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VwGH vom 10.09.2013, 2013/18/0031

VwGH vom 10.09.2013, 2013/18/0031

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher, Mag. Eder, Mag. Haunold und Mag. Feiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Beschwerde 1. der NG,

2. des XX, und 3. des YY, alle in W und vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom , Zlen. E1/420871/2010, E1/420878/2010 und E1/420885/2010, jeweils betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die beschwerdeführenden Parteien, alle georgische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) aus. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- und Drittbeschwerdeführer.

In ihrer Begründung hielt die belangte Behörde im Wesentlichen fest, die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer seien am illegal nach Österreich gelangt, wo sie am einen Asylantrag bzw. Asylerstreckungsantrag gestellt hätten. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und Vater des Zweitbeschwerdeführers habe sich zu diesem Zeitpunkt, nämlich seit , als Asylwerber in Österreich befunden. Dessen Asylantrag sei am rechtskräftig abgewiesen worden. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom sei er rechtskräftig aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden. Die Asylanträge der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers seien in zweiter Instanz mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom rechtskräftig abgewiesen worden. Diese beiden beschwerdeführenden Parteien hielten sich seit unrechtmäßig in Österreich auf. Auch der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin befinde sich nach wie vor im Bundesgebiet.

Der Drittbeschwerdeführer sei bereits in Österreich geboren worden. Sein Asylerstreckungsverfahren sei am ebenfalls negativ beendet worden.

In den Berufungen gegen die erstinstanzlichen Ausweisungsbescheide werde vor allem auf die Dauer des inländischen Aufenthaltes, den Schulbesuch des Zweitbeschwerdeführers in Österreich sowie auf einen gemäß § 51 Abs. 1 FPG gestellten Antrag verwiesen.

In ihren rechtlichen Erwägungen führte die belangte Behörde aus, alle drei beschwerdeführenden Parteien hielten sich seit , somit seit mehr als zwei Jahren unrechtmäßig im Bundesgebiet auf und könnten daher gemäß § 53 Abs. 1 FPG ausgewiesen werden.

Im Rahmen der gemäß § 66 FPG gebotenen Interessenabwägung berücksichtigte die belangte Behörde den etwa fünfeinhalb Jahre (Erstbeschwerdeführerin und Zweitbeschwerdeführer) bzw. dreieinhalb Jahre (Drittbeschwerdeführer) dauernden inländischen Aufenthalt, der jedoch dreieinhalb Jahre bzw. eineinhalb Jahre lang nur durch eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz "abgesichert" gewesen und nunmehr seit über zwei Jahren unrechtmäßig sei. Das Familienleben sei in Österreich nicht weiter aufrechtzuerhalten, weil neben der Erstbeschwerdeführerin auch der Zweit- und der Drittbeschwerdeführer ausgewiesen würden und der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bereits vor ca. dreieinhalb Jahren ausgewiesen worden sei. Im Übrigen bestünden keine familiären Bindungen zu allfälligen in Österreich aufhältigen näheren Verwandten. Zu berücksichtigen sei ferner ein gewisser, nach der genannten Dauer des Aufenthaltes anzunehmender Grad der Integration, wie er insbesondere bei den Kindern auch glaubhaft gemacht worden sei. Im Heimatstaat der beschwerdeführenden Parteien, die unbescholten seien, lebten die Eltern, ein Bruder und eine Tochter der Erstbeschwerdeführerin. Zu berücksichtigen seien ferner mangelnde (legale) berufliche Bindungen in Österreich. Das Familienleben in Österreich habe wegen der Unsicherheit des Schicksals der Asylanträge nur unter dem Aspekt der "Vorläufigkeit" fortgeführt werden können. Aus dem geltend gemachten, jedoch gesetzlich ohnehin verpflichtenden Schulbesuch des Zweitbeschwerdeführers könnten - abgesehen von einer dadurch im gewissen Maß erfolgten Integration - keine weiteren hier maßgeblichen Folgerungen abgeleitet werden.

Die belangte Behörde kam schließlich zum Ergebnis, dass es sich bei den beschwerdeführenden Parteien um "reine Wirtschaftsflüchtlinge" handle. Angesichts der Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremden- und Aufenthaltswesens sei die Ausweisung zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten.

Die Tatsache, dass die beschwerdeführenden Parteien am Anträge gemäß § 44 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) auf Erteilung von Aufenthaltstiteln aus humanitären Gründen gestellt hätten, hindere ihre Ausweisung nicht.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG und des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) Bezug genommen, so handelt es sich dabei jeweils um die im Dezember 2010 geltende Fassung, nämlich BGBl. I Nr. 135/2009.

In der Beschwerde wird unter anderem vorgebracht, die Erstbeschwerdeführerin habe - aus näher genannten Gründen - einen Antrag nach § 51 Abs. 1 FPG auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Georgien gestellt. Dieser Antrag sei von der Bundespolizeidirektion Wien ignoriert und noch gar nicht an die Asylbehörde weitergeleitet worden. Der im Zuge eines Ausweisungsverfahrens gestellte schriftliche Antrag nach § 51 Abs. 1 FPG sei aber vom Bundesasylamt zu prüfen, inhaltlich sei ein Asylverfahren abzuführen. Der Antrag gelte als Antrag auf internationalen Schutz. Die Erstbeschwerdeführerin sei daher Asylwerberin iSd § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005. Gemäß § 1 Abs. 2 FPG sei auf die Erstbeschwerdeführerin § 53 FPG nicht anwendbar, vielmehr sei die Asylbehörde zur Entscheidung über die Ausweisung zuständig. Auf Grund der Trennung von der Mutter hätten aber auch der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer nicht aus Österreich ausgewiesen werden dürfen.

Gemäß § 53 Abs. 1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten.

Nach § 51 Abs. 1 FPG ist während eines Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbots, worüber der Fremde zu verständigen ist, auf Antrag des Fremden festzustellen, ob die Abschiebung in einen von ihm bezeichneten Staat, der nicht sein Herkunftsstaat ist, gemäß § 50 unzulässig ist. Bezieht sich ein Antrag gemäß Abs. 1 auf den Herkunftsstaat des Fremden, gilt dieser Antrag gemäß § 51 Abs. 2 FPG als Antrag auf internationalen Schutz. Diesfalls ist gemäß den Bestimmungen des AsylG 2005 vorzugehen.

Gemäß § 1 Abs. 2 FPG ist auf Asylwerber unter anderem die Bestimmung des § 53 FPG nicht anzuwenden. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 ist ein Asylwerber ein Fremder ab Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens.

Nach § 25 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist ein Antrag auf internationalen Schutz als gegenstandslos abzulegen, wenn der Antrag, soweit dies nicht gemäß § 17 Abs. 3 AsylG 2005 zulässig war, schriftlich gestellt wurde.

Im angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom wurde unter anderem das Berufungsvorbringen der beschwerdeführenden Parteien wiedergegeben, es sei "ein Antrag gemäß § 51 Abs. 1 FPG" gestellt worden. Weitere Feststellungen über den Inhalt und das rechtliche Schicksal dieses Antrages finden sich im angefochtenen Bescheid nicht.

In den dem Verwaltungsgerichtshof übermittelten Verwaltungsakten liegt ein an die Erstbeschwerdeführerin, zu Handen ihres Rechtsvertreters adressiertes Schreiben des Bundesasylamtes vom auf. Darin wird darauf hingewiesen, dass der schriftliche Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf Unzulässigkeit der Abschiebung vom unter den Voraussetzungen des § 51 FPG (seit ) als Antrag auf internationalen Schutz zu beurteilen sei und daher zuständigkeitshalber an die Erstaufnahmestelle Ost des Bundesasylamtes weitergeleitet worden sei. Ferner enthält dieses Schreiben den Hinweis, es sei zu beachten, dass nach dem AsylG 2005 Anträge auf internationalen Schutz grundsätzlich persönlich zu stellen seien. Schriftlich gestellte Anträge seien gemäß § 25 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 (abgesehen von auf die Erstbeschwerdeführerin nicht zutreffende Ausnahmen) als gegenstandslos abzulegen.

Das erwähnte Schreiben vom wurde vom Bundesasylamt am selben Tag auch der Bundespolizeidirektion Wien zur Information übermittelt.

Auf Grund dieses Schreibens besteht - in Übereinstimmung mit dem Beschwerdevorbringen, die Erstbeschwerdeführerin habe einen "Antrag nach § 51 Abs. 1 FPG auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Georgien" gestellt - kein Zweifel, dass es sich dabei im Sinn des § 51 Abs. 2 FPG um einen Antrag gemäß § 51 Abs. 1 FPG handelte, der sich auf den Herkunftsstaat der Erstbeschwerdeführerin bezog.

Lag aber - wie in der Beschwerde im Ergebnis behauptet wird - im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides über die Ausweisung der beschwerdeführenden Parteien ein zulässiger Antrag der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 51 Abs. 1 FPG, der sich auf ihren Herkunftsstaat bezieht, vor, so galt dieser Antrag gemäß § 51 Abs. 2 FPG als Antrag auf internationalen Schutz. Diesfalls wäre die Erstbeschwerdeführerin - sofern der Antrag auch im Sinn des § 17 Abs. 2 AsylG 2005 eingebracht wurde - Asylwerberin gemäß § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005. In diesem Fall hätte gemäß § 1 Abs. 2 erster Satz FPG eine Ausweisung gemäß § 53 FPG gegenüber der Erstbeschwerdeführerin nicht erfolgen dürfen.

Angesichts dessen hätte die belangte Behörde aber entsprechende Ermittlungen anstellen und Feststellungen dazu treffen müssen, ob die Erstbeschwerdeführerin persönlich einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht hatte und ob diesbezüglich bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides das Verfahren bereits abgeschlossen worden war. Dies hat die belangte Behörde jedoch unterlassen. Auch im Zuge der Vorlage der Verwaltungsakten hat sie sich zum Beschwerdevorbringen, die Erstbeschwerdeführerin sei im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides Asylwerberin iSd § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005 gewesen, nicht geäußert, sondern vielmehr mit dem Hinweis auf die "weitgehende Substanzlosigkeit der Beschwerde" auf eine Gegenschrift verzichtet.

Da die belangte Behörde somit entscheidungswesentliche Feststellungen nicht getroffen hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid, soweit mit ihm die erstinstanzliche Ausweisung der Erstbeschwerdeführerin bestätigt wurde, mit einem relevanten Verfahrensmangel.

Das schlägt auch auf die Ausweisung der Kinder durch.

Der angefochtene Bescheid war daher zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am