VwGH vom 18.06.2013, 2013/18/0033
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Eder, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde des AD in W, vertreten durch die Rechtsanwalt Dr. Gahleithner Partner OEG in 1010 Wien, Schottengasse 7/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zl. E1/410.581/2010, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger, wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 sechster Fall und Abs. 2 Z 2 erster Fall SMG sowie wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Er hatte im Zeitraum vom Sommer 2005 bis Anfang Dezember 2005 gewerbsmäßig Suchtgift in Verkehr gesetzt, indem er insgesamt ca. 15 Gramm "Speed" (Amphetamin) in drei Fällen an einen Abnehmer, ca. 10 Gramm und ca. 20 Gramm Marihuana (THC) wiederholt an drei näher bezeichnete Personen, ca. 40 Gramm Marihuana (THC) in wiederholten Fällen an unbekannte Suchtgiftabnehmer sowie insgesamt ca. 10 Gramm Kokain in wiederholten Fällen an eine Person verkauft. Ferner hatte er von einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt bis Anfang Dezember 2005 wiederholt nicht mehr feststellbare Mengen Kokain, "Speed", Amphetamin und Cannabisprodukte (THC) zum Eigenkonsum erworben und besessen.
Im Wesentlichen gestützt auf diese strafgerichtliche Verurteilung und das dieser zugrunde liegende Fehlverhalten erließ die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom gegen den Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Der diesen Bescheid bestätigende Berufungsbescheid der belangten Behörde vom wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Zl. 2007/18/0479, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes im Wesentlichen mit der Begründung aufgehoben, dass die erwähnten Straftaten des Beschwerdeführers zwar eine erhebliche Beeinträchtigung des maßgeblichen öffentlichen Interesses darstellten, es sich dabei in Ansehung der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes aber noch nicht um ein derart eklatantes Fehlverhalten handle, dass dieses - unter Einbeziehung der familiären Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet - die unbefristete Verhängung des Aufenthaltsverbotes rechtfertigen würde.
Mit dem im fortgesetzten Verfahren erlassenen, angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass das Aufenthaltsverbot für eine Dauer von sieben Jahren erlassen wird.
Nach Feststellungen zu der erstmals mit einem vom bis gültigen Visum erfolgten Einreise des Beschwerdeführers nach Österreich und den ihm im Anschluss daran zuletzt bis erteilten Niederlassungsbewilligungen, stellte die belangte Behörde in ihrer Begründung zunächst das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom und das diesem zugrunde liegende Fehlverhalten des Beschwerdeführers dar. Demnach sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) verwirklicht. Sein Gesamt(fehl)verhalten beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit - hier: das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität - in erheblichem Ausmaß, sodass die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes nach § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien.
Im Rahmen der gemäß § 66 FPG gebotenen Interessenabwägung ging die belangte Behörde auf Grund des mehr als siebenjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und seiner hier bestehenden familiären Bindungen zu seiner Mutter, seinem Stiefvater und seiner Schwester von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in sein Privat- und Familienleben aus. Dessen ungeachtet sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens - dringend geboten. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf das wiederkehrende (gleichgelagerte) strafbare Verhalten des Beschwerdeführers, die gewerbsmäßige Tatbegehung und die Suchtgiftdelikten zugrunde liegende Wiederholungsgefahr. Wenngleich das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers bereits vier Jahre zurückliege, bedürfe es noch einiger Zeit des Wohlverhaltens des Beschwerdeführers, um davon ausgehen zu können, dass er sich wirklich von der Suchtgiftszene gelöst habe und nicht rückfällig werde; dies unabhängig davon, dass die gegen ihn erlassene bedingte Freiheitsstrafe nunmehr vom Landesgericht für Strafsachen Wien (am ) endgültig nachgesehen worden sei.
Die aus seinem Aufenthalt im Bundesgebiet ableitbare relevante Integration des Beschwerdeführers werde - so die belangte Behörde weiter - durch sein strafbares Verhalten erheblich gemindert. Auch seine durchgehende Beschäftigung sei vor dem Hintergrund seines deliktischen Verhaltens nach dem SMG zu relativieren. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei auch außerordentlicher Studierender, bemerkte die belangte Behörde, dass er an der Universität Wien lediglich zum Vorstudienlehrgang zwecks Absolvierung der Ergänzungsprüfung aus Deutsch zugelassen sei. Die Bindung zu seinen Familienangehörigen sei auf Grund seiner Volljährigkeit zu relativieren. Der Beschwerdeführer habe den Großteil seines Lebens, nämlich die ersten 20 Jahre, in seiner Heimat verbracht, weshalb davon auszugehen sei, dass er dort seine gesamte Schulbildung absolviert habe und seine Muttersprache perfekt beherrsche. Er werde deshalb in der Lage sein, im Falle seiner Rückkehr in seinem Heimatland wieder Fuß zu fassen und soziale Kontakte aufzufrischen oder neu zu knüpfen.
Angesichts dieser "geschmälerten" privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers würden die Auswirkungen eines Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation (und jene seiner Familie) keinesfalls schwerer wiegen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.
Abschließend vertrat die belangte Behörde die Ansicht, dass eine siebenjährige Befristung des Aufenthaltsverbotes ausreichend erscheine. Im Hinblick auf die Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität und die damit verbundene Wiederholungsgefahr könne vor dem Hintergrund des dargestellten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () nach dem FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 135/2009 richtet.
Nach § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache unter anderem zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.
Der Beschwerdeführer weist unstrittig die eingangs dargestellte strafgerichtliche Verurteilung nach dem SMG auf. Im Hinblick darauf hat er die genannte Alternative des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht.
In der Beschwerde bringt er gegen die von der belangten Behörde nach § 60 Abs. 1 FPG vorgenommene Prognosebeurteilung unter anderem vor, seiner einzigen strafgerichtlichen Verurteilung sei ein "einmaliges Fehlverhalten", noch dazu in sehr jungen Jahren, zugrunde gelegen. Die Freiheitsstrafe sei bedingt ausgesprochen und ihm gleichzeitig die Weisung erteilt worden, die innerhalb der Probezeit begonnene Therapie fortzusetzen und diesen Umstand vierteljährlich unaufgefordert dem Gericht nachzuweisen. Im Hinblick darauf, dass am die bedingte Strafnachsicht endgültig nachgesehen worden sei, sei der Nachweis erbracht, dass sich der Beschwerdeführer durch Jahre hindurch wohlverhalten habe und die eigene Suchtgiftabhängigkeit längst überwunden sei. Es sei nicht nachvollziehbar, dass das Gericht und die Fremdenpolizeibehörde zu derart differierenden Zukunftsprognosen gelangten.
Damit zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Zwar hat die belangte Behörde das Fehlverhalten des Beschwerdeführers eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen zu beurteilen. Ferner trifft es auch zu, dass die Suchtgiftdelinquenz ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an deren Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2009/21/0138, und vom , Zl. 2011/23/0451, jeweils mwN). Trotzdem erweist sich aber die Begründung des angefochtenen Bescheides im Zusammenhang mit der von der belangten Behörde durchgeführten Gefährdungsprognose als mangelhaft.
Im angeführten aufhebenden Vorerkenntnis vom , Zl. 2007/18/0479, hatte der Verwaltungsgerichtshof das mit Bescheid der belangten Behörde vom gegen den Beschwerdeführer (zunächst unbefristet) verhängte Aufenthaltsverbot dem Grunde nach nicht als rechtswidrig angesehen. Dabei hatte der Gerichtshof unter anderem ausgeführt, eine laufende Suchtgifttherapie biete noch keine Gewähr dafür, dass der zu Therapierende nicht mehr mit verbotenen Substanzen handeln werde. Ferner hatte er - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des dort bekämpften Bescheides vom - hervorgehoben, dass der seit der Begehung der Straftaten verstrichene Zeitraum noch zu kurz sei, um von einem Wegfall oder einer wesentlichen Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr ausgehen zu können.
Im fortgesetzten Verfahren hatte der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom - wie auch in der vorliegenden Beschwerde - damit argumentiert, dass die über ihn verhängte Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen und ihm gleichzeitig die Weisung erteilt worden sei, die innerhalb der Probezeit begonnene Therapie fortzusetzen und diesen Umstand vierteljährlich unaufgefordert dem Gericht nachzuweisen. Auf Grund des Umstandes, dass die bedingte Freiheitsstrafe mit endgültig nachgesehen worden sei, sei der Nachweis erbracht, dass der Beschwerdeführer sich durch Jahre hindurch wohlverhalten habe und seine Suchtgiftabhängigkeit längstens überwunden sei. Ein weiteres "Straffälligwerden" sei daher auszuschließen.
Dass dem Beschwerdeführer der Nachweis der von ihm vorgebrachten Überwindung der eigenen Suchtgiftabhängigkeit nicht gelungen wäre, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Vor diesem Hintergrund und angesichts des seit dem strafbaren Verhalten vergangenen Zeitraumes von insgesamt fünf Jahren (der angefochtene Bescheid nimmt irrtümlich einen lediglich vierjährigen Zeitraum an), in denen sich der berufstätige Beschwerdeführer wohlverhalten hat, hätte die belangte Behörde aber eingehender begründen müssen, weshalb (weiterhin) die Annahme gerechtfertigt wäre, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 60 Abs. 1 FPG gefährde. Der bloße Hinweis der belangten Behörde auf die Suchtgiftdelikten im Allgemeinen zugrunde liegende Wiederholungsgefahr und ihre - der Beurteilung zugrunde liegende, jedoch nicht näher begründete - Ansicht, die endgültige Nachsicht der bedingten Freiheitsstrafe ändere nichts am Ergebnis ihrer Prognosebeurteilung, reichen dafür im Hinblick auf das vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren erstattete Vorbringen nicht aus.
Die belangte Behörde belastete den angefochtenen Bescheid somit mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
SAAAE-87425