VwGH vom 17.10.2013, 2013/21/0071

VwGH vom 17.10.2013, 2013/21/0071

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und den Hofrat Dr. Pelant als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des E, vertreten durch die Kocher Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-13-0031, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz. Am wurde er gemäß § 39 Abs. 3 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG festgenommen. Mit Bescheid vom selben Tag, der sofort in Vollzug gesetzt wurde, verhängte die Bezirkshauptmannschaft B über ihn gemäß § 76 Abs. 2 Z 4 FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und zur Sicherung der Abschiebung.

Gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft erhob der Beschwerdeführer gemäß § 82 Abs. 1 Z 3 FPG Beschwerde. Er führte darin insbesondere aus, dass er eine Ehefrau ungarischer Staatsangehörigkeit und mit dieser gemeinsam ein Kind habe. Er verfüge auch über eine Aufenthaltsbewilligung für Ungarn. Somit habe er das Recht, in Österreich einzureisen. Zum Beweis beantragte er seine Einvernahme in einer mündlichen Verhandlung.

Die Bezirkshauptmannschaft B legte der belangten Behörde die Verfahrensakten vor und erstattete eine Stellungnahme, in der sie davon ausging, dass "entweder diese Eheschließung (mit einer ungarischen Staatsangehörigen) nicht belegbar ist oder kein Aufenthaltsrecht in Ungarn besteht".

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Administrativbeschwerde keine Folge, stellte gemäß "§ 83 Abs. 1 FPG i.V.m. Abs. 2 leg. cit." fest, dass die "für die Verhängung der Schubhaft gesetzlichen Voraussetzungen in der Person des Beschwerdeführers (…) zum Zeitpunkt der bescheidmäßigen Anordnung der Schubhaft am vorlagen und weiterhin vorliegen", und sprach der Bezirkshauptmannschaft B Aufwandersatz zu.

Begründend führte die belangte Behörde nach der Darstellung des bisherigen Verfahrensgangs zunächst aus, sie habe "unter Verweis auf die Bestimmung des § 67d Abs. 4 AVG" ungeachtet des vorliegenden Parteiantrages von einer Verhandlung abgesehen, da die Akten erkennen ließen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lasse und dem auch nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK entgegenstehe.

Der Beschwerdeführer, der sich unter Verwendung von Alias-Namen "je nach Bedarf" als sudanesischer oder nigerianischer Staatsbürger ausgebe, habe am einen Asylantrag gestellt, nachdem er illegal, ohne über Reise- oder Identitätsdokumente zu verfügen, unter Verschleierung seiner tatsächlichen Reiseroute nach Österreich eingereist sei. Am "gleichen Tag" sei die Inschubhaftnahme gemäß § 76 Abs. 2 Z 4 FPG erfolgt, um das Asylverfahren zu sichern.

Es stehe als erwiesen fest, dass sich der Beschwerdeführer vor seiner Asylantragstellung in Österreich in Zypern aufgehalten und auch dort verschiedene Namen und Nationalitäten angegeben habe. Seit dem würden Dublin-Konsultationen mit Zypern geführt.

Der Beschwerdeführer habe im Zuge seiner Einvernahme durch die Bezirkshauptmannschaft B "definitiv und explizit" behauptet, in Europa keine Angehörigen zu haben, ledig zu sein, über keine Adresse in Österreich zu verfügen und keinen Beruf erlernt zu haben.

In rechtlicher Hinsicht folgerte die belangte Behörde, dass sich die Administrativbeschwerde als unbegründet erweise, auch wenn der Beschwerdeführer behaupte, dass er verheiratet sei und ein Kind mit ungarischer Staatsangehörigkeit habe, jedoch nicht einmal die Personalien seiner angeblichen Familie anführe. Selbst wenn diese Angaben der Wahrheit entsprechen sollten, sei für den Beschwerdeführer nichts zu gewinnen, weil ihm allein "aus diesem Titel" nicht automatisch das Recht auf Einreise nach Österreich zukomme. Dafür müsste ein ungarischer Aufenthaltstitel vorliegen. Wäre ein solcher vorhanden, müsste der Beschwerdeführer nicht in Österreich um Asyl ansuchen.

Nach Wiedergabe des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG und - für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der gegenständlichen Schubhaft nicht maßgeblichen - allgemeinen Erörterungen zur Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung im Hinblick auf Art. 8 EMRK führte die belangte Behörde sodann aus, dass der illegale Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, seine "offenbar gänzlich fehlende Mitwirkungspflicht an der Feststellung verfahrensrelevanter Daten", die ständig wechselnde Bekanntgabe der Identität, der "nicht nur in Österreich, sondern offenbar auch in Zypern fortgesetzte Versuch, seine Identität zu verschleiern", und das Fehlen jeglicher Mitwirkung an der Feststellung des verfahrensrelevanten Sachverhalts schon einen Sicherungsbedarf begründeten, der die Verhängung bzw. die Aufrechterhaltung der Schubhaft angemessen und gesetzeskonform erscheinen lasse.

"Darüber hinaus", so die belangte Behörde weiter, "zeigt sich, dass dieser Fremde in keinster Weise gewillt ist, sich an irgendwelche behördlichen Anweisungen zu halten, hat er offenbar keinerlei wirtschaftlichen, persönlichen oder sozialen Bindungen zu Österreich, besteht dahingehend nicht einmal ein als rudimentär anzusehendes Familienleben bzw. verwandtschaftliche Beziehungen, ist jeglicher Grad der Integration des Fremden zu verneinen, ist die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht gegeben, liegt kein dahingehendes Vermögen vor, ist aus der fehlenden Schulausbildung und dem bekannt gegebenen Berufsverlauf nichts in gegenständlichem Verfahren zu gewinnen". Auch wenn obige Überlegungen primär auf den Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG "zutreffen" würden, seien diese Feststellungen auch hinsichtlich der Rechtsgrundlage des § 76 Abs. 2 Z 4 FPG "nicht völlig außer Acht zu lassen".

Gerade auf Grund der einzelfallbezogenen Prüfung der Umstände, auch unter "Verwertung der allgemeinen Lebenserfahrung", sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer "in einem erhöhten Grad ein Untertauchen vorzieht", da er nicht gewillt sei, sich an irgendwelche behördlichen Anweisungen zu halten und auf Grund seiner "nachvollziehbaren Vorgeschichte bzw. versuchten Verschleierung sämtlicher Sachverhaltselemente" in keinster Weise bereit sei, im Rahmen der ihn treffenden Mitwirkungspflicht mit den österreichischen Behörden zu kooperieren.

Es sei daher nach durchgeführter Verhältnismäßigkeitsprüfung, die seitens der Bezirkshauptmannschaft B zu einem "im Endeffekt richtigen Ergebnis" geführt habe, auch durch die belangte Behörde das Sicherungsbedürfnis des Beschwerdeführers durch Verhängung der Schubhaft nach einzelfallbezogener Abwägung der Gründe zu bejahen gewesen.

Soweit auf die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel verwiesen werde, sei dem entgegenzuhalten, dass der Beschwerdeführer auf Grund seines bisherigen Verhaltens selbst die Verhängung und Aufrechterhaltung der Schubhaft zu verantworten habe. Ausschließlich durch die Verhängung der Schubhaft könne die "behördliche Durchsetzung bzw. der behördliche Zugriff" gewährleistet werden, um die Vollstreckung der fremdenpolizeilichen Maßnahmen in die Wege zu leiten, während "ohne Verhängung der Schubhaft der Zweck der Schubhaft durch die Anwendung gelinderer Mittel nicht erreichbar" erscheine.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt, dass die belangte Behörde, statt die beantragte mündliche Verhandlung abzuhalten, die Administrativbeschwerde bereits zwei Tage nach deren Einlangen ohne Anhörung des Beschwerdeführers und ohne ihm die Gelegenheit zu geben, allenfalls noch vorhandene Beweismittel vorzulegen, abgewiesen habe. Im Fall der Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte er die in der Zwischenzeit von seiner Ehefrau beigeschaffte Kopie seines ungarischen Aufenthaltstitels und seines nigerianischen Reisepasses vorlegen können, womit er sein Aufenthaltsrecht nach Art. 5 des Schengener Grenzkodex nachweisen hätte können; in der mündlichen Verhandlung wäre auch zu klären gewesen, weshalb er trotz ungarischen Aufenthaltstitels und berechtigter Einreise in das österreichische Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Hinzuweisen sei auch darauf, dass der Beschwerdeführer schon zum Zeitpunkt seiner Festnahme ein Ticket für die Rückreise von Wien nach Budapest am bei sich getragen habe.

Die belangte Behörde hat das Absehen von der beantragten mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf § 67d Abs. 4 AVG damit begründet, dass nach der Aktenlage die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Sache nicht erwarten lasse und dem auch nicht Art. 6 Abs. 1 EMRK entgegenstehe. § 67d Abs. 4 AVG ist aber - wie sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt - nur dann anzuwenden, wenn ein verfahrensrechtlicher Bescheid zu erlassen ist. Im Beschwerdefall, in dem eine Sachentscheidung über eine Beschwerde nach § 82 Abs. 1 Z 3 FPG getroffen wurde, hätte die mündliche Verhandlung nur nach Maßgabe des § 83 Abs. 2 Z 1 FPG unterbleiben dürfen; Voraussetzung dafür ist, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint. Von einem geklärten Sachverhalt konnte aber angesichts des - jedenfalls für die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft relevanten und von der Bezirkshauptmannschaft B in ihrer Stellungnahme an die belangte Behörde bestrittenen - Vorbringens in der Administrativbeschwerde zu engen verwandtschaftlichen Beziehungen mit ungarischen Staatsangehörigen und zum Vorhandensein eines ungarischen Aufenthaltstitels keine Rede sein. Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung hätte insbesondere der - auch im vorliegenden Beschwerdefall nicht ausschließlich auf Grund der Aktenlage möglichen - Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieses Vorbringens gedient. Außerdem wäre dem Beschwerdeführer Gelegenheit zu geben gewesen, sich zur Stellungnahme der Bezirkshauptmannschaft B zu äußern.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am