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VwGH vom 23.01.2012, 2011/10/0059

VwGH vom 23.01.2012, 2011/10/0059

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte, Dr. Rigler, Dr. Lukasser und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde der Steiermärkischen Krankenanstalten Gesellschaft m.b.H. in Graz, vertreten durch Niernberger Kleewein Rechtsanwälte in 8010 Graz, Elisabethstraße 50c, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA11A-32.1-261/10-5, betreffend Übernahme von Behandlungskosten aus Mitteln der Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Spruchpunkt II. des im Devolutionsweg ergangenen Bescheides vom hat die Steiermärkische Landesregierung den Antrag der Beschwerdeführerin auf Rückersatz der durch den stationären Aufenthalt von H G im Landeskrankenhaus (LKH) H. vom bis erwachsenen Kosten abgewiesen.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich der österreichische Staatsbürger H G von bis zu seinem Tod am in stationärer Behandlung im LKH H. aufgehalten habe, davon in der Zeit von

6. bis 27. Februar in der Intensivstation. Mit Antrag vom habe die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Spitalskostenrückersatz gemäß § 31 Steiermärkisches Sozialhilfegesetz, LGBl. Nr. 29/1998 (Stmk. SHG), gestellt und dazu vorgebracht, dass H G im Zeitpunkt der Krankenbehandlung als hilfsbedürftig anzusehen gewesen sei. Er habe über keinen sozialversicherungsrechtlichen Anspruch verfügt und sei nicht in der Lage gewesen, die Spitalskosten selbst zu tragen.

Das Ermittlungsverfahren habe ergeben, dass H G - entgegen seinen ursprünglichen Angaben - über keinen Wohnsitz und keine Krankenversicherung in Ungarn verfüge. An der bis aufrechten Meldeadresse in Graz sei er den Hausparteien nicht bekannt gewesen. Im Rahmen der vor dem stationären Aufenthalt im LKH H. durchgeführten ambulanten Behandlung im LKH G. habe er angegeben, in letzter Zeit auf der Straße gelebt zu haben. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung des H G bestünden nicht. Es sei anzunehmen, dass er tageweise als "Schwarzarbeiter" tätig gewesen sei.

H G habe im maßgeblichen Zeitraum seinen Lebensbedarf nicht aus eigenen Mitteln decken können und habe ihn auch von anderen Personen oder Einrichtungen nicht erhalten. Er habe einen Rechtsanspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensbedarfs nach dem Stmk. SHG gehabt. Der gegenständliche stationäre Krankenhausaufenthalt im LKH H. sei vom Begriff der Krankenhilfe gemäß dem Stmk. SHG umfasst. Es bestehe jedoch nicht schon dann ein Anspruch auf Rückersatz von Spitalskosten, wenn es sich um einen Hilfsbedürftigen im Sinn des Stmk. SHG handle. Gemäß § 31 Abs. 1 lit. b leg. cit. sei vielmehr notwendig, dass die Hilfegewährung durch den Dritten so dringend erfolgen habe müssen, dass der zuständige Sozialhilfeträger nicht verständigt habe werden können. In solchen Fällen genüge es, wenn der Krankenhausträger nach Kenntnisnahme von der Hilfsbedürftigkeit des Patienten seiner Obliegenheit zur Verständigung des Sozialhilfeträgers nachkomme.

Bei H G sei auf Grund der Gesamtsituation eindeutig, dass eine Gefährdung des Lebensbedarfs vorgelegen sei. Die Hilfegewährung habe so dringend erfolgen müssen, dass der Sozialhilfeträger nicht rechtzeitig verständigt habe werden können. Dem LKH H. wäre es jedoch möglich gewesen, während des etwa zweieinhalb Monate dauernden stationären Aufenthaltes entsprechende Erhebungen über sozialversicherungsrechtliche Ansprüche des Patienten durchzuführen. Das LKH G., in dem H G unmittelbar vor dem gegenständlichen stationären Aufenthalt ambulant behandelt worden sei, habe derartige Ermittlungen durchgeführt und erhoben, dass keine Sozialversicherung bestehe. Das LKH H. habe von dieser ambulanten Behandlung gewusst. Auch sei absehbar gewesen, dass der stationäre Aufenthalt längere Zeit in Anspruch nehmen werde. Hätte das LKH H. den Sozialhilfeträger nicht erst nach dem Tod von H G verständigt, so hätte noch rechtzeitig Sozialhilfe gewährt werden können.

Ihrem gesamten Inhalt nach nur gegen den Spruchpunkt II. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Nach § 31 Abs. 1 Stmk. SHG hat der Sozialhilfeträger demjenigen, der einem Hilfsbedürftigen Hilfe geleistet hat,

Rückersatz zu leisten, wenn:


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a)
eine Gefährdung des Lebensbedarfs (§ 7) gegeben war;
b)
die Hilfe des Sozialhilfeträgers nicht rechtzeitig gewährt werden konnte;
c)
der Dritte nicht selbst die Kosten der Hilfe zu tragen hatte.
Nach dem Abs. 2 dieser Bestimmung muss der Rückersatz spätestens sechs Monate nach Beginn der Hilfeleistung bei sonstigem Anspruchsverlust beim örtlich zuständigen Sozialhilfeträger beantragt werden. Im Antrag ist die finanzielle Hilfsbedürftigkeit des Hilfeempfängers durch schlüssiges Vorbringen glaubhaft zu machen.
Die belangte Behörde hat den Antrag der Beschwerdeführerin ausschließlich deshalb abgewiesen, weil die Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 lit. b Stmk. SHG nicht gegeben sei.
Nach der hg. Judikatur ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn die Hilfegewährung durch den Dritten so dringend erfolgen musste, dass der zuständige Sozialhilfeträger nicht vor Hilfegewährung verständigt werden konnte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Dringlichkeit der Gewährung der Hilfe eine vorherige Benachrichtigung nicht zuließ. Den Dritten - auch Krankenanstalten, die medizinische Hilfe leisten - trifft bei sonstigem Verlust des Rückersatzanspruches die Obliegenheit zur Verständigung des Sozialhilfeträgers vor Gewährung der Hilfe, es sei denn, der Rechtsträger der Krankenanstalt wusste nichts von der Notlage der Person, der Krankenhilfe gewährt werden muss, oder die Verständigung des Sozialhilfeträgers vor Gewährung der Hilfeleistung war wegen Dringlichkeit nicht möglich. Daher besteht vor der möglichen Kenntnisnahme von der Hilfsbedürftigkeit keine Obliegenheit zur Verständigung des Sozialhilfeträgers (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2008/10/0007, mwN).
Der Zweck der gesetzlichen Regelung des § 31 Abs. 1 Stmk. SHG liegt darin, die Ersatzansprüche Dritter auf jene Fälle zu beschränken, in denen der Sozialhilfeträger (wegen Dringlichkeit) die Hilfe nicht selbst leisten konnte. Dieser Gesetzeszweck ist auch bei der Lösung der Frage, unter welchen Umständen eine Verletzung der Verständigungsobliegenheit vorliegt, die zum Verlust des Ersatzanspruches führt, in den Blick zu nehmen. Ist die Verständigung des Sozialhilfeträgers vor Gewährung der Hilfeleistung wegen Dringlichkeit nicht möglich, so besteht keine Obliegenheit des Krankenanstaltenträgers, den Sozialhilfeträger vor Beginn der Hilfeleistung zu verständigen. Diese Obliegenheit entsteht in einem solchen Fall in jenem Zeitpunkt (während der Hilfeleistung), in dem die Krankenanstalt bei gehöriger Aufmerksamkeit die Hilfsbedürftigkeit des Patienten erkennen und bei ordnungsgemäßer Organisation ihrer Verwaltung die erforderlichen Maßnahmen einleiten, insbesondere die Anzeige an den Sozialhilfeträger erstatten konnte (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2010/10/0262). Dabei darf die Sorgfaltsanforderung an die Krankenanstalt, deren primäre Aufgabe die rasche und effiziente Krankenbehandlung ist, nicht überspannt werden.
Wird der Verständigungsobliegenheit nicht rechtzeitig im Sinn der oben dargelegten Grundsätze entsprochen, entsteht kein Rückersatzanspruch; und zwar weder für jene Hilfeleistungen, die nach der Verständigung erbracht wurden (sofern diese mit vor der Verständigung erbrachten Hilfeleistungen eine Einheit bilden, wie dies bei nicht unterbrochener stationärer Anstaltspflege der Fall ist), noch für jene Hilfeleistungen, die bis zu jenem Zeitpunkt erbracht wurden, in dem die Verständigungsobliegenheit zu erfüllen gewesen wäre. Wird der Verständigungsobliegenheit hingegen rechtzeitig entsprochen, besteht unter dem Gesichtspunkt des § 31 Abs. 1 lit. b Stmk. SHG der Rückersatzanspruch sowohl für die vor als auch nach dem fraglichen Zeitpunkt erbrachten Hilfeleistungen. Der Ersatzanspruch geht jedoch unter, wenn die sechsmonatige Frist für die Antragstellung gemäß § 31 Abs. 2 Stmk. SHG versäumt wird. Die letztgenannte Bestimmung normiert nämlich einen Grund für das Erlöschen des Rückersatzanspruches, während § 31 Abs. 1 lit. b leg. cit. eine Voraussetzung für dessen Entstehen normiert.
Im vorliegenden Fall war die Verständigung des Sozialhilfeträgers vor der Hilfegewährung unstrittig wegen Dringlichkeit der Behandlung des - unstrittig hilfsbedürftigen - H G nicht möglich. Die Antragstellung erfolgte innerhalb der Frist des § 31 Abs. 2 Stmk. SHG.
Die belangte Behörde wies den geltend gemachten Ersatzanspruch ab, weil die Beschwerdeführerin die Obliegenheit verletzt habe, den Sozialhilfeträger sofort nach der möglichen Kenntnis von der Hilfsbedürftigkeit des H G zu verständigen. Dazu vertrat sie die Ansicht, dem LKH H. wäre es möglich gewesen, die erforderlichen Erhebungen so rechtzeitig durchzuführen, dass der Sozialhilfeträger noch während der Behandlungsdauer verständigt hätte werden können.
Die beschwerdeführende Partei hält dem entgegen, dass sie ohnehin umfangreiche Erhebungen durchgeführt habe, die sich schwierig gestaltet hätten, weil H G zunächst unrichtig angegeben habe, über einen Wohnsitz und eine Beschäftigung in Ungarn zu verfügen. Es habe das Bestehen eines Sozialversicherungsschutzes in Ungarn und in Österreich erhoben werden müssen. Eine weitere Verzögerung sei eingetreten, weil H G während seiner Behandlung längere Zeit nicht ansprechbar gewesen sei und daher erst am ein Erhebungsblatt habe ausgefüllt werden können.
Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:
Nach den Feststellungen der belangten Behörde lagen bei der Aufnahme von H G im LKH H. zwei unterschiedliche Angaben über dessen Beschäftigung vor. Nach der einen sei er als Betonierer tätig gewesen, nach der anderen als selbständiger Immobilienmakler in Ungarn, wobei auch eine ungarische Adresse angegeben worden sei. Alle diese Angaben haben sich letztlich als falsch herausgestellt.
Bei dieser Ausgangslage kann unter Berücksichtigung der nur teilweisen Ansprechbarkeit des Patienten nicht von vornherein gesagt werden, dass es dem LKH H. möglich gewesen wäre, die erforderlichen Erhebungen - in Ungarn und Österreich - noch während der Behandlungsdauer abzuschließen, ohne die Sorgfaltsanforderung an eine Krankenanstalt in diesem Bereich zu überspannen. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde können dem LKH H. die Ergebnisse der anlässlich eines früheren Aufenthalts des Patienten in einem anderen Krankenhaus durchgeführten Erhebungen nicht zugerechnet werden.
Die belangte Behörde hätte daher - wie von der Beschwerdeführerin vorgebracht - auf Grundlage von konkreten Feststellungen über den Schwierigkeitsgrad der dazu erforderlichen Ermittlungen zu beurteilen gehabt, ob es bei gehöriger Aufmerksamkeit und ordnungsgemäßer Verwaltungsorganisation des LKH H. - unter Berücksichtigung des dargestellten Sorgfaltsmaßstabes für derartige Erhebungen durch Krankenanstalten - tatsächlich möglich gewesen wäre, die Hilfsbedürftigkeit des H G noch während dessen Spitalsbehandlung zu erkennen und den Sozialhilfeträger davon zu verständigen.
Aufgrund des aufgezeigten Verfahrensmangels war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am

Fundstelle(n):
FAAAE-87652