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VwGH vom 16.07.2020, Ra 2020/21/0099

VwGH vom 16.07.2020, Ra 2020/21/0099

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des S J A in W, vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W117 2228227-1/12E, betreffend Feststellung der Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der seinen Angaben zufolge aus Palästina stammende Revisionswerber hält sich seit März 2008 in Österreich auf. Sein nach der Einreise gestellter Antrag auf internationalen Schutz blieb erfolglos.

2Nach einem Aufgriff im Rahmen einer fremdenpolizeilichen Kontrolle am wurde der Revisionswerber wegen seines unrechtmäßigen Aufenthalts festgenommen und über ihn nach seiner Vernehmung mit Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom selben Tag gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Er wurde vom bis in Schubhaft angehalten.

3Beginnend am und ergänzend am hatte das BFA dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) unter Bezugnahme auf § 22a Abs. 4 BFA-VG die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Stellungnahme erstattet, in der es näher begründete, weshalb aus seiner Sicht die Aufrechterhaltung der Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft notwendig und verhältnismäßig sei.

4Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom stellte das BVwG gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig sei. Des Weiteren sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. Diese Entscheidung wurde dem Revisionswerber noch am selben Tag zugestellt.

5Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen hat:

6Die Revision erweist sich - wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt - entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig; sie ist schon wegen des in der Revision auch vorgetragenen Einwands, das BVwG sei im Entscheidungszeitpunkt für eine amtswegige Feststellung gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht zuständig gewesen, berechtigt.

7Der im vorliegenden Fall maßgebliche § 22a Abs. 4 BFA-VG lautet:

„§ 22a (1) bis (3) ...

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

8Eine solche amtswegige Überprüfung der Schubhaft war erstmals mit dem Fremdenrechtspaket 2005 vorgesehen worden. Der diesbezügliche § 80 Abs. 6 FPG (in der Stammfassung) lautete:

„§ 80 (1) bis (5) ...

(6) Soll der Fremde länger als sechs Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das sechste Monat überschritten wurde, und danach alle acht Wochen vom örtlich zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat von Amts wegen zu überprüfen. Die Behörde hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass den unabhängigen Verwaltungssenaten eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Dabei hat sie darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Der unabhängige Verwaltungssenat hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.“

9Zu dieser Regelung hielten die ErläutRV zum Fremdenrechtspaket 2005 zunächst im Allgemeinen Teil (952 BlgNR 22. GP 9) fest, der unabhängige Verwaltungssenat solle zu einer Überprüfung der Schubhaft „nach“ einer Dauer von sechs Monaten von Amts wegen verpflichtet werden und diese Überprüfung alle sechs Wochen wiederholen. Im Besonderen Teil (aaO. 106) heißt es dann noch einmal, diese Bestimmung sehe im Hinblick auf die Eingriffsintensität eine obligatorische Schubhaftprüfung durch den zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat „nach“ einer Anhaltung von sechs Monaten vor. Das Recht, einen „Antrag nach § 82 zu stellen“, also eine Schubhaftbeschwerde einzubringen, bleibe unberührt.

10Die zitierte Bestimmung wurde mit dem FrÄG 2011 mit Wirksamkeit ab dahin geändert, dass sie als Abs. 7 des § 80 FPG lautete:

„§ 80 (1) bis (6) ...

(7) Soll der Fremde länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom örtlich zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat von Amts wegen zu überprüfen. Die Behörde hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass den unabhängigen Verwaltungssenaten eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Dabei hat sie darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Der unabhängige Verwaltungssenat hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.“

11In den diesbezüglichen ErläutRV (1078 BlgNR 24. GP 38) wurde dargelegt, die vorgenommene Verkürzung der Zeiträume erfolge in Reaktion auf die Vorgabe des Art. 15 Abs. 3 iVm Abs. 5 der Rückführungs-RL. Daher sei der „Zeitpunkt“ der ersten Überprüfung durch den unabhängigen Verwaltungssenat bereits „nach“ vier Monaten festzulegen und in weiterer Folge hätten die Überprüfungen alle vier Wochen zu erfolgen.

12Schließlich wurde zur Übernahme dieser Regelung in den seit geltenden § 22a Abs. 4 BFA-VG in den ErläutRV zum FNG-AnpassungsG (2144 BlgNR 24. GP 15) ausgeführt, diese Bestimmung entspreche inhaltlich dem geltenden § 80 Abs. 7 FPG. Es seien lediglich Anpassungen aufgrund der geänderten Behördenzuständigkeit durch die Einrichtung des BFA und die damit einhergehende Zuständigkeitsverschiebung sowie eine Adaptierung betreffend die Rechtsmittelinstanz aufgrund der Einrichtung des BVwG vorgenommen worden.

13Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass das Gesetz eine obligatorische Überprüfung der Zulässigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft für den Fall vorsieht, dass der Fremde länger als vier Monate durchgehend angehalten werden soll. Es ist vom BVwG festzustellen, ob „zum Zeitpunkt seiner Entscheidung“ die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, wozu freilich auch deren Verhältnismäßigkeit zählt. Der „Zeitpunkt“ der ersten diesbezüglichen Überprüfung ist „nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde“. Die Bezugnahme auf „nach dem Tag“, an dem das sechste bzw. vierte Monat „überschritten“ wurde, findet sich in allen wiedergegebenen Fassungen der Regelungen über die amtswegige Prüfung der Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft und wurde in den Gesetzesmaterialien dahin verstanden, dass die Überprüfung „nach“ Ablauf der jeweiligen Dauer von vier bzw. sechs Monaten vorzunehmen ist, wobei diesbezüglich von einem „Termin“ die Rede ist.

14Dazu ist zunächst klarzustellen, dass bei der Ermittlung der viermonatigen Dauer der Anhaltung in Schubhaft nicht nach § 32 Abs. 2 AVG vorzugehen ist, wonach im Ergebnis der Tag, in den das fristauslösende Ereignis fällt, nicht mitgezählt wird (vgl. dazu des Näheren unter Bezugnahme auf , Hengstschläger/Leeb, AVG [2. Ausgabe 2014], Rz. 12 zu § 32). Bei der Ermittlung der (durchgehenden) Dauer der Schubhaft wäre es nämlich nicht gerechtfertigt, den ersten Tag der Anhaltung nicht zu berücksichtigen. Ausgehend vom Beginn der Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft am war demnach der jener Tag, an dem die Schubhaftdauer von vier Monaten im Sinne des ersten Satzes des § 22a Abs. 4 BFA-VG „überschritten“ wurde. Daher wäre nach dem Gesetzeswortlaut am Tag danach, nämlich am , im gegenständlichen Fall die Schubhaftprüfung durch das BVwG vorzunehmen gewesen.

15Allerdings wird im zweiten Satz des § 22a Abs. 4 BFA-VG offenbar davon ausgegangen, dass für das BVwG insoweit ein Spielraum besteht, als es auch in einem Zeitraum von einer Woche vor den jeweiligen Haftprüfungsterminen entscheiden darf. Die - als Fiktion der Erhebung einer Beschwerde durch den Schubhäftling geltende (zur Zulässigkeit einer solchen Konstruktion siehe das zu § 22 Abs. 10 AsylG 2005 ergangene Erkenntnis , u.a., VfSlg. 20.292) - Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA hat so rechtzeitig zu erfolgen, dass dem BVwG genügend Zeit bleibt, um seine Entscheidung in diesem Zeitraum - in der letzten Woche bis zum Haftprüfungstermin - zu treffen (siehe zu einer verspäteten Aktenvorlage , und ).

16Im vorliegenden Fall wurde der Revisionswerber vom bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses am insgesamt erst drei Monate und elf Tage angehalten. Die Entscheidung erfolgte somit nicht innerhalb des bestehenden, mit beginnenden einwöchigen Spielraums bis zum Tag nach Ablauf einer durchgehenden viermonatigen Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft, sondern zwei Wochen vor dem Beginn dieses Zeitraums. Die bekämpfte Entscheidung des BVwG hat daher in § 22a Abs. 4 BFA-VG keine Rechtsgrundlage. Das wird in der Revision zu Recht geltend gemacht.

17Demzufolge war das angefochtenen Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufzuheben.

18Der Kostenzuspruch gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210099.L00
Schlagworte:
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

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