VwGH vom 31.08.2020, Ra 2020/18/0102

VwGH vom 31.08.2020, Ra 2020/18/0102

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des B A, vertreten durch Dr. Armin Bammer, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Esteplatz 4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L507 2151303-3/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger sunnitischen Glaubens, beantragte am internationalen Schutz, weil er in seinem Herkunftsstaat von schiitischen Milizen verfolgt werde.

2Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, dass der Revisionswerber seine behauptete Bedrohung durch schiitische Milizen nicht glaubhaft gemacht habe.

4Am stellte der Revisionswerber einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, schiitische Milizen und die irakischen Sicherheitsbehörden hätten im Irak nach Rechtskraft des ersten Asylverfahrens nach ihm gesucht. Ein Neffe des Revisionswerbers sei in diesem Zusammenhang im Oktober 2018 entführt worden und seither verschollen. Familienmitglieder im Irak hätten dem Revisionswerber dringend von einer Rückkehr in den Irak abgeraten, weil ihn die Todesstrafe erwarten würde. Zum Haus der Familie seiner Frau kämen Milizionäre, die auch ab und zu auf das Haus schießen würden.

5Mit Bescheid vom wies das BFA den Folgeantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

6Die Beschwerde gegen diesen Bescheid wies das BVwG mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

7Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber beziehe sich im Folgeantragsverfahren ausschließlich auf Probleme, die er bereits im ersten rechtskräftigen Asylverfahren vorgebracht habe und welche als unglaubwürdig beurteilt worden seien. Somit liege eine entschiedene Sache im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor, deren Rechtskraft einer neuerlichen Sachentscheidung entgegenstehe. Zur Untermauerung seiner Verfolgung habe der Revisionswerber vorgebracht, dass er weiterhin im Irak gesucht werde und ihm im Falle einer Rückkehr die Todesstrafe drohen würde, weil er sunnitischer Moslem sei. Diesbezüglich verwies der Revisionswerber auch darauf, dass sein Neffe im Oktober 2018 entführt worden sei und man nicht wisse, wo er sich aufhalte. Aus diesem Vorbringen könne aus Sicht des BVwG kein neuer Sachverhalt abgeleitet werden, sondern es werde damit lediglich die seinerzeitige - von der rechtskräftigen Entscheidung des BVwG umfasste - Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten. Das darauf gestützte Vorbringen diene lediglich zur Untermauerung dieser Verfolgungsbehauptung und es solle dadurch das Fortwirken der seinerzeitigen behaupteten Verfolgung bekräftigt werden. Insgesamt liege nach dem Vorbringen des Revisionswerbers keine Sachverhaltsänderung vor.

8Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache unter anderem geltend macht, das BVwG sei von der höchstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen, indem es eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit dem neuen Vorbringen im Folgeantrag unterlassen habe.

9Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.

10Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

11Die Revision ist zulässig und begründet.

12„Sache“ des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens war (vorrangig) die Frage, ob das BFA den Folgeantrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zu Recht wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hatte.

13Das BVwG hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.

14Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen. Dabei entspricht es im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen (vgl. etwa , mwN), an den eine positive Entscheidungsprognose im obigen Sinne anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrags mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. dazu etwa grundlegend , mwN).

15Der Revisionswerber brachte zur Begründung seines Folgeantrags angebliche Verfolgungshandlungen vor, die sich erst nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen. Das BVwG hält dem nur entgegen, dass die neu vorgebrachten Ereignisse bloß eine Fortwirkung des im ersten Asylverfahren vorgebrachten Sachverhalts wären, über den bereits rechtskräftig entschieden worden sei.

16Es trifft zwar zu, dass ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen wäre, wenn der Asylwerber an seinem (rechtskräftig) nicht geglaubten Fluchtvorbringen unverändert festhielte und sich auch in der notorischen Lage im Herkunftsstaat keine - für den internationalen Schutz relevante - Änderung ergeben hätte. Werden aber - wie hier - neue (für den internationalen Schutz relevante) Geschehnisse geltend gemacht, die sich nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen, ist es nicht rechtens, die Prüfung dieses geänderten Vorbringens bloß unter Hinweis darauf abzulehnen, dass es auf dem nicht geglaubten Fluchtvorbringen des ersten Asylverfahrens fuße. Das neue Vorbringen muss nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vielmehr daraufhin geprüft werden, ob es einen „glaubhaften Kern“ im Sinne der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung aufweist. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubhaftigkeit (vgl. etwa jüngst , mwN).

17Dies hat das BVwG, wie die Revision im Ergebnis zutreffend geltend macht, in Verkennung der Rechtslage unterlassen, weshalb das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

18Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

19Der Kostenausspruch gründet auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180102.L01

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