VwGH vom 27.09.2021, Ra 2020/17/0065

VwGH vom 27.09.2021, Ra 2020/17/0065

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revisionen 1. des R P und 2. der A GmbH, beide in G, beide vertreten durch Mag. Rainer Hochstöger, MBA, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Breitwiesergutstraße 10 (4. OG), gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom , LVwG 30.19-936/2018-20, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Steiermark), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der erstrevisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde der Erstrevisionswerber als handelsrechtlicher Geschäftsführer der zweitrevisionswerbenden Partei der fünffachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild Glücksspielgesetz - GSpG (u.a. mit einem „Cash-Center“) schuldig erkannt und wurden über ihn fünf Geldstrafen zu je EUR 8.000,-- (für den Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen) verhängt, weil er als das gemäß § 9 VStG zur Vertretung nach außen berufene Organ der zweitrevisionswerbenden Partei zumindest vom bis zum Kontrolltag am Glücksspiele unternehmerisch zugänglich gemacht habe. Die zweitrevisionswerbende Partei wurde gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur Haftung für die verhängten Geldstrafen sowie für die Verfahrenskosten verpflichtet.

2Mit Erkenntnis vom gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) im ersten Rechtsgang nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der von den revisionswerbenden Parteien erhobenen Beschwerde betreffend die fünfte Übertretung Folge, behob das Straferkenntnis in diesem Punkt und stellte das Verfahren (insoweit) ein. Im Übrigen wies es die Beschwerde dem Grunde und der Höhe nach mit der Maßgabe ab, dass die Ausspielungen zur dritten und vierten Übertretung jeweils mit dem „Cash-Center“ erfolgt seien. Eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

3Dagegen erhoben die revisionswerbenden Parteien zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom , E 211/2019-5, deren Behandlung ablehnte und sie gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

4Der Verwaltungsgerichtshof hob dieses Erkenntnis am , Ra 2019/09/0065, 0066, soweit mit diesem die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien abgewiesen worden war sowie im Ausspruch über die Verfahrenskosten wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgrund des Fehlens der Anführung der Strafsanktionssnorm im Spruch auf.

5Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz-)Erkenntnis vom wies das Verwaltungsgericht die Beschwerde betreffend die 1. bis 4. Übertretungen mit der Maßgabe ab, dass die Ausspielungen zur dritten und vierten Übertretung jeweils mit dem „Cash-Center“ erfolgt seien und als Strafsanktionsnorm „§ 52 Abs. 2 GSpG“ bestimmt werde. Eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte das Verwaltungsgericht neuerlich für unzulässig.

6In seiner Beweiswürdigung bezog sich das Verwaltungsgericht dabei (u.a.) im Wesentlichen auf „die vorliegende Lichtbilddokumentation vom Tatzeitpunkt“. „Die Beschreibung der Betriebsanlage [...] [ergebe] sich aus dem vorgelegten Plan, aus den übereinstimmenden Beschreibungen der Kontrollorgane und [werde] insbesondere auch im Hinblick auf die Zugangsmöglichkeiten nicht bestritten.“

7Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

81.1. Die revisionswerbenden Parteien bringen zur Zulässigkeit der außerordentlichen Revision im Wesentlichen (u.a.) vor, das Verwaltungsgericht habe den Akteninhalt nicht verlesen, sich aber in seiner Beweiswürdigung auf den Akt der belangten Behörde gestützt. Das Verwaltungsgericht hätte „daher nur auf die Zeugenaussagen Rücksicht nehmen dürfen. Keine[r] der Zeugen [habe] jedoch Angaben zum Spielablauf tätigen [können].“

91.2. Die Revision erweist sich aus diesem Grund als zulässig und begründet.

102.1. Aus der Verhandlungsschrift der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom ergibt sich im Sinn des diesbezüglichen Zulässigkeitsvorbringens die Verlesung des Aktes der belangten Behörde nicht, obwohl sich das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner beweiswürdigenden Erwägungen maßgeblich auch auf diesen Akteninhalt bezogen hat (vgl. oben Rn. 6).

112.2. Gemäß § 48 Abs. 1 VwGVG idF BGBl. I Nr. 57/2018 ist, wenn eine Verhandlung durchgeführt wurde, bei der Fällung des Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist. Auf Aktenstücke ist nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie in der Verhandlung verlesen wurden, es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf verzichtet, oder als es sich um Beweiserhebungen handelt, deren Erörterung infolge Verzichts auf eine fortgesetzte Verhandlung gemäß § 44 Abs. 5 VwGVG entfallen ist.

122.3. § 48 VwGVG legt die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Verwaltungsstrafverfahren fest, der für den Beschuldigten an Art. 6 EMRK zu messen ist. Demnach darf das Verwaltungsgericht, soweit es eine Verhandlung durchführt, bei seiner Entscheidung nur auf die in der Verhandlung selbst vorgekommenen Beweise Rücksicht nehmen (vgl. zu alldem , mwN).

132.4. Das Verwaltungsgericht führt im angefochtenen Erkenntnis vor der Wiedergabe des von ihm festgestellten Sachverhalts (vor Punkt I.3.1.) an, es sei zu diesen Feststellungen „[u]nter Bedachtnahme auf jene Unterlagen und Dokumente, auf die in der Verhandlung Bezug genommen wurde [...]“, gelangt. Es ist weder ersichtlich, dass in den Verhandlungen Aktenstücke der belangten Behörde verlesen worden wären, noch, dass die revisionswerbenden Parteien auf deren Verlesung verzichtet hätten. Das Verwaltungsgericht bezieht sich in seiner Beweiswürdigung aber (u.a.) auf näher genannte Beweisergebnisse im Akt der belangten Behörde.

14Stützt sich das Verwaltungsgericht in seiner Beweiswürdigung zu einer entscheidungswesentlichen Tatfrage unter anderem auf Beweise, die entgegen § 48 VwGVG nicht in der durchgeführten Verhandlung aufgenommen wurden, ist daraus ein für den Beschuldigten nachteiliger Einfluss auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes nicht auszuschließen. Ein solcher sich aus der Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes nach § 48 VwGVG ergebender Verfahrensmangel ist insofern entscheidungsrelevant und hat die Aufhebung eines derart mangelhaften Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichtes zur Folge (vgl. ; erneut , Ra 2018/17/0119; jeweils mwN).

153. Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen gewesen wäre.

164.1. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff, insbesondere § 53 Abs. 1VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

174.2. Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020170065.L00

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