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VwGH vom 25.09.2020, Ra 2020/19/0145

VwGH vom 25.09.2020, Ra 2020/19/0145

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und den Hofrat Dr. Pürgy sowie die Hofrätin Dr.in Lachmayer als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des F N (alias O alias Y alias U) in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. I409 1261831-4/50Z, betreffend Angelegenheiten nach dem Asylgesetz 1997 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Zur Vorgeschichte wird auf das Vorerkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2017/20/0487, verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat das damalige, den Revisionswerber betreffende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) wegen einer unvertretbaren Beweiswürdigung aufgehoben.

2Der Verwaltungsgerichtshof monierte insbesondere, dass das BVwG die von der Verwaltungsbehörde eingeholte - das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers im Umfang der Anfrage bestätigende - Vor-Ort-Recherche mit der Begründung nicht würdigte, es handle sich hierbei bloß um einen Beweis vom Hörensagen, demgegenüber mit Blick auf den Gesamtkontext und unter Bedachtnahme auf den Verfahrensgrundsatz der Unmittelbarkeit den Ergebnissen aus den mündlichen Verhandlungen mehr Gewicht beizumessen sei. Die gänzliche Außerachtlassung dieses Beweismittels, ohne sich mit dessen inneren Wahrheitsgehalt auseinander gesetzt zu haben, entspreche nicht dem Gesetz. Weiters seien die möglichen Auswirkungen des näher dargestellten psychischen Zustands des Revisionswerbers auf sein Aussageverhalten sowie die lange Zeitspanne, die zwischen dem fluchtauslösenden Ereignis und der Einvernahme vor dem BVwG gelegen war, unberücksichtigt geblieben. Auch die Ausführungen des BVwG zum Vorliegen einer internen Fluchtalternative wie auch zur Schutzfähigkeit und -willigkeit des Staates Nigeria vermochten die Entscheidung nicht zu tragen.

3Das Bundesverwaltungsgericht führte am eine mündliche Verhandlung durch und wies mit mündlicher Verkündigung den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz erneut ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Nigeria als zulässig und stellte fest, dass eine Aufenthaltsbeendigung gemäß § 55 Abs. 4 NAG unterbleibe.

4Das BVwG führte in seiner Beweiswürdigung, die im Übrigen der Beweiswürdigung im zuvor aufgehobenen Erkenntnis in weiten Teilen nahezu wortident entspricht, aus, ein Telefonat mit der Staatendokumentation habe ergeben, dass Vor-Ort-Recherchen, etwa durch Vertrauensanwälte, nur eine bedingt taugliche Quelle seien, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass es zu einer Beeinflussung der Rechercheergebnisse gekommen sei. Dies sei vor allem dann der Fall, wenn Recherchen im Umfeld des Asylwerbers durchgeführt würden. Auch sei es mehrfach notwendig gewesen, Vertrauensanwälte wegen eines dringenden Korruptionsverdachtes auszutauschen. Vor diesem Hintergrund sei den durchgeführten Verhandlungen in den Jahren 2016 und 2017 mehr Gewicht beizumessen als der Vor-Ort-Recherche. In der Begründung des mündlich verkündeten Erkenntnisses führt das BVwG aus, dass das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht nachvollziehbar sei, wobei dazu auf einen Aktenvermerk vom (dabei handelt es sich, wie sich aus der schriftlichen Ausfertigung ergibt, um das mit Telefonat mit der Staatendokumentation) und einen Aktenvermerk vom (laut schriftlicher Ausfertigung handelt es sich dabei um ein Telefonat mit einem psychiatrischen Sachverständigen, der darin bestätigt habe, dass der Revisionswerber aussage- und verhandlungsfähig sei) verwiesen wurde.

5Der Revisionswerber stellte am selben Tag den Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses. Am brachte der Revisionswerber eine außerordentliche Revision ein, die vom BVwG am dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde. Die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses erfolgte am .

6Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, die Beweiswürdigung sei mangelhaft gewesen, es fehle eine nachvollziehbare Begründung und es sei das Parteiengehör verletzt worden. Der vom dokumentierte Aktenvermerk des BVwG über das Telefonat mit der Staatendokumentation besage, dass ein Recherchebericht grundsätzlich käuflich sei. Dass die im Jahr 2012 getätigte Recherche „gekauft“ und somit inhaltlich unrichtig sei bzw. dass es im Jahr 2012 zu „gekauften“ Rechercheergebnissen gekommen sei, besage der Aktenvermerk allerdings nicht. Der vom dokumentierte Aktenvermerk über das Telefonat mit dem psychiatrischen Sachverständigen sei ebenfalls nicht geeignet, die Unglaubwürdigkeit des Revisionswerbers zu bekräftigen, da das BVwG es verabsäume darzulegen, welche Widersprüchlichkeiten vorliegen würden und vor dem Hintergrund des Telefonates von einer unwahren Aussage auszugehen sei. Zudem habe der Revisionswerber an den Sachverständigen keine Fragen stellen können, dieser hätte geladen werden müssen.

7Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, erwogen:

8Die Revision ist zulässig und begründet.

9Der Verwaltungsgerichtshof ist als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG liegt - als Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - allerdings dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat.

10Der im § 45 AVG aufgestellte Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedeutet nicht, dass die Behörde willkürlich vorgehen dürfe, sondern nur, dass sie bei ihrer Beweiswürdigung nicht an Beweisregeln gebunden ist. Alle Beweismittel sind grundsätzlich gleichwertig und haben die gleiche abstrakte Beweiskraft. Dafür, ob eine Tatsache als erwiesen anzusehen ist oder nicht, hat allein der „innere Wahrheitsgehalt“ der Ergebnisse des Beweisverfahrens ausschlaggebend zu sein (vgl. ).

11Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Vorerkenntnis ausgesprochen, dass das BVwG sich mit dem inneren Wahrheitsgehalt der Vor-Ort-Recherche hätte auseinandersetzen müssen. Dies hat das BVwG auch diesmal unterlassen. Stattdessen stützt es sich auf ein Telefonat mit der Staatendokumentation, wonach generell Vor-Ort-Recherchen nur eine bedingt taugliche Quelle seien. Aus dem im Verwaltungsakt einliegenden diesbezüglichen Aktenvermerk ergibt sich allerdings nicht einmal, ob es sich bei dieser Auskunft der Staatendokumentation um eine Anfrage zum Herkunftsstaat Nigeria handelte. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass das BVwG jegliche Begründung vermissen lässt, wieso es aufgrund der allgemeinen Auskunft der Staatendokumentation im konkreten Fall davon ausgegangen ist, dass die Rechercheergebnisse unrichtig gewesen wären. Aus dem Aktenvermerk ergibt sich nicht, dass der konkrete Vertrauensanwalt wegen Unstimmigkeiten ausgetauscht worden wäre, noch aus dem Erkenntnis, dass etwa die befragten Auskunftspersonen ein Naheverhältnis zum Revisionswerber gehabt hätten.

12Ebenfalls nicht schlüssig ist, dass das BVwG die Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte auf den Aktenvermerk vom stützt, der offenbar ein Telefonat mit einem psychiatrischen Sachverständigen dokumentierte. Nach den Ausführungen in der schriftlichen Ausfertigung des Erkenntnisses bestätigte der Sachverständige in dem Telefonat die Aussage- und Verhandlungsfähigkeit des Revisionswerbers. Wieso dieser Umstand die Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte bestätigen könnte, entzieht sich jeglicher Nachvollziehbarkeit.

13Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den § 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Erkenntnisses geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. bis 0249, mwN).

14Die Beweiswürdigung des BVwG kann wie dargelegt vom Verwaltungsgerichtshof nicht auf ihre Schlüssigkeit überprüft werden, weshalb das Erkenntnis mit einem Verfahrensmangel belastet ist. Auf Basis der Ausführungen des BVwG erweist sich zudem die Beweiswürdigung als unvertretbar.

15Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. B und c VwGG aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190145.L00

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