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VwGH 15.06.2011, 2009/05/0050

VwGH 15.06.2011, 2009/05/0050

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssätze


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Normen
BauO Wr §129 Abs2;
BauRallg;
RS 1
Für die Qualifikation eines Baugebrechens ist die Ursache grundsätzlich ohne Bedeutung; auf die Frage des Verschuldens oder der Verursachung kommt es nicht an. Es ist für die Baubehörde völlig unbeachtlich, welche Gründe dazu geführt haben, daß Baugebrechen entstehen konnten. Die Wr BauO stellt einzig und allein darauf ab, ob Baugebrechen festgestellt werden, und verpflichtet die Behörde, für deren unverzügliche Beseitigung Sorge zu tragen.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 94/05/0183 E RS 2 (hier: nur der erste Satz)
Normen
BauO Wr §129 Abs2;
BauO Wr §129 Abs4;
BauRallg;
RS 2
Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass angemorschte Fensterflügel schon wegen der damit grundgelegten Möglichkeit des (späteren) Herabfallens die Sicherheit von Personen gefährden können und daher von einem Baugebrechen auszugehen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 6/75). (Hier: Es besteht kein Zweifel, dass Vermorschungen gerade bei einer Holzkonstruktion wie der hier gegenständlichen spiralförmigen Holzrutschenanlage ebenso geeignet sind, zu derartigen Gefährdungen zu führen.)
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2006/05/0056 E RS 4 (hier: ohne den fallspezifischen Zusatz)
Normen
BauO Wr §129 Abs2;
BauO Wr §129 Abs4;
RS 3
Worauf die Feuchtigkeit in einer Mauer zurückzuführen ist, ist für die Qualifikation eines Schadens als Baugebrechen grundsätzlich ohne Bedeutung.
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 0918/68 E VwSlg 7473 A/1968 RS 2

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Hofräte Dr. Handstanger und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde der I H in K, vertreten durch Brand Rechtsanwälte GmbH in 1020 Wien, Schüttelstraße 55, Carre Rotunde, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom , Zl. BOB-388/08, betreffend eine Bausache (weitere Partei: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der Bundeshauptstadt Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Anlässlich einer am durchgeführten Ortsaugenscheinsverhandlung ergab sich, dass im Y Bezirk in Wien, K, EZ. 398 der KG N, die Niederschlagswässer des Hofgebäudes (Stiege 1) frei ohne Abflussstrang in den Hof abgeleitet, bzw. entwässert werden. Auch die äußeren straßenseitigen Fensterflügel der Wohnung Top 18 sind schadhaft, das Holz ist teilweise durch Wassereintritt gesprungen und porös. Weiters ist der Verputz im Erdgeschossbereich aufgrund vermuteter Trockenlegungsarbeiten abgeschlagen und nicht wiederhergestellt worden. Die Beschwerdeführerin gab an, die Liegenschaft in diesem Zustand erworben zu haben.

2. In der Folge erteile die Baubehörde erster Instanz (Magistratsabteilung 37/7) mit Bescheid vom der Beschwerdeführerin als Eigentümerin der Liegenschaft gemäß § 129 Abs. 2, 4 und 10 der Bauordnung für Wien (BO) folgenden Auftrag:

"Binnen sechs Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides,

1.) sind die Niederschlagswässer des Hofgebäudes (Stiege 1) über Kanalanlagen in den Straßenkanal einzuleiten und

2.) sind die äußeren straßenseitigen Fensterflügel der Holzkastenfenster der Wohnung Top 18 instand zu setzen, bzw. erneuern zu lassen. Binnen zwölf Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides,

3.) ist der Verputz im Erdgeschoßbereich des Hofgebäudes (Stiege 1) herstellen zu lassen".

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die dagegen erhobene Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG als unbegründet abgewiesen.

Begründend wurde insbesondere ausgeführt: Im Akt liege eine umfangreiche Fotodokumentation über die vorhandenen Schäden und Abweichungen am bestehenden Gebäude ein. Die Fotos seien im Rahmen der Ortsaugenscheinsverhandlung aufgenommen worden und es sei darauf deutlich erkennbar, dass die Dachwässer mittels Wasserspeier in den Hof frei abgeleitet würden, äußere Holzkastenfensterflügel desolat seien und im Erdgeschoßbereich der Verputz an der Hoffront fehle, der das Rohziegelmauerwerk und die Mörtelbänder vor dem Eindringen von Feuchtigkeit zu schützen habe. Nach der Aktenlage und von der Beschwerdeführerin unbestritten liege der verfahrensgegenständliche Bauplatz unmittelbar an der K und sei sohin innerhalb von 30 Metern ein Straßenkanal vorhanden. Das Vorliegen dieser vom Gesetz (§ 2 Abs. 1 des Gesetzes über Kanalanlagen und Einmündungsgebühren (KanalG)) geforderten Voraussetzungen für die Verpflichtung zum Kanalanschluss würden von der Beschwerdeführerin nicht bestritten. Durch das derzeit gegebene freie Abfließen der Niederschlagswässer des Hofes bei Temperaturen nahe bzw. unter dem Gefrierpunkt und damit der einhergehenden erhöhten Gefahr der Vereisung des allgemein für die Hausbewohner zugänglichen Hofes würden öffentliche Rücksichten berührt.

Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin betreffend die schadhaften Fenster, bzw., dass ein Glaser nach Austausch einer Fensterscheibe keine weiteren Mängel habe feststellen können, sei entgegenzuhalten, dass sich der gegenständliche Instandsetzungsauftrag nicht auf gebrochene Fensterscheiben beziehe, sondern auf die schadhaften Fensterflügel aus Holz. Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nach seien abgemorschte Fensterflügel schon deshalb als Baugebrechen anzusehen, weil sie bereits durch die Möglichkeit des (späteren) Herabfallens die Sicherheit von Personen gefährdenden könnten.

Zum fehlenden Verputz sei auszuführen, dass dieser neben seiner architektonischen Aufgabe die rein technische Zweckbestimmung habe, das Mauerwerk vor Witterungseinflüssen zu schützen. Das unverputzt bleibende Mauerwerk erfordere sowohl arbeitstechnisch als auch materialmäßig eine entsprechende witterungssichere Ausführung. Im vorliegenden Fall stehe es außer Zweifel, dass das Außenmauerwerk, bei dem es sich um gewöhnliches Rohziegelwerk handle, im Zeitraum seiner Herstellung unter dieser Voraussetzung errichtet worden sei. Es sei eine unbestrittene Erfahrungstatsache, dass gewöhnliches Rohziegelmauerwerk gegen Witterungseinflüsse anfällig sei, die Niederschläge in die freigewordenen Mörtelbänder eindringen würden und in der Folge durch die entstehenden Witterungsschäden die Standfestigkeit des Mauerwerkes herabgemindert würde. Dieses Gebrechen sei daher geeignet, den Bauzustand des gesamten Gebäudes weitestgehend zu beeinträchtigen.

Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, die vorhandenen Baugebrechen bestünden aufgrund laufender Sanierungsarbeiten, werde als bloße Schutzbehauptung gewertet. Es seien der im Akt einliegenden Fotodokumentation keinerlei Anzeichen für im Gang befindliche Sanierungsmaßnahmen zu entnehmen gewesen, da keinerlei Baumaterial, Werkzeug oder sonstige für Sanierungsschritte typische Zeichen zur Durchführung von Sanierungsmaßnahmen auf der Bezug habenden Liegenschaft erkennbar gewesen seien.

4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

5. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, mit dem Antrag die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

6. Der Verwaltungsgerichthof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6.1. Nach § 129 Abs. 2 BO hat der Eigentümer (jeder Miteigentümer) dafür zu sorgen, dass die Bauwerke (Gärten, Hofanlagen, Einfriedungen u.dgl.) in gutem, der Baubewilligung und den Vorschriften der BO entsprechendem Zustand erhalten werden. Gemäß § 129 Abs. 10 BO ist jede Abweichung von den Bauvorschriften einschließlich der Bebauungsvorschriften zu beheben. Vorschriftswidrig im Sinne des § 129 Abs. 10 BO ist ein Bau, für den im Zeitpunkt seiner Errichtung ein baubehördlicher Konsens erforderlich war und weiterhin erforderlich ist, für den aber ein solcher Konsens nicht vorliegt. Bei Abweichungen von Bauvorschriften können nach § 129 Abs. 10 BO Bauaufträge sowohl für bewilligungspflichtige, anzeigepflichtige als auch bewilligungsfreie Bauvorhaben erteilt werden (vgl. dazu sowie zum Folgenden das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/05/0162, mwH). Der Grund für die Abweichung von der Bewilligung ist unerheblich. Die Frage der Bewilligungsfähigkeit der vorgenommenen Abweichungen von der Baubewilligung ist im Auftragsverfahren nach § 129 Abs. 10 BO nicht zu prüfen. Ob eine nachträgliche Baubewilligung erteilt werden kann, ist demnach auch keine für die Erlassung eines Abtragungsauftrages nach § 129 Abs. 10 BO zu lösende Vorfrage. Selbst ein allfälliges noch nicht erledigtes entsprechendes Baubewilligungsgesuch hindert die Erlassung eines solchen Auftrages nicht, wohl aber könnte ein solcher Auftrag während der Anhängigkeit eines entsprechenden Ansuchens um nachträgliche Bewilligung und nach der Erteilung einer nachträglichen Bewilligung nicht (mehr) vollstreckt werden. Die an die Baubehörde gerichtete Anordnung, dass "gegebenenfalls Aufträge erteilt werden können", bedeutet, dass die Behörde von Amts wegen bei jeder Abweichung bzw. Vorschriftswidrigkeit im Sinne des § 129 Abs. 10 erster Satz BO einen Auftrag erteilen muss, sofern nicht der Verpflichtete selbst im Sinne der gesetzlichen Anordnung die Abweichung von den Bauvorschriften behebt oder den vorschriftswidrigen Bau beseitigt. Die Behörde ist nur insofern ein Gestaltungsspielraum bei der Durchführung des Bauauftragsverfahrens nach § 129 Abs. 10 BO eingeräumt, als ihr die Möglichkeit an die Hand gegeben ist, mit der Erlassung des Bauauftrages zuzuwarten und dieses - vorläufige - Unterbleiben eines Auftrages sachlich gerechtfertigt ist.

6.2. Das Vorbringen, die belangte Behörde habe sich nicht damit auseinandergesetzt, warum die Niederschlagsgewässer des Hofgebäudes lediglich in Form einer vorstehenden Verblechung im Bereich der ehemaligen Dachrinnenabflüsse, frei ohne Abfallstrang in den Hof abgeleitet, bzw. entwässert würden, versagt, zumal nach der hg. Rechtsprechung für die Qualifikation eines Baugebrechens dessen Ursache grundsätzlich ohne Bedeutung ist und es auf die Frage des Verschuldens oder der Verursachung nicht ankommt (vgl. etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 94/05/0183, vom , Zl. 99/05/0276 und vom , Zl. 2007/05/0026). Ferner ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin im Zuge des Verfahrens das von der Behörde überzeugend begründete Vorliegen der gemäß § 2 Abs. 1 Wiener Kanalanlagen und Einmündungsgebührengesetz (KanalG) geforderten Voraussetzungen nicht in Abrede stellte.

6.3. Mit dem Hinweis der Beschwerdeführerin, sie habe 2007 ein Glaserei-Unternehmen mit der Begutachtung der Fenster beauftragt und dieses habe (nur) eine kaputte Fensterscheibe festgestellt und ausgetauscht, vermag die Beschwerdeführerin für ihren Standpunkt ebenfalls nicht zu gewinnen. Gegenstand des vorliegenden baupolizeilichen Auftrages ist nicht eine schadhafte Fensterscheibe, sondern es wurde aufgetragen, die straßenseitigen äußeren Holzfensterflügel instandzusetzen, bzw. zu erneuern. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass angemorschte Fensterflügel schon wegen der damit grundgelegten Möglichkeit des (späteren) Herabfallens die Sicherheit von Personen gefährden können und daher von einem Baugebrechen auszugehen ist (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2006/05/0056, mwH). Das Bestehen dieses Baumangels ist nachvollziehbar, zumal er vom Amtssachverständigen im Zuge der Ortsaugenscheinsverhandlung festgestellt wurde und sich aus der im Akt einliegenden Fotodokumentation ergibt. Die Beschwerdeführerin tritt den diesbezüglichen Feststellungen der belangten Behörde nicht konkret entgegen.

6.4. Entgegen der Beschwerde war die Behörde auch bezüglich des fehlenden Verputzes zur Erteilung eines Beseitigungsauftrages berechtigt. Gemäß § 129 Abs. 10 BO kann die Behörde beim Vorliegen von Abweichungen von den Bauvorschriften, einschließlich den Bebauungsvorschriften, Aufträge erteilen, diese müssen jedoch erteilt werden, wenn augenscheinlich eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen besteht. Die belangte Behörde hat in ihrer Begründung nachvollziehbar dargestellt, dass eine Gefahr insoweit bestehe, als das nunmehr bestehende gewöhnliche Rohziegelwerk gegen Witterungseinflüsse anfällig ist, Niederschläge in die freigewordenen Mörtelbänder eindringen können und in der Folge die gesamte Standfestigkeit des Mauerwerkes herabgemindert wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/05/0275, mwH). Gegen diese Begründung bringt die Beschwerdeführerin nichts Stichhältiges vor.

Wenn die Beschwerdeführerin geltend macht, die belangte Behörde hätte Feststellungen dazu treffen müssen, welchen Feuchtigkeitsgrad und welchen Grad der Versalzung die gegenständlichen Mauern aufweisen und, dass keine Gefahr von herabfallendem Verputz bestehe, weil dieser nur im Erdgeschossbereich abgeschlagen worden sei, so ist ihr zudem entgegenzuhalten, dass es nach der hg. Judikatur für die Qualifikation eines Schadens als Baugebrechen grundsätzlich ohne Bedeutung ist, worauf die Feuchtigkeit zurückzuführen ist (vgl. hiezu die Erkenntnisse vom , Zl. 0918/ 68 sowie vom , Zl. 1399/70).

6.5. Mit ihrem Vorbringen, bei den von der belangten Behörde qualifizierten (Bau-)Mängel (Niederschlagswasserableitung und Verputz) handle es sich tatsächlich um Teile einer sich bereits im Laufen befindlichen Sanierungsmaßnahme, entfernt sich die Beschwerdeführerin vom Ergebnis der nachvollziehbaren behördlichen Ausführungen, dass weder die durchgeführte Ortsaugenscheinsverhandlung noch die im Akt einliegenden Fotos den Schluss zulassen, dass auf der gegenständlichen Liegenschaft Sanierungsmaßnahmen stattfinden. Im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof bezüglich der Beweiswürdigung zukommenden Kontrolle (vgl. insbesondere das hg Erkenntnis eines verstärkten Senats vom , Zl 85/02/0053) vermag die Beschwerde daher mit diesem Vorbringen nichts zu gewinnen. Ungeachtet dessen war auch der nicht weiter substantiierte Hinweis der Beschwerdeführerin in ihrer Stellungnahme vom gegenüber der belangten Behörde, sie habe die Behebung des Schadens im Zusammenhang mit der Niederschlagswasserableitung bereits veranlasst, die Arbeiten seien aber noch nicht abgeschlossen, nicht geeignet aufzuzeigen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung des vorliegenden Bauauftrags nicht gegeben gewesen wären, zumal auf dem Boden dieses Vorbringens eine Behebung der Vorschriftswidrigkeit noch ausstand.

6.6. Die Beschwerde erweist sich sohin als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

6.7. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Normen
BauO Wr §129 Abs2;
BauO Wr §129 Abs4;
BauRallg;
Schlagworte
Baupolizei Baupolizeiliche Aufträge Baustrafrecht Kosten
Baugebrechen Instandhaltungspflicht Instandsetzungspflicht
BauRallg9/3
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2011:2009050050.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
PAAAE-87397