zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 11.06.2013, 2013/21/0037

VwGH vom 11.06.2013, 2013/21/0037

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des MO in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom , Zl. UVS-410-006/E2-2012, betreffend Festnahme und Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Auf Grund der Beschwerde und des mit ihr vorgelegten angefochtenen Bescheides steht folgender Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste im August 2000 nach Österreich ein und beantragte am die Gewährung von Asyl. Mit rechtskräftigem Bescheid vom wies der unabhängige Bundesasylsenat diesen Antrag ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Ein zweiter, am gestellter Asylantrag wurde gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Mit rechtskräftigem Bescheid vom verhängte die Bundespolizeidirektion Linz gegen den Beschwerdeführer auf Grund "gerichtlich strafbarer Handlungen, insbesondere im Bereich der Suchtgiftkriminalität" ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. In der Folge hielt sich der Beschwerdeführer in Griechenland, Italien und in der Schweiz auf, wo er im Dezember 2011 neuerlich einen Antrag auf Gewährung von Asyl stellte.

Mit Note vom erklärte das Bundesasylamt die Bereitschaft Österreichs, ihn gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. e der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-Verordnung), wieder aufzunehmen.

Am wurde der Beschwerdeführer auf dem Landweg nach Österreich rücküberstellt und nach § 39 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG festgenommen. Am selben Tag verhängte die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn über ihn gemäß § 76 Abs. 1 FPG die Schubhaft, in der er bis zum (Entlassung auf Grund von Haftunfähigkeit infolge Hungerstreiks) angehalten wurde.

Mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom wies der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (die belangte Behörde) eine gegen die Festnahme, den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft erhobene Beschwerde gemäß § 83 FPG als unbegründet ab. Die belangte Behörde bejahte dabei das Vorliegen der Voraussetzungen des § 76 Abs. 1 FPG; zur Festnahme enthält der angefochtene Bescheid keine Begründung.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 1289/12-3, ablehnte und sie mit weiterem Beschluss vom dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 2 erster Satz FPG ist § 76 Abs. 1 FPG auf Asylwerber nicht anzuwenden. Nach der Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 ist "Asylwerber" ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zur Verfahrensbeendigung (rechtskräftiger Abschluss, Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens). Gegen Asylwerber und - wie der Ausschussbericht (1055 BlgNR 22. GP 5) klarstellend bemerkt - auch gegen Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz erst gestellt (also noch nicht eingebracht) haben, kommt Schubhaft nur unter den Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 oder Abs. 2a FPG in Betracht. Nach § 76 Abs. 1 FPG kann die Schubhaft somit nur gegen Fremde angeordnet werden, wenn sie (noch) keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben oder wenn deren Asylverfahren beendet ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0349, mit weiteren Hinweisen).

Vor diesem Hintergrund stellt sich die zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens strittige Frage, ob der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Festnahme und der Schubhaftverhängung wegen des in der Schweiz gestellten, noch nicht inhaltlich geprüften Asylantrages als "Fremder, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat", zu qualifizieren war oder nicht.

Mit diesem Thema hat sich der Verwaltungsgerichtshof in dem (insoweit) eine vergleichbare Konstellation betreffenden Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0128, ausführlich auseinandergesetzt und er ist dabei vor dem Hintergrund der unmittelbar anwendbaren Bestimmungen der Dublin II-Verordnung zu dem Ergebnis gelangt, dass der in einem anderen Mitgliedstaat gestellte Asylantrag auch als in Österreich gestellt anzusehen ist, wenn sich die Republik Österreich im Hinblick auf die ihr nach der genannten Verordnung zukommende Zuständigkeit zur (Wieder )Aufnahme des Fremden bereit erklärt hat.

Ein unter diesen Bedingungen aus dem anderen Mitgliedstaat nach Österreich (rück-)überstellter Fremder darf daher nicht gemäß § 76 Abs. 1 FPG in Schubhaft genommen, aber auch nicht gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 FPG festgenommen werden. Im Einzelnen kann dazu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Entscheidungsgründe des genannten Erkenntnisses verwiesen werden.

Die dort angestellten Überlegungen gelten im Hinblick auf das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags (ABl. 2008/L 53/5) nicht nur für Asylanträge, die in einem anderen Mitgliedstaat gestellt wurden, sondern auch für - wie hier - in der Schweiz gestellte Asylanträge.

Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die im angefochtenen Bescheid von der belangten Behörde vertretene gegenteilige Meinung nicht der Rechtslage entspricht. Der Beschwerdeführer hätte als Fremder, der (in der Schweiz) einen Asylantrag gestellt hat und der in Anwendung der Dublin II-Verordnung mit Zustimmung Österreichs zur Wiederaufnahme rücküberstellt wurde, nicht gemäß § 39 Abs. 1 Z 1 FPG festgenommen und nicht gemäß § 76 Abs. 1 FPG in Schubhaft genommen werden dürfen (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0250).

Aus dem angefochtenen Bescheid ergibt sich somit, dass die in der Beschwerde behauptete Rechtsverletzung vorliegt. Der angefochtene Bescheid war daher, nachdem auch die belangte Behörde über Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof (vom ) nichts vorgebracht hat, was geeignet gewesen wäre, das Vorliegen dieser Rechtsverletzung als nicht gegeben erkennen zu lassen, gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am