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VwGH 21.03.2013, 2011/09/0142

VwGH 21.03.2013, 2011/09/0142

Entscheidungsart: Erkenntnis

Rechtssatz


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Normen
12010E020 AEUV Art20;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art23;
62009CJ0034 Zambrano VORAB;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
AuslBG §3 Abs8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
RS 1
Das Unionsrecht verwehrt es zwar einem Mitgliedstaat nicht, einen Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn dieser Drittstaatsangehörige dort zusammen mit einem Familienangehörigen wohnen möchte, der Unionsbürger ist, sich in diesem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufhält und nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, allerdings nur dann, sofern eine solche Weigerung nicht dazu führt, dass dem betreffenden Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird (vgl. E , 2011/22/0309; , Rs Dereci et al). Diese Überlegungen treffen auch auf die Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG zu. Zur Sicherung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, sind nämlich sowohl das Recht auf Aufenthalt als auch das Recht auf eine Arbeitserlaubnis jener einem Drittstaat angehörenden Person zu gewährleisten, auf deren Unterhalt die betroffenen Unionsbürger angewiesen sind (vgl. Urteil EuGH Zambrano; Urteil EuGH Dereci; E , 2006/09/0160).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Köhler, über die Beschwerde des YP in S, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle Kärnten des Arbeitsmarktservice vom , Zl. LGS/Abt.SfU/ABA 1573227/2011, betreffend Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers, eines ukrainischen Staatsangehörigen, auf Ausstellung einer Bestätigung, dass er vom Ausländerbeschäftigungsgesetz ausgenommen sei, gemäß § 3 Abs. 8 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) iVm § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der Beschwerdeführer in seiner Berufung vorgebracht habe, dass er seit dem mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei und der Ehe eine Tochter entstamme, welche ebenfalls österreichische Staatsbürgerin sei, beide hätten gemäß § 20 AEUV auch die Unionsbürgerschaft. Er berufe sich auf das Metock, Rs C-127/08, und es sei im Sinne dieses Urteiles nicht zulässig, ihm im Hinblick darauf, dass er seiner minderjährigen Tochter Unterhalt gewähre, die Arbeitserlaubnis zu verwehren. Mit dem Recht auf Arbeitsaufnahme sei zwingend die Ausstellung der begehrten Ausnahmebestätigung verbunden.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer ukrainischer Staatsbürger sei und seit dem mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei. Sein Antrag auf Gewährung von Asyl sei rechtskräftig abgewiesen worden und er verfüge über kein gültiges Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

Nach Darstellung der Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde aus, dass nach den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1462/06, und vom , G 244/09 u.a., auch Ehegatten von Österreichern, die eines ihrer Rechte gemäß Art. 21 (Niederlassungsfreiheit) und Art. 45 (Arbeitnehmerfreizügigkeit) AEUV in einem anderen EWR-Mitgliedstaat (oder in der Schweiz) ausgeübt hätten und im Anschluss danach wieder nach Österreich zurückgekehrt seien, Arbeitnehmerfreizügigkeit besäßen und daher ebenfalls von der Ausnahmeregelung des § 3 Abs. 8 AuslBG erfasst seien.

Es finde sich kein Hinweis darauf, dass die Ehegattin des Beschwerdeführers einen Freizügigkeitssachverhalt gesetzt habe und ein europarechtliches Aufenthaltsrecht hätte. Es seien daher die (einschränkenden) österreichischen Bestimmungen des § 1 Abs. 2 lit. l des Ausländerbeschäftigungsgesetzes anzuwenden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil er als Vater einer im Jahr 2010 geborenen österreichischen Staatsbürgerin im Lichte des Urteils des EuGH in der Rechtssache Zambrano von der Anwendung des AuslBG ausgenommen sei. Er sei Ehegatte einer österreichischen Staatsbürgerin und habe die gemeinsame Tochter zu ernähren, die ebenfalls österreichische Staatsbürgerin sei. Er habe daher ein Recht auf Ausstellung einer Ausnahmebestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG, diese dürfe ihm im Lichte des Urteiles des EuGH in der Rechtssache Zambrano nicht verweigert werden.

Der Beschwerdeführer beruft sich auch auf Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und das darin festgelegte Recht auf ein Verfahren vor einem Gericht und dort auf eine mündliche Verhandlung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0054, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 18.968/2009, zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht für Familienangehörige österreichischer Staatsbürger (gemäß Art. 20 AEUV Unionsbürger) ausgeführt, dass diesen nicht in jedem Fall hinsichtlich ihres Rechts auf Aufenthalt dieselben Rechte zustünden, wie Familienangehörigen von Unionsbürgern. Er hat jedoch sodann Folgendes erkannt:

"Allerdings hat der EuGH über ein weiteres Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofs im Urteil vom , Rechtssache C-256/11, 'Dereci u.a.', unter Hinweis auf das Urteil vom , Rechtssache C-34/09, 'Zambrano', ausgesprochen, dass Art. 20 AEUV nationalen Maßnahmen entgegensteht, die bewirken, dass den Unionsbürgern der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihnen dieser Status verleiht, verwehrt wird (Randnr. 64). Das Kriterium der Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, bezieht sich auf Sachverhalte, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes (Randnr. 66). Es betrifft Sachverhalte, in denen - obwohl das das Aufenthaltsrecht von Drittstaatsangehörigen betreffende abgeleitete Recht nicht anwendbar ist - einem Drittstaatsangehörigen, der Familienangehöriger eines Staatsbürgers eines Mitgliedstaats ist, ein Aufenthaltsrecht ausnahmsweise nicht verweigert werden darf, da sonst die Unionsbürgerschaft der letztgenannten Person ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde (Randnr. 67). Konkretisierend hat der EuGH dargelegt, die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaats aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaats besitzen, mit ihm zusammen im Gebiet der Union aufhalten können, rechtfertige für sich genommen nicht die Annahme, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt würde (Randnr. 68).

Angesichts dieses unionsrechtlichen Maßstabs ist festzuhalten, dass die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage nicht geprüft hat, ob der vorliegende Fall einen solcherart beschriebenen Ausnahmefall darstellt. Sie wird dazu im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - diese Frage war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben."

Ebenso hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0309 und weitere Zlen., in Beschwerdefällen betreffend Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln an Ehegatten von österreichischen Staatsbürger/innen ebenfalls unter Hinweis auf das , in der Rechtssache Dereci et al, dargelegt, dass es zwar das Unionsrecht einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, einen Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet zu verweigern, wenn dieser Drittstaatsangehörige dort zusammen mit einem Familienangehörigen wohnen möchte, der Unionsbürger ist, sich in diesem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, aufhält und nie von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, allerdings nur dann, sofern eine solche Weigerung nicht dazu führt, dass dem betreffenden Unionsbürger der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird.

Diese Überlegungen treffen auch auf die Ausstellung einer Bestätigung gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG zu. Zur Sicherung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, sind nämlich sowohl das Recht auf Aufenthalt als auch das Recht auf eine Arbeitserlaubnis jener einem Drittstaat angehörenden Person zu gewährleisten, auf deren Unterhalt die betroffenen Unionsbürger angewiesen sind (vgl. das Urteil Zambrano, RandNr. 43, und das Urteil Dereci, RandNr. 65; vgl. etwa auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/09/0160, mwN). Im Übrigen sind gemäß Art. 23 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom (Unionsbürgerrichtlinie) die Familienangehörigen eines Unionsbürgers, die das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt in einem Mitgliedstaat genießen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit nicht nur zum Aufenthalt, sondern auch dazu berechtigt, dort eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer oder Selbständiger aufzunehmen.

Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Versagung des Rechts, sich in Österreich aufzuhalten und in Österreich eine Beschäftigung aufzunehmen, für den Beschwerdeführer im Ergebnis zur Verwehrung des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, für die Ehegattin und minderjährige Tochter des Beschwerdeführers, die beide österreichische Staatsbürgerinnen sind, führen würde (Randnummer 68 des angeführten EuGH-Urteiles Dereci).

Die belangte Behörde hat damit die oben dargestellte Rechtslage verkannt und sie hat infolgedessen wesentlichen Feststellungen nicht getroffen. Daher war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

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Normen
12010E020 AEUV Art20;
32004L0038 Unionsbürger-RL Art23;
62009CJ0034 Zambrano VORAB;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
AuslBG §3 Abs8;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2013:2011090142.X00
Datenquelle

Fundstelle(n):
HAAAE-87313