VwGH vom 22.05.2013, 2013/18/0049
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Eder, Mag. Feiel und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. Christof Dunst, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Landesgerichtsstraße 18/1/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/4327/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein libanesischer Staatsangehöriger, verfügte ab über Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet. Im Hinblick auf seine Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin wurde ihm über seinen Antrag eine ab gültige Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" erteilt.
Am wurde der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 130 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt, wobei ein Teil von 14 Monaten bedingt nachgesehen wurde, weil er von Anfang 2004 bis November 2005 in Wien in mehreren Angriffen antike Bücher und Grafiken mit einem Gesamtwert von zumindest EUR 30.170,-- Verfügungsberechtigten der Mechitaristenkongregation gestohlen hatte, um sich - durch deren anschließenden Verkauf in einem Antiquariat - eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen.
Mit weiterem Urteil dieses Landesgerichtes vom wurde der Beschwerdeführer abermals wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig schweren Diebstahls nach den §§ 127, 128 Abs. 2, 130 zweiter Satz, erster Fall StGB - unter Bedachtnahme auf das zuvor angeführte Urteil - gemäß §§ 31, 40 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Zusatzfreiheitsstrafe von vier Monaten rechtskräftig verurteilt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer gewerbsmäßig bereits von August 2001 bis November 2005 Verfügungsberechtigten der Mechitaristenkongregation weitere antike Bücher und Handschriften in einem EUR 50.000,-- übersteigenden Wert gestohlen hatte.
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom erließ die belangte Behörde im Hinblick auf diese Verurteilungen gegen den Beschwerdeführer gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde im Rahmen der Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers und den diesen zugrunde liegenden Straftaten weiter aus, dass - nach den Entscheidungsgründen des ersten Urteils - die Mutter des Beschwerdeführers im Jahr 2004 erkrankt sei, sein Vater seine Anstellung verloren habe und bei einem Bruder Krebs diagnostiziert worden sei, sodass der Beschwerdeführer in dieser "dramatischen Lage" seine Familie habe finanziell unterstützen wollen. Aus diesem Grund habe er Anfang 2004 begonnen, aus dem Keller des Mechitaristenklosters in Wien, wo er gelegentlich gearbeitet habe, Grafiken, Karten und Bücher - vor allem in armenischer Sprache - zu stehlen, um sie dem Inhaber eines Antiquariats zu verkaufen und aus den Verkaufserlösen sich und seiner Familie ein regelmäßiges fortlaufendes Einkommen zu sichern.
Rechtlich sah die belangte Behörde vor dem Hintergrund der noch nicht getilgten gerichtlichen Verurteilungen, die als eine einzige Verurteilung zu werten seien, den auf den Beschwerdeführer als "Familienangehörigen" im Sinn des § 2 Abs. 4 Z 12 FPG gemäß § 87 FPG anzuwendenden Gefährdungsmaßstab des § 86 Abs. 1 FPG als erfüllt an. Das dargestellte Gesamt(fehl)verhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maß. Der Umstand, dass er über einen besonders langen Deliktzeitraum einen besonders hohen Schaden verursacht und sich durch das Begehen dieses Verbrechens ein fortlaufendes Einkommen gesichert habe, stelle zweifelsfrei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Einhaltung der maßgeblichen Rechtsvorschriften berühre. Die Verhängung des Aufenthaltsverbots sei daher nicht nur zulässig, sondern auch dringend geboten.
Der Beschwerdeführer, der seit wieder einen Hauptwohnsitz in Wien aufweise, sei (in Österreich) zuletzt von 1. Mai bis sowie von bis erwerbstätig gewesen. Er lebe mit seiner Ehefrau und seinen am und am geborenen Töchtern in einem gemeinsamen Haushalt. Mit einem Schreiben vom habe er seine Teilnahme am Pfarrleben der Pfarre Fünfhaus und seine Hilfe bei verschiedenen Diensten in der dortigen Küche nachgewiesen und ein Zeugnis vom über das Absolvieren eines Deutschkurses der Stufe 1B, Grundstufe 1, mit Noten zwischen Sehr gut und Befriedigend vorgelegt.
Davon ausgehend nahm die belangte Behörde einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers an. Dessen ungeachtet sei im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Eigentumskriminalität die Erlassung des Aufenthaltsverbots zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele, nämlich zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz fremden Vermögens, als dringend geboten zu erachten. Selbst wenn die Verbüßung der Strafhaft eine gewisse spezialpräventive Wirkung auf den Beschwerdeführer gehabt habe, liege das den Verurteilungen zugrunde liegende Fehlverhalten noch nicht so lange zurück, dass bereits auf Grund des seither verstrichenen Zeitraums eine entscheidungswesentliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr angenommen werden könne. Einer aus dem bisherigen Aufenthalt des Beschwerdeführers ableitbaren Integration komme auch insofern kein entscheidendes Gewicht zu, als die dafür erforderliche soziale Komponente wegen seines strafbaren Verhaltens erheblich beeinträchtigt werde. Auch wenn der Beschwerdeführer sich in einer Pfarre in Wien integriert habe und mittlerweile erfolgreich bemüht sei, die deutsche Sprache ausreichend zu erlernen, sei er derzeit in den Arbeitsmarkt nicht integriert. Die Geburt seiner zweiten Tochter bedeute keine maßgebliche Verstärkung seiner persönlichen Interessen, habe sich der Beschwerdeführer bei Begehung der Straftaten der möglichen Folgen, insbesondere der allfälligen Verhängung eines Aufenthaltsverbots, bewusst sein müssen. Er habe danach nicht mehr darauf vertrauen dürfen, sich mit seinen Familienmitgliedern im Bundesgebiet niederlassen zu können. Nach seinem eigenen Vorbringen habe er überdies nach erstinstanzlicher Verhängung des Aufenthaltsverbots in Frankreich gelebt, wo er einer regelmäßigen Arbeit nachgegangen sei und schließlich - nach einer einjährig befristeten - eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis erhalten habe. Das Vorbringen, dass der Beschwerdeführer als Angehöriger der armenischen Volksgruppe in seinen Herkunftsstaat - in dem seine leiblichen Eltern lebten - nicht mehr zurückkehren könne, sei unbelegt geblieben.
Bei Gesamtbetrachtung aller Umstände - führte die belangte Behörde weiter aus - müsse die gemäß § 66 FPG durchgeführte Interessenabwägung zu Ungunsten des Beschwerdeführers ausfallen. Angesichts seines Gesamt(fehl)verhaltens und im Hinblick auf die Art und die Schwere der ihm zur Last liegenden Straftaten habe von der Erlassung des Aufenthaltsverbots auch nicht im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens Abstand genommen werden können.
Abschließend begründete die belangte Behörde die Dauer des verhängten Aufenthaltsverbotes näher damit, dass vor Verstreichen des (mit zehn Jahren) festgesetzten Zeitraums ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes nicht erwartet werden könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die zu diesem Zeitpunkt (Mai 2010) geltende Fassung, nämlich BGBl. I Nr. 135/2009.
Gegen den Beschwerdeführer als Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß § 86 Abs. 1 FPG (iVm § 87 FPG) nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Der Beschwerdeführer bringt unter dem Gesichtspunkt der in diesem Sinn bejahten Gefährdungsprognose vor, dass die belangte Behörde dafür lediglich die - unbestrittenen - Verurteilungen herangezogen habe. Zwar sei er im Jahr 2006 und im Jahr 2009 zu einer Zusatzstrafe verurteilt worden, eine einmalige Verurteilung rechtfertige die Erlassung eines Aufenthaltsverbots jedoch nicht in jedem Fall. Die belangte Behörde hätte auch sein Wohlverhalten zu berücksichtigen gehabt sowie die von den Strafverfolgungsbehörden ausgesprochene bedingte Strafnachsicht.
Diese Ausführungen zeigen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. So hat die belangte Behörde ihre Gefährdungsannahme ohnedies auf die den Verurteilungen - die zueinander im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB stehen und (wie auch die belangte Behörde zutreffend ausführte) somit als Einheit zu werten sind (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2011/23/0454, mwN) - zugrundeliegenden und von ihr auch eingehend dargestellten Straftaten des Beschwerdeführers gestützt. Der Beschwerdeführer hat letztlich von August 2001 bis November 2005 - und damit über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren - wiederholt gewerbsmäßig schwere Diebstähle begangen. Er hat dabei zudem das Vertrauensverhältnis, das ihm von der Ordensgemeinschaft entgegengebracht worden war, über eine lange Zeit hinweg missbraucht und durch seine Straftaten einen besonders hohen Schaden verursacht. Im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer mit den Eigentumsdelikten, die er in der Absicht beging, sich ein fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, bereits im Jahr 2001 begann, lässt sich die von ihm bei seinem ersten Strafverfahren vorgebrachte Rechtfertigung einer Erkrankung seiner Mutter im Jahr 2004 nicht aufrechterhalten. Die Annahme der belangten Behörde, der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers stelle eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit iSd § 86 Abs. 1 FPG dar, begegnet daher keinen Bedenken.
Zudem hatte die belangte Behörde das Fehlverhalten des Beschwerdeführers eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen - bei der Strafbemessung - zu beurteilen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0414, mwN). Auch wenn bei Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits ein nicht unbeachtlicher Zeitraum des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers seit Begehung der Straftaten verstrichen war, konnte in diesem Zusammenhang auch berücksichtigt werden, dass diesem ein besonders langer Tatzeitraum mit einer Vielzahl von schweren Diebstählen gegenüberstand. Angesichts dessen und im Hinblick auf die nach wie vor fehlende berufliche Integration des Beschwerdeführers in Österreich kann es nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde im vorliegenden Fall noch keinen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung annahm.
Im Übrigen wendet sich der Beschwerdeführer gegen die zu seinem Nachteil vorgenommene Interessenabwägung. Er bringt dazu vor, dass er sich seit dem Jahr 2001 legal in Österreich aufhalte. Er verweist in diesem Zusammenhang weiters auf das Familienleben mit seiner Ehefrau und seinen mj. Töchtern, die österreichische Staatsbürgerinnen seien, und mit denen er im gemeinsamen Haushalt lebe.
Auch insoweit kommt der Beschwerde jedoch keine Berechtigung zu. Die belangte Behörde hat in ihrer Interessenabwägung alle nach § 66 FPG maßgeblichen integrationsbegründenden Umstände einbezogen und ist deshalb zu einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers gelangt, der allerdings nicht schwerer wiege als das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbots. Der Beschwerdeführer tritt der von der belangten Behörde festgestellten fehlenden beruflichen Bindung im Bundesgebiet nicht entgegen. Überdies brachte der Beschwerdeführer schon im Verwaltungsverfahren vor, dass er nach Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides das Bundesgebiet verlassen und sich - vorübergehend - in Frankreich niedergelassen habe. Schon von daher ist die nun dargestellte Aufenthaltsdauer im Inland zu relativieren. Es ist im Hinblick darauf ferner nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde deshalb grundsätzlich die Zumutbarkeit einer Trennung des Beschwerdeführers von seiner Kernfamilie annahm, die im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen ist.
Nach dem Gesagten ist es daher nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde zur Ansicht gelangte, dass das gegen den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot zur Erreichung im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannter Ziele dringend geboten sei und die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers die gegenläufigen öffentlichen Interessen nicht überwiegen würden, sodass die Erlassung dieser Maßnahme gemäß § 66 FPG zulässig sei.
In der Beschwerde - die Ausführungen gegen die Dauer des Aufenthaltsverbots nicht enthält - werden schließlich auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre.
Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
UAAAE-87485