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VwGH vom 27.03.2012, 2011/10/0007

VwGH vom 27.03.2012, 2011/10/0007

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde der E K in G, geboren 1966, vertreten durch Kocher Bucher Rechtsanwälte GmbH in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom , Zl. FA11A-B26-2626/2010-9, betreffend Behindertenhilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Graz vom wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom auf Hilfeleistung nach dem Steiermärkischen Behindertengesetz, LGBl. Nr. 26/2004 in der Fassung LGBl. Nr. 4/2010 (Stmk BHG), in Form von Leistungen gemäß § 8 Stmk BHG ("Berufliche Eingliederung - Diagnostik" und "Berufliche Eingliederung - arbeitsrelevante Kompetenzförderung") abgewiesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom wurde der dagegen gerichteten Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Als maßgebliche Rechtsvorschriften gab die belangte Behörde § 66 Abs. 4 AVG, § 2 Stmk BHG, LGBl. Nr. 26/2004 idF LGBl. Nr. 81/2010, sowie § 3 Abs. 1 lit. d iVm § 8 Stmk BHG an.

Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, sie habe zur Prüfung, ob bei der Beschwerdeführerin eine Behinderung im Sinne des Stmk BHG vorliege, ein berufskundliches und ein neuropsychiatrisches Gutachten eingeholt. Aus diesen Gutachten - die belangte Behörde zitiert im angefochtenen Bescheid das berufskundliche Gutachten, das seinerseits auf das psychiatrische Gutachten verweist - gehe (im Wesentlichen) hervor, dass aus neuropsychiatrischer Sicht eine Eingliederung in irgendeinen Arbeitsprozess in nächster Zeit nicht möglich sein werde. Insgesamt bestehe eine psychiatrische Erkrankung. Eine Behinderung im Sinne des Stmk BHG liege nicht vor, weshalb eine Förderung im Sinne der Behindertenhilfe nicht indiziert sei. Eine ausführliche berufs- und arbeitskundliche Beurteilung der Verwendbarkeit der Beschwerdeführerin am Arbeitsmarkt habe unterbleiben können, da sie derzeit eine befristete Berufsunfähigkeitspension beziehe und sohin (bis auf weiteres) arbeitsunfähig sei. Da aus neuropsychiatrischer Sicht eine Behinderung im Sinne des Stmk BHG nicht vorliege, sei die Berufung sohin abzuweisen gewesen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 2 des Steiermärkischen Behindertengesetzes, LGBl. Nr. 26/2004 idF LGBl. Nr. 81/2010 (Stmk BHG), lautet auszugsweise:

" Voraussetzungen der Hilfeleistungen

(1) Menschen mit Behinderung haben nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes einen Rechtsanspruch auf Hilfeleistungen.

(2) Als Menschen mit Behinderung im Sinne des Gesetzes gelten Personen, die infolge einer angeborenen oder erworbenen Beeinträchtigung (Abs. 4) in der Möglichkeit,

a) eine angemessene Erziehung, Schulbildung oder Berufsausbildung zu erhalten oder

b) eine ihnen auf Grund ihrer Schul- und Berufsausbildung zumutbare Beschäftigung zu erlangen oder beizubehalten oder

c) eine angemessene Eingliederung in die Gesellschaft zu erreichen,

dauernd wesentlich benachteiligt sind oder bei Nichteinsetzen von Maßnahmen nach diesem Gesetz dauernd wesentlich benachteiligt bleiben würden. Eine dauernde Benachteiligung kann vorliegen, wenn sie voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird. Dauert sie länger als drei Jahre, ist jedenfalls von einer dauernden Benachteiligung auszugehen.

(3) Menschen mit Behinderung gleichgestellt sind Personen, bei denen eine solche Beeinträchtigung nach den Erkenntnissen der Wissenschaft in absehbarer Zeit eintreten wird, insbesondere Kleinkinder.

(4) Als Beeinträchtigung gelten insbesondere

1. alle physischen, psychischen und intellektuellen Beeinträchtigungen, soweit sie


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a)
nicht vorwiegend altersbedingt sind oder
b)
im Ausmaß und Schweregrad eine erhebliche Abweichung vom Gesundheitszustand der gleichaltrigen Bevölkerung darstellen, sowie
2.
somatische Erkrankungen oder deren Folgewirkungen, wenn keine Leistungen von den Sozialversicherungsträgern vorgesehen sind.

(4a) Die Landesregierung kann durch Verordnung festlegen, welche Erkrankungen oder Folgewirkungen dieser Erkrankungen nicht als Beeinträchtigung gelten.

(5) …"

§ 1 der Verordnung der Steiermärkischen Landesregierung vom über die Festlegung von Erkrankungen, die nicht als Beeinträchtigungen nach dem Stmk BHG gelten, sowie über Kostenzuschüsse zu Heilbehandlungen und Hilfsmitteln (Kostenzuschussverordnung - StBHG), LGBl. Nr. 36/2009, lautet (in der hier maßgeblichen Stammfassung) :

" Erkrankungen, die nicht als Beeinträchtigungen gelten Erkrankungen, die nicht als Beeinträchtigungen im Sinne des § 2 Abs. 4a Stmk. BHG gelten, sind:

1. Erkrankungen, deren Heilungsverlauf üblicherweise sechs Monate nicht übersteigt (akute Erkrankungen),

2. chronische Erkrankungen, solange der Krankheitsverlauf noch beeinflussbar ist und soweit es sich nicht um eine Beeinträchtigung gemäß § 2 Abs. 4 Z. 2 Stmk. BHG handelt,

3. Beeinträchtigungen, die im Ausmaß und Schweregrad nur eine unerhebliche Abweichung vom Gesundheitszustand der gleichaltrigen Bevölkerung darstellen, insbesondere vorwiegend altersbedingte Beeinträchtigungen wie degenerative Veränderungen des Bewegungs- und Stützapparates, Presbyopie und Schwerhörigkeit."

Die Beschwerde rügt im Wesentlichen das Fehlen einer der Nachprüfung zugänglichen Bescheidbegründung. Ausgehend vom wiedergegebenen Gutachten sei nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde im Rahmen ihrer rechtlichen Beurteilung zu dem Schluss gelange, dass aus neuropsychiatrischer Sicht eine Behinderung im Sinne des Stmk BHG nicht vorliege. Wenn auch zur Beantwortung der Frage, ob bei der Beschwerdeführerin eine Behinderung im Sinne des § 2 Stmk BHG vorliege, die Beiziehung eines medizinischen Sachverständigen geboten gewesen sei, so handle es sich dabei dennoch um die Lösung einer Rechtsfrage, die nicht der medizinische Sachverständige, sondern die belangte Behörde zu entscheiden habe. Die belangte Behörde habe ihre Entscheidung jedoch allein auf die vom psychiatrischen Sachverständigen vorgenommene rechtliche Beurteilung gestützt. Diese Beurteilung wäre jedoch auch nicht ausreichend, wenn die belangte Behörde sie getroffen hätte, habe diese doch nicht geprüft, ob die Beschwerdeführerin durch die diagnostizierte psychiatrische Erkrankung dauernd wesentlich in ihren Möglichkeiten benachteiligt sei, eine auf Grund ihrer Schul- und Berufsausbildung zumutbare Beschäftigung zu erlangen bzw. eine angemessene Eingliederung in die Gesellschaft zu erreichen.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Die belangte Behörde verweist zur Begründung ihrer Annahme, wonach bei der Beschwerdeführerin eine Behinderung im Sinne des Stmk BHG nicht vorliege, erkennbar (nur) auf das Gutachten des Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie. In diesem findet sich dazu im Wesentlichen die Diagnose ("chronifizierte, depressive Persönlichkeitsstörung, chronifizierte funktionelle und psychosomatische Reaktionsweisen bei psychosozialer Belastungssituation") sowie folgende Schlussfolgerung des Sachverständigen:

"Insgesamt besteht dzt. eine psychiatrische Erkrankung. Eine Behinderung im Sinne des Gesetzes liegt nicht vor, dementsprechend erscheint auch vorerst eine Förderung im Sinne einer Behindertenhilfe im Rahmen des Behindertengesetzes nicht indiziert."

Davon ausgehend führt die belangte Behörde in ihrer rechtlichen Beurteilung (nur) aus:

"Nachdem aus neuropsychiatrischer Sicht eine Behinderung iSd Stmk. BHG nicht vorliegt, war sohin spruchgemäß zu entscheiden."

Aus welchen Gründen der Sachverständige zu seiner Einschätzung gelangte, die diagnostizierte psychiatrische Erkrankung der Beschwerdeführerin stelle keine Behinderung im Sinne des Stmk BHG dar, wird im Gutachten nicht dargelegt. Ebenso wenig nimmt die belangte Behörde eine Subsumtion der Sachverhaltsannahmen des Sachverständigen unter die Bestimmungen gemäß § 2 Stmk BHG und § 1 Kostenzuschussverordnung - StBHG vor.

Davon ausgehend ist der angefochtene Bescheid aber einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich (vgl. das zum Tiroler Rehabilitationsgesetz ergangene hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/10/0006, mwN).

Soweit die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides auch darauf hinweist, dass aus neuropsychiatrischer Sicht eine Eingliederung der Beschwerdeführerin "in irgendeinen Arbeitsprozess in nächster Zeit" nicht möglich sein werde, scheint sie damit auf die Voraussetzungen der beantragten Leistung gemäß § 8 Stmk BHG Bezug zu nehmen. Insofern hatte der Sachverständige für Neurologie und Psychiatrie ausgeführt, "eine Eingliederung in irgendeinen Arbeitsprozess (werde) in nächster Zeit nicht mehr möglich sein". Der berufskundliche Sachverständige hatte dazu ergänzt, eine ausführliche Beurteilung der Verwendbarkeit der Beschwerdeführerin am Arbeitsmarkt sei aufgrund des Bezuges einer befristeten Berufsunfähigkeitspension und der damit gegebenen Arbeitsunfähigkeit "(bis auf weiteres) nicht möglich bzw. indiziert".

Durch Maßnahmen der beruflichen Eingliederung gemäß § 8 Stmk BHG sollen Menschen, die in der Möglichkeit, eine ihnen auf Grund ihrer Schul- und Berufsausbildung zumutbare Beschäftigung zu erlangen oder beizubehalten (§ 2 Abs. 2 lit. b leg. cit), eingeschränkt sind, in das Berufsleben (wieder) eingegliedert werden. In diesem Rahmen kann auch die Absolvierung eines arbeitsdiagnostischen Programmes zielführend sein, um abzuklären, ob und welche weiteren Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung sinnvoll erscheinen. Die Kostenübernahme für eine solche arbeitsdiagnostische Abklärung kommt jedoch nicht in Betracht, wenn schon von vornherein feststeht, dass die Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht möglich ist, ohne dass es dazu einer solchen Abklärung bedarf. Stellt sich die mangelnde Eingliederbarkeit jedoch erst durch diese Abklärung heraus, so kann die Kostenübernahme hiefür nicht mit dem Hinweis auf die nicht gegebene Eingliederbarkeit auf dem Arbeitsmarkt abgelehnt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2011/10/0080).

Nachvollziehbare Ausführungen, wonach die mangelnde Eingliederbarkeit auf dem Arbeitsmarkt schon von vornherein festgestanden sei, ohne dass es dazu einer arbeitsdiagnostischen Abklärung im Sinne der beantragten Maßnahme bedurft hätte, sind dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Die Beschwerdeführerin absolvierte nach dem vorgelegten Verwaltungsakt die arbeitsdiagnostische Maßnahme, für welche die Kostenübernahme beantragt wurde, vom bis , eine befristete Berufsunfähigkeitspension wurde ihr erst während des Berufungsverfahrens zuerkannt. Schon von daher kann auch der Hinweis auf die Gewährung der Berufsunfähigkeitspension solche Ausführungen nicht ersetzen.

Soweit die belangte Behörde auf diesen Punkt in ihrer Gegenschrift näher eingeht, ist dies schon deshalb nicht zielführend, weil Ausführungen in der Gegenschrift dem angefochtenen Bescheid anhaftende Begründungsmängel nicht zu sanieren vermögen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/10/0098, mwN).

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
EAAAE-87528