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VwGH vom 20.12.2013, 2013/21/0047

VwGH vom 20.12.2013, 2013/21/0047

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom , Zl. VwSen- 730708/3/BP/WU, betreffend Rückkehrverbot (weitere Partei:

Bundesministerin für Inneres; mitbeteiligte Partei: B N in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner illegalen Einreise am einen Asylantrag, der mit dem im zweiten Rechtsgang erlassenen Bescheid des Bundesasylamtes vom abgewiesen wurde. Unter einem wurde der Mitbeteiligte aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Das Verfahren über die dagegen erhobene Beschwerde ist in zweiter Instanz noch anhängig.

Mit Bescheid vom erließ die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (BH) gegen den Mitbeteiligten gemäß § 54 Abs. 2 iVm § 53 Abs. 2 Z 7 "und 3" Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein mit fünf Jahren befristetes Rückkehrverbot.

Dabei ging die BH davon aus, dass der Mitbeteiligte bereits am von Beamten des Finanzamtes Gmunden-Vöcklabruck bei der Ausübung einer unerlaubten Beschäftigung in einem Gasthof (Reinigungstätigkeiten im Küchenbereich) auf frischer Tat betreten worden sei.

Am (um 00.30 Uhr) sei der Mitbeteiligte dann von Beamten einer Polizeiinspektion und Beamten der Finanzpolizei Gmunden-Vöcklabruck neuerlich bei der Ausübung einer Beschäftigung auf frischer Tat betreten worden, ohne im Besitz einer Beschäftigungsbewilligung zu sein, und zwar beim Sortieren von Zeitungen und Werbematerial auf einer sogenannten "Zeitungszustellbasis". Nach den ersten Angaben des Mitbeteiligten nach seiner Betretung habe er diese Tätigkeit für das Unternehmen B. - W., von dem er auch entlohnt werde, ausgeübt. Damit sei der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG verwirklicht.

Demzufolge erachtete die BH das Vorbringen in der Stellungnahme des Mitbeteiligten vom , es habe sich jeweils um "freundschaftliche Dienste" gehandelt, für die er kein Entgelt erhalten habe und für die er von "Bekannten aus der Kirchengemeinschaft" zur sinnvollen Gestaltung seiner Zeit vermittelt worden sei, für nicht glaubwürdig.

Schließlich nahm die BH noch eine Interessenabwägung vor, bei der sie zu dem Ergebnis gelangte, dass die Erlassung eines fünfjährigen Rückkehrverbotes dringend geboten sei, um die Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und des wirtschaftlichen Wohles des Staates "wieder herzustellen". Diese Maßnahme stelle keinen unzulässigen Eingriff in das "Privat- und Familienleben" des Mitbeteiligten dar.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bestritt der Mitbeteiligte die Feststellung, er sei am beim Sortieren von Zeitungen und Werbematerial betreten worden. Tatsächlich habe den Mitbeteiligten sein Freund B. - W., der zur Arbeit gefahren sei, zu seiner Freundin mitgenommen. Auf dem Weg dorthin habe B. - W. lediglich "etwas" aus seinem Lager bei der Zustellbasis geholt, während der Mitbeteiligte im Auto sitzen geblieben sei. Zum Beweis für dieses Vorbringen beantragte der Mitbeteiligte die Einvernahme des B. - W. als Zeugen und die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung. Im Übrigen verwies der Mitbeteiligte noch darauf, dass sich der erste Vorfall vor mehr als fünf Jahren ereignet habe. Weiters erstattete der Mitbeteiligte ein Vorbringen zu seinem Privatleben in Österreich (Aufenthalt seit mehr als acht Jahren, Unbescholtenheit, "passable" Deutschkenntnisse, Asylwerberin als Freundin) und er verwies auf (nicht näher beschriebene) gesundheitliche Probleme. Abschließend vertrat er noch die Meinung, ein Rückkehrverbot in der Höchstdauer von fünf Jahren sei jedenfalls nicht gerechtfertigt.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich (des belangten UVS) vom wurde dieser Berufung stattgegeben und der erstinstanzliche Bescheid ersatzlos aufgehoben.

Nach Wiedergabe des wesentlichen Inhalts des erstinstanzlichen Bescheides und der Berufung führte der belangte UVS zunächst aus, von der Durchführung der beantragten öffentlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil eine "weitere Erörterung des Sachverhaltes" nicht erforderlich und bloß die Klärung von Rechtsfragen vorzunehmen sei. Dabei ging der UVS - so heißt es im angefochtenen Bescheid - "von dem unter den Punkten 1.1.2. und 1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten Sachverhalt" aus.

Rechtlich führte der belangte UVS dann nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften aus, im vorliegenden Fall habe die BH auf zwei Aufgriffe des Mitbeteiligten bei illegalen Beschäftigungen nach dem AuslBG hingewiesen und dadurch § 53 Abs. 2 Z 7 FPG als erfüllt angesehen. Dazu sei anzumerken, dass die erste Betretung bei Reinigungsarbeiten bereits im Jahr 2007 erfolgt sei. Aufgrund des unbestrittenen "Wohlverhaltenszeitraums von 2007 bis zumindest November 2012" sei diese "Betretung" in die "gegenwärtige Erörterung nicht mehr maßgeblich einzubeziehen". Daraus könne "schon per se" keine Beeinträchtigung der in § 54 Abs. 1 FPG angeführten Interessen mehr resultieren.

Zur (vom Mitbeteiligten bestrittenen) Betretung bei einer illegalen Beschäftigung im November 2012 sei der BH zwar grundsätzlich zu folgen, dass der Einhaltung beschäftigungsrechtlicher Bestimmungen zum wirtschaftlichen Wohl des Staates ein hoher Stellenwert zukomme. Gleichzeitig sei

"aber - mit Blick auf den konkreten Fall - anzumerken, dass, sogar, wenn man vom Vorliegen der illegalen Beschäftigung ausgehen würde, nicht das Maß der Beeinträchtigung der öffentlichen Interessen im Sinne des § 54 Abs. 1 iVm. § 53 Abs. 2 Z. 7 FPG erreicht wäre. Ohne die Problematik der Schwarzarbeit herabzuwürdigen, kann - wohl im Sinne des Gesetzgebers - nicht angenommen werden, dass eine einmalig festgestellte Sortierung von Zeitungen bzw. Broschüren bei einem seit langer Zeit in Österreich aufhältigen Asylwerber eine derart grobe Verletzung öffentlicher Interessen darstellt, die einen massiven fremdenrechtlichen Eingriff nach sich zu ziehen hat. Es mangelt hier offensichtlich an der Spürbarkeit."

Daran anschließend kam der belangte UVS zusammenfassend zu dem Ergebnis, es könnten keine bestimmten Tatsachen erkannt werden, welche die Annahme rechtfertigten, dass der Aufenthalt des Mitbeteiligten der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit oder anderen im Art. 8 EMRK genannten Interessen zuwiderlaufe. Es fehle also bereits "an der Tatbestandsmäßigkeit". Im Ergebnis sei daher der Berufung stattzugeben und der erstinstanzliche Bescheid ersatzlos aufzuheben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde der BH, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens des belangten UVS erwogen hat:

Die BH hatte das gegen den Mitbeteiligten erlassene Rückkehrverbot der Sache nach - die Zitierung der Z 3 des § 53 Abs. 2 FPG im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides erfolgte offenbar irrtümlich - auf § 54 Abs. 2 iVm § 53 Abs. 2 Z 7 FPG gestützt. Die genannten Paragraphen lauten in der hier maßgeblichen Fassung des FrÄG 2011 (auszugsweise) samt Überschriften wie folgt:

"Rückkehrverbot gegen Asylwerber

§ 54. (1) Gegen einen Asylwerber ist ein Rückkehrverbot zu erlassen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.
die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet oder
2.
anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft.
Das Rückkehrverbot gilt als Entzug des Aufenthaltsrechtes. §§ 12 und 13 AsylG 2005 gelten.

(2) Bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 sind insbesondere jene des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 und Abs. 3. § 53 Abs. 5 und 6 und § 61 gelten.

(3) Ein Rückkehrverbot gemäß Abs. 1 ist in den Fällen des § 53 Abs. 2 Z 1, 2, 4, 5, 7 bis 9 für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre, in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 4 für höchstens zehn Jahre und in den Fällen des § 53 Abs. 3 Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen. Die Frist beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Fremden.

Einreiseverbot

§ 53. (1) …

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von mindestens 18 Monaten, höchstens jedoch für fünf Jahre zu erlassen. Bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots hat die Behörde das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen mit einzubeziehen und zu berücksichtigen, ob der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Drittstaatsangehörige

7. bei einer Beschäftigung betreten wird, die er nach dem AuslBG nicht ausüben hätte dürfen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige hätte nach den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes für denselben Dienstgeber eine andere Beschäftigung ausüben dürfen und für die Beschäftigung, bei der der Drittstaatsangehörige betreten wurde, wäre keine Zweckänderung erforderlich oder eine Zweckänderung zulässig gewesen;"

Der belangte UVS ging bei seiner Entscheidung - folgt man der Formulierung im angefochtenen Bescheid - "von dem unter den Punkten 1.1.2. und 1.2. dieses Erkenntnisses dargestellten Sachverhalt" aus. Das wäre in sich widersprüchlich, weil der erstgenannte Punkt Teile der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides und der zweitgenannte Punkt die Wiedergabe der Berufung, in der die von der BH getroffenen Feststellungen zur Betretung des Mitbeteiligten bei der Ausübung einer unerlaubten Beschäftigung bestritten wurden, enthält. Aus der Begründung der mangelnden Erforderlichkeit einer mündlichen Berufungsverhandlung, wonach bloß die Klärung von Rechtsfragen vorzunehmen sei, und aus der oben wörtlich zitierten Passage der rechtlichen Erwägungen ergibt sich jedoch, dass bei diesen Überlegungen des belangten UVS das "Vorliegen der illegalen Beschäftigung" unterstellt wurde.

Demnach ist für die rechtliche Beurteilung des vorliegenden Falles - ungeachtet des bestreitenden Berufungsvorbringens - auch vom Verwaltungsgerichtshof zugrunde zu legen, dass der Mitbeteiligte am bei der Ausübung einer Beschäftigung, die er mangels entsprechender Bewilligung nach dem AuslBG nicht hätte ausüben dürfen, betreten wurde, nämlich beim Sortieren von Zeitungen und Werbematerial auf einer Zustellbasis für das Unternehmen B. - W., von dem er dafür auch entlohnt wurde. Davon ausgehend ist der zitierte Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG erfüllt. Gemäß § 54 Abs. 2 erster Satz FPG indiziert das die Gefährdungsprognose im Sinne des § 54 Abs. 1 FPG (vgl. etwa das zum i.W. inhaltsgleichen § 62 iVm § 60 Abs. 2 Z 8 FPG idF vor dem FrÄG 2011 ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0146); das ist selbst bei der einmaligen Verwirklichung des Tatbestandes des § 53 Abs. 2 Z 7 FPG der Fall (vgl. beispielsweise das auch zur genannten Rechtslage ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0132). Besondere Umstände, die gegen diese Indizwirkung sprechen könnten, wurden in der Berufung auch nicht geltend gemacht (vgl. demgenüber den dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0230, zugrunde liegenden Fall).

Entgegen der Meinung des belangten UVS durfte die BH bei der Annahme einer weiteren Gefährdung im Sinne des § 54 Abs. 1 FPG (namentlich der öffentlichen Interessen an einem geordneten Arbeitsmarkt) auch die vom Mitbeteiligten Ende Mai 2007 vorgenommene Ausübung einer unerlaubten Beschäftigung einbeziehen. Dass der Mitbeteiligte nach einem "Wohlverhaltenszeitraums von 2007 bis zumindest November 2012" wiederum bei einer unerlaubten Beschäftigung betreten wurde, zeigt nämlich auch, dass beim Mitbeteiligten selbst nach einem längeren Beobachtungszeitraum nicht vom Wegfall einer diesbezüglichen Wiederholungsgefahr ausgegangen werden kann (vgl. idS etwa zur Einbeziehung einer schon länger zurückliegenden Bestrafung wegen Übertretung des AuslBG im Falle einer späteren neuerlichen Bestrafung wegen unerlaubter Beschäftigung von Ausländern bei der Beurteilung einer aktuellen Wiederholungsgefahr das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/04/0137). Wie bei strafbaren Handlungen verstärkt auch bei der Ausübung einer unerlaubten Beschäftigung ein "einschlägiger Rückfall" das Vorliegen einer entsprechenden Gefährdungsprognose (vgl. idS das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0125). Das macht die Amtsbeschwerde im Ergebnis zu Recht geltend.

Im Übrigen ist dem belangten UVS in diesem Zusammenhang noch zu entgegnen, dass die bisherige Aufenthaltsdauer des Fremden im System des FPG zwar unter Umständen für die Frage des anzuwendenden Gefährdungsmaßstabs relevant sein kann (vgl. dazu allgemein das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0913, mwN); das ist aber hier nicht der Fall. Die Dauer des Aufenthalts hat jedoch grundsätzlich nichts mit der Frage der Gefährdungsprognose (hier: nach § 54 Abs. 1 FPG) zu tun. Dabei kommt es letztlich immer nur auf das in Betracht zu ziehende Verhalten des Fremden, also auf die Art und Schwere der inkriminierten Handlung und auf das daraus abzuleitende Persönlichkeitsbild an (vgl. auch dazu das zuletzt genannte Erkenntnis). Auf die Aufenthaltsdauer wäre vielmehr erst im Rahmen der - vom UVS im vorliegenden Fall nicht vorgenommenen - Interessenabwägung nach § 61 FPG in Gegenüberstellung zum großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung von "Schwarzarbeit" (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0538) Bedacht zu nehmen gewesen.

Der vom belangten UVS vertretenen Auffassung, es sei im vorliegenden Fall schon eine Prognosebeurteilung im Sinne des § 54 Abs. 1 FPG nicht gerechtfertigt, kann daher nicht gefolgt werden; damit ist er maßgeblich von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am