VwGH vom 28.02.2008, 2006/18/0467
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schmidl, über die Beschwerde des A Z in I, geboren am , vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom , Zl. 2/4033/114/02, betreffend Erlassung eines unbefristeten Rückkehrverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für Tirol (der belangten Behörde) vom wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien und Herzegowina, gemäß § 62 Abs. 1 bis Abs. 4,§ 60 Abs. 2 Z. 1,§ 63 und § 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Rückkehrverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer befinde sich seit 1990 im Bundesgebiet. Bereits mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom sei gegen ihn ein bis befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Dies deshalb, weil der Beschwerdeführer zwischen 1998 und 2002 fünfmal wegen strafbarer Handlungen gegen die körperliche Integrität und gegen fremdes Vermögen rechtskräftig verurteilt worden sei.
Mit Urteil vom , rechtskräftig seit , sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Einbruchsdiebstahl nach den §§ 127, 129 Z. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten und einer unbedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt worden, weil er am ein Mountainbike im Wert von EUR 2.000,-- nach Aufbrechen des Vorhangschlosses eines Kellerabteils gestohlen habe.
Mit Urteil vom , rechtskräftig seit , sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 Suchtmittelgesetz (SMG), des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG, des Verbrechens des gewerbsmäßigen Betruges nach den §§ 146 und 148 erster Fall StGB sowie des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel gemäß § 241e Abs. 3 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von 20 Monaten verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer in der ersten Hälfte des Jahres 2005 Suchtgift in einer großen Menge, nämlich mindestens 45 Gramm Heroin, vorwiegend durch gewerbsmäßigen Verkauf, in ganz geringem Umfang auch durch unentgeltliche Weitergabe an verschiedene Drogenkonsumenten in Verkehr gesetzt habe. Von Mai 2003 bis September 2005 habe er nicht mehr genau feststellbaren Mengen an Heroin und Cannabisprodukten erworben und besessen sowie zum Teil gemeinsam mit anderen Personen konsumiert. Im Zeitraum von bis habe er Verfügungsberechtigte von Shell-Tankstellen durch die Vortäuschung, über eine Tankkarte verfügungsberechtigt zu sein, zu Betankungen in 27 Fällen verleitet, wodurch ein Schaden in der Höhe von EUR 940,61 entstanden sei. Am habe er einen Anderen durch die Vortäuschung, er werde aus seinem Fahrzeug Geld holen und damit bezahlen, zur Herausgabe von Telefonwertkarten im Gesamtwert von EUR 220,-- verleitet. Im Zeitraum von bis habe er ein unbares Zahlungsmittel, nämlich eine Tankkarte "Euroshell-Card" mit dem Vorsatz, die Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, unterdrückt.
Am habe der Beschwerdeführer einen Asylantrag gestellt. Der Beschwerde gegen die Abweisung dieses Antrages in zweiter Instanz sei vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom aufschiebende Wirkung zuerkannt worden. Der Beschwerdeführer sei daher (wieder) Asylwerber im Sinn des Asylgesetzes 2005.
Schon auf Grund der Verurteilung vom sei der Tatbestand des § 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 dritter Fall FPG erfüllt. Das den Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten, insbesondere der gewerbsmäßige Handel mit einer großen Menge Heroin, zeige eindrucksvoll die negative Einstellung des Beschwerdeführers zur Rechtsordnung. Daraus ergebe sich, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde.
Die Erlassung des Rückkehrverbots erfolge auf unbefristete Dauer, weil auf Grund des beharrlichen strafbaren Verhaltens seit 1998, das sogar angesichts eines bestehenden Aufenthaltsverbots fortgesetzt worden sei, nicht vorhergesehen werden könne, wann der Grund für die Erlassung des Rückkehrverbots, nämlich die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Ordnung und Sicherheit weggefallen sein werde. Die unbefristete Dauer des Rückkehrverbots entspreche dem Gesamt-Fehlverhalten des Beschwerdeführers, aus dem eindrucksvoll die Gefährlichkeit seiner Person für die öffentliche Ordnung und Sicherheit hervorgehe, sowie den privaten und familiären Verhältnissen des Beschwerdeführers.
Ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben durch das Rückkehrverbot liege vor, mache diese Maßnahme aber nicht unzulässig. Auf Grund der sich im Gesamt-Fehlverhalten manifestierenden Neigung des Beschwerdeführers, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, sei die Erlassung des Rückkehrverbots zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte anderer) dringend geboten und daher im Grund des § 66 Abs. 1 FPG zulässig.
Die privaten und familiären Interessen am Verbleib im Bundesgebiet wögen schwer, jedoch höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Rückkehrverbots, weshalb die Erlassung dieser Maßnahme auch im Grund des § 66 Abs. 2 FPG zulässig sei. Der Beschwerdeführer befinde sich seit 1990 im Bundesgebiet. Er verfüge derzeit über ein für die Dauer des Asylverfahrens befristetes asylrechtliches Aufenthaltsrecht. Der Beschwerdeführer und dessen gesamte Familie hätten Bosnien wegen der beginnenden Streitigkeiten, die in der Folge zum Bosnienkrieg ausgeartet seien, verlassen. Die Familie habe sich in Österreich eine neue Existenz aufgebaut. Der Beschwerdeführer habe hier vier Jahre Volksschule und drei Jahre Hauptschule sowie ein Jahr lang einen Lehrgang zum Hauptschulabschluss absolviert. Er arbeite im Bundesgebiet als Hilfsarbeiter und lebe mit seinen Eltern im gemeinsamen Haushalt. Seit besuche er eine Drogenentziehungstherapie; seit stehe er im Methadon-Substitutionsprogramm. Er sei im Bundesgebiet dementsprechend (gut) integriert, wobei jedoch die soziale Komponente der Integration durch die Drogensucht und die einschlägigen Straftaten erheblich beeinträchtigt werde.
Diesen privaten und familiären Interessen stehe das große öffentliche Interesse am Schutz der Rechte anderer gegenüber.
Zum Hinweis in der Berufung auf die Drogenentziehungstherapie und die Beschäftigung sowie zum Vorbringen, der Beschwerdeführer hätte seine Probleme in den letzten Monaten überwunden, sei zu bemerken, dass die Zeit des Wohlverhaltens angesichts des Vorlebens viel zu kurz sei. Zum Berufungsvorbringen, der Beschwerdeführer hätte keine Verbindungen mehr zu Bosnien, werde darauf verwiesen, dass mit einem Rückkehrverbot nicht angeordnet werde, wohin der Fremde auszureisen habe oder dass er abgeschoben werde. Letzteres werde auch dem Vorbringen, eine Drogenentziehungstherapie mit Methadon sei in Bosnien nicht möglich, entgegen gehalten.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Auf Grund der unstrittig feststehenden Verurteilungen des Beschwerdeführers ist die Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG sei erfüllt, unbedenklich.
2. Der Beschwerdeführer ist nach der bei den Verwaltungsakten erliegenden Strafregisterauskunft in den Jahren 1998 bis 2002 wie folgt rechtskräftig verurteilt worden:
Am wegen Diebstahls, unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen und Urkundenfälschung; am wegen versuchten Diebstahls und Unterschlagung; am wegen Diebstahls und vorsätzlicher Körperverletzung; am wegen Sachbeschädigung und vorsätzlicher Körperverletzung; am wegen vorsätzlicher leichter Körperverletzung, vorsätzlicher schwerer Körperverletzung und gefährlicher Drohung.
Ein deswegen am in erster Instanz erlassenes und - nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten -
mit Bescheid der belangten Behörde vom bestätigtes Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren hat ihn nicht von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abgehalten. Er hat bereits ab Mai 2003 Suchtgiftdelikte begangen. In der ersten Hälfte des Jahres 2005 hat er eine gemäß § 28 Abs. 6 SMG u.a. unter Bedachtnahme auf die Eignung, Gewöhnung hervorzurufen und in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen, festzusetzende "große Menge" von 45 Gramm Heroin an verschiedene Abnehmer in der Absicht verkauft, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger Straftaten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (gewerbsmäßig gemäß § 70 StGB). Darüber hinaus hat er gegen Ende des Jahres 2005 gewerbsmäßige Betrügereien, einen Einbruchsdiebstahl und eine Unterdrückung unbarer Zahlungsmittel begangen.
Auf Grund der zahlreichen über einen längeren Zeitraum und zum Teil in gewerbsmäßiger Absicht begangenen Straftaten geht vom Beschwerdeführer eine erhebliche Gefährdung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen, insbesondere an der Verhinderung der Suchtgift- und der Eigentumskriminalität aus.
Der vorgebrachte Umstand, dass der Beschwerdeführer "fleißig" sei und durch seine Arbeit für den Lebensunterhalt sorgen könne, führt zu keiner relevanten Verringerung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr, haben den Beschwerdeführer - der nach dem Beschwerdevorbringen "bisher dauernd beschäftigt" war - doch auch frühere Beschäftigungsverhältnisse nicht von den Straftaten abhalten können. Auch mit dem Hinweis auf die Drogentherapie gelingt es dem Beschwerdeführer nicht, eine relevante Verringerung der von ihm ausgehenden Gefahr aufzuzeigen. Zunächst ist noch nicht gesichert, dass diese Therapie einen positiven Verlauf nehmen wird. Aber selbst eine auf Grund einer erfolgreichen Therapie erzielte Drogenfreiheit könnte angesichts des langen Deliktszeitraumes und der gewerbsmäßigen Vorgehensweise des Beschwerdeführers erst nach einem längeren Zeitraum des Wohlverhaltens zu einer relevanten Minderung der Gefährdung öffentlicher Interessen führen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/18/0114).
Aus all diesen Gründen begegnet die Ansicht der belangten Behörde, die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, keinen Bedenken.
3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG hat die belangte Behörde die Dauer des inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers seit 1990, die Haushaltsgemeinschaft mit seinen Eltern, den Schulbesuch im Bundesgebiet und die Berufstätigkeit berücksichtigt. Zu Recht hat sie auf die Minderung der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration auf Grund der gehäuften Straftaten des Beschwerdeführers verwiesen. Eine weitere Relativierung des Gewichts der bisherigen Aufenthaltsdauer ergibt sich daraus, dass gegen den Beschwerdeführer seit ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot besteht und sein Aufenthalt seither nur vorläufig auf Grund eines Asylantrages berechtigt ist. Weiters hat die belangte Behörde berücksichtigt, dass sich die Familie des Beschwerdeführers, die im Gefolge der beginnenden ethnischen Konflikte in der Heimat nach Österreich gekommen ist, hier eine Existenz aufgebaut hat.
Mit der Rüge, die belangte Behörde habe keine ausreichenden Feststellungen zu seiner Integration und zu seinem Werdegang in Österreich getroffen, zeigt der Beschwerdeführer keinen relevanten Verfahrensmangel auf, führt er doch auch in der Beschwerde keinen für die Interessenabwägung wesentlichen zusätzlichen Umstand aus dem Bereich seiner Integration ins Treffen, der von der belangten Behörde hätte berücksichtigt werden können.
Auf Grund der langen Aufenthaltsdauer und der starken familiären Bindungen ist die belangte Behörde dennoch zutreffend zum Ergebnis bekommen, dass mit dem Rückkehrverbot ein schwerwiegender Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei.
Diesen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers steht die aus seinen Straftaten resultierende - oben 2. dargestellte - große Gefährdung öffentlicher Interessen auf Grund der Straftaten des Beschwerdeführers gegenüber. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Rückkehrverbots zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit und der Rechte anderer) dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 leg. cit.), begegnet selbst dann keinen Bedenken, wenn man die vorgebrachte Desintegration des Beschwerdeführers in seiner Heimat nach den Kriegsereignissen zu seinen Gunsten berücksichtigt.
Mit seinem Vorbringen, die Fortführung der Methadon-Therapie sei in Bosnien-Herzegowina nicht möglich, macht der Beschwerdeführer schon deshalb keinen dem Rückkehrverbot entgegen stehenden Umstand geltend, weil er nicht dartut, dass eine - anderweitige - Suchtgifttherapie in Bosnien unmöglich sei.
4. Dem Vorbringen, der Beschwerdeführer würde in seiner Heimat als Rückkehrer verfolgt, es wäre ihm die Existenzgrundlage entzogen, er müsste trotz seiner pazifistischen Einstellung der Wehrpflicht nachgehen, ist entgegen zu halten, dass über diese Fragen nicht im Verfahren zur Erlassung des Rückkehrverbots, sondern im Asylverfahren zu entscheiden sein wird.
5. Nach der hg. Rechtsprechung ist ein Aufenthaltsverbot (bzw. Rückkehrverbot) - unter Bedachtnahme auf § 63 Abs. 1 FPG - für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2006/18/0241).
Der belangten Behörde kann nicht entgegen getreten werden, wenn sie angesichts der zahlreichen Verurteilungen, des langen Deliktszeitraums und der zum Teil gewerbsmäßigen Vorgehensweise die Auffassung vertrat, der Zeitpunkt des Wegfalls des für die Erlassung des Rückkehrverbots maßgeblichen Grundes, nämlich der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen, könne nicht vorhergesehen werden, und deshalb das Rückkehrverbot unbefristet erließ.
6. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am
Fundstelle(n):
MAAAE-87508