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VwGH vom 08.09.2020, Ra 2020/17/0036

VwGH vom 08.09.2020, Ra 2020/17/0036

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und den Hofrat Mag. Berger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des R P in G, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom , LVwG 30.19-299/2016-32, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Steiermark), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es nicht bereits mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , E 883/2017, aufgehoben wurde (Ausspruch über die Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen), in seinem übrigen Umfang wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

11. Mit Straferkenntnis vom verhängte die belangte Behörde wegen der vierfachen Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 Glücksspielgesetz - GSpG über den Revisionswerber vier Geldstrafen sowie vier Ersatzfreiheitsstrafen, weil zumindest am (Kontrolltag) in einem näher bezeichneten Lokal, dessen Betreiber die A GmbH sei, zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen in Form von Glücksspielen mit näher bezeichneten Geräten durchgeführt worden seien. Das vom Revisionswerber vertretene Unternehmen habe die Ausspielungen unternehmerisch zugänglich gemacht, indem es in der Zeit vom bis die Veranstaltung der verbotenen Ausspielungen im Lokal geduldet und hinsichtlich bestimmter Geräte an der Auszahlung der Gewinne und an dem „Nullstellen“ der Geräte mitgewirkt habe.

22. Die gegen dieses Straferkenntnis erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Landesverwaltungsgericht Steiermark (LVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom als unbegründet ab und verpflichtete den Revisionswerber zur Zahlung eines Beitrages zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das LVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

33.1 Dieses Erkenntnis des LVwG wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , E 883/2017, wegen Verletzung des Revisionswerbers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit gemäß Art. 1 des Bundesverfassungsgesetzes vom über den Schutz der persönlichen Freiheit in Verbindung mit Art. 5 EMRK im Umfang des Ausspruches über die Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen aufgehoben.

43.2. Das LVwG wies mit seinem (Ersatz-)Erkenntnis vom in der Folge die Beschwerde hinsichtlich der verhängten Geldstrafen ab; hinsichtlich der verhängten Ersatzfreiheitsstrafen gab es der Beschwerde Folge und setzte diese auf jeweils 1 Woche herab. Dieses Erkenntnis wurde vom Revisionswerber nicht bekämpft.

53.3. Mit Beschluss vom , E 883/2017, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der bis dahin bei ihm anhängig gewesenen Beschwerde des Revisionswerbers gegen das ursprüngliche Erkenntnis des LVwG vom , soweit sie den Ausspruch über den Schuldspruch betraf, ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG an den Verwaltungsgerichtshof ab.

63.4. Gegen den Schuldspruch des Erkenntnisses des LVwG vom richtet sich die nunmehr vorliegende außerordentliche Revision.

73.5. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die kostenpflichtige Zurück-, in eventu die Abweisung der Revision; zum Zulässigkeitsvorbringen zum Vorliegen einer Verwaltungsübertretung für den Zeitraum der Geltung des GSpG in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 13/2014 führte die belangte Behörde aus, der Rechtsansicht des Revisionswerbers, seine Taten seien vor Inkrafttreten der Novelle gerichtlich strafbar gewesen, weshalb seine verwaltungsbehördliche Bestrafung zu Unrecht erfolgt sei, werde zwar zugestimmt, die Revision sei jedoch aus näheren Gründen nicht gesetzmäßig ausgeführt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

84.1. Die vorliegende Revision erweist sich schon im Hinblick auf das Zulässigkeitsvorbringen, es liege eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung deshalb vor, weil die angefochtene Entscheidung im Widerspruch zur Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Subsidiarität der verwaltungsgerichtlichen zur strafgerichtlichen Zuständigkeit hinsichtlich der im inkriminierten Tatzeitraum geltenden Fassung des GSpG stehe, als zulässig. Diese Rechtsfrage wird im Zulässigkeitsvorbringen klar erkennbar formuliert.

94.2. Die Revision ist auch berechtigt:

104.2.1. Der dem Revisionswerber angelastete Zeitraum der Tatbegehung von bis liegt teilweise vor und teilweise nach Inkrafttreten der GSpG-Novelle BGBl. I Nr. 13/2014 (am ).

11Dem angefochtenen Erkenntnis liegt somit ein Sachverhalt zugrunde, in dem zu Beginn des Zeitraums der dem Revisionswerber vorgeworfenen strafbaren Handlung () die GSpG-Novelle BGBl. I Nr. 13/2014 noch nicht in Geltung stand. Die damals geltende Fassung des § 52 Abs. 2 GSpG, BGBl. I Nr. 111/2010, bestimmte, dass eine allfällige Strafbarkeit nach dem GSpG hinter eine allfällige Strafbarkeit nach § 168 StGB zurücktritt, wenn im Zusammenhang mit der Teilnahme an Ausspielungen vermögenswerte Leistungen für ein Spiel von über € 10,-- von Spielern oder anderen geleistet werden.

12Der Verwaltungsgerichtshof hat zu dieser Rechtslage ausgesprochen, dass im Ergebnis keine (verfolgbare) Verwaltungsübertretung anzunehmen ist, wenn eine an sich bestehende verwaltungsrechtliche Strafbarkeit hinter die gerichtliche Strafbarkeit zurücktritt. Der Täter verwirklicht allein den einschlägigen Kriminalstraftatbestand. Für den Fall der Verwirklichung des Straftatbestandes des § 168 StGB wegen der Ermöglichung von Ausspielungen mit Einsätzen von über € 10,-- verbleibt kein Raum für eine weitere Verfolgung wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung nach § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG. Im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 422/2013 (VfSlg. 19.754), ist nach Feststehen der Möglichkeit zur Überschreitung der Einsatzhöhe von € 10,-- vom Vorliegen der ausschließlichen Gerichtszuständigkeit auszugehen, weshalb in solchen Fällen auch keine Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden nach den Bestimmungen des GSpG besteht (vgl. , mwN).

134.2.2. Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass bei den Geräten FA-KNr. 1 und FA-KNr. 2 jeweils Einsätze von „zumindest € 20,--„ - somit über € 10,-- - möglich gewesen seien. Die Richtigkeit dieser Feststellung wird von der Revision nicht bestritten. Damit tritt für den inkriminierten Tatzeitraum bis zum Inkrafttreten der GSpG-Novelle BGBl. I Nr. 13/2014 am (somit vom bis ) hinsichtlich dieser beiden Geräte die verwaltungsbehördliche hinter die gerichtliche Strafbarkeit zurück. Es liegt diesbezüglich eine ausschließliche gerichtliche Zuständigkeit vor (vgl. z.B. ).

14Das LVwG hat daher schon in Bezug auf diese beiden Geräte das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

154.2.3. Hinsichtlich der Geräte FA-KNr. 4 und FA-KNr. 7 hat das LVwG keine Feststellungen zu den möglichen Höchsteinsätzen getroffen.

16Wie der Verwaltungsgerichtshof jedoch wiederholt ausgesprochen hat, sind für alle jene Sachverhalte, in denen im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung die GSpG-Novelle BGBl. I Nr. 13/2014 noch nicht in Geltung stand (Tatbegehung vor dem ), Feststellungen zu treffen, ob auf den jeweiligen Glücksspielgeräten Spiele mit Einsätzen von mehr als € 10,-- möglich waren (vgl. z.B. ).

17Bei Feststellung von möglichen Höchsteinsätzen auf den beiden Glücksspielgeräten von über € 10,-- ist gemäß § 52 Abs. 2 GSpG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 13/2014, wie bereits ausgeführt, von der Verwirklichung des Straftatbestandes des § 168 StGB auszugehen. In diesem Fall würde die Tat zum Zeitpunkt ihrer Begehung keine Verwaltungsübertretung bilden und wäre somit nicht mit Verwaltungsstrafe bedroht, sodass für eine weitere Verfolgung wegen des Verdachts einer Verwaltungsübertretung nach § 52 Abs. 1 Z 1 GSpG (in der zum Tatbegehungszeitpunkt geltenden Fassung BGBl. I Nr. 111/2010) kein Raum verbliebe.

18Das LVwG hat daher hinsichtlich der beiden anderen Geräte durch das Unterlassen von Feststellungen zu den möglichen Höchsteinsätzen das angefochtene Erkenntnis in diesem Umfang mit einem sekundären Verfahrensmangel belastet.

194.3. Das angefochtene Erkenntnis war, soweit es nicht bereits mit dem oben genannten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom behoben wurde, in seinem übrigen Umfang schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

205. Hinsichtlich des mit Erkenntnis des LVwG vom erfolgten Strafausspruches ist auf Folgendes hinzuweisen:

21Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt durch die Aufhebung eines angefochtenen Erkenntnisses die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses befunden hatte. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung eines aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet nicht nur, dass der Rechtszustand zwischen Erlassung des aufgehobenen Erkenntnisses und seiner Aufhebung im Nachhinein so zu betrachten ist, als ob das aufgehobene Erkennntis von Anfang an nicht erlassen worden wäre, sondern hat auch zur Folge, dass allen Rechtsakten, die während der Geltung des sodann aufgehobenen Erkenntnisses auf dessen Basis gesetzt wurden, im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen wurde; solche Rechtsakte erweisen sich als rechtswidrig und gelten infolge der Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses mit diesem dann als beseitigt, wenn sie mit dem aufgehobenen Erkenntnis in einem unlösbaren rechtlichen Zusammenhang stehen (vgl. aus der ständigen hg. Judikatur etwa , mwN).

22Durch die Gestaltungswirkung der Aufhebung des im vorliegend angefochtenen Erkenntnis getroffenen Schuldspruches gehört somit das Erkenntnis des LVwG vom hinsichtlich des Strafausspruches ebenfalls nicht mehr dem Rechtsbestand an.

236. Die Kostenentscheidung gründet auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020170036.L00

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