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VwGH vom 12.05.2010, 2006/20/0766

VwGH vom 12.05.2010, 2006/20/0766

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke, die Hofrätin Dr. Pollak, den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätinnen Mag. Rehak und Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des S B in E, geboren 1979, vertreten durch Mag. Michael Schuszter, Rechtsanwalt in 7000 Eisenstadt, Robert Graf Platz 1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats vom , Zl. 261.876/7- XIV/39/06, betreffend §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am von Polen kommend ins Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Nach Zulassung des Verfahrens gemäß § 24b Abs. 1 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) wegen Hinweisen auf eine Traumatisierung des Beschwerdeführers wies das Bundesasylamt mit am zugestelltem Bescheid vom den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab, gewährte Refoulementschutz gemäß § 8 Abs. 1 AsylG und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 3 iVm § 15 Abs. 2 AsylG eine mit befristete Aufenthaltsberechtigung. Gegen die Abweisung des Asylantrags erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig Berufung.

Mit Schreiben vom teilte der Beschwerdeführer dem Bundesasylamt mit, er beabsichtige "freiwillig zurückzukehren" und erkläre sich damit einverstanden, dass sein Asylantrag "gemäß § 31 Abs. 3 AsylG 2003 als gegenstandslos abgelegt wird". Der Inhalt sei ihm von einer sprachkundigen Vertrauensperson erklärt worden. Am bestätigte die International Organization for Migration - IOM, dass der Beschwerdeführer am "unter Gewährung von Rückkehrhilfe freiwillig aus dem Bundesgebiet ausgereist ist". Laut Aktenvermerk des unabhängigen Bundesasylsenats vom wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 31 Abs. 3 AsylG als gegenstandslos abgelegt.

Mit Bescheid vom erkannte das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG 2005), den Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, widerrief die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 leg. cit. in die Russische Föderation aus. Der Bescheid wurde laut Aktenvermerk vom selben Tag "gemäß § 8 Abs. 2 in Verbindung mit § 23 Zustellgesetz 1982 ohne vorhergehenden Zustellversuch bei der Behörde hinterlegt".

Am reiste der Beschwerdeführer neuerlich von Tschetschenien über Polen nach Österreich und stellte am folgenden Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Am beantragte der Beschwerdeführer die Verlängerung seiner (am abgelaufenen) befristeten Aufenthaltsberechtigung. Über diesen Antrag wurde bisher nicht entschieden.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den zuvor gestellten Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück, stellte die Zuständigkeit Polens nach "Artikel 16/1/c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" (Dublin-Verordnung) fest und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nach Polen aus.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom ab.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

1. Nach § 31 Abs. 3 AsylG war der Asylantrag eines Fremden, dem Rückkehrhilfe gewährt wurde, mit seiner Ausreise als gegenstandslos abzulegen. Damit war sein Asylverfahren, wie sich aus den Erläuterungen zu dieser Bestimmung (120 BlgNR 22.GP, 19) ergibt, abgeschlossen.

Der Beschwerdeführer ist unstrittig am unter Gewährung von Rückkehrhilfe aus dem Bundesgebiet ausgereist und sein (erster) Asylantrag wurde als gegenstandslos abgelegt. Das Verfahren über diesen Asylantrag war somit beendet.

2. Nach § 8 Abs. 1 ZustG hat eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen. Eine Partei hat dann im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustG Kenntnis von einem Verfahren, wenn sie durch eigene Prozesshandlungen (z.B. Antragstellung) oder durch Amtshandlungen (z.B. Zustellung einer Ladung) tatsächlich vom Verfahren wusste (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/08/0206, mwN).

Als Folge der Unterlassung einer derartigen Mitteilung normiert § 8 Abs. 2 ZustG unter näher festgelegten Voraussetzungen die Möglichkeit der Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch.

Vorliegend war das erste Asylverfahren des Beschwerdeführers durch die Ablage seines Asylantrags nach seiner Ausreise bereits beendet. Das danach von Amts wegen gemäß §§ 9 und 10 AsylG 2005 eingeleitete Verfahren zur Aberkennung des subsidiären Schutzes, zum Widerruf der Aufenthaltsberechtigung und zur Ausweisung des Beschwerdeführers war nicht Teil dieses Asylverfahrens (in diesem Sinne das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0040) und er wusste unbestritten nichts davon. Da somit kein Verfahren anhängig war, von dem der Beschwerdeführer Kenntnis hatte, traf ihn auch keine Pflicht zur Mitteilung einer neuen Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustG. Die nach § 8 Abs. 2 und § 23 ZustG vorgenommene Zustellung des Bescheides des Bundesasylamts vom , mit dem dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung widerrufen und seine Ausweisung verfügt wurde, war somit rechtsunwirksam; der Bescheid wurde daher nicht erlassen.

3. Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer nach wie vor aufgrund des Bescheides des Bundesasylamts vom subsidiären Schutz genießt. Dies ergibt sich aus der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 6 AsylG 2005, nach der einem Fremden, dem am eine befristete Aufenthaltsberechtigung nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1991 oder des AsylG 1997 zugekommen ist, der Status des subsidiär Schutzberechtigten als zuerkannt gilt. Allerdings besitzt er keine befristete Aufenthaltsberechtigung mehr, da diese am abgelaufen ist, der Verlängerungsantrag nicht vor diesem Tag gestellt wurde (vgl. § 8 Abs. 4 letzter Satz AsylG 2005) und das Bundesasylamt über den am gestellten Antrag bisher nicht entschieden hat.

4. Zur Klärung der Frage, ob der Beschwerdeführer als subsidiär Schutzberechtigter aus dem Bundesgebiet ausgewiesen werden durfte, ist zunächst die Bestimmung des § 10 Abs. 1 AsylG 2005 zu betrachten, die (in der hier anzuwendenden Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005) lautet wie folgt:

"§ 10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn


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1.
der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird;
2.
der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird;
3.
einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
4.
einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird."
In den Erläuterungen zu dieser Bestimmung (952
BlgNR 22. GP, 38 f.) heißt es dazu:
"Wird ein Antrag auf internationalen Schutz gänzlich -
das heißt im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des subsidiär Schutzberechtigten - abgewiesen oder zurückgewiesen oder wird der Status des Asylberechtigten ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten entzogen, hat die Behörde zu prüfen, ob die Entscheidung mit einer Ausweisung zu verbinden ist.
...
Der Entwurf geht somit in Aufrechterhaltung dieses mit der Asylgesetznovelle
2003 eingeführten, verwaltungsökonomischen Systems davon aus, dass im Regelfall ab- und zurückweisende Asylentscheidungen in einem mit einer Ausweisung zu verbinden sind. Ausgenommen sind Fälle, in denen dem Fremden ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder eine Ausweisung gegen Art. 8 EMRK verstoßen würde."
5.
Wie sich aus der Systematik dieser Bestimmung in Verbindung mit den Erläuterungen ergibt, ging der Gesetzgeber in den ersten beiden Ziffern des § 10 Abs. 1 AsylG 2005 vom Regelfall jenes Asylwerbers aus, der nach Österreich einreist und hier - ohne bereits einen Status zu besitzen - einen Antrag auf internationalen Schutz, also auf Asyl und hilfsweise subsidiären Schutz, stellt. Eine Ausweisung von Personen, die bereits einen Status besitzen - sei es jenen des Asylberechtigten oder jenen des subsidiär Schutzberechtigten - soll, wie aus § 10 Abs. 1 Z 3 und 4 AsylG 2005 hervorgeht, nur in Verbindung mit einer Aberkennung des Status möglich sein.
6.
Im Fall des Beschwerdeführers ist eine Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht (rechtswirksam) erfolgt, weshalb sich die im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Ausweisung als unzulässig erweist.
Darf der Beschwerdeführer aber nach §
10 Abs. 1 AsylG 2005 nicht ausgewiesen werden, kommt auch eine zurückweisende Entscheidung gemäß § 5 AsylG 2005 nicht in Betracht (vgl. Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 332 f.). Ob die Dublin-Verordnung auf subsidiär Schutzberechtigte überhaupt anwendbar ist, kann bei diesem Ergebnis dahingestellt bleiben.
7.
Da sich der angefochtene Bescheid somit als rechtswidrig erweist, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§
47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am 12.
Mai 2010