VwGH vom 25.04.2013, 2013/18/0055
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Eder, Mag. Feiel und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/80.829/2010, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Gambia, reiste zuletzt im März 2002 mit einem Visum in das Bundesgebiet ein, wo er am eine französische Staatsangehörige heiratete. Im Hinblick auf diese Ehe wurde dem Beschwerdeführer zunächst eine Niederlassungsbewilligung "Familiengemeinschaft mit EWR-Bürger" ausgestellt und über Antrag verlängert; seit dem Jahr 2006 verfügt er über eine Daueraufenthaltskarte. Seit ist die Ehe rechtskräftig geschieden.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der dagegen erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom nur insofern Folge, als sie ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erließ.
Zu ihrer Zuständigkeit führte die belangte Behörde aus, dass dem Beschwerdeführer von der Aufenthalts- bzw. Titelbehörde wegen eines "vormalig angenommenen Freizügigkeitssachverhalts" im Jahr 2006 eine Daueraufenthaltskarte ausgestellt worden sei. Ein solcher Sachverhalt liege - obwohl der Beschwerdeführer noch über eine Daueraufenthaltskarte verfüge - aktuell jedoch nicht mehr vor, sodass die Zuständigkeit für eine inhaltliche Entscheidung bei der Sicherheitsdirektion liege.
Das Aufenthaltsverbot begründete die belangte Behörde im Wesentlichen mit einer Verurteilung des Beschwerdeführers wegen zweier Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten. Davon ausgehend sah sie den - im Wege des § 61 Z 2 FPG "zum Vorteil des Beschwerdeführers" heranzuziehenden - § 56 Abs. 1 FPG als erfüllt an. Der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet stelle daher eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar und laufe überdies anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider.
Nach Abwägung der öffentlichen Interessen gegen die privaten Interessen des Beschwerdeführers, der weiterhin mit seiner vormaligen Ehefrau in einer Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Haushalt zusammenlebe, kam die belangte Behörde zum Ergebnis, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbots auch im Sinn des § 66 FPG zulässig und dringend geboten sei. Dessen Dauer begründete sie abschließend näher damit, dass vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraums ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes nicht erwartet werden könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die zu diesem Zeitpunkt (Juli 2010) geltende Fassung, nämlich BGBl. I Nr. 135/2009.
Auf Grund der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG entscheiden über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz, sofern nicht anderes bestimmt ist,
1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und
2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen in letzter Instanz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0097, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 26/06 u.a., dargelegt, dass der in der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG enthaltene Vorbehalt "sofern nichts anderes bestimmt ist" dazu dient, unmittelbar anwendbarem Unionsrecht und anderen im Verfassungsrang stehenden Bestimmungen Vorrang einzuräumen.
Dem Beschwerdeführer wurde als Drittstaatsangehörigem, der Ehegatte einer gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgerin war, gemäß § 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) im Jahr 2006 eine Daueraufenthaltskarte ausgestellt.
Die §§ 51 ff NAG dienen der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0330; siehe auch § 54 Abs. 5 NAG idF BGBl. I Nr. 135/2009).
Art. 13 dieser Richtlinie regelt in Abs. 2, dass die Scheidung oder Aufhebung der Ehe dann nicht zum Verlust des Aufenthaltsrechts führt, wenn die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat.
Art. 15 der Freizügigkeitsrichtlinie ordnet an, dass die Verfahren der Art. 30 und 31 sinngemäß auf jede Entscheidung Anwendung finden, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt und nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen wird.
Gemäß Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie müssen die Betroffenen gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können. Abs. 3 des Art. 31 der Richtlinie legt fest, dass in diesem Rechtsbehelfsverfahren, also auch vor dem Gericht, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen sind.
Wird nun - wie im vorliegenden Fall im Hinblick auf das mehr als dreijährige Bestehen der Ehe des Beschwerdeführers mit einer französischen Staatsangehörigen - in eine unionsrechtliche Berechtigung eines Fremden (hier: Art. 13 der angeführten Richtlinie) eingegriffen, so entspricht allein der Instanzenzug zum örtlich zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat unionsrechtlichen Vorgaben (vgl. zum Ganzen das bereits erwähnte Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0330).
Demnach war die belangte Behörde gemäß § 9 Abs. 1 FPG zur Entscheidung über die gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom erhobene Berufung nicht zuständig.
Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich - im Rahmen des konkreten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
HAAAE-87514