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VwGH vom 20.12.2013, 2013/21/0111

VwGH vom 20.12.2013, 2013/21/0111

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des V N in L, vertreten durch Mag. Peter Rottensteiner, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Landstraße 47/1. Stock, gegen den Bescheid der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom , Zl. P3/24054/2012, betreffend Versagung der Ausstellung eines Fremdenpasses, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer verließ im Jahr 1977 sein Heimatland Vietnam und reiste 1980 mit einem Sichtvermerk nach Österreich ein. Hier beantragte er die Gewährung von Asyl. Mit Bescheid vom stellte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich dem entsprechend fest, dass der Beschwerdeführer Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes 1968 sei.

Im Hinblick auf mehrere strafgerichtliche Verurteilungen erließ die genannte Behörde gegen den Beschwerdeführer mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. In der Folge wurde ihm mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom auch die Gewährung von Asyl wieder entzogen. Dem lag (u.a.) die Annahme zugrunde, angesichts der ungehinderten, mehrere Wochen dauernden Reise des Beschwerdeführers nach Vietnam Ende 1993/Anfang 1994 bestünden die Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden sei, nicht mehr. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Zl. 94/19/1018, ab, weil jedenfalls dieser Grund die Aberkennung des Flüchtlingsstatus gerechtfertigt habe.

Am stellte der in Österreich verbliebene Beschwerdeführer einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigen als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wurde. Unter einem wurde die Ausweisung des Beschwerdeführers nach Vietnam verfügt. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Beide Instanzen gingen mit näherer Begründung davon aus, der Beschwerdeführer sei - entgegen seinem Vorbringen, er sei staatenlos - weiterhin Staatsangehöriger von Vietnam.

Am stellte der Beschwerdeführer, der seit über eine bis befristete Aufenthaltsbewilligung nach § 69a Abs. 1 Z 1 NAG verfügte, den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Fremdenpasses.

Diesen Antrag wies die Landespolizeidirektion für das Bundesland Oberösterreich (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom gemäß § 88 Abs. 1 und 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage von Aktenteilen des Berufungsverfahrens erwogen hat:

Die Voraussetzungen für die Ausstellung von Fremdenpässen sind in Abs. 1 und 2 des § 88 FPG normiert; diese Bestimmung lautet (idF des FrÄG 2009) wie folgt:

"§ 88. (1) Fremdenpässe können, sofern dies im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik gelegen ist, auf Antrag ausgestellt werden für

1. Staatenlose oder Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, die kein gültiges Reisedokument besitzen;

2. ausländische Staatsangehörige, die über ein unbefristetes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet verfügen und nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen;

3. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen und bei denen im Übrigen die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt - EG' (§ 45 NAG) oder 'Daueraufenthalt - Familienangehöriger' (§ 48 NAG) gegeben sind;

4. ausländische Staatsangehörige, die nicht in der Lage sind, sich das für die Auswanderung aus dem Bundesgebiet erforderliche Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen oder

5. ausländische Staatsangehörige, die seit mindestens vier Jahren ununterbrochen ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet haben, sofern der zuständige Bundesminister oder die Landesregierung bestätigt, dass die Ausstellung des Fremdenpasses wegen der vom Fremden erbrachten oder zu erwartenden Leistungen im Interesse des Bundes oder des Landes liegt.

(2) Fremdenpässe können auf Antrag weiters ausgestellt werden für

1. Staatenlose, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, oder Personen ungeklärter Staatsangehörigkeit, die kein gültiges Reisedokument besitzen und sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten oder

2. Fremde, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt, wenn humanitäre Gründe deren Anwesenheit in einem anderen Staat erfordern, es sei denn, dies wäre aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit nicht geboten."

Zur Begründung seines Antrages hatte der Beschwerdeführer vorgebracht, er sei staatenlos bzw. seine Staatsangehörigkeit könne nicht festgestellt werden. Dazu verwies der Beschwerdeführer auf ein Schreiben der Vietnamesischen Botschaft in Wien vom . Nach dessen Inhalt habe die genannte Botschaft feststellen müssen, dass sie dem Beschwerdeführer keinen Reisepass ausstellen könne, weil er nicht genügend Dokumente vorgelegt habe, die seine Identität als vietnamesischer Staatsangehöriger beweisen würden. Der Beschwerdeführer vermute, dass "seine Daten" mittlerweile gelöscht worden seien.

Die Bundespolizeidirektion Linz (BPD) führte in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides vom unter Bezugnahme auf die zitierte Bestimmung des FPG aus, sie habe nun feststellen können, dass der Beschwerdeführer nicht staatenlos oder ungeklärter Staatsangehörigkeit sei. Er verfüge über kein unbefristetes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet und es lägen auch die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 45 NAG bzw. nach § 48 NAG nicht vor. Der Beschwerdeführer wolle nicht auswandern und es läge auch keine Bestätigung eines Bundesministers oder einer Landesregierung iSd Abs. 1 Z 5 vor. Schließlich komme dem Beschwerdeführer auch nicht der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu. Die BPD kam daher zu dem zusammenfassenden Ergebnis, der Beschwerdeführer erfülle keine einzige Voraussetzung für die Ausstellung eines Fremdenpasses.

In Bezug auf die "Kernfrage", ob der Beschwerdeführer als staatenlos oder als eine Person mit ungeklärter Staatsangehörigkeit anzusehen sei, verwies die BPD auf die Begründung des erwähnten Erkenntnisses des Asylgerichtshofes vom , die sich auf ein vom Bundesasylamt zur maßgeblichen Rechtslage in Vietnam eingeholtes Gutachten stützte. Danach erfolge die Aberkennung der vietnamesischen Staatsbürgerschaft nicht automatisch, sondern bedürfe eines besonderen Rechtsaktes, nämlich einer "Verordnung" der vietnamesischen Regierung. Jene Vietnamesen, die während des sinovietnamesischen Konfliktes aus Vietnam geflüchtet seien, hätten somit ihre Staatsbürgerschaft nur dann verloren, wenn in jedem Einzelfall eine "Verordnung" zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft erlassen worden sei. Die vom Beschwerdeführer behauptete automatische Aberkennung der Staatsbürgerschaft nach der Flucht aus Vietnam bzw. deren automatischer Verlust nach 30 Jahren Aufenthalt im Ausland finde in diesem Gutachten "keine Deckung". Der Beschwerdeführer habe aber auch keine Unterlagen (eine solche "Verordnung") vorgelegt, die eine Aberkennung der Staatsbürgerschaft bestätigen könnten. Der Asylgerichtshof sei daher davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nach wie vor Staatsangehöriger von Vietnam sei. Dem schließe sich die BPD "zur Gänze" an. Der Umstand, dass die vietnamesische Vertretungsbehörde für den Beschwerdeführer kein Heimreisezertifikat ausstelle und daher sein Aufenthalt gemäß § 46a FPG geduldet sei, wäre "losgelöst" von der Frage, ob der Beschwerdeführer staatenlos bzw. ungeklärter Staatsangehörigkeit sei, zu sehen. Die beiden Fragen seien nicht "zwangsweise" miteinander zu verknüpfen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung machte der Beschwerdeführer neuerlich geltend, schon aufgrund des vorgelegten Schreibens der Vietnamesischen Botschaft vom wäre festzustellen gewesen, dass bereits damals in Bezug auf den Beschwerdeführer "die Identität als vietnamesischer Staatsbürger" nicht habe bewiesen werden können. Demzufolge sei auch bei der seinerzeitigen Ausstellung eines Konventionsreisepasses von der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land davon ausgegangen worden, der Beschwerdeführer sei staatenlos. Auch auf der dem Beschwerdeführer ausgestellten Karte für Geduldete sei angeführt, dass er staatenlos sei.

In der Begründung des angefochtenen Berufungsbescheides wurde zunächst der Bescheid der BPD wörtlich wiedergegeben. Nach Zitierung des § 88 FPG schloss sich die belangte Behörde sodann der Begründung der BPD vollinhaltlich an. Demnach erfülle der Beschwerdeführer nicht eine einzige Voraussetzung für die Ausstellung eines Fremdenpasses. Daran anschließend ging die belangte Behörde - neben der nochmaligen Wiederholung von Begründungselementen aus dem erstinstanzlichen Bescheid - auf das Berufungsvorbringen ein. Diesem hielt sie zunächst entgegen, dass mit dem Schreiben vom lediglich mitgeteilt worden sei, dass die Ausstellung eines Reisepasses mangels die Identität des Beschwerdeführers ausreichend bestätigender Dokumente nicht möglich gewesen sei. Dadurch sei nicht bewiesen, dass seine "Identität an sich" unklar sei. Angesichts des zur Rechtslage in Vietnam im Asylverfahren eingeholten Gutachtens und mangels Vorlage "anderweitiger" Unterlagen, welche die Aberkennung der Staatsbürgerschaft beweisen könnten, gehe auch die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer nach wie vor Staatsangehöriger von Vietnam sei. Der Hinweis, dass auf der "Duldungskarte" die Staatenlosigkeit des Beschwerdeführers vermerkt sei, gehe ins Leere, weil diese Karte von der Fremdenpolizeibehörde und nicht von einer "Staatsbürgerschaftsbehörde" ausgestellt werde. Außerdem handle es sich bei der Duldung um ein eigenes Rechtsinstitut, das weder das Nichtbestehen der Staatsbürgerschaft noch eine "geklärte Identität" zur Voraussetzung habe. Dafür genüge das Vorliegen einer sogenannten "Verfahrensidentität". Dass für den Beschwerdeführer kein Heimreisezertifikat erlangte werden könne, bedeute nicht zwangsläufig, der Beschwerdeführer sei staatenlos. Schließlich entfalte auch die Tatsache, dass von einer anderen Fremdenpolizeibehörde ein Konventionsreisepass ausgestellt worden sei, keine Bindungswirkung, weil die (dort zugrunde gelegte) Staatenlosigkeit im "ho. Verfahren" widerlegt worden sei. Überdies müsse die Ausstellung eines Fremdenpasses - so die belangte Behörde noch "vollständigkeitshalber" - in allen Fällen des § 88 Abs. 1 FPG im Hinblick auf die Person des Betroffenen im Interesse der Republik Österreich gelegen sein. Diesbezüglich habe der Beschwerdeführer aber nur private Interessen (Ausübung der "Freizügigkeit" im EU-Raum, insbesondere zur Erbringung von Arbeitsleistungen und auch zur Wiederherstellung des Kontaktes mit Verwandten) ins Treffen geführt.

Zu dieser letzten Überlegung der belangten Behörde ist vorweg klarzustellen, dass es auf das Vorliegen eines öffentlichen Interesses an der Ausstellung eines Fremdenpasses für den Beschwerdeführer nicht ankommt, weil sich der Beschwerdeführer im Hinblick auf die ihm nach § 69a Abs. 1 Z 1 NAG erteilte Aufenthaltsbewilligung rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (vgl. § 31 Abs. 1 Z 2 FPG iVm § 8 Abs. 1 Z 10 NAG). Da der Beschwerdeführer unstrittig kein gültiges Reisedokument besitzt, wäre nach § 88 Abs. 2 Z 1 FPG weitere Voraussetzung für die Ausstellung eines Fremdenpasses nur, dass der Beschwerdeführer - wie von ihm behauptet - ein Staatenloser oder eine Person ungeklärter Staatsangehörigkeit ist.

Die belangte Behörde erachtete es als erwiesen, dass der Beschwerdeführer nach wie vor vietnamesischer Staatsangehöriger sei, weil er keine Unterlagen, welche die Staatsbürgerschaftsaberkennung bestätigen könnten, vorgelegt habe.

Dem hält die Beschwerde entgegen, dem Beschwerdeführer hätte eine - im Sinne des eingeholten Rechtsgutachtens für die Aberkennung der Staatsbürgerschaft im Einzelfall zu ergehende - "Verordnung" (offenbar wegen seines Aufenthaltes in Österreich) gar nicht zur Kenntnis gebracht werden können. Aus dem Umstand, dass ihm eine solche "Verordnung" nicht übermittelt worden sei, könne nicht - so sind die Beschwerdeausführungen zu verstehen - geschlossen werden, sie sei gar nicht ergangen. Der Beschwerdeführer habe keinerlei Möglichkeit, darüber Informationen zu erhalten. Diesbezüglich hätte es amtswegiger Ermittlungen bedurft, zumal es offenbar "keinen Aktenbestand in Vietnam betreffend seine Person" mehr gebe und ihn auch die Fremdenbehörden selbst schon als staatenlos eingestuft hätten.

Dem ist im Ergebnis beizupflichten. Die belangte Behörde hat sich nämlich bei dem Vorwurf, der Beschwerdeführer habe keine die Aberkennung der Staatsbürgerschaft bestätigenden Unterlagen vorgelegt, nicht damit befasst, inwieweit ihm dies überhaupt möglich gewesen wäre. Schon deshalb wurde die Annahme, der Beschwerdeführer sei nach wie vor vietnamesischer Staatsbürger, nicht schlüssig begründet. Im Übrigen wäre auf die Gründe, weshalb die Fremdenpolizeibehörden in anderen Verfahren von der Staatenlosigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen sind, Bedacht zu nehmen gewesen. Auch wenn diese Annahmen für das vorliegende Verfahren nicht bindend sind, so haben sie aber doch eine Indizwirkung. Immerhin lautet auch die Eintragung bei der "St. Ang.:" des Beschwerdeführers in dem den vorgelegten Akten angeschlossenen aktuellen Auszug aus dem Fremdeninformationssystem auf "STAATENLOS früher VIETNAM". Vor allem wäre aber angesichts der Duldung seines Aufenthalts nach der Beendigung des zweiten Asylverfahrens der Frage nachzugehen gewesen, weshalb die vietnamesische Botschaft für den Beschwerdeführer aktuell kein Heimreisezertifikat ausstellt. Zwar bedeutet die diesbezügliche Weigerung nicht, dass der Beschwerdeführer - wie die belangte Behörde formulierte - "zwangsläufig staatenlos" sei, doch ist nicht ausgeschlossen, dass dafür (auch) die Aberkennung der Staatsbürgerschaft oder die mangelnde Klärung der Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers maßgeblich war. Die belangte Behörde hätte sich im Übrigen auch selbst an die genannte Botschaft wenden können, um die Frage der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers zu klären.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen der aufgezeigten Verfahrens- und Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am