VwGH vom 11.06.2013, 2013/21/0011
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des SZ, vertreten durch Dr. Julia Ecker, Mag. Wilfried Embacher und Dr. Thomas Neugschwendtner, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zl. Senat-FR-12-0126, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste am aus Griechenland kommend in das Bundesgebiet ein und beantragte am die Gewährung von internationalem Schutz. Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt diesen Antrag, verbunden mit einer Ausweisung des Beschwerdeführers, ab. Da eine aktuelle Abgabestelle des Beschwerdeführers, auch durch Anfrage beim zentralen Melderegister, nicht ermittelt werden konnte, verfügte das Bundesasylamt am gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 Abs. 1 Zustellgesetz (ZustG) die Zustellung dieses Bescheides durch Hinterlegung bei der Behörde im Akt und bestätigte mit die Rechtskraft des Bescheides vom .
Der Beschwerdeführer war - gemäß seinen dann erstatteten Angaben - am nach Frankreich ausgereist, wo nach seiner Festnahme Konsultationen nach der Dublin-II-Verordnung mit Österreich geführt wurden, in deren Rahmen Österreich am der Rückübernahme des Beschwerdeführers zustimmte. Dieser wurde am nach Österreich überstellt, ist jedoch noch im September 2012 nach Großbritannien ausgereist, wo er die Gewährung von Asyl beantragte und nach einem weiteren Konsultationsverfahren gemäß der Dublin-II-Verordnung am nach Österreich überstellt wurde. Hier beantragte er neuerlich die Prüfung seiner Asylgründe.
Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom verhängte die Landespolizeidirektion Niederösterreich über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung (§ 10 AsylG 2005) und der Abschiebung (§ 46 FPG). Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am am Flughafen Wien-Schwechat "betreten" worden, wobei festgestellt worden sei, dass er in Großbritannien einen - offensichtlich unbegründeten - Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, für dessen Prüfung gemäß der Dublin-II-Verordnung Österreich zuständig sei. Jedoch bestehe bereits eine seit durchsetzbare Ausweisung. Die Verhängung der Schubhaft sei notwendig, weil davon auszugehen sei, dass sich der Beschwerdeführer bei Belassung auf freiem Fuß dem Verfahren sowie aufenthaltsbeendenden Maßnahmen entziehen würde. Die Anordnung gelinderer Mittel erscheine unter Berücksichtigung der bisherigen umfangreichen Reisebewegungen als nicht ausreichend.
Auf Grund dieses Bescheides wurde der Beschwerdeführer bis zur Zulassung seines Asylverfahrens am in Schubhaft angehalten.
Am erhob er Schubhaftbeschwerde, in der er unter anderem vorbrachte, die gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 Abs. 1 ZustG verfügte Zustellung des erwähnten Bescheides des Bundesasylamtes vom sei unwirksam gewesen, weil er sich in Frankreich aufgehalten habe. Die dortigen Asylbehörden hätten mit den österreichischen Behörden Konsultationen geführt. Das Bundesasylamt sei wegen seiner Rücküberstellung in Kontakt mit den französischen Behörden gestanden, sodass sein Aufenthaltsort ohne Schwierigkeiten feststellbar gewesen wäre. Der Bescheid vom sei somit noch nicht rechtswirksam erlassen worden, sodass das erste Asylverfahren, und zwar in einem frühen Stadium und unerledigt, anhängig sei und auch die behauptete durchsetzbare Ausweisung fehle. Ein Schubhafttatbestand liege insgesamt nicht vor.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Beschwerde gemäß § 83 FPG als unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft vorlägen. Begründend führte sie zum wiedergegebenen Vorbringen (zusammengefasst) aus, es sei unbestritten geblieben, dass die Asylbehörde erster Instanz den Bescheid vom erlassen und den Beschwerdeführer damit rechtskräftig und durchsetzbar nach Afghanistan ausgewiesen habe. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, der sich dem österreichischen Asylverfahren entzogen habe und nach Frankreich gereist sei, sei nicht nachvollziehbar, weil damit nicht dargelegt werde, wie die österreichische Asylbehörde während des Konsultationsverfahrens seinen Aufenthaltsort in Frankreich hätte feststellen sollen. Es sei somit (richtig) der Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht. Soweit § 76 Abs. 2 Z 3 FPG in die Überlegungen "miteinbezogen" worden sei, liege dem die zutreffende Erwägung zugrunde, dass sich das - über den Folgeantrag vom eingeleitete - zweite Asylverfahren des Beschwerdeführers in keinem Anfangsstadium befinde. Ein nur durch Schubhaft abdeckbarer Sicherungsbedarf sei "im gegebenen späteren Stadium des Asylverfahrens", in dem bereits eine durchsetzbare Ausweisung vorliege, zu bejahen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 8 ZustG lautet:
"Änderung der Abgabestelle
§ 8. (1) Eine Partei, die während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat, ihre bisherige Abgabestelle ändert, hat dies der Behörde unverzüglich mitzuteilen.
(2) Wird diese Mitteilung unterlassen, so ist, soweit die Verfahrensvorschriften nicht anderes vorsehen, die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch vorzunehmen, falls eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann."
Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer während des beim Bundesasylamt anhängigen Asylverfahrens die Abgabestelle änderte, eine (geänderte) Abgabestelle im Sinne des § 8 Abs. 1 ZustG dem Bundesasylamt aber nicht mitteilte. Die Folgen der Unterlassung dieser Mitteilungspflicht regelt Abs. 2 des § 8 ZustG. Die Behörde ist demnach erst dann berechtigt, eine Hinterlegung (ohne vorausgehenden Zustellversuch) zu verfügen, falls eine Abgabestelle der Partei nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann. Die Hinterlegung hat die Wirkung einer (rechtmäßigen) Zustellung nur dann, wenn der Behörde keine andere Abgabestelle bekannt ist und sie vor Anordnung dieser besonderen Zustellung eine geänderte oder andere (vorher unbekannte) Abgabestelle der Partei nicht "ohne Schwierigkeiten" feststellen kann.
Hier kam die belangte Behörde zu der Beurteilung, die verfügte Zustellung nach § 8 Abs. 2 ZustG sei rechtmäßig, weil sie ausschließlich auf die Kenntnis der mit dem Asylantrag des Beschwerdeführers befassten Außenstelle des Bundesasylamtes abstellte. Dabei hat die belangte Behörde jedoch übersehen, dass das gemäß § 58 Abs. 1 AsylG 2005 als Asylbehörde erster Instanz eingerichtete Bundesasylamt nach dem zweiten Absatz dieser Bestimmung auch zuständige Behörde für den Informationsaustausch mit jenen Staaten ist, mit denen die Dublin-II-Verordnung oder ein Vertrag über die Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages oder eines Antrages auf internationalen Schutz anwendbar ist.
Zufolge § 58 Abs. 1 AsylG 2005 ist das Bundesasylamt eine monokratische Bundesbehörde mit dem Sitz in Wien. Die Einrichtung von Außenstellen (§ 58 Abs. 4 leg. cit.) bzw. einer mit Fragen des genannten Informationsaustausches befassten Abteilung stellt eine innere Gliederung der Behörde dar, die daran aber nichts ändert, dass das Bundesasylamt nach außen eine einheitliche Behörde ist und ihre Dienststellen die der Behörde zukommenden Aufgaben im Rahmen des monokratischen Systems besorgen.
Die vom Beschwerdeführer (im Einklang mit der Aktenlage) geltend gemachte Zustimmung und Kenntnis der "Dublin-Abteilung" des Bundesasylamtes zu bzw. von seiner Rückübernahme aus Frankreich (nach dem Beschwerdevorbringen bereits am ) war somit dem Bundesasylamt insgesamt zuzurechnen und von ihm zu berücksichtigen.
Davon ausgehend war dem Bundesasylamt spätestens am bekannt, dass sich der Beschwerdeführer in Frankreich aufhielt. Das Bundesasylamt hätte demnach durch Anfrage bei den französischen Behörden die Abgabestelle des Beschwerdeführers in diesem Staat feststellen können und müssen. Dass eine derartige Anfrage mit "Schwierigkeiten" verbunden gewesen wäre, oder die französischen Behörden eine Auskunft über den Aufenthalt des Beschwerdeführers abgelehnt hätten, ist nicht erkennbar.
Die Beurteilung der belangten Behörde, der erwähnte Bescheid vom sei durch Hinterlegung gemäß § 8 Abs. 2 ZustG wirksam zugestellt worden, erweist sich daher als rechtswidrig (siehe zum Ganzen das zum insoweit vergleichbaren Asylgesetz 1997 ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/01/0373).
Davon ausgehend ist das Verfahren über den am gestellten (ersten) Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz noch (unerledigt) anhängig. Der Beschwerdeführer, dessen "Folgeanträge" nur als ergänzendes Vorbringen im ersten Asylverfahren verstanden werden konnten, verfügte weiterhin über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht nach dem AsylG 2005. Sein darauf aufbauender Einwand, die (soweit im vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung jeweils die Erlassung einer durchsetzbaren Ausweisung voraussetzenden) Tatbestände des § 76 Abs. 2 Z 1 und 3 FPG seien nicht verwirklicht, erweist sich somit schon von daher als berechtigt (siehe zu ähnlichen Konstellationen zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0244, mwN).
Schon deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die beantragte mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG unterbleiben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am