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VwGH vom 24.10.2007, 2006/21/0045

VwGH vom 24.10.2007, 2006/21/0045

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2006/21/0056 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde 1.) des Se, 2.) der Sv, und 3.) der N, alle vertreten durch Mag. Sonja Scheed, Rechtsanwältin in 1220 Wien, Brachelligasse 16, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-06- 3001 bis 3003, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Spruch

1.) Der angefochtene Bescheid wird, soweit über die vom Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin erhobenen Schubhaftbeschwerden abgesprochen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2.) Die von der Zweitbeschwerdeführerin erhobene Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführer, Staatsangehörige von Kasachstan, sind am in das Bundesgebiet eingereist. Am selben Tag verhängte die Bezirkshauptmannschaft Gmünd über sie die Schubhaft.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die dagegen erhobene Beschwerde gemäß § 83 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG als unbegründet ab.

In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde fest, am seien insgesamt fünf Personen nach zuvor erfolgtem illegalen Grenzübertritt von tschechischem Gebiet nach Österreich gegen 05.30 Uhr angehalten worden. Bei diesen Personen handle es sich - neben den drei Beschwerdeführern - um Olga, geboren am in Almaata, und Roman, geboren am in Prag (Anm.: Olga Mateeva ist die Ehefrau des Erstbeschwerdeführers; Roman Mateev sowie die Zweit- und Drittbeschwerdeführerinnen sind ihre gemeinsamen Kinder). Die Genannten seien "bereits seit acht Jahren bzw. seit Geburt in der Tschechischen Republik aufhältig, verfügten über jeweils ein tschechisches Visum nach Behandlung in einem Asylverfahren, dessen Gültigkeit mit befristet" sei. Lediglich der Erstbeschwerdeführer verfüge "über Reisedokumente in Gestalt eines tschechischen Fremdenpasses und eines kasachischen Reisepasses".

Bereits im Jahr 2003 sei seitens der Zweitbeschwerdeführerin ein Asylantrag gestellt und "gemäß §§ 7 und 8 AsylG in der damals geltenden Fassung negativ beschieden worden". Das Verfahren über einen Asylfolgeantrag der Genannten habe im Jahr 2004 auf Grund der Tatsache, dass die Zweitbeschwerdeführerin in Österreich mehrmals "untergetaucht" sei, eingestellt werden müssen. Weiters habe erhoben werden können, dass die Letztgenannte im Jahr 2004 illegal bis nach Frankreich gelangt sei.

Da hinsichtlich der aufgegriffenen Personen, von denen "Olga und Roman Mateeva" in Traiskirchen untergebracht worden seien, zufolge der in der Tschechischen Republik durchgeführten Asylverfahren ein so genannter Dublinbezug zu diesem, im § 39 Abs. 1 Z. 21 AsylG als sicherer Herkunftsstaat namentlich genannten Staat bestehe, sei berechtigterweise zu erwarten, dass die Asylanträge "neuerlich negativ beschieden werden und mit einer Zurückschiebung, Abschiebung oder Ausweisung in die Tschechische Republik oder den Heimatstaat vorzugehen sein" werde. Aus diesen Gründen erscheine "vor allem die Heranziehung des Schubhaftgrundes des § 76 (2) Z. 4 FPG 2005 schlüssig und zutreffend".

Im Hinblick auf die im § 76 Abs. 1 und 2 FPG umschriebenen Schubhaftzwecke sei im Zeitpunkt der Haftverhängung nicht abschließend zu beurteilen, ob die im Gesetz durch die Haft zu sichernden Maßnahmen wie Aufenthaltsverbot, Ausweisung oder Abschiebung tatsächlich erlassen und verhängt würden. Es genüge jedoch, wenn die Behörde auf Grund der ihr bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Umstände berechtigten Grund zur Annahme haben könne, dass die genannten Maßnahmen, Verfahrensschritte oder Vollzugshandlungen möglich sein würden.

Zur Verhältnismäßigkeit der Anwendung der Schubhaft gegenüber allfälligen gelinderen Mitteln im Sinne des § 77 FPG sei festzustellen, dass die Zweitbeschwerdeführerin "in zurückliegender Zeit bereits illegale Grenzübertritte gesetzt" habe. Weiters habe die Genannte versucht, sich von der Tschechischen Republik illegal nach Frankreich abzusetzen. Dies lege den begründeten Verdacht nahe, dass sie dies, bei Belassung auf freiem Fuß oder der Anwendung "anderer" gelinderer Mittel, neuerlich versuchen werde, "vor allem auch im Zusammenwirken mit den übrigen Familienmitgliedern". Somit erscheine die über die Beschwerdeführer verhängte Schubhaft als allein taugliches Mittel, um zu verhindern, dass sich die Genannten dem Zugriff der Fremdenpolizeibehörden entziehen würden. Daran vermöge auch die Unterbringung der Ehefrau und des Sohnes des Erstbeschwerdeführers in Traiskirchen nichts zu ändern, "zumal hier lediglich die fehlende Schubhaftfähigkeit des Kindes maßgebend war". Die Trennung des Erstbeschwerdeführers von seiner Ehefrau und dem Sohn sei im vorliegenden Fall notwendig, "um der mündigen Minderjährigen Natalia (= Drittbeschwerdeführerin) die Begleitung durch ihren Erziehungsberechtigten in der Schubhaft zu sichern".

Gemäß § 83 Abs. 4 FPG werde, weil die Anhaltung in Schubhaft noch andauere, festgestellt, dass im Zeitpunkt der Entscheidung auf Grund des im Rahmen des Beschwerdeverfahrens als erwiesen festgestellten Sachverhaltes die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Auf die Bestimmung des § 80 Abs. 6 FPG werde hingewiesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer "Gegenschrift" durch die belangte Behörde erwogen:

Zunächst ist anzumerken, dass der Ausspruch nach § 83 Abs. 4 FPG im Spruch und nicht nur in der Begründung vorzunehmen gewesen wäre.

Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und in Schubhaft angehalten werden, sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 4 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn auf Grund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung und der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass der Antrag des Fremden auf internationalen Schutz mangels Zuständigkeit Österreichs zur Prüfung zurückgewiesen werden wird.

Die im Sinn der letztgenannten Gesetzesstelle von der belangten Behörde angestellte Prognose ist im Hinblick auf die Feststellungen zu dem in der Tschechischen Republik durchgeführten Asylverfahren nicht zu beanstanden (vgl. dazu im Einzelnen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0043, mwN).

Sämtliche Schubhafttatbestände des § 76 Abs. 2 FPG sind final determiniert. Sie rechtfertigen die Verhängung von Schubhaft nur "zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung". Der Verfassungsgerichtshof hat darüber hinaus, zuletzt in seinem Erkenntnis vom , B 1330/06 und B 1331/06, klargestellt, dass die Behörden in allen Fällen des § 76 Abs. 2 FPG unter Bedachtnahme auf das verfassungsrechtliche Gebot der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind, eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen. Im Ergebnis bedeutet das, dass die Schubhaft auch dann, wenn sie auf einen der Tatbestände des § 76 Abs. 2 FPG gestützt werden soll, stets nur ultima ratio sein darf (vgl. dazu neuerlich das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom mit Hinweis auf die Erläut RV zum Bundesverfassungsgesetz vom über den Schutz der persönlichen Freiheit, 134 BlgNR XVII. GP 5).

Im Hinblick darauf erfordert die Verhängung von Schubhaft ein ausreichendes Eingehen auf die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 FPG, die nach seinem Abs. 1 Satz 2 gegenüber Minderjährigen (im Regelfall) anzuwenden sind, es sei denn, die Behörde hätte Grund zur Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0311).

Die eine Notwendigkeit der Sicherung bejahende und das Ausreichen gelinderer Mittel verneinende Begründung der belangten Behörde ist allerdings nur hinsichtlich der bereits volljährigen Zweitbeschwerdeführerin, mit der sich der angefochtene Bescheid schwerpunktmäßig befasst, schlüssig. Angesichts der unbestrittenen Feststellungen zum mehrfachen "Untertauchen" im Jahr 2004, sodass das Verfahren über einen Asylantrag habe eingestellt werden müssen, gefolgt von ihrer illegalen Ausreise bis nach Frankreich, ist die genannte Prognosebeurteilung durchaus zutreffend und daher vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu beanstanden.

Nicht nachvollziehbar dargelegt wurde hingegen, warum diese oder ähnliche Überlegungen auch auf den Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin zutreffen sollten. Insoweit hat sich die belangte Behörde vor allem auf deren illegalen Grenzübertritt nach Österreich (am ) und auf ein mögliches "Zusammenwirken (der Zweitbeschwerdeführerin) mit den übrigen Familienmitgliedern" berufen.

Dabei übersieht die belangte Behörde jedoch, dass - ebenso wie aus ähnlichen Verhaltensweisen anderer Asylwerber in vergleichbaren Situationen - auch aus dem vorwerfbaren Verhalten eines einzelnen Familienmitgliedes ohne Hinzutreten weiterer (im vorliegenden Verfahren nicht festgestellter) Umstände keine Rückschlüsse auf ein gleichartiges Verhalten anderer Familienmitglieder gezogen werden können, sondern vielmehr eine Prüfung jedes individuellen Einzelfalles erforderlich ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/21/0051, mwN).

Der Erstbeschwerdeführer und seine Tochter, die noch minderjährige Drittbeschwerdeführerin, haben unbestritten unmittelbar nach ihrer Einreise nach Österreich am Asylanträge gestellt und dabei der Aktenlage nach wahrheitsgemäße Angaben über ihre Identität, den Ablauf der bisherigen Flucht, in anderen Staaten lebende Angehörige sowie die frühere Beantragung von Asyl in der Tschechischen Republik und das darüber abgeführte Verfahren erstattet. Angesichts dieser Umstände ist nicht zu sehen, weshalb es beim Erstbeschwerdeführer und der minderjährigen Drittbeschwerdeführerin der Verhängung der Schubhaft bedurfte, zumal zwei ihrer Familienangehörigen (Ehefrau bzw. Mutter sowie Sohn bzw. Bruder) innerhalb Österreichs bundesbetreut untergebracht waren und die Schubhaft zu einer Trennung beider Elternteile von jeweils einem ihrer minderjährigen Kinder führte (vgl. dazu neuerlich das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0043, mwN).

Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid, soweit er die vom Erstbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführerin erhobenen Schubhaftbeschwerden betrifft, mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. Die von der Zweitbeschwerdeführerin erhobene Beschwerde war dagegen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Die von der belangten Behörde verfasste Gegenschrift hat sich auf ein Referat des bisherigen Verfahrens und die Bestreitung der Richtigkeit der in der Beschwerde vertretenen Ansicht beschränkt, ohne substanziell zu den Beschwerdeausführungen Stellung zu nehmen. Die Honorierung des verzeichneten Schriftsatzaufwandes nach § 48 Abs. 2 Z. 2 VwGG kam somit nicht in Betracht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/21/0192, mwN).

Wien, am