VwGH vom 22.05.2013, 2013/18/0032
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Eder, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Pitsch, über die Beschwerde des E, vertreten durch Mag. Robert Ertl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dominikanerbastei 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom , Zl. E1/10692/2010, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen ukrainischen Staatsangehörigen, ein auf § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) gestütztes, auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot.
In ihrer Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe sich seit im Bundesgebiet aufgehalten. Am sei ihm ein Niederlassungsnachweis erteilt worden, der nach der seit geltenden Rechtslage (§ 11 Abs. 1 lit. C NAG-DV) nunmehr als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" gelte. Dem Beschwerdeführer komme daher die Rechtstellung eines langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen zu. Er lebe zusammen mit seiner Mutter und seinem Bruder in Niederösterreich.
Mit Urteil des Landesgerichtes Wr. Neustadt (als Jugendschöffengericht) vom sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei, verurteilt worden.
Dem Urteil sei zugrunde gelegen, dass der Beschwerdeführer zusammen mit weiteren Tätern am einer männlichen Person ein Handy und Bargeld durch Versetzen wuchtiger Schläge und Tritte gegen den Körper geraubt habe. Am selben Tag habe er gleichfalls im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter eine weitere Person durch Versetzen wuchtiger Schläge und Tritte vorsätzlich am Körper verletzt, wodurch diese eine Prellung des Jochbeins und der Nase sowie eine Schleimhautverletzung an der Oberlippe erlitten habe.
Auf Grund des dieser Verurteilung zugrunde liegenden, eine erhebliche kriminelle Energie und Gewaltbereitschaft offenbarenden Fehlverhaltens habe der Beschwerdeführer den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht und die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei nach § 60 Abs. 1 FPG gerechtfertigt. Im Hinblick auf die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens des Raubes und angesichts des beschriebenen strafbaren Verhaltens stelle sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet auch eine (gegenwärtige, hinreichend) schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 56 Abs. 1 FPG dar.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei zum Zeitpunkt der Tat Jugendlicher gewesen und durch schwerwiegende familiäre Probleme "aus der Bahn geworfen" worden, vermöge in Anbetracht der Art und Schwere der begangenen Straftat an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Der seit der Tat verstrichene Zeitraum sei auch noch zu kurz, um auf einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit schließen zu können.
Im Rahmen der gemäß § 66 FPG gebotenen Interessenabwägung hielt die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer ledig sei und keine Sorgepflichten habe. In Österreich lebten seine Mutter und ein Bruder. Er habe in Österreich die Schulausbildung abgeschlossen und sei zuletzt als Maler- und Anstreicherlehrling beschäftigt gewesen. Die aus der beinahe siebenjährigen Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers resultierende Integration sei von Gewicht, in ihrer maßgeblichen sozialen Komponente aber durch das strafbare Verhalten, bei dem auch Gewalt angewendet worden sei, erheblich beeinträchtigt. Der Beschwerdeführer sei erst im Alter von elf Jahren nach Österreich gekommen und habe die prägenden Jahre der Kindheit, der Sozialisation und die ersten Jahre der Schuldbildung außerhalb Österreichs erfahren. Es erscheine "wenig glaubwürdig", dass er die ukrainische Sprache nicht beherrsche. Den privaten Interessen stehe das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen gegenüber. Die Tatsache, dass er auf Grund des Aufenthaltsverbotes mit seinen Familienangehörigen nicht mehr in Österreich zusammenleben könne, müsse der Beschwerdeführer, der inzwischen das 18. Lebensjahr vollendet habe, wie auch allfällige Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in seinem Heimatland angesichts des maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von schwerwiegenden Straftaten in Kauf nehmen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Eingangs ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides () nach dem FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 135/2009 richtet.
Bereits das in der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt des § 66 FPG erstattete Vorbringen führt diese zum Erfolg. So verweist der Beschwerdeführer auf seinen langjährigen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich, seine hier bestehenden familiären Bindungen und seine Lehrausbildung. Ferner wirft er der belangten Behörde eine fehlende Ermittlungstätigkeit und eine unzulässige vorgreifende Beweiswürdigung im Zusammenhang mit seinem Vorbringen, der Sprache seines Heimatstaates nicht mächtig zu sein, und hinsichtlich der behaupteten fehlenden familiären und sozialen Beziehungen in der Ukraine vor.
In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen vom hatte der Beschwerdeführer unter anderem vorgebracht, dass er im Jahr 2003 aus einem - ausschließlich ungarischsprachigen - ukrainischen Kinderheim nach Österreich geholt worden sei, die ukrainische Sprache nicht spreche, keine familiären Bindungen in der Ukraine besitze und dass sein Bekannten- und Freundeskreis ausschließlich in Österreich bestehe.
Angesichts dieses Vorbringens und vor dem Hintergrund der gemäß § 66 Abs. 2 Z 5 FPG bei der Interessenabwägung ausdrücklich zu berücksichtigenden "Bindungen zum Heimatstaat des Fremden" hätte sich die belangte Behörde nicht mit den - nicht näher begründeten - Ausführungen begnügen dürfen, sie erachte es als wenig glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer die ukrainische Sprache nicht beherrsche. Mangels konkreter Feststellungen zu in der Ukraine bestehenden familiären Bindungen des Beschwerdeführers hätte sie im Sinn des Berufungsvorbringens von deren Fehlen ausgehen und somit den "allfälligen Schwierigkeiten bei dessen Wiedereingliederung" in seinem Heimatland stärkeres Gewicht zumessen müssen.
Darüber hinaus sind zwar die vom Beschwerdeführer begangenen beiden Straftaten keineswegs zu verharmlosen. Gleichzeitig wäre aber auch besonders zu berücksichtigen gewesen, dass der Beschwerdeführer bei Begehung der Straftaten erst 16 Jahre alt war und der Beschwerdeführer bisher nur einmal strafgerichtlich verurteilt wurde. Der Beschwerdeführer lebt seit seinem elften Lebensjahr in Österreich, wo er auch seine Schulausbildung abgeschlossen hat und zuletzt als Lehrling beschäftigt war. Im Gegensatz zu seinem Heimatland besitzt der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides gerade erst volljährig gewordene und noch in seiner Ausbildung befindliche Beschwerdeführer im Bundesgebiet familiäre Beziehungen zu seiner Mutter und seinem Bruder.
Vor diesem Hintergrund hätte die belangte Behörde zu dem Ergebnis kommen müssen, dass sich das verhängte Aufenthaltsverbot trotz der Schwere der Straftaten als unverhältnismäßig erweist (vgl. dazu auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/23/0282).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am