dergestalt, dass solche auch objektiv bei gehöriger Sorgfalt nicht als notwendig erkennbare Maßnahmen auf Grund von Veranlagungen des Häftlings zum späteren Ausbruch von Krankheiten umfassten.

Die belangte Behörde ging davon aus, dass es jedenfalls unter den "speziell mit Gesundheitsfragen befassten Stellen seit geraumer (Zeit) zum Allgemeingut" gehöre bzw. gehören müsste, dass die Sichelzellenanämie eine nahezu ausschließlich bei Schwarzafrikanern (und dort wiederum in einem nicht zu vernachlässigenden Ausmaß) vorkommende Erbkrankheit sei, sodass also Schubhäftlinge aus diesen Gebieten ebenso wie im Hinblick auf AIDS eine spezifische Risikogruppe bildeten. Im Hinblick darauf hätte - so die Ansicht der belangten Behörde - bei Einhaltung der objektiv gebotenen Sorgfalt spätestens zu Beginn des Hungerstreiks zumindest ein Suchtest bzw. eine Hämoglobinelektrophorese und in der Folge eine Zwangsernährung angeordnet werden müssen, um den Blutzellenzerfall zu vermeiden. Dies alles sei effektiv nicht geschehen.

Dem tritt die Amtsbeschwerdeführerin, auch soweit es sachverhaltsmäßige Aspekte betrifft, entgegen.

Zu diesen Aspekten hat die belangte Behörde vor und in der Verhandlung vom kein rechtliches Gehör eingeräumt. Vielmehr hat sie der Bundespolizeidirektion Linz am eine "auf Grund der Aktenlage ... und des Parteienvorbringens erstellte vorläufige Sachverhaltsfeststellung mit dem Ersuchen um Kenntnisnahme" übermittelt, in der, überschrieben mit "Sachverhalt auf Grund der Aktenlage und des Parteienvorbringens" u.a. folgende Ausführungen aufscheinen:

Aus dem Obduktionsprotokoll der Gerichtsmedizin GmbH vom ... gehe hervor, dass "nach dem äußeren Erscheinungsbild des Verstorbenen keine 'wesentliche akute Unterernährung' vorliege und prima vista auch keine Anzeichen einer 'klassischen Austrocknung' feststellbar seien". Aus dem (tatsächlich wohl erst nach diesem Datum erstellten, weil auch spätere Befunde einbeziehenden) "ärztlichen Sachverständigengutachten vom " gehe hervor, "dass nach dem äußeren Erscheinungsbild und den klinischen Befunden bis zum eine lebensbedrohliche Situation nicht zwingend erkennbar gewesen sei ... " (Punkt 8.).

Aus einem (undatierten) Ambulanzbericht des AKH gehe "in diesem Zusammenhang überdies hervor, dass die Lippen und Zunge des Patienten trocken gewirkt hätten und es keinen Hinweis für eine sich entwickelnde lebensbedrohliche Situation gegeben habe. Der nachträglich eingelangte Laborbefund zeige Hinweise au(f) einen durch den Hungerstreik bedingten Flüssigkeitsmangel sowie erhöhte Kreatinin- und Natriumwerte, während der erhöhte Kaliumwert auf Grund der bei der Probe eingetretenen Hämolyse nicht habe verwertet werden können" (Punkt 11.).

Insbesondere im Hinblick auf diese Ausführungen wäre ein deutlicher Hinweis auf die - zum Teil davon abweichenden - tatsächlich erfolgten Feststellungen, die eine Erkennbarkeit der Notwendigkeit weitergehender medizinischer Maßnahmen bejahen, und auf ihre Grundlagen geboten gewesen.

Da die belangte Behörde zu den genannten Aspekten kein rechtliches Gehör eingeräumt hat, hat sie ihre Entscheidung mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet.

Die in der Beschwerde im Übrigen aufgeworfene Frage, ob die Angehörigeneigenschaft des Mitbeteiligten (als Bruder des Y) ausreichend von Amts wegen geklärt worden war oder zusätzlicher Beweisaufnahmen bedurft hätte, kann somit dahingestellt bleiben:

Das weitere Verfahren wird nämlich ohnedies Gelegenheit bieten, entsprechende Beweisanträge (Einholung eines DNA-Tests, Anfrage an die Vertretungsbehörde Gambias zur Verifizierung der Daten - Seite 11 der Beschwerde) zu stellen.

Nach dem Gesagten waren Punkt I. lit. b und - insoweit auch - Punkt III. des angefochtenen Bescheides somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Von der Durchführung der in der Gegenschrift des Mitbeteiligten beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am