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VwGH vom 19.01.2022, Ra 2020/20/0100

VwGH vom 19.01.2022, Ra 2020/20/0100

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L525 2185307-2/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (Mitbeteiligter: S U in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Der Mitbeteiligte stellte erstmals am einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) und gab an, Staatsangehöriger Pakistans zu sein. Er sei in Pakistan geboren und aufgewachsen. Seinen Antrag begründete der Mitbeteiligte damit, dass im Zuge einer Auseinandersetzung zwischen seinem Vater und Personen, denen dieser Geld geschuldet habe, ein Cousin des Mitbeteiligten den Vater verteidigt und einen der Männer getötet habe. Aus Rache solle nun der Mitbeteiligte getötet werden und er sei daraufhin geflüchtet.

2Der Mitbeteiligte verließ noch vor einer Entscheidung durch die Behörde das Bundesgebiet und stellte in Norwegen sowie in der Schweiz weitere Anträge auf internationalen Schutz. Nach seiner Überstellung nach Österreich teilte der Mitbeteiligte dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit, dass er - anders als bei seiner Antragsstellung angegeben - afghanischer Staatsangehöriger sei.

3Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt.

4Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Dieser Entscheidung legte das Bundesverwaltungsgericht - wie schon die Behörde im erstinstanzlichen Verfahren - die afghanische Staatsangehörigkeit des Mitbeteiligten zugrunde und überprüfte insbesondere die (Nicht-)Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten anhand von Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat Afghanistan.

5In weiterer Folge verließ der Mitbeteiligte erneut das Bundesgebiet und stellte in Italien und Belgien weitere Anträge auf internationalen Schutz.

6Nach seiner neuerlichen Einreise in das Bundesgebiet stellte der Mitbeteiligte am den verfahrensgegenständlichen (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen gab er zusammengefasst an, er habe sich mit seiner Stiefmutter nicht verstanden und ein Verhältnis zu einem Mädchen in seiner Heimatstadt gehabt. Die Familie dieses Mädchens verfolge ihn und habe ihn mit dem Tod bedroht. Überdies stamme er aus Pakistan und nicht, wie im Erstverfahren (später) angegeben, aus Afghanistan. Er habe sich im Vorverfahren als Afghane ausgegeben, weil ihm dazu von „mitreisenden“ Afghanen geraten worden sei.

7Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Folgeantrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Behörde sprach weiters aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.) und erließ ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.). Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zunächst aus, die neu vorgebrachte Fluchtgeschichte sei nicht glaubwürdig. Auch in Bezug auf den nun angegebenen Herkunftsstaat sei von einem unveränderten Sachverhalt auszugehen, weil diese Sachverhaltselemente schon im Erstverfahren vorgelegen seien. Sohin stehe die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Entscheidung in der Sache entgegen. Den Spruchpunkten IV. und V. (Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung) legte die Behörde eine Prüfung der Lage in Pakistan zugrunde und verneinte daraufhin eine Gefährdung des Mitbeteiligten im Sinn der Art. 2 und 3 EMRK.

8Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer Verhandlung - mit dem Erkenntnis vom statt und behob den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 68 AVG ersatzlos. Im in Revision gezogenen Erkenntnis führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - aus, dass sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch die Behörde bei ihren ersten inhaltlichen Sachentscheidungen aufgrund der Angaben des Mitbeteiligten von seiner afghanischen Staatsangehörigkeit ausgegangen seien und die allgemeine Lage im Hinblick auf das Herkunftsland Afghanistan als auch die Zulässigkeit einer Abschiebung in diesen Staat geprüft hätten. Da die Behörde im nunmehrigen Folgeverfahren die Identität des Mitbeteiligten als pakistanischer Staatsangehöriger festgestellt habe, habe die Behörde ohne Refoulementprüfung in Bezug auf Pakistan, zumindest im Hinblick auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz, nicht von einer entschiedenen Sache ausgehen dürfen. Letztlich hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass „diese Entscheidung keine Aussage darüber treffe, ob das nunmehr vorgebrachte Vorbringen in irgendeiner Weise glaubhaft sei oder nicht, sondern stelle ausschließlich fest, dass die belangte Behörde rechtsirrig den Antrag zurückgewiesen habe“.

9Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhobene außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren eingeleitet hat.

10Mit Beschluss vom hat der Verwaltungsgerichtshof das Revisionsverfahren bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) über die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , EU 2019/0008 (Ro 2019/14/0006), vorgelegten Fragen ausgesetzt, weil der Beantwortung dieser Fragen auch für die Behandlung der vorliegenden Revisionssache Bedeutung zukomme.

11Mit Urteil vom , C-18/20, hat der EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen vom entschieden.

12Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte am eine Stellungnahme ein. Eine Revisionsbeantwortung seitens des Mitbeteiligten wurde nicht erstattet.

13Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

14Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl bringt zur Zulässigkeit der Revision zum einen vor, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es das Hervorkommen einer neuen Staatsangehörigkeit als Änderung der Sachlage gewertet habe. Erst nach der Entscheidung hervorgekommene Umstände, die bereits im Zeitpunkt der Vergleichsentscheidung bestanden hätten, stellten keine Änderung des Sachverhalts dar. So handle es sich auch bei der pakistanischen Staatsangehörigkeit des Mitbeteiligten um keine neu entstandene, sondern um eine neu hervorgekommene Tatsache, die bereits zum Zeitpunkt der Vergleichsentscheidung bestanden habe. Darüber hinaus weiche das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Trennbarkeit der Spruchpunkte hinsichtlich Asyl und subsidiärem Schutz ab, weil es die Frage des Vorliegens der entschiedenen Sache hinsichtlich Spruchpunkt I. und Spruchpunkt II. des Bescheides gesondert hätte beurteilen müssen.

15Die Revision ist zulässig und im Ergebnis auch begründet.

16Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. , mwN).

17Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt.

18In jenem Fall, in dem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist insoweit „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. dazu ausführlich , mwN).

19Der Verwaltungsgerichtshof hat sich - nach Einholung einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (vgl. ) - mittlerweile in seinem Erkenntnis vom , Ro 2019/14/0006, des Näheren mit der Vereinbarkeit der asylrechtliche Folgeanträge betreffenden Rechtslage mit den unionsrechtlichen Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie) befasst. Es wird daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. In diesem Erkenntnis wurde dargelegt, dass es aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben nicht zulässig sei, einen Fremden, der die Gewährung von internationalem Schutz anstrebt und dafür in einem Folgeantrag im Sinn des Art. 40 Verfahrensrichtlinie „neue Elemente oder Erkenntnisse“, die „erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen“, dass er „nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“, vorbringt oder wenn solche zutage treten, allein deshalb, weil er Gründe, die bereits vor Abschluss des ersten Verfahrens existent waren, erst im Folgeantrag geltend macht, auf die Wiederaufnahme eines früheren Asylverfahrens nach § 69 AVG oder § 32 VwGVG zu verweisen.

20Der Verwaltungsgerichthof hat in seiner - in der Folge des oben dargestellten Vorabentscheidungsverfahrens ergangenen - Rechtsprechung ausgesprochen, dass ein Folgeantrag auf internationalen Schutz nicht allein deswegen wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden darf, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“ (vgl. , mwN).

21Die Amtsrevision zeigt auf, dass das Bundesverwaltungsgericht keine gesonderte Beurteilung der beiden Spruchpunkte zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten hinsichtlich der Frage des Vorliegens der entschiedenen Rechtssache vorgenommen hat.

22Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den vorliegenden Folgeantrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Dabei handelt es sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - wenngleich in einem rechtlichen Zusammenhang stehend - um rechtlich trennbare Aussprüche, die (unter bestimmten Voraussetzungen) unterschiedlichen rechtlichen Schicksalen unterliegen können (vgl. , mwN).

23Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl setzte sich dabei mit dem den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag begründenden (erstmals im Folgeantragsverfahren geltend gemachten) Fluchtvorbringen auseinander und sprach diesem den glaubhaften Kern ab, was auch nach den unionsrechtlichen Vorgaben zu einer Zurückweisung des Antrages wegen entschiedener Sache führen kann (vgl. nochmals VwGH Ro 2019/14/0006, Rn. 76). Indem sich das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung des Antrags hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten darauf zurückgezogen hat, dass es ausdrücklich keine Aussage zur Glaubwürdigkeit der nunmehr geltend gemachten Fluchtgründe anstellt und das Vorliegen einer entschiedenen Sache offenkundig lediglich in Bezug auf die (Nicht-)Zuerkennung von subsidiärem Schutz, nicht jedoch in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten geprüft hat, hat es die Rechtslage verkannt.

24Nach dem klaren Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gilt ein Antrag auf internationalen Schutz primär als solcher auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und nur im Fall der Nichtzuerkennung dieses Status als Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (vgl. , Rn. 5). Die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten ist gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 Voraussetzung für eine nachfolgende Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten.

25Das Bundesverwaltungsgericht blieb aber eine tragfähige Begründung, weshalb der Beschwerde auch hinsichtlich des Spruchpunktes I. des Bescheides stattzugeben und der Bescheid insoweit ersatzlos zu beheben war, schuldig und belastete das angefochtene Erkenntnis daher mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

26Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG zur Gänze aufzuheben, weil mit der Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses im besagten Ausspruch auch die rechtlich davon abhängenden Aussprüche ihre Grundlage verlieren. Aus diesem Grund war hier auch ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen nicht mehr notwendig.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020200100.L00

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