VwGH vom 17.10.2013, 2013/21/0074
Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung
verbunden):
2013/21/0075
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerden 1.) des M und 2.) der T, beide in S und vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13, gegen die Bescheide der Österreichischen Botschaft Islamabad jeweils vom , betreffend Versagung eines Visums, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die miteinander verheirateten Beschwerdeführer, jeweils Staatsangehörige Pakistans, stellten am bei der Österreichischen Botschaft Islamabad (der belangten Behörde) den formularmäßigen Antrag auf Erteilung eines "Schengen-Visums" für die Dauer von 90 Tagen zum Besuch ihres in W lebenden Sohnes M. Dieser wurde jeweils als einladende Person angegeben. Angeschlossen waren Bestätigungen über die Reservierung des Hin- und Rückfluges sowie über den Abschluss einer Reise- und Gesundheitsversicherung. Die Kosten der Reise und des Aufenthalts sollten von den Beschwerdeführern sowie vom Einlader, der elektronische Verpflichtungserklärungen abgegeben hatte, gemeinsam getragen werden. In diesen Erklärungen brachte M. zu seinem monatlichen Nettoeinkommen erkennbar zum Ausdruck, es betrage seit dem Jahr 2012 EUR 1400; aus einem "Nebenjob" erhalte er monatlich zusätzlich netto EUR 650. Er habe zwei Sorgepflichten und für seine Mietwohnung in W monatlich EUR 700 zu zahlen.
Im Verfahren vor der belangten Behörde wurde in der Folge weiters geltend gemacht, die Zweitbeschwerdeführerin habe Österreich bereits im Jahr 2004 besucht.
Die belangte Behörde wies den Erstbeschwerdeführer in der Folge in einem laut Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten undatierten "Verbesserungsauftrag" darauf hin, dass "der Nachweis ausreichender eigener finanzieller Mittel" fehle (Punkt 15). Die Zweitbeschwerdeführerin wurde mit entsprechender Note aufgefordert, "Unterlagen (fett gedruckt) binnen 14 Tagen nach Erhalt dieses Schreibens nachzureichen". Die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Aktenkopien weisen in dem - ebenso wie die den Erstbeschwerdeführer betreffende Erledigung bei Punkt 19 endenden - Ausdruck gegenüber der Zweitbeschwerdeführerin allerdings keinerlei fett gedruckte Passage auf.
Am legten die Beschwerdeführer der belangten Behörde Urkunden offenbar betreffend ihre Einkommens- und Vermögenssituation vor. Ihr Inhalt lässt sich in den dem Verwaltungsgerichtshof übermittelten Aktenkopien nicht eindeutig nachvollziehen, weil sie nicht übersetzt und zum Teil nicht leserlich vorgelegt wurden.
Mit formularmäßigen Erledigungen vom teilte die belangte Behörde den Beschwerdeführern mit, dass keine weiteren Dokumente benötigt würden; eine Prüfung habe aber ergeben, dass dem (jeweiligen) Antrag gemäß den Bestimmungen des Visakodex (Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom ) "bzw. des Österreichischen Fremdenpolizeigesetzes" nicht stattgegeben werden könne.
Zur Begründung wurden gegenüber beiden Beschwerdeführern die Textbausteine angekreuzt: "Sie haben nicht den Nachweis erbracht, dass Sie über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts oder für die Rückkehr in Ihren Herkunfts- oder Wohnsitzstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat verfügen, in dem Ihre Zulassung gewährleistet ist, oder Sie sind nicht in der Lage, diese Mittel rechtmäßig zu erlangen. Da die nachgewiesenen Unterhaltsmittel nicht ausreichend sind. Da keine tragfähige Verpflichtungserklärung nachgewiesen werden konnte. Da Sie Punkt 15 des Verbesserungsauftrages nicht nachgekommen sind." Der zweite Textbaustein lautet jeweils: "Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden. Da Sie Punkt 20 des Verbesserungsauftrages nicht nachgekommen sind."
Unter einem wurde den Beschwerdeführern die Möglichkeit eingeräumt, innerhalb von zwei Wochen eine abschließende Stellungnahme einzubringen.
Hierzu äußerte sich lediglich der Einlader M. - anwaltlich vertreten - am dahin, dass er selbst - zuzüglich anteiliger Sonderzahlungen - monatlich etwa EUR 2.275,-- und damit ausreichend verdiene. Die von ihm angemietete Wohnung benütze er mit seiner Ehegattin, zwei Kindern und einer Cousine. Seine Eltern seien in Pakistan "voll integriert". Sie besäßen eine Eigentumswohnung im Verkehrswert von etwa EUR 90.000,--. Sein Vater verfüge "über ein Pensionseinkommen". "Alle übrigen Verwandten der Großfamilie" lebten in Pakistan. Zu den Bedenken, die Rückkehr in die Heimat wäre nicht gesichert, verweise er "auf den Umstand, dass seiner Mutter in den letzten Jahren bereits zweimal Besuchsvisa erteilt wurden und sie jedes Mal innerhalb der Dauer des Visums nach Pakistan zurückgekehrt ist". Sollten weitere urkundliche Nachweise, etwa zu seinem Lohn oder "das Pensionseinkommen der Eltern", benötigt werden, ersuche er um entsprechende Bekanntgabe.
In der Folge verweigerte die belangte Behörde mit den angefochtenen Bescheiden vom unter Verwendung des nach dem Visakodex dafür vorgesehenen Formulars das jeweils beantragte Visum. Zur Begründung waren folgende Textbausteine angekreuzt: "Sie haben nicht den Nachweis erbracht, dass Sie über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts oder für die Rückkehr in Ihren Herkunfts- oder Wohnsitzstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat verfügen, in dem Ihre Zulassung gewährleistet ist, oder Sie sind nicht in der Lage, diese Mittel rechtmäßig zu erlangen." und "Ihre Absicht, vor Ablauf des Visums aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten auszureisen, konnte nicht festgestellt werden."
Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden. Die belangte Behörde hat jeweils die Akten des Verwaltungsverfahrens (unvollständig und nur in Kopie) vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbundenen Beschwerden erwogen:
Die Beschwerdeführer berufen sich auf die Verpflichtungserklärungen ihres Sohnes, der monatlich durchschnittlich EUR 2.275,-- verdiene, und weisen - wie ihr Sohn schon im Verwaltungsverfahren vorbrachte - auf die Pensionseinkünfte des Erstbeschwerdeführers in seiner Heimat, die Vorlage "gültiger Flugtickets von Pakistan nach W und retour", den gemeinsamen Besitz einer Eigentumswohnung und die familiären Bindungen im Heimatstaat hin. Die Zweitbeschwerdeführerin habe in den letzten zehn Jahren zweimal Besuchsvisa erhalten, welche sie nicht missbräuchlich verwendet und vor deren Ablauf sie jeweils die Rückreise nach Pakistan angetreten habe.
Die belangte Behörde räumt in ihren Gegenschriften insoweit ein, dass die Zweitbeschwerdeführerin "in der Vergangenheit bereits zumindest einmal im Schengenraum" gewesen sei, meint aber, dass damals "die finanzielle Bonität des Einladers" besser gewesen sei. Auch sei dem Verbesserungsauftrag nicht entsprochen worden, sodass "die Verwurzelung" und die Vermögenssituation im Heimatstaat nicht überprüfbar gewesen seien.
Dabei ist der belangten Behörde zunächst vorzuwerfen, dass sie - soweit aus den vorgelegten Aktenkopien ersichtlich - bei der Einräumung rechtlichen Gehörs einen konkretisierten, an die Beschwerdeführer gerichteten Vorhalt, dem vor dem Hintergrund der in Visaverfahren bestehenden Begründungserleichterung besondere Bedeutung zukommt, unterlassen hat (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2012/21/0100, und vom , Zl. 2012/21/0158, jeweils mwN). Vielmehr erhielten die Beschwerdeführer - im Gegenteil - letztlich die Mitteilung, dass keine weiteren Dokumente benötigt würden.
Der Zweitbeschwerdeführerin gegenüber wurde, davon abgesehen, ein Verbesserungsauftrag im Sinne des Punktes 15 des erwähnen Formulars nicht erteilt, sodass ihr dessen Nichterledigung bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht vorgeworfen werden kann. Außerdem wurde "Punkt 20" eines Verbesserungsauftrages dem Verwaltungsgerichtshof nicht vorgelegt, sodass der Inhalt der Verwaltungsakten auch insofern, unter Bezugnahme auf die zitierte Aufforderung vom , einen ausreichenden Vorhalt nicht erkennen lässt.
Inhaltlich hat der Verwaltungsgerichtshof zum Tatbestand der letzten Alternative des Art. 32 Abs. 1 lit. b Visakodex, wonach ein Visum dann zu verweigern ist, wenn begründete Zweifel an der vom Antragsteller bekundeten Absicht bestehen, das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums zu verlassen, ausgesprochen, es dürfe nicht ohne weiteres - generell - unterstellt werden, dass Fremde unter Missachtung der fremdenrechtlichen Vorschriften im Anschluss an die Gültigkeitsdauer eines Visums weiterhin im Schengenraum (unrechtmäßig) aufhältig bleiben. Es bedürfte daher konkreter Anhaltspunkte in diese Richtung, die Behörde darf die Versagung eines Visums nicht gleichsam mit einem "Generalverdacht" zu Lasten aller Fremden begründen. Regelmäßig wird daher, wenn nicht gegenteilige Indizien bekannt sind, davon auszugehen sein, dass der Fremde vor Ablauf der Gültigkeit des beantragten Visums wieder ausreisen werde. Vor diesem Hintergrund ist im Sinne des Art. 21 Abs. 1 Visakodex zu prüfen, ob das Risiko der rechtswidrigen Einwanderung besteht und ob der Antragsteller beabsichtigt, vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des beantragten Visums das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu verlassen. Nach Art. 21 Abs. 4 Visakodex ist gegebenenfalls anhand der Dauer früherer und geplanter Aufenthalte zu prüfen, ob der Antragsteller die zulässige Gesamtaufenthaltsdauer im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht überschritten hat (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/21/0158, mwN).
Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergeben sich keine Anhaltspunkte, aus denen ohne weiteres auf eine fehlende Wiederausreiseabsicht geschlossen werden könnte, wohl aber gegenteilige Indizien wie verwandtschaftliche Beziehungen, die Reservierung des Hin- und Rückfluges (vgl. zu deren möglicher Relevanz etwa die Judikaturnachweise im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0423) und zumindest ein Voraufenthalt der Zweitbeschwerdeführerin im Schengenraum, wobei die Geltungsdauer des Visums unbestritten nicht überschritten worden war (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/21/0052).
Abgesehen davon stützt sich der angefochtene Bescheid auf den Verweigerungsgrund des Art. 32 Abs. 1 lit. a sublit. iii des Visakodex, wonach das Visum insbesondere zu versagen ist, wenn der Antragsteller nicht den Nachweis erbringt, dass er über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts für die Dauer des beabsichtigen Aufenthalts oder für die Rückkehr in seinen Herkunfts- oder Wohnsitzstaat verfügt.
Dazu kann den vorgelegten Aktenkopien nicht entnommen werden, dass die finanzielle Situation des Einladers sowie beider Beschwerdeführer insgesamt unzureichend gewesen wäre, um deren neunzigtägigen Aufenthalt in einer bereits vorhandenen Mietwohnung in W sowie die Wiederausreise zu finanzieren. In den Gegenschriften von der belangten Behörde angemeldete Zweifel an der Echtheit vorgelegter Bankbestätigungen sowie eines Kaufvertrages über ein Haus "im Wert von ca. 1.000,-- Euro, dessen Eigentümer der (Erstbeschwerdeführer) sei", hätten den beschwerdeführenden Parteien schon im Verwaltungsverfahren vorgehalten werden müssen.
Die angefochtenen Bescheide waren nach dem Gesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
RAAAE-87794