VwGH vom 10.09.2013, 2013/18/0046
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Eder, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde der MH in W, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom (richtig: 2008), Zl. E1/498.688/2007, betreffend Ausweisung gemäß § 54 FPG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen, mit (richtig: 2008) datierten Bescheid der belangten Behörde wurde die Beschwerdeführerin, eine chinesische Staatsangehörige, gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ausgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin befinde sich seit Oktober 2003 auf Grund ihr ausgestellter Niederlassungsbewilligungen als Angehörige ihres österreichischen Schwiegersohnes im Bundesgebiet. Im Zuge des zuletzt eingebrachten Verlängerungsantrages vom habe die Aufenthaltsbehörde festgestellt, dass die Beschwerdeführerin nicht über die erforderlichen Mittel zu ihrem Aufenthalt verfüge.
Bezugnehmend auf den vorgelegten Lohnzettels des Schwiegersohnes des Beschwerdeführerin aus dem Jahr 2007 hielt die belangte Behörde fest, dass dieser ein Jahresnettoeinkommen von EUR 32.164,-- und sohin ein monatliches Einkommen von EUR 2.680,-- gehabt habe.
Das "Existenzminimum für ein derartiges Einkommen" betrage bei zwei Sorgepflichten EUR 1.914,50. Von dem darüber hinaus verbleibenden Einkommen des Schwiegersohnes sei jedoch die monatliche Kreditbelastung für dessen Eigentumswohnung in Höhe von EUR 567,-- abzuziehen. Daraus ergebe sich, dass dem Schwiegersohn derzeit offenbar ein Betrag von etwa EUR 200,-- verbleibe, der für allfällige Unterhaltsleistungen zur Verfügung stünde.
In Anlehnung an die "Existenzminimumtabelle" (Tabelle 1 bm) bei zwei Sorgepflichten und der angeführten Kreditbelastung wäre - so die belangte Behörde weiter - ein durchschnittliches Monatseinkommen von zumindest EUR 3.388,-- netto erforderlich, um auch nur einer Person hinreichenden Unterhalt im Sinn des § 11 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gewähren zu können. Der Schwiegersohn der Beschwerdeführerin verdiene jedoch offenbar nicht einmal die in der Berufung monierten EUR 3.000,--.
Für die Annahme, dass der Aufenthalt der Beschwerdeführerin zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen werde, müsse dieser ein Einkommen im Sinn des § 11 Abs. 5 NAG iVm § 293 ASVG in Höhe von EUR 747,-- zur Verfügung stehen. Davon könne keine Rede sein. Schon gar nicht sei der Schwiegersohn imstande, für den Unterhalt der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes, gegen den ebenfalls ein aufenthaltsbeendigendes Verfahren anhängig sei, aufzukommen.
Das Kinderbetreuungsgeld, das von der Tochter der Beschwerdeführerin bezogen werde, sei nicht zu berücksichtigen, weil Zusammenführender der Schwiegersohn sei, somit dessen Einkommensverhältnisse und nicht ein allfälliges "Familieneinkommen" zu Grunde zu legen sei. Aus den genannten Gründen sei ebenso wenig zu berücksichtigen gewesen, dass die Tochter über ein offenbar am eröffnetes Sparbuch mit einer Einlage von EUR 15.000,-- verfüge. Nicht nur, dass die Herkunft dieser Gelder unbescheinigt geblieben sei, sei nicht aktenkundig, dass diese Einlage zur Finanzierung des Lebensunterhaltes der Beschwerdeführerin oder eines ihrer Familienangehörigen verwendet werde.
Das Berufungsvorbringen, die Beschwerdeführerin, wie auch ihr Ehemann, beziehe monatlich eine Pension aus China in der Höhe von rund EUR 500,-- , sei nicht zu berücksichtigen, weil keinerlei Bescheinigungsmittel vorgelegt worden seien, die dieses Vorbringen glaubhaft erscheinen ließen.
Es seien sohin der im § 11 (Abs. 2) Z 4 NAG normierte Versagungsgrund verwirklicht und die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG gegeben.
Im Rahmen der gemäß § 66 FPG gebotenen Interessenabwägung hielt die belangte Behörde fest, die Beschwerdeführerin sei verheiratet; weitere familiäre Bindungen bestünden zur Tochter und deren Familie, mit denen sie auch im gemeinsamen Haushalt lebe. Der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier:
zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiete des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Dabei berücksichtigte die belangte Behörde die Dauer des inländischen Aufenthaltes der Beschwerdeführerin, ferner den Umstand, dass diese keinen Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt habe, sowie ihre - bereits dargelegten - familiären Bindungen.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom , B 762/08-8, die Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde abgelehnt und sie zur Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
Über die von der Beschwerdeführerin ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die im März 2008 geltende Fassung, nämlich BGBl. I Nr. 2/2008.
Die Beschwerde wendet sich gegen die Berechnung der seitens des Zusammenführenden aufzubringenden Unterhaltsmittel und die Nichtberücksichtigung mehrerer geltend gemachter Unterhaltsquellen. Damit ist sie im Recht.
Bei einem gemeinsamen Haushalt - wie er hier einerseits zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Ehemann und andererseits zwischen den Angehörigen der Familie ihrer Tochter besteht - kommt es nur darauf an, ob das Haushaltsnettoeinkommen den unter Berücksichtigung der zu versorgenden Personen jeweils zu ermittelnden "Haushaltsrichtsatz" nach § 293 Abs. 1 ASVG (hier: in der Fassung BGBl. II Nr. 359/2007) deckt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2010/22/0060, mwN). Das hat die belangte Behörde verkannt.
Ferner hätte die belangte Behörde bei der Berechnung des "Haushaltseinkommens" entgegen der im angefochtenen Bescheid vertretenen Ansicht auch das von der Tochter der Beschwerdeführerin bezogene Kinderbetreuungsgeld in Höhe von monatlich ca. EUR 680,-- berücksichtigen müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/18/0754, mwN).
Nach dem Vorgesagten wären zur Ermittlung des zur Deckung des Unterhaltsbedarfes der Beschwerdeführerin (und ihres Ehemannes) von dem Haushaltseinkommen des Schwiegersohnes und der Tochter der Beschwerdeführerin in der Höhe von insgesamt EUR 3.360,-- (EUR 2.680,-- + EUR 680,--), der für die Deckung des eigenen Lebensbedarfes notwendige "Haushaltsrichtsatz" in der Höhe von EUR 1.198,29 (nach § 293 Abs. 1 lit. a sublit. aa ASVG für die Ehegatten EUR 1.120,-- zuzüglich der Erhöhung für das gemeinsame minderjährige Kind von EUR 78,29 nach § 293 Abs. 1 letzter Satz ASVG; vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2009/21/0304 bis 0305, mwN) sowie die in der Beschwerde unbestritten gebliebene monatliche Kreditbelastung des Schwiegersohnes für seine Eigentumswohnung in der Höhe von EUR 567,-- in Abzug zu bringen gewesen. Der verbleibende Betrag von EUR 1.594,71 hätte aber jedenfalls ausgereicht, um für den Unterhalt der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes in der Höhe von EUR 1.120,-- aufkommen zu können.
Hinzu kommt, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Unterhalt grundsätzlich auch durch Sparguthaben gedeckt werden kann. Nach den Feststellungen der belangten Behörde verfügt die Tochter der Beschwerdeführerin über ein Sparbuch mit einer Einlage von EUR 15.000,--. Zwar darf ein Guthaben nicht aus illegalen Quellen stammen; dies hat die belangte Behörde aber auch nicht festgestellt, sondern nur ausgeführt, dass die Herkunft der Gelder unbescheinigt geblieben sei. Das allein, aber auch die von der belangten Behörde geäußerten Bedenken hinsichtlich der Verfügbarkeit dieser Mittel für die Bestreitung des Lebensunterhalts der Beschwerdeführerin reichen jedoch nicht aus, diesen Beträgen die Eigenschaft abzusprechen, zum Unterhalt der Beschwerdeführerin herangezogen werden zu können (vgl. zum Ganzen die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/18/0270, und vom , Zl. 2011/23/0129, mwN).
Die belangte Behörde ist daher zu Unrecht vom Vorliegen der Voraussetzungen für eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG ausgegangen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG entfallen.
Der Spruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am