VwGH vom 30.11.2020, Ra 2020/17/0120
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und den Hofrat Mag. Berger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der G Z in S, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , LVwG-S-1321/007-2016, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Angelegenheit nach dem Glücksspielgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Korneuburg), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
11. Zum Sachverhalt wird auf das im ersten Rechtsgang ergangene Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2017/17/0015, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich (LVwG) vom auf, weil es den Bescheid der belangten Behörde vom über den Antrag der Revisionswerberin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist zu Unrecht wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde behoben und den Wiedereinsetzungsantrag zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen hatte.
22.1. Mit (Ersatz-)Erkenntnis vom wies das LVwG die Beschwerde gegen die Abweisung dieses Wiedereinsetzungsantrages durch die belangte Behörde mit der auf das Wesentliche zusammengefassten Begründung ab, dass nicht feststellbar gewesen sei, ob die (handschriftlich verfasste) Beschwerde innerhalb der Beschwerdefrist eingelangt sei, obwohl es diese Beschwerde bereits mit Beschluss vom als verspätet zurückgewiesen hatte.
32.2. Dieses Erkenntnis wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2019/17/0042, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
4Der Verwaltungsgerichtshof führte im Wesentlichen aus, eine Voraussetzung der Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei, dass die Partei eine Frist versäumt habe. Diese Voraussetzung sei aufgrund des Zurückweisungsbeschlusses vom erfüllt gewesen. Das LVwG habe es ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht unterlassen, basierend auf dem Vorbringen der Revisionswerberin im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen der Bewilligung eines solchen Antrags - ob also ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden zur Fristversäumnis geführt habe - zu treffen.
52.3. Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Erkenntnis vom wies das LVwG die Beschwerde gegen die Abweisung dieses Wiedereinsetzungsantrages durch die belangte Behörde erneut als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6Begründend führte das LVwG im Wesentlichen aus, dass der Vertreter der Revisionswerberin mit Schreiben vom einen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt, gleichzeitig Beschwerde erhoben und eine Stellungnahme eingebracht habe. Im Antrag auf Wiedereinsetzung sei lediglich ausgeführt worden, dass sich über Vorhalt des LVwG ergeben habe, dass die handschriftlich verfasste Beschwerde der Revisionswerberin vom womöglich bei der belangten Behörde nicht eingelangt sei. Im Antrag sei wörtlich ausgeführt worden, dass die Revisionswerberin keinen Grund gesehen habe, sich bei der belangten Behörde über den Verbleib ihrer Beschwerde zu erkundigen. Sollte dies als Verschulden angesehen werden, gehe es keinesfalls über einen minderen Grad des Versehens hinaus. Damit sei weder ein Wiedereinsetzungsgrund behauptet, noch sei glaubhaft gemacht bzw. seien im Antrag taugliche Bescheinigungsmittel beigebracht worden, „welche konkreten Gründe“ vorgelegen seien, „um ein unvorhergesehenes oder unabwendbares [Ereignis] aufzuzeigen“, das die Revisionswerberin an der Einhaltung der Frist gehindert habe.
7Beweiswürdigend führte das LVwG (u. a.) aus, die Verspätung der Beschwerde ergebe sich aus seinem Beschluss vom . Die Feststellungen betreffend das Nichtvorbringen von konkreten Angaben zu einem unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis ergäben sich aus dem im Akt „inneliegenden“ Wiedereinsetzungsantrag.
8Rechtlich führte das LVwG aus, es sei nur auf den Wiedereinsetzungsantrag abzustellen; in diesem habe die Revisionswerberin nur behauptet, kein Verschulden zu haben bzw. dass sie kein über einen minderen Grad des Versehen hinausgehendes Verschuldens treffe. Konkrete Angaben zu einem unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis habe sie nicht dargelegt.
93.1. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
103.2. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
114.1. Die Revision erweist sich hinsichtlich des Vorbringens, das LVwG habe entgegen näher bezeichneter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes trotz Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag, wonach der Beschwerdeschriftsatz auf dem Postweg verloren gegangen sei, keine diesbezüglichen Feststellungen zum behaupteten Wiedereinsetzungsgrund getroffen, als zulässig und berechtigt.
124.2. Zunächst ist auszuführen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein an eine Behörde gerichtetes Anbringen nur dann als eingebracht gilt, wenn es bei der Behörde auch tatsächlich einlangt; die Partei trägt die Gefahr des Verlustes einer Eingabe (vgl. ). Bei Verlust einer Eingabe auf dem Postweg steht bei verfahrensrechtlichen Fristen das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Verfügung (vgl. ).
13Der Umstand, dass ein zur Post gegebenes Schriftstück bei der Behörde, an die es adressiert ist, nicht einlangt, ist dabei ein Ereignis, das der Absender offensichtlich nicht einrechnet, kann doch im Hinblick auf die Zuverlässigkeit des Postverkehrs auch unter Bedachtnahme auf die zumutbare Aufmerksamkeit und Voraussicht von der Partei nicht erwartet werden, dass sie diesen Umstand einrechnet (vgl. erneut ).
14Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht alle notwendigen Beweise aufzunehmen hat und sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und Begründung hinwegsetzen darf (vgl. z.B. , mwN).
154.3. Im vorliegenden Fall hat sich das LVwG mit der unter Einvernahme ihrer Person sowie unter Vorlage einer Kopie des Schreibens vom dargelegten Behauptung der Revisionswerberin im Wiedereinsetzungsantrag, sie habe per Post eine Beschwerde an die belangte Behörde verschickt, welche „womöglich“ nicht bei der belangten Behörde eingelangt sei - mithin der impliziten Behauptung, der Beschwerdeschriftsatz sei auf dem Postweg verloren gegangen - nicht auseinandergesetzt. Die Feststellung des LVwG, es habe überhaupt kein Vorbringen zu einem unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignis gegeben, ist somit unrichtig. Das LVwG hat es ausgehend von dieser auf einer unzutreffenden Rechtsansicht basierenden Feststellung vielmehr erneut unterlassen (vgl. ), anhand des behaupteten Vorbringens im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Feststellungen zu den Voraussetzungen der Bewilligung eines solchen Antrags - ob also ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne grobes Verschulden der Revisionswerberin zur Fristversäumnis geführt hat - zu treffen.
165. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
176. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020170120.L00 |
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