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VwGH vom 12.06.2012, 2009/05/0119

VwGH vom 12.06.2012, 2009/05/0119

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Waldstätten, Dr. Enzenhofer und Dr. Moritz sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Kalanj, über die Beschwerde von 1. F B, 2. R B, beide in O und vertreten durch Onz, Onz, Kraemmer, Hüttler Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schwarzenbergplatz 16, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom , Zl. RU1- BR-1125/001-2009, betreffend Versagung einer Baubewilligung (mitbeteiligte Partei: Gemeinde G), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Ansuchen vom beantragten die Beschwerdeführer die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Schweinemaststalles und einer Lagerhalle auf ihrem Grundstück Nr. 2402, EZ. 79, KG O. Das zu bebauende Grundstück liegt im Widmungsgebiet "Grünland-Landwirtschaft". Vorgesehen sind zwei Stallgebäude für insgesamt 384 Mastschweine.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - in der von Anrainern Einwendungen unter anderem wegen befürchteter Geruchsbelästigung erhoben worden waren - holte die Baubehörde ein agrartechnisches und ein medizinisches Gutachten ein.

Der agrartechnische Sachverständige führte aus, das Bauvorhaben befinde sich am westlichen Ortsrand im Übergang zur rein landwirtschaftlich genutzten Flur. Das nächstgelegene Bauland sei ein Agrargebiet und erstrecke sich in nördlicher bis östlicher Richtung in Entfernungen von ca. 40 m bis 100 m zu den geplanten Stallungen. Gestützt auf die "Vorläufige Richtlinie zur Beurteilung von Immissionen aus der Nutztierhaltung in Stallungen", herausgegeben vom Bundesministerium für Umwelt im Dezember 1995, kam der Sachverständige zum Ergebnis, dass durch das Bauvorhaben mit einer durch die Geruchzahl G ausgedrückten Geruchsbelastung von aufgerundet G=67 zu rechnen sei. Während im "Bauland-Agrargebiet" eine Geruchszahl von unter 40 bis 50 für Stallungen üblich sei, lägen alle größeren und daher geruchsintensiveren Stallungen im Gebiet "Grünland-Landwirtschaft", und zwar, wie aus den Schwellenwerten des UVP-Gesetzes zu schließen sei, mit Geruchszahlen von 120 bis 200 auch in oder nahe Siedlungsgebieten und mit höheren Geruchszahlen ab 300 m entfernt von Siedlungsgebieten. Mit einer Geruchszahl von 67 sei das Bauvorhaben im Gebiet "Grünland-Landwirtschaft" daher eine übliche, widmungstypische Emissionsquelle mit höchstens durchschnittlichem Ausmaß, die bei ungünstigsten meteorologischen und geländeklimatologischen Verhältnissen (worst case) in seltenen Fällen und geringer Intensität in einem Umkreis von etwa 200 m wahrnehmbar sei. Die meteorologische und geländeklimatologische Situation sei eine für viele weiträumige Gebiete Niederösterreichs typische ohne herausragend negative Eigenschaften. Da die im - ab einer Entfernung von 40 m liegenden - "Bauland-Agrargebiet" zu erwartenden Geruchsimmissionen die Grenzen der Zumutbarkeit von zulässigen Emissionen innerhalb des Agrargebiets (G=40 bis 45) somit nicht überschreiten würden, sei aus rein immissionstechnischer Sicht eine Gesundheits- oder Lebensgefährdung nicht gegeben.

Ausgehend von diesem Gutachten führte der medizinische Sachverständige aus, es sei eine Geruchszahl von G=68 ermittelt worden. Das Projekt werde anhand der im "Leitfaden von Herrn Dr. K" festgeschriebenen Grundlagen zur medizinischen Beurteilung von geruchsbedingten Immissionsauswirkungen auf nächstgelegene Wohnnachbarschaften bewertet. Bisherige Erfahrungen hätten gezeigt, dass Stallungen schon mit einer Geruchszahl 40 bei unmittelbar angrenzenden Nachbarn als stark beeinträchtigend empfunden würden. Es sei daher "Tatsache", dass die "Vorläufige Richtlinie zur Beurteilung von Immissionen aus der Nutztierhaltung in Stallungen" nicht in der Lage sei, den erforderlichen Schutzabstand anzugeben, und es werde somit die Geruchseinwirkung auf die Anrainer deutlich unterschätzt. Vorliegend werde durch eine deutliche Erhöhung der Geruchszahl "über 44 (68)" und die im agrartechnischen Gutachten beschriebene "Windhäufigkeit aus Nord- bzw. Westlicher Richtung von mehr als 52 % der Jahreshäufigkeit eine Überschreitung der 'stark wahrnehmbaren' Gerüche" - für welche die Österreichische Akademie der Wissenschaften Umweltwissenschaftliche Grundlagen und Zielsetzungen im Rahmen des nationalen Umweltplanes 1994, maximal 8 % der Jahresgeruchsstunden angesetzt habe - "in der Nachbarschaft um ein Vielfaches übertroffen". Da aufgrund der Windverteilung an 68 % aller Tage im Jahr stark wahrnehmbare und an den übrigen Tagen wahrnehmbare Gerüche bestehen würden, müsse es "zwangsläufig zu Beeinträchtigungen des Wohlbefindens und zu Belästigungsreaktionen bei gesunden und normal empfindenden Menschen kommen".

Mit Bescheid des Bürgermeisters der mitbeteiligten Gemeinde vom wurde der Antrag der Beschwerdeführer insbesondere aufgrund des medizinischen Gutachtens abgewiesen.

Mit Bescheid vom wies der Gemeindevorstand der Gemeinde G die Berufung der Beschwerdeführer ab und führte aus, aufgrund des medizinischen Sachverständigengutachtens sei "bereits der Immissionsschutz gemäß § 48 Abs. 1 Z 1 NÖ BauO 1996 nicht gewährleistet". Unabhängig davon sei jedoch "jedenfalls jener der Z 2 leg cit nicht gewährleistet, da es durch das beantragte Bauvorhaben zu örtlich nicht zumutbaren Geruchsbelästigungen kommen würde".

Die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführer wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid - gestützt auf die in erster Instanz eingeholten Gutachten - abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, das agrartechnische Gutachten entspreche sowohl in seinem Aufbau (Befund und Gutachten i.e.S.) als auch hinsichtlich seiner Schlüssigkeit den vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Kriterien. Allerdings habe der medizinische Sachverständige "unter Berücksichtigung der Richtlinie für den Schutz von Emissionen aus der Nutztierhaltung von Dr. A K eben ausgeführt, dass unter Berücksichtigung der in dieser Richtlinie angeführten Mindestabstände es zur Beeinträchtigung des Wohlbefindens und zur Belästigungsreaktion bei gesunden- und normal empfindenden Menschen kommen muss, da die Geruchsimmissionen sich auf einen langen Zeitraum erstrecken". Da auch die "Deutschen Normen" (Mindestabstände von ca. 200 m bei einer Geruchszahl von 44) nicht eingehalten würden, sei der Berufungsbescheid vor dem Hintergrund des § 48 Abs. 1 Z 1und 2 der NÖ Bauordnung 1996 nicht zu beanstanden.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, zu der die belangte Behörde die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet hat, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Die vorliegend maßgebenden Rechtsvorschriften lauten (auszugsweise):

1.1. § 48 der NÖ Bauordnung 1996 (BO):

"§ 48

Immissionsschutz

(1) Emissionen, die von Bauwerken oder deren Benützung ausgehen, dürfen


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1.
das Leben oder die Gesundheit von Menschen nicht gefährden;
2.
Menschen durch Lärm, Geruch, Staub, Abgase, Erschütterungen, Blendung oder Spiegelung nicht örtlich unzumutbar belästigen.

(2) Ob Belästigungen örtlich zumutbar sind, ist nach der für das Baugrundstück im Flächenwidmungsplan festgelegten Widmungsart und der sich daraus ergebenden zulässigen Auswirkung des Bauwerks und dessen Benützung auf einen gesunden, normal empfindenden Menschen zu beurteilen."

1.2. § 19 des Niederösterreichischen Raumordnungsgesetzes 1976 (ROG):

"§ 19

Grünland

(1) Alle nicht als Bauland oder Verkehrsflächen gewidmeten Flächen gehören zum Grünland.

(2) Das Grünland ist entsprechend den örtlichen Erfordernissen und naturräumlichen Gegebenheiten in folgende

Widmungsarten zu gliedern:

1a.

Land- und Forstwirtschaft:

Flächen, die der land- und forstwirtschaftlichen Bewirtschaftung dienen. Auf diesen ist die Errichtung und Abänderung von Bauwerken für die Ausübung der Land- und Forstwirtschaft einschließlich deren Nebengewerbe im Sinne der Gewerbeordnung sowie für die Ausübung des Buschenschankes im Sinne des NÖ Buschenschankgesetzes, LGBl. 7045, zulässig. Bei den im Hofverband bestehenden Wohngebäuden sind Zubauten und bauliche Abänderungen für folgende Zwecke zulässig: …

4) Im Grünland ist ein bewilligungs- oder anzeigepflichtiges Bauvorhaben gemäß der NÖ Bauordnung 1996 nur dann und nur in jenem Umfang zulässig, als dies für eine Nutzung gemäß Abs. 2 erforderlich ist und in den Fällen des Abs. 2 Z. 1a und 1b eine nachhaltige Bewirtschaftung erfolgt. Bei der Erforderlichkeitsprüfung ist darauf Bedacht zu nehmen, ob für das beabsichtigte Bauvorhaben geeignete Standorte im gewidmeten Bauland auf Eigengrund zur Verfügung stehen."

2. Die Beschwerde ist begründet.

2.1. Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass das Bauvorhaben der Widmung Grünland-Landwirtschaft entspricht und die Errichtung eines Schweinestalls mit Massentierhaltung in dieser Widmungskategorie grundsätzlich zulässig ist. Strittig ist allein, ob durch das Projekt eine gesundheitsgefährdende oder über das örtlich zumutbare Maß hinausgehende Geruchsbelästigung zu erwarten ist.

Zwar ist mit der Widmung Grünland-Landwirtschaft nach § 19 Abs. 2 lit. 1a ROG kein Immissionsschutz im Zusammenhang mit land- und forstwirtschaftlichen Betrieben wie dem gegenständlichen verbunden. § 48 BO bietet jedoch einen Immissionsschutz im dort normierten Umfang.

2.2. Nach § 48 Abs. 1 Z 1 BO dürfen Emissionen, die von Bauwerken oder deren Benützung ausgehen, das Leben oder die Gesundheit von Menschen nicht gefährden. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2007/05/0090, mwN, ausführte, ist die Frage, ob eine nach den Umständen des Einzelfalls voraussehbare Gefährdung von Leben und Gesundheit vermieden wird, unter Bedachtnahme auf die in der Umwelt bereits gegebenen Gefährdungen zu beurteilen. Dieser Beurteilung ist daher die durch das Hinzutreten der durch das Projekt bewirkten Immissionen zu der - aus anderen Quellen stammenden - Grundbelastung entstehende Gesamtsituation zugrunde zu legen. Bei einer Beurteilung nach § 48 Abs. 1 Z 1 BO ist daher auch eine allfällige Vorbelastung miteinzubeziehen, um die Auswirkungen der veränderten Gesamtsituation beurteilen zu können.

§ 48 Abs. 1 Z 2 BO bezieht sich auf unzumutbare Belästigungen von Nachbarn (u.a. durch Geruch) und stellt dabei auf die örtliche Zumutbarkeit ab, deren Maßstab in § 48 Abs. 2 BO definiert wird. Auch bei der Prüfung der örtlichen Zumutbarkeit ist auf eine allenfalls bereits bestehende Vorbelastung Bedacht zu nehmen, sodass ein auf den konkreten Fall und auf die konkrete Örtlichkeit bezogenes Ergebnis der Prüfung der örtlichen Zumutbarkeit bzw. Unzumutbarkeit erzielt werden kann (vgl. das zitierte Erkenntnis Zl. 2007/05/0090, mwN).

Dabei ist in Betracht zu ziehen, dass in einem Gebiet mit der Widmung Grünland-Landwirtschaft das örtlich zumutbare Maß von Geruchsbelästigungen höher anzusetzen ist als im Bauland-Agrargebiet. Das örtlich zumutbare Maß von Geruchsbelästigungen ist aber auch in einem solchen Gebiet dann überschritten, wenn die - weder gesundheits- noch lebensgefährlichen - Geruchsbelästigungen das Wohlbefinden von Menschen in einem örtlich nicht mehr zumutbaren Maß stören (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/05/0267, mwN).

2.3. Innerhalb von Landwirtschaftszonen, in denen landwirtschaftliche Nutztierhaltung grundsätzlich zulässig ist, ist nach der Vorläufigen Richtlinie zur Beurteilung von Immissionen aus der Nutztierhaltung in Stallungen vom Dezember 1995 die Beurteilung des Ausmaßes der Geruchsimmissionen auf Grund einer vergleichenden Standortbewertung vorzunehmen. Anhand der widmungsbedingten typischen und üblichen Auswirkungen der Nutztierhaltung in Landwirtschaftszonen werden nach dieser Richtlinie mit Hilfe dieses qualitativen Kriteriums die zu erwartenden Immissionen beurteilt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/06/0159, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Der agrartechnische Sachverständige kam in seinem Gutachten unter Zugrundelegung der genannten "Vorläufigen Richtlinie" zum Ergebnis, die im umliegenden "Bauland-Agrargebiet" zu erwartenden Geruchsimmissionen würden die Grenzen der Zumutbarkeit von zulässigen Emissionen innerhalb des Agrargebiets (G=40 bis 45) nicht überschreiten.

Dem widersprach der medizinische Sachverständige insofern, als er die Aussagekraft dieser - nach der ständigen hg. Judikatur anwendbaren - Richtlinie in Frage stellte und sich stattdessen auf den "Leitfaden von Herrn Dr. K" stützte. Zwar bestehen gegen die Heranziehung von Richtlinien bei der Beurteilung von Geruchsimmissionen allgemein keine Bedenken, wenn sie dem Stand der Technik entsprechen und denselben Fragenkomplex behandeln, der nach der anzuwendenden Rechtslage relevant ist (vgl. das zitierte Erkenntnis Zl. 2007/05/0090). Dass dies hinsichtlich der im Verwaltungsakt nicht aufliegenden und im angefochtenen Bescheid als "Richtlinie für den Schutz von Emissionen aus der Nutztierhaltung von Dr. A K" bezeichneten Unterlage der Fall ist, wurde jedoch weder in dem Gutachten noch von den Behörden des Verwaltungsverfahrens nachvollziehbar dargelegt. Gleiches gilt im Übrigen für die von der belangten Behörde erwähnten "Deutschen Normen", welche nicht eingehalten worden seien.

2.4. Weiters führte der medizinische Sachverständige aus, aufgrund der Windverteilung würden an 68 % aller Tage im Jahr stark wahrnehmbare und an den übrigen Tagen wahrnehmbare Gerüche bestehen, und bezog sich dabei auf die Berechnungen im agrartechnischen Gutachten. Letzterem sind derartige Zahlen allerdings nicht zu entnehmen. Vielmehr führte der agrartechnische Sachverständige nach Wiedergabe der prozentuellen Windhäufigkeiten lediglich aus, die Geruchsemissionen des Projekts seien bei ungünstigsten meteorologischen und geländeklimatologischen Verhältnissen (worst case) in seltenen Fällen und geringer Intensität in einem Umkreis von etwa 200 m wahrnehmbar.

2.5. Allenfalls werden die Behörden des Verwaltungsverfahrens sich im fortgesetzten Verfahren mit den örtlichen Verhältnissen zu befassen und insbesondere Feststellungen dazu zu treffen haben, ob im fraglichen Gebiet bereits Vorbelastungen bestehen, die zusammen mit den durch das Projekt zu erwartenden Emissionen Auswirkungen auf Gesundheit oder Zumutbarkeit der Geruchsbelastung haben könnten.

3. Da die belangte Behörde somit zu Unrecht von einer ausreichenden Beurteilungsgrundlage ausging, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff. VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am