VwGH vom 28.04.2010, 2006/19/0620
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke, die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Rehak und den Hofrat Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des H, vertreten durch Dr. Otto Werschitz, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Neutorgasse 47/I, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 249.406/6-VII/19/05, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Armenien, gelangte am in das Bundesgebiet und stellte am einen Asylantrag.
Als Fluchtgründe gab der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt im Wesentlichen an, sein Vater habe einem - ihm unbekannten - Mann 3.500,-- US-Dollar geschuldet. Dieser Mann habe ihn im Jahre 2000 zwei Mal aufgesucht und nach dem Aufenthaltsort des Vaters gefragt. Bei Nichtbekanntgabe des Aufenthaltsortes des Vaters würde er das Geld, das ihm dieser schulde, vom Beschwerdeführer fordern.
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 (AsylG) ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Armenien zulässig sei. In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe eine maßgebliche Furcht vor Verfolgung nicht glaubhaft gemacht, da er Armenien erst zwei Jahre nach den geschilderten Ereignissen verlassen habe.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, welcher sich zum damaligen Zeitpunkt in Schubhaft befand, mit in russischer Sprache verfasstem Schreiben vom Berufung, welche folgenden Inhalt aufwies (in Übersetzung):
"Am habe ich eine negative Antwort auf meinen Asylantrag in der Republik Österreich erhalten. Im Zusammenhang damit lege ich Berufung gegen diesen Bescheid ein. Für die Einbringung der Berufung habe ich folgende Gründe. Zu meiner Einvernahme, die beim Bundesasylamt stattfand, war ein Russisch-Dolmetscher geladen. Aber ich bin meiner Nationalität nach Armenier und kann nur äußerst schlecht russisch. Außerdem war ich zum Zeitpunkt meiner Einvernahme, so wie auch derzeit noch immer, in einem depressiven Zustand, denn ich war noch nie in meinem Leben in Gefängnishaft. Aber jetzt bin ich eingesperrt, ohne dass ich irgendein Verbrechen begangen habe. Als Ergebnis davon war es (das Interview) nur eine halbe Sache und verworren, während der Hauptgrund, der mich zum Verlassen meiner Heimat bewogen hat, nicht klargestellt wurde. Alles, was ich vorhin gesagt habe, ist die reine Wahrheit, aber ich werde erst dann alles vollständig erklären können, wenn Beamte des Bundesasylamts und ein Armenisch-Dolmetscher anwesend sind. Auch die vorliegende Berufung schreibe ich nämlich nicht selbst, sondern mit Hilfe eines russischsprachigen Mithäftlings, und ich habe Angst davor, mein Problem im Beisein Außenstehender zu schildern. Ich sage nur, dass der Hauptgrund meines Antrages ein politischer ist."
Am stellte die belangte Behörde das Asylverfahren infolge unbekannten Aufenthaltes des Beschwerdeführers gemäß § 30 AsylG ein. Am beantragte der Beschwerdeführer schriftlich beim Bundesasylamt die Fortsetzung des Verfahrens.
Mit Schreiben vom forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG zur Verbesserung seiner Berufung auf, da er "nicht in ersichtlicher Weise" die Gründe "konkret" dargelegt habe, weswegen die einzelnen Spruchteile des Bescheides des Bundesasylamtes (Ausspruch über die Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG und Ausspruch über die Zulässigkeit der "Rückschiebung nach Armenien" gemäß § 8 AsylG) bekämpft würden.
Der Beschwerdeführer wurde aufgefordert, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Verbesserungsauftrages schriftlich eine Begründung dafür vorzulegen, dass er mit der vom Bundesasylamt ausgesprochenen Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG und der Zulässigkeit der Abschiebung nach Armenien gemäß § 8 AsylG nicht einverstanden sei, andernfalls die Berufung zurückgewiesen werde.
Dieser Verbesserungsauftrag wurde dem Beschwerdeführer am zugestellt. Der Beschwerdeführer kam ihm in weiterer Folge nicht nach.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß "§ 13 Abs. 3 AVG iVm § 63 Abs. 3 AVG" als unzulässig zurück.
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass bei Bestehen einer rechtlichen Trennbarkeit des im erstinstanzlichen Bescheid enthaltenen Abspruches die Berufung hinsichtlich jedes trennbaren Teiles eine Begründung enthalten müsse, um der Bestimmung des § 63 Abs. 3 AVG zu entsprechen. Da der Beschwerdeführer der Aufforderung, seine Berufung durch eine entsprechende Begründung zu verbessern, nicht nachgekommen sei, sei die Berufung zurückzuweisen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher im Wesentlichen vorgebracht wird, dass der Beschwerdeführer während des gesamten erst- und zweitinstanzlichen Asylverfahrens handlungsunfähig gewesen sei und die belangte Behörde daher gemäß § 11 AVG die Bestellung eines Sachwalters für den Beschwerdeführer zu veranlassen gehabt hätte. Die belangte Behörde hätte - ohne Bestellung eines Sachwalters - weder den Verbesserungsauftrag nach § 13 Abs. 3 AVG noch den angefochtenen Bescheid erlassen dürfen bzw. vor Zurückweisung der Berufung die Handlungsfähigkeit des Beschwerdeführers überprüfen müssen. Als Beleg für dieses Vorbringen ist der Beschwerde ein mit datiertes Schreiben des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie, Dr. R. angeschlossen, wonach beim Beschwerdeführer ohne nähere Begründung Schizophrenie diagnostiziert wurde.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Nach § 63 Abs. 3 AVG hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten.
Der Verwaltungsgerichtshof geht dabei in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei der Auslegung des Begriffes "begründeter Berufungsantrag" kein allzu strenger Maßstab angelegt werden soll, zumal dem AVG ein übertriebener Formalismus fremd ist
(vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 95/05/0010, vom , Zl. 2002/06/0121, vom , Zl. 2007/17/0105, sowie vom , Zl. 2006/01/0248, jeweils mwN).
Die Berufung muss allerdings erkennen lassen, was die Partei anstrebt und womit sie ihren Standpunkt vertreten zu können glaubt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/19/0278, mwN).
Der belangten Behörde ist zwar grundsätzlich zuzustimmen, dass ein Berufungsantrag gegen einen Bescheid, dessen Abspruch rechtlich trennbar ist, hinsichtlich jedes trennbaren Teils, der bekämpft wird, eine Begründung zu enthalten hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 90/04/0326 und vom , Zl. 94/08/0029). Damit wird den Besonderheiten des Asylverfahrens aber nicht ausreichend Rechnung getragen. Wie sich aus dem Wortlaut des § 8 AsylG ergibt, hat die Asylbehörde einen Ausspruch nach § 8 AsylG nur dann zu treffen, wenn der Asylantrag abzuweisen ist. Würde einem Asylwerber aufgrund seiner Berufung gegen eine den Asylantrag abweisende Entscheidung des Bundesasylamts Asyl gewährt, käme ein Ausspruch nach § 8 AsylG mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen nicht (mehr) in Betracht. Wendet sich eine Berufung - wie im vorliegenden Fall -
daher gegen "die negative Antwort auf meinen Asylantrag", so ist der erstinstanzliche Bescheid jedenfalls auch hinsichtlich seines Ausspruchs nach § 8 AsylG bekämpft.
Des Weiteren lässt das Berufungsvorbringen zweifelsfrei erkennen, dass der Beschwerdeführer als Berufungsgrund geltend macht, dass er infolge von Sprach- bzw. Verständigungsschwierigkeiten bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt gehindert gewesen sei, seine Fluchtmotive - die auch "politische Gründe" umfassten - ausreichend darzulegen, aus welchem Grund er eine erneute Einvernahme unter Mitwirkung eines Armenisch-Dolmetschers beantragte.
Entgegen der Ansicht der belangten Behörde kann damit den Berufungsausführungen aber entnommen werden, worin der Beschwerdeführer die Unrichtigkeit des erstinstanzlichen Bescheides erblickte, sodass vom Vorliegen eines begründeten Berufungsantrages auszugehen ist (vgl. das erwähnte hg. Erkenntnis vom ).
Da eine mangelhafte Berufungsbegründung nicht vorlag, war jedoch auch der von der belangten Behörde erteilte Verbesserungsauftrag nicht gesetzmäßig, sondern wäre diese verhalten gewesen, eine Sachentscheidung zu treffen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2001/02/0130 und vom , Zl. 2000/06/0143).
Da die belangte Behörde demgegenüber mit Zurückweisung der Berufung - aufgrund der Nichtbefolgung eines zu Unrecht erteilten Verbesserungsauftrages - vorgegangen ist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Bei dieser Sachlage brauchte auf die behauptete, bloß auf das erwähnte fachärztliche Schreiben vom gestützte Handlungsunfähigkeit des Beschwerdeführers nicht mehr eingegangen zu werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am
Fundstelle(n):
BAAAE-87730