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VwGH vom 11.07.2022, Ra 2020/18/0447

VwGH vom 11.07.2022, Ra 2020/18/0447

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M S, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W105 2195056-2/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, beantragte am internationalen Schutz und brachte vor, er habe in Afghanistan als Polizist gearbeitet, weshalb er von den Taliban bedroht worden sei. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, von den Taliban getötet zu werden.

2Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, trug ihm die Unterkunftnahme in einem bestimmten Quartier auf, stellte fest, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe, sprach aus, dass der Revisionswerber sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem verloren habe, und erließ gegen ihn ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot. Der Revisionswerber erhob dagegen Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

3Das Landesgericht Linz erkannte den Revisionswerber mit Urteil vom  mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1, Abs 2 und Abs. 2a SMG für schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten. Davon wurden sechs Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

4Das Landesgericht Wels erkannte den Revisionswerber mit Urteil vom des Vergehens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 SMG sowie der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 SMG für schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten und zu einer Geldstrafe von € 720,--. Die Freiheitsstrafe wurde unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Vom Widerruf der bereits früher gewährten bedingten Strafnachsicht wurde abgesehen, jedoch die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

5Mit Erkenntnis vom wies das BVwG die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom  mit für das vorliegende Verfahren nicht relevanten Maßgaben als unbegründet ab.

6Am stellte der Revisionswerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Er brachte - abgesehen davon, dass die Fluchtgründe „von damals“ aufrecht blieben - insbesondere vor, er habe seinen islamischen Glauben abgelegt. Seine Familie habe davon erfahren, weshalb er mit dieser Schwierigkeiten bekommen werde. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, deswegen getötet zu werden. Während der Einvernahmen vor dem BFA am und am gab der Revisionswerber an, er sei jetzt gläubiger Christ und besuche jeden Sonntag die Messe; er habe sich bereits für einen Taufvorbereitungskurs angemeldet.

7Das BFA hob mit mündlich verkündetem Beschluss vom den faktischen Abschiebeschutz des Revisionswerbers gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf.

8Mit dem angefochtenen Beschluss erklärte das BVwG die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 in Verbindung mit § 22 Abs. 10 AsylG 2005 sowie § 22 BFA-VG für rechtmäßig und die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

9Begründend führte das BVwG aus, der Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vom sei voraussichtlich zurückzuweisen, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten sei. Einerseits beziehe sich der Revisionswerber in seinem neuen Antrag ausdrücklich auf dieselben Gründe, die bereits im ersten Rechtsgang rechtskräftig abgehandelt worden seien. Andererseits stütze er sich nunmehr zentral darauf, dass er sich vom islamischen Glauben abgewandt habe und zum Christentum konvertieren wolle. Die nunmehr neu ins Treffen geführten Antragsgründe hätten ihren Ursprung bereits vor rechtskräftigem Abschluss des ersten Rechtsganges. Die bisherigen Befragungsergebnisse zu einer geplanten Konversion seien „eher dünn“, daher wenig nachvollziehbar und als wenig glaubwürdig zu betrachten, weshalb „auch daraus nicht glaubhaft ein neu entstandenes Sachverhaltselement erkannt werden kann“. Der Revisionswerber habe zwar in der Erstbefragung im Zuge der Folgeantragstellung auch eine Gefährdung seiner Person aufgrund der Konversion ins Treffen geführt, davon jedoch in keiner der beiden folgenden Einvernahmen vor dem BFA auch nur ein Wort erwähnt. Das Vorbringen betreffend „eine etwaige erfolgte Konversion“ sei daher „letztlich keiner Beurteilung zu unterziehen“. Auch im Hinblick auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat sei keine maßgebliche Änderung der Lage im Vergleich zum Erkenntnis des BVwG im ersten Rechtsgang eingetreten.

10Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache vorbringt, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den Voraussetzungen der Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes abgewichen und habe sich nicht ausreichend mit dem Vorbringen betreffend seine Konversion auseinandergesetzt.

11Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

12Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

13Die Revision ist zulässig und begründet.

14Gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 kann das BFA den faktischen Abschiebeschutz des Fremden, der einen Folgeantrag gestellt hat, aufheben, wenn gegen ihn (u.a.) eine Rückkehrentscheidung besteht (Z 1), der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist (Z 2), und die Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3, oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (Z 3).

15Zur Tatbestandsvoraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 („wenn der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist“) hat der Verwaltungsgerichtshof erkannt, es müsse das vom Gesetz angestrebte Ziel beachtet werden, den faktischen Abschiebeschutz nur für klar missbräuchliche Anträge beseitigen zu wollen. Nicht jeder Folgeantrag, bei dem eine (spätere) Zurückweisung wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG in Betracht kommen könnte, berechtige daher zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes nach § 12a Abs. 2 AsylG 2005. Es müsse sich vielmehr um einen Fall handeln, in dem sich dieser Verfahrensausgang von vornherein deutlich abzeichne. Nur dann könne auch angenommen werden, dass die Antragstellung in Wirklichkeit den Zweck verfolge, die Durchsetzung einer vorangegangenen und mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundenen (rechtskräftigen) Vorentscheidung zu verhindern. Auf einen solchen missbräuchlichen Zweck deute - unter Bedachtnahme auf näher bezeichnete unionsrechtliche Vorgaben - etwa die mehrfache Folgeantragstellung hin, wenn dieser keine substanziell neuen und eine andere Beurteilung rechtfertigenden Sachverhaltselemente zugrunde liegen. Möglich seien aber auch andere Umstände, die den Schluss zuließen, dass der Fremde mit seinem Folgeantrag eine (bevorstehende) Abschiebung verhindern oder verzögern möchte (vgl. dazu grundlegend bis 452, und zuletzt etwa ).

16Das BVwG erwog zum - erstmals im Folgeantrag erstatteten - Vorbringen des Revisionswerbers, er sei mittlerweile vom Islam abgefallen und betreibe eine Konversion zum Christentum, weshalb er befürchte, bei einer Rückkehr nach Afghanistan getötet zu werden, lediglich, die bisherigen Befragungsergebnisse dazu seien „eher dünn“, wenig nachvollziehbar und als wenig glaubwürdig zu betrachten, weshalb „auch daraus nicht glaubhaft ein neu entstandenes Sachverhaltselement erkannt werden“ könne. Mit der Frage, ob die Folgeantragstellung klar missbräuchlich erfolgt ist, hat es sich jedoch nicht auseinandergesetzt.

17Da das BVwG somit die oben referierten Leitlinien aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht beachtet hat, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

18Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020180447.L00

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