VwGH vom 16.02.2006, 2006/19/0146
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Friedrich Schwank, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 34/101, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 252.387/0-IV/12/04, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl. Am wurde er - auf Grund seiner Minderjährigkeit im Beisein eines Vertreters des Jugendwohlfahrtsträgers - vor dem Bundesasylamt einvernommen. Die Ladung des in einem Gasthaus in Gols untergebrachten Beschwerdeführers zu dieser Einvernahme war an das Referat für Jugendwohlfahrt und Sozialarbeit bei der Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See zugestellt worden.
Am teilte die Bezirkshauptmannschaft Neusiedl am See dem Bundesasylamt mit, der Beschwerdeführer habe am die Unterkunft verlassen.
Das Bundesasylamt nahm am eine Meldeanfrage vor, die ergebnislos blieb, und stellte dem Beschwerdeführer den Bescheid vom selben Tag, mit dem es den Asylantrag gemäß § 7 AsylG abwies und gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan für zulässig erklärte, am unter Berufung auf § 8 Abs. 2 ZustG durch Hinterlegung im Akt zu. In der Beurkundung der Hinterlegung wurde festgehalten, der "im Betreff Genannte" sei "an der angegebenen Zustelladresse nicht mehr aufhältig. Eine neuerliche Abgabestelle konnte nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden." Der Kopf des Bescheides nennt als Adressaten den Beschwerdeführer "geboren am , Wohnadresse unbekannt, vertreten durch: den örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger".
Im März 2004 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen eines Verfahrens nach der Dublin II-VO aus der Bundesrepublik Deutschland zurückübernommen. Mit Schriftsatz vom beantragte er - inzwischen volljährig geworden - neuerlich Asyl. Zu diesem Antrag wurde er am 15. und am im Erstaufnahmezentrum Ost einvernommen.
Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Zweitantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. In der Begründung wurde über die Erledigung des ersten Antrags festgestellt, dieser sei "mit Bescheid des Bundesasylamtes vom " abgewiesen worden (Seite 2 des Bescheides vom ) und - damit nicht ohne Weiteres vereinbar - das "erste Asylverfahren" des Beschwerdeführers sei "am rechtskräftig abgeschlossen" worden (Seite 6).
Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 68 Abs. 1 AVG abgewiesen.
In der Begründung führte die belangte Behörde aus, der erste Asylantrag sei vom Bundesasylamt mit "Bescheid vom " (gemeint wohl: 2004) erledigt worden:
"Dieser wirksam zugestellte Bescheid wurde - mangels Erhebung eines Rechtsmittels - rechtkräftig."
Der Zweitantrag sei daher zurückzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach ihrer Ablehnung und Abtretung durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B 1518/04-12, erwogen hat:
Ein Bescheid vom , wie auf Seite 2 des erstinstanzlichen Bescheides vom sowie (unter Angabe einer falschen Jahreszahl) im angefochtenen Bescheid erwähnt, ist nicht aktenkundig. Gemeint ist in beiden Fällen der mit datierte Bescheid des Bundesasylamtes, von dem das Bundesasylamt und die belangte Behörde offenbar annehmen, er sei dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung beim Bundesasylamt am selben Tag zugestellt und am rechtskräftig geworden.
Auf Grund welcher Überlegungen diese Zustellung - wie von der belangten Behörde ausdrücklich, aber ohne nähere Ausführungen, hervorgehoben - "wirksam" gewesen sein soll, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Schon in der Wiedergabe des Verfahrensganges wird nicht erwähnt, dass die Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch erfolgte, was Ausführungen über das Vorliegen der Voraussetzungen dafür erfordert hätte, und dass damit im vorliegenden Fall - statt an einen Jugendwohlfahrtsträger oder allenfalls einen gemäß § 11 erster Fall AVG (vgl. dazu Thienel, Verwaltungsverfahrensrecht3 (2004) 94) zu bestellenden Vertreter - an den Beschwerdeführer selbst zugestellt werden sollte.
Letzteres konnte angesichts der Minderjährigkeit des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund des § 25 Abs. 2 AsylG (auch in der hier maßgeblichen Fassung vor der AsylG-Novelle 2003) nicht wirksam sein.
Im Verfahren über den Erstantrag lag somit bei Einbringung des Zweitantrages noch keine Entscheidung vor. Die Zurückweisung des Zweitantrages wegen entschiedener Sache entsprach unter diesen Umständen nicht dem Gesetz (vgl. insoweit das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/01/0215).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am
Fundstelle(n):
HAAAE-87634