VwGH 11.11.2010, 2006/20/0226
Entscheidungsart: Erkenntnis
Rechtssatz
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Normen | AsylG 1997 §7; AsylG 1997 §8 Abs1; AsylG 1997 §8 Abs2; AVG §58 Abs2; AVG §60; AVG §67; VwGG §42 Abs2 Z3 litb; VwGG §42 Abs2 Z3 litc; |
RS 1 | Der UBAS begründet die mangelnde Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers damit, dass dem Asylwerber sowohl ein Inlandspass als auch ein Auslandspass ausgestellt wurden. Es fehlt aber an jeglicher konkreter Auseinandersetzung mit den behaupteten, aber nicht weiter ermittelten Umständen, unter denen diese Dokumente erlangt wurden. Der Asylwerber hat ausgesagt, der Inlandspass sei für ihn von einem väterlichen Freund besorgt und der Auslandspass gegen Geld erstanden worden. Nach dem Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tschetschenien (Stand Juli 2005), demzufolge von staatlichen Behörden ausgestellte Dokumente teilweise auch von den jeweiligen Amtsträgern gegen finanzielle Gegenleistung erworben werden könnten, erweist sich diese pauschale beweiswürdigende Überlegung nicht als schlüssig und vermag für sich genommen die Begründung der Unglaubwürdigkeit einer Verfolgungssituation nicht zu tragen (vgl. E , 96/20/0212; E , 95/20/0701). Ferner hat es der UBAS unterlassen, zum Vorbringen des Asylwerbers, er sei im Zuge von Säuberungsaktionen festgenommen und misshandelt worden, beweiswürdigende Überlegungen anzustellen. Stattdessen ging sie pauschal von der Annahme aus, die bloße Ausstellung der Pässe würde belegen, dass der Asylwerber "vom russischen Staat" nicht als "feindlich eingestufte Person" angesehen werde, ohne sich weiter mit der Frage der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringenselements auseinander zu setzen. Damit hat der UBAS verabsäumt, den realen Hintergrund dieses Vorbringens in ihre Überlegungen mit einzubeziehen (vgl. Bericht vom Juli 2005, der das Bild einer erheblichen Verschlechterung der Sicherheitslage seit Mai 2004 zeichnete und davon ausging, dass die Sicherheit der Zivilbevölkerung wegen ständiger Razzien, Guerilla-Aktivitäten, Geiselnahmen, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffen durch Soldaten nicht gewährleistet sei) und die Glaubwürdigkeit dieser Behauptungen auch an der Berichtslage zu messen (vgl. E , 2004/01/0556). Es entspricht auch nicht der Aktenlage, dass der Asylwerber angegeben habe, lediglich deswegen festgenommen worden zu sein, weil er keine Papiere gehabt habe. Er hat nämlich auch vorgebracht, dass die Festnahmen und daran anschließende Misshandlungen vorrangig junge Männer beträfen, "bei denen etwas vermutet werde", bzw. in der Berufung präzisiert, dass ihm als jungem, kampffähigem Tschetschenen eine Beteiligung am Widerstandskampf unterstellt würde. Auch damit hat sich der UBAS nicht weiter auseinandergesetzt. Die Relevanz dieser Unterlassung ist allerdings vor dem Hintergrund des zitierten Berichts vom Juli 2005, in dem von einer Art Generalverdacht gegen kaukasisch aussehende Personen und damit einhergehenden verstärkten Kontrollmaßnahmen aller Art die Rede ist, nicht von vornherein auszuschließen (vgl. E , 2006/20/0351 bis 0356). Da die Beweiswürdigung des UBAS somit ihre Einschätzung, das Vorbringen des Asylwerbers sei unglaubwürdig, auch nach dem Prüfmaßstab des VwGH nicht trägt, und dem Fluchtvorbringen nicht von vornherein Asylrelevanz abgesprochen werden kann, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. |
Entscheidungstext
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofrätinnen Dr. Pollak und Mag. Dr. Maurer-Kober als Richterinnen, im Beisein des Schriftführers Mag. Hahnl, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Axel Zaglits, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Schmidtorstraße 8, gegen den am mündlich verkündeten und am schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 257.419/0- VII/20/05, betreffend §§ 7 und 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, beantragte am Asyl. Als Fluchtgrund gab er an, seine Eltern seien im ersten Tschetschenienkrieg bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen. Danach habe er eine Zeit lang bei seinem Cousin und seiner Cousine gewohnt, bis er dann in das Nebengebäude des zerstörten Elternhauses gezogen sei. Bei den kurz nach diesem Bombenangriff etwa zwei bis drei Mal wöchentlich stattfindenden Säuberungen seien jedes Mal die Papiere überprüft worden. Weil seine Papiere aber beim Brand zerstört worden seien, sei er drei Mal mitgenommen und für unterschiedlich lange Zeit festgehalten, einmal auch für achtzehn Tage in einen Keller gesperrt worden. Dabei sei er Zeuge massiver Folterungen anderer verschleppter Tschetschenen geworden, aber auch selbst misshandelt worden. Er habe sich nach erstmaliger Freilassung noch einige Zeit bei seinem Cousin und seiner Cousine aufgehalten, sich dann aber in den Kellern des Stadtzentrums versteckt, sei aber auch im Stadtzentrum kontrolliert worden. Nach ca. sieben Monaten habe ihm ein väterlich gesonnener Tschetschene einen Pass besorgt. Den Auslandspass zwecks Ausreise habe er mit vom Ältestenrat seiner Siedlung gesammeltem Geld besorgt.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation zulässig sei, und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus. Begründend führte das Bundesasylamt nach der Verneinung des Bestehens einer Gruppenverfolgung aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers der Entscheidung zwar zugrunde gelegt werde, aber angesichts der Größe der Russischen Föderation und des Umstands, dass mehrere hunderttausend Flüchtlinge und andere Personen aus Tschetschenien in anderen Teilen Russlands lebten, sich nicht feststellen lasse, dass dem Beschwerdeführer ohne weiteres die aktuelle Gefahr drohe, selbst von Maßnahmen asylerheblicher Intensität betroffen zu sein. Für ein Refoulementhindernis bestünden keine Anhaltspunkte. Das Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative scheide weder aufgrund der Registrierungsschwierigkeiten von Tschetschenen am Ort des tatsächlichen Aufenthalts oder Zuzugsschwierigkeiten, noch aufgrund der geringen Aussicht auf Anerkennung als Binnenflüchtlinge außerhalb der Heimatregion aus. Auch einer Ausweisung stehe nichts entgegen.
Die dagegen erhobene Berufung trat dieser Beweiswürdigung entgegen, verwies auf das Vorliegen einer Verfolgung der tschetschenischen Volksgruppe, aber auch des Beschwerdeführers selbst, zumal er durch die Merkmale "jung" und "kampffähig" besonders verdächtig sei, in Kampfhandlungen involviert gewesen zu sein. Ferner wandte sie sich unter Hinweis auf diverse Länderberichte fallbezogen gegen das Vorliegen einer internen Fluchtalternative.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung die Berufung unter Verfügung einer zielstaatsbezogenen Ausweisung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation ab. Sie sprach dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft ab und begründete dies damit, dass "seine Angaben zum angeblichen Verstecktsein in diversen Kellern" nicht mit dem vorgelegten Inlandspass übereinstimmten, dem zufolge der Beschwerdeführer ab der 2. Hälfte der 90er Jahre aufrecht gemeldet gewesen sei. Aus den problemlosen Ausstellungen des Inlandspasses (im August 2003) und des Auslandspasses (im Februar 2004) sowie der erlaubten legalen Ausreise aus der Russischen Föderation könne keinesfalls der Schluss gezogen werden, dass dem Beschwerdeführer Verfolgung drohe. Da aktuell die Russische Föderation mit äußerster Härte gegen Rebellen aus der Tschetschenischen Republik vorgehe, sei es widersinnig anzunehmen, dass einer vom russischen Staat als feindlich eingestufte Person entsprechende Dokumente - wie vom Beschwerdeführer vorgelegt - ausgestellt würden. Der Beschwerdeführer habe selbst bei der Einvernahme beim Bundesasylamt angegeben, dass seine Festnahmen lediglich erfolgt seien, weil er keine Papiere gehabt habe. Mit der Ausstellung der entsprechenden Pässe sei dieses Problem offensichtlich weggefallen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die behördliche Beweiswürdigung ist der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zwar nur dahin unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, was dann der Fall ist, wenn sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen. Dem Gerichtshof kommt es hingegen nicht zu, die Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Eine Beweiswürdigung ist aber nur dann schlüssig, wenn (unter anderem) alle zum Beweis strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden.
Im Übrigen sind nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhalts unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2007/19/1248 bis 1252, mwN).
Diesen rechtlichen Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid nicht.
Die belangte Behörde begründet die mangelnde Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers im Grunde lediglich damit, dass dem Beschwerdeführer sowohl ein Inlandspass als auch ein Auslandspass ausgestellt wurden. Wie die Beschwerde zu Recht rügt, fehlt es aber an jeglicher konkreter Auseinandersetzung mit den - vom Beschwerdeführer behaupteten, aber nicht weiter ermittelten - Umständen, unter denen diese Dokumente erlangt wurden. Ausgehend davon, dass der Beschwerdeführer ausgesagt hat, der Inlandspass sei für ihn von einem väterlichen Freund besorgt und der Auslandspass gegen Geld erstanden worden, erweist sich schon vor dem Hintergrund des von der belangten Behörde dem angefochtenen Bescheid zugrundegelegten, aber nur teilweise zitierten Berichts des deutschen Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tschetschenien (Stand Juli 2005), demzufolge von staatlichen Behörden ausgestellte Dokumente teilweise auch von den jeweiligen Amtsträgern gegen finanzielle Gegenleistung erworben werden könnten, diese pauschale beweiswürdigende Überlegung nicht als schlüssig und vermag für sich genommen die Begründung der Unglaubwürdigkeit einer Verfolgungssituation nicht zu tragen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/20/0212; auch zur Problematik der Plausibilitätsüberlegungen zum Verfolgermotiv etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/20/0701).
Ferner hat es die belangte Behörde unterlassen, zum Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei im Zuge von Säuberungsaktionen festgenommen und misshandelt worden, beweiswürdigende Überlegungen anzustellen. Stattdessen ging sie pauschal von der Annahme aus, die bloße Ausstellung der Pässe würde belegen, dass der Beschwerdeführer "vom russischen Staat" nicht als "feindlich eingestufte Person" angesehen werde, ohne sich weiter mit der Frage der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringenselements auseinander zu setzen. Damit hat die belangte Behörde aber verabsäumt, den realen Hintergrund dieses Vorbringens in ihre Überlegungen mit einzubeziehen (vgl. dazu wiederum den og. Bericht vom Juli 2005, der das Bild einer erheblichen Verschlechterung der Sicherheitslage seit Mai 2004 zeichnete und davon ausging, dass die Sicherheit der Zivilbevölkerung wegen ständiger Razzien, Guerilla-Aktivitäten, Geiselnahmen, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffen durch Soldaten nicht gewährleistet sei, S. 11 ff.) und die Glaubwürdigkeit dieser Behauptungen auch an der Berichtslage zu messen (vgl. zu diesem Erfordernis etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/01/0556, mwN).
Im weiteren entspricht es nicht der Aktenlage, dass der Beschwerdeführer angegeben habe, lediglich deswegen festgenommen worden zu sein, weil er keine Papiere gehabt habe. Der Beschwerdeführer hat nämlich auch vorgebracht, dass die Festnahmen und daran anschließende Misshandlungen vorrangig junge Männer beträfen, "bei denen etwas vermutet werde", bzw. in der Berufung präzisiert, dass ihm als jungem, kampffähigem Tschetschenen eine Beteiligung am Widerstandskampf unterstellt würde. Auch damit hat sich die belangte Behörde nicht weiter auseinandergesetzt. Die Relevanz dieser Unterlassung ist allerdings vor dem Hintergrund des zitierten Berichts vom Juli 2005, in dem von einer Art Generalverdacht gegen kaukasisch aussehende Personen und damit einhergehenden verstärkten Kontrollmaßnahmen aller Art die Rede ist (vgl. S. 16), nicht von vornherein auszuschließen (vgl. zur möglichen Asylrelevanz eines Vorgehens staatlicher Einheiten ohne zielgerichtete Verfolgungsabsicht etwa das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2006/20/0351 bis 0356 mwH).
Da die Beweiswürdigung der belangten Behörde somit ihre Einschätzung, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig, auch nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofs nicht trägt, und dem Fluchtvorbringen nicht von vornherein Asylrelevanz abgesprochen werden kann, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
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Normen | AsylG 1997 §7; AsylG 1997 §8 Abs1; AsylG 1997 §8 Abs2; AVG §58 Abs2; AVG §60; AVG §67; VwGG §42 Abs2 Z3 litb; VwGG §42 Abs2 Z3 litc; |
Schlagworte | Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2010:2006200226.X00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
PAAAE-87799