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VwGH vom 27.03.2012, 2011/10/0080

VwGH vom 27.03.2012, 2011/10/0080

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der AD in G, vertreten durch Kocher Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA11A B26-2628/2010-11, betreffend Behindertenhilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Steiermark Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom auf Hilfeleistung zur beruflichen Eingliederung durch Arbeitsdiagnostik und Kompetenzförderung gemäß §§ 2 Abs. 2 und Abs. 4, 3 Abs. 1 lit. d und 8 Steiermärkisches Behindertengesetz - Stmk. BHG, LGBl. Nr. 26/2004, abgewiesen.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der beigezogene neuropsychiatrische Sachverständige Dr. L. habe in der Zusammenfassung seines Gutachtens dargestellt, dass bei der Beschwerdeführerin eine chronisch rezidivierende depressive Störung mit derzeit mittelgradiger bis schwerer Episode vorliege und auf Grund dieser Behinderung die beantragte Hilfeleistung durch Arbeitsdiagnostik und arbeitsrelevante Kompetenzförderung bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung a priori zum Scheitern verurteilt gewesen sei. Auf Grund der bisherigen Verlaufskriterien sei mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass selbst bei weiterer optimaler Therapie mit einer wesentlichen Besserung des Zustandsbildes und der Erzielung einer größeren Leistungsbreite nicht mehr zu rechnen sei. Der beigezogene berufskundliche Sachverständige Dr. D. habe dargestellt, dass die Beschwerdeführerin keinesfalls den Anforderungen ihres bisherigen Berufes als Pflegehelferin, aber auch nicht den Anforderungen irgendeiner anderen affinen oder gleichartigen Tätigkeit am Arbeitsmarkt gewachsen sei. Die psychische Behinderung sei so ausgeprägt, dass rehabilitative Maßnahmen zur beruflichen Wiedereingliederung bereits im Zeitpunkt der Antragstellung nicht erfolgversprechend und daher auch nicht erforderlich gewesen seien.

Voraussetzung für die Gewährung der beantragten Hilfeleistung in Form der beruflichen Eingliederung für psychisch beeinträchtigte Personen sei, dass dadurch die Ziele des Stmk. BHG erreicht werden könnten. Dies sei auf Grund der vom Sachverständigen diagnostizierten Behinderung der Beschwerdeführerin von vornherein nicht der Fall gewesen. Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung gemäß § 8 Stmk. BHG seien somit bereits bei Antragstellung nicht erfolgversprechend und daher auch nicht erforderlich gewesen. Da nach der medizinischen Prognose eine Besserung nicht zu erwarten sei, seien auch in Hinkunft die Voraussetzungen für die Gewährung von Hilfe zur beruflichen Eingliederung nicht gegeben. Die Beschwerdeführerin sei dem eingeholten Gutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Die hier maßgeblichen Bestimmungen des Steiermärkischen Behindertengesetzes - Stmk. BHG, LGBl. Nr. 26/2004 idF LGBl. Nr. 81/2010, haben (auszugsweise) folgenden Wortlaut:

§ 1. (1) Ziel dieses Gesetzes ist es, Menschen mit Behinderung zu unterstützen, damit sie an der Gesellschaft in gleicher Weise wie nicht behinderte Menschen teilhaben und ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. Durch Gesetzesmaßnahmen, Leistungen und Beratung sollen Menschen mit Behinderung altersentsprechend Zugang zu den verschiedenen Lebensbereichen wie Familie, Erziehungs- und Bildungswesen, Arbeit und Beschäftigung, Gesundheitsversorgung sowie Kultur und Freizeit haben, um ihnen - wie nicht behinderten Menschen auch - die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

§ 2. (1) Menschen mit Behinderung haben nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes einen Rechtsanspruch auf Hilfeleistungen.

(2) Als Menschen mit Behinderung im Sinne des Gesetzes gelten Personen, die infolge einer angeborenen oder erworbenen Beeinträchtigung (Abs. 4) in der Möglichkeit,

a) eine angemessene Erziehung, Schulbildung oder Berufsausbildung zu erhalten oder

b) eine ihnen auf Grund ihrer Schul und Berufsausbildung zumutbare Beschäftigung zu erlangen oder beizubehalten oder

c) eine angemessene Eingliederung in die Gesellschaft zu erreichen, dauernd wesentlich benachteiligt sind oder bei Nichteinsetzen von Maßnahmen nach diesem Gesetz dauernd wesentlich benachteiligt bleiben würden. Eine dauernde Benachteiligung kann vorliegen, wenn sie voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird. Dauert sie länger als drei Jahre, ist jedenfalls von einer dauernden Benachteiligung auszugehen.

(4) Als Beeinträchtigung gelten insbesondere

1. alle physischen, psychischen und intellektuellen Beeinträchtigungen, soweit sie


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a)
nicht vorwiegend altersbedingt sind oder
b)
im Ausmaß und Schweregrad eine erhebliche Abweichung vom Gesundheitszustand der gleichaltrigen Bevölkerung darstellen, …

§ 3. (1) Als Hilfeleistung für einen Menschen mit Behinderung kommen in Betracht:

d) berufliche Eingliederung

§ 8. (1) Die Hilfe zur beruflichen Eingliederung wird insbesondere gewährt für

a) die Ausbildung, die Weiterbildung, die Um und Nachschulung in Schulen, Betrieben, Lehrwerkstätten oder ähnlichen Einrichtungen,


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b)
die Erprobung auf einem Arbeitsplatz,
c)
die Erreichung des Arbeitsplatzes.
…"
Die Beschwerdeführerin bringt vor, dass sie das der gegenständlichen Antragstellung vom zugrunde liegende einmonatige arbeitsdiagnostische Programm "workingaspects" über Anraten des AMS und der Pensionsversicherungsanstalt bereits ab dem absolviert habe. Dieses Programm habe das Ziel, Personen mit psychosozialen Problemen bei der Bewältigung ihrer Schwierigkeiten beim Einstieg oder Wiedereinstieg ins Berufsleben zu unterstützen. Die betroffenen Personen bekämen unter arbeitsplatznahen Bedingungen Informationen über ihre Arbeitsfähigkeit oder Arbeitsunfähigkeit, was ihrer weiteren beruflichen Orientierung dienlich sei. "Working-aspects" diene also zur Abklärung der Frage, ob eine behinderte Person überhaupt dazu fähig sei, an weiteren rehabilitativen Maßnahmen zur beruflichen (Wieder
) Eingliederung teilzunehmen, und stelle daher einen wichtigen Schritt dar, um möglicherweise nicht zielführenden Maßnahmen gemäß § 8 Stmk. BHG entgegenzuwirken. Es sei "nahezu absurd" die Übernahme der Kosten eines derartigen - bereits absolvierten - Programms mit der Begründung abzulehnen, dass eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nicht in Frage käme, weil die Unmöglichkeit der Wiedereingliederung eben erst durch dieses Programm festgestellt habe werden können. Das eingeholte psychiatrische Gutachten von Dr. L. sei insofern mangelhaft, als es auf Grund der erst am durchgeführten Exploration zum Ergebnis komme, dass die Wiedereingliederung der Beschwerdeführerin in den Arbeitsmarkt bereits am unmöglich gewesen sei. Es stelle sich die Frage, wie man von der Ermittlung des status quo einer schweren psychischen Beeinträchtigung im November 2010 mit Sicherheit auf den Status im September 2009 schließen könne. Dies erscheine selbst einem medizinischen Laien zumindest "gewagt" und werde in der von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. Kl. zu Recht angezweifelt. Selbst wenn man dieser Stellungnahme nicht den Stellenwert eines auf gleicher fachlicher Ebene erstatteten Gutachtens zuerkenne, so werde dadurch doch eine Mangelhaftigkeit des von der Behörde eingeholten Gutachtens aufgezeigt.
Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich unstrittig um einen Menschen mit Behinderung im Sinn von § 2 Abs. 1 Stmk. BHG. Sie hat um die Kostenübernahme für eine bereits ab absolvierte einmonatige Maßnahme der beruflichen Eingliederung gemäß § 8 Stmk. BHG angesucht. Bei dieser Maßnahme ("working-aspects") handelt es sich nach dem - insoweit mit dem Akteninhalt übereinstimmenden - Beschwerdevorbringen im Wesentlichen um ein arbeitsdiagnostisches Programm zum Erhalt von fundierten Informationen über die Arbeitsfähigkeit und Berufskompetenz des Menschen mit Behinderung. Die Übernahme der Kosten eines solchen Programmes als Maßnahme der beruflichen Rehabilitation gemäß § 8 Stmk. BHG, der die Eingliederungsmaßnahmen demonstrativ aufzählt, ist grundsätzlich möglich (siehe dazu die Anlage 1 zur Steiermärkischen Behindertengesetz - Leistungs- und Entgeltverordnung, LGBl. Nr. 43/2004, die in ihrem Teil V B einmonatige Programme für "Diagnostik und basale Orientierung zur Arbeitsfähigkeit und Berufskompetenz unter arbeitsplatznahen Bedingungen" nennt).
Der belangten Behörde ist zuzustimmen, dass die Kostenübernahme nach dem Stmk. BHG nur für Maßnahmen in Betracht kommt, die zur Erreichung des angestrebten Zieles im Rahmen des § 1 leg. cit. (Unterstützung von Menschen mit Behinderung, damit sie an der Gesellschaft in gleicher Weise wie nicht behinderte Menschen teilhaben und ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können) geeignet sind.
Durch Maßnahmen der beruflichen Eingliederung gemäß § 8 Stmk. BHG sollen Menschen, die in der Möglichkeit, eine ihnen auf Grund ihrer Schul- und Berufsausbildung zumutbare Beschäftigung zu erlangen oder beizubehalten (§ 2 Abs. 2 lit. b leg. cit), eingeschränkt sind, in das Berufsleben (wieder) eingegliedert werden. In diesem Rahmen kann auch die Absolvierung eines arbeitsdiagnostischen Programmes zielführend sein, um abzuklären, ob und welche weiteren Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung sinnvoll erscheinen. Die Kostenübernahme für eine solche arbeitsdiagnostische Abklärung kommt jedoch nach dem oben Gesagten nicht in Betracht, wenn schon von vornherein feststeht, dass die Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht möglich ist, ohne dass es dazu einer solchen Abklärung bedarf. Stellt sich die mangelnde Eingliederbarkeit jedoch erst durch diese Abklärung heraus, so kann die Kostenübernahme hiefür nicht mit dem Hinweis auf die nicht gegebene Eingliederbarkeit auf dem Arbeitsmarkt abgelehnt werden.
Die belangte Behörde hat die beantragte Kostenübernahme für das einmonatige arbeitsdiagnostische Programm "working-aspects" mit der wesentlichen Begründung abgelehnt, es sei auf Grund der Schwere der psychischen Behinderung der Beschwerdeführerin bereits bei Antragstellung (also vor Absolvierung des Programms) festgestanden, dass die beantragte Maßnahme nicht erforderlich gewesen sei. Dabei hat sie sich insbesondere auf das psychiatrische Gutachten von Dr. L. gestützt, das zum Ergebnis kommt, dass die beantragte Hilfeleistung durch Diagnostik und arbeitsrelevante Kompetenzförderung auf Grund der Schwere der psychischen Erkrankung bereits im Antragszeitpunkt "a priori zum Scheitern verurteilt" gewesen sei. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat dieser Sachverständige sein Gutachten nicht nur auf die mehr als ein Jahr nach der Antragstellung erfolgte Exploration der Beschwerdeführerin, sondern auch auf den Akteninhalt (mit den darin erliegenden zahlreichen Befundberichten von psychiatrischen Abteilungen von Krankenhäusern bzw. Fachärzten für Psychiatrie aus der Zeit von Juli 2008 bis August 2009) und das von der Behörde erster Instanz eingeholte psychiatrische Gutachten von Frau Dr. K. mit der Exploration vom gestützt. Der von der belangten Behörde beigezogene Sachverständige hat sein Gutachten auch nicht auf das Ergebnis des antragsgegenständlichen arbeitsdiagnostischen Programms gestützt, sondern auf den bisherigen Krankheitsverlauf.
Der Beschwerdeführerin ist es mit der Vorlage der "sozialpsychiatrischen Kurzstellungnahme" von Dr. Kl. vom im Verwaltungsverfahren nicht gelungen, eine Mangelhaftigkeit des von der belangten Behörde eingeholten Gutachtens aufzuzeigen, wird in dieser Stellungnahme doch lediglich ausgeführt, dass es nicht "machbar" sei, die Arbeitsfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt auf Grund einer ein Jahr später durchgeführten Exploration abzuklären, und es nicht zulässig sei, die Verweigerung der Kostenübernahme für eine arbeitsdiagnostische Maßnahme mit dem Ergebnis dieser Maßnahme zu begründen.
Da die belangte Behörde somit auf Grund eines mängelfreien Verfahrens zum Ergebnis gekommen ist, dass die beantragte arbeitsdiagnostische Maßnahme nicht zielführend und dies bereits bei Antragstellung ersichtlich war, hat sie den Antrag zu Recht abgewiesen.
Die sich als unbegründet erweisende Beschwerde war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am

Fundstelle(n):
DAAAE-87712