VwGH vom 22.05.2013, 2013/18/0058
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des M in W, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 18/1/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. SD 62/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.128,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheirateten serbischen Staatangehörigen, gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 48 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom gab die belangte Behörde der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers keine Folge und sie bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass das Aufenthaltsverbot auf § 86 iVm § 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestützt und auf zehn Jahre befristet werde.
Die belangte Behörde stellte in ihrer Begründung dazu vor allem auf eine im angefochtenen Bescheid näher beschriebene strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers vom (Tatzeitraum ab Juni 2003) u.a. nach dem Suchtmittelgesetz ab.
Nach Wiedergabe des - wegen der am in Wien geschlossenen und nach wie vor aufrechten Ehe des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin gemäß § 87 FPG hier anzuwendenden - § 86 Abs. 1 FPG führte die belangte Behörde rechtlich aus, dass aufgrund der Verurteilung des Beschwerdeführers der als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehende Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG erfüllt sei. Angesichts seines Fehlverhaltens lägen "(auch) die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 FPG" vor.
Die belangte Behörde ging des Weiteren von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff (bloß) in das Privatleben des Beschwerdeführers aus, den sie jedoch mit näherer Begründung als im Grunde des § 66 FPG für zulässig erachtete.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die zu diesem Zeitpunkt (April 2010) geltende Fassung, nämlich BGBl. I Nr. 135/2009.
Der Beschwerdeführer wendet sich der Sache nach u.a. gegen die Gefährdungsprognose. Er verweist weiters auf seinen langen Aufenthalt im Bundesgebiet (seit 1989) und auf seine Ehe mit einer Österreicherin, mit der er zusammen mit den beiden - 1990 und 1997 geborenen - gemeinsamen Kindern in einem Haushalt lebe.
Gegen den Beschwerdeführer als Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 86 Abs. 1 FPG (iVm § 87 FPG) nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Hatte der Fremde vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts seinen Aufenthalt ununterbrochen seit über zehn Jahren im Bundesgebiet, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots (nur mehr) zulässig, wenn im Sinn des fünften Satzes dieser Bestimmung - auf Grund seines persönlichen Verhaltens - davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.
Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist es gemäß § 60 Abs. 6 FPG iVm § 66 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/23/0032).
Der gegenständliche Fall gleicht darin, dass die belangte Behörde hier die Erlassung eines Aufenthaltsverbots allenfalls am Maßstab des § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG - und nicht nur an dem auf einen wesentlich niedrigeren Gefährdungsmaßstab abstellenden § 60 Abs. 1 FPG - zu prüfen gehabt hätte, jenem, der dem Erkenntnis vom , Zl. 2012/23/0033, zu Grunde lag. Andererseits gleicht der vorliegende Fall in Anbetracht des weiters relevanten Umstands, dass es im Berufungsverfahren zu einem - vom Beschwerdeführer nicht zu vertretenden - mehrjährigen Verfahrensstillstand von fünf Jahren und vier Monaten gekommen ist, insoweit jenem Fall, der dem Erkenntnis vom , Zl. 2012/18/0173, zu Grunde lag (vgl. zur Frage des Vorliegens einer aktuellen Gefährdung trotz eines mehrjährigen Berufungsverfahrens auch die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2011/23/0416, sowie vom , Zl. 2012/23/0032, je mwN). Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird daher auf die Entscheidungsgründe dieser Erkenntnisse verwiesen.
Im Übrigen hätte die belangte Behörde nicht nur von einem Eingriff in das Privatleben, sondern auch von einem solchen in das Familienleben ausgehen müssen.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
LAAAE-87530