VwGH vom 14.10.2011, 2011/09/0134
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des BF in T, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/2/23, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien, Landesgeschäftsstelle, vom , GZ. 3/08114/342 5522, betreffend Zurückweisung einer Berufung in Angelegenheit Versagung der Erteilung einer Sicherungsbescheinigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die C GmbH stellte am einen Antrag auf Ausstellung einer Sicherungsbescheinigung für die berufliche Tätigkeit Bauhelfer für den Beschwerdeführer. Dieses Anbringen wurde von der Behörde erster Instanz "abgelehnt", weil die Landeshöchstzahl 2011 für das Bundesland Wien
überschritten sei, der Regionalbeirat die Ausstellung einer Sicherungsbescheinigung nicht einhellig befürwortet habe und keine der im § 4 Abs. 6 Z. 2 bis 6 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG) normierten Voraussetzungen vorlägen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung. Er verwies zu seiner Aktivlegitimation auf die Urteile des EGMR in den Rechtssachen Jurisic und Collegium Mehrerau gegen Österreich, Nr. 62539/00 und Coorplan-Jenni GmbH und Hascic gegen Österreich, Nr. 10523/02, je vom .
In der Berufung brachte er auch u.a. vor, er sei in Österreich sehr gut integriert, seine Deutschkenntnisse seien gut und ermöglichten ihm ein sicheres Auftreten. Aufgrund seiner "fortgeschrittenen wirtschaftlichen und sozialen Integration" wäre dem Antrag stattzugeben gewesen. Er führt hiezu Beweise an. Im Verwaltungsakt liegt ein "Kurszeugnis Deutsch-Integrationskurs" vom ein.
Die belangte Behörde wies die Berufung mit folgender Begründung als unzulässig zurück:
"Der erstinstanzliche Bescheid wurde nach Zitierung des § 4 Abs. 6 AuslBG und dem Hinweis auf die Überschreitung der für das Bundesland Wien für das Kalenderjahr 2011 festgesetzten Landeshöchstzahl im wesentlichen wie folgt begründet:
Der Regionalbeirat hat im gegenständlichen Verfahren die Ausstellung einer Sicherungsbescheinigung nicht einhellig befürwortet. Darüber hinaus liegt nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens keine der im § 4 Abs. 6 Ziff 2 bis 6 AuslBG genannten Voraussetzungen vor.
Gemäß § 21 AuslBG hat der Ausländer in allen Verfahren, in denen seine persönlichen Umstände maßgeblich für die Entscheidung sind, Parteistellung. In allen anderen Verfahren hat der Ausländer die Stellung eines Beteiligten.
Für die Ablehnung des von der C GmbH für Sie gestellten Anbringens waren nicht Ihre persönlichen Umstände entscheidend, sondern es stand gemäß § 4 Abs. 6 in Verbindung mit § 13 Ausländerbeschäftigungsgesetz die Überschreitung der Landeshöchstzahl der Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung entgegen.
Zudem konnte im Ermittlungsverfahren das Vorliegen einer Bedingung des § 4 Abs. 6 AuslBG zur Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für Sie nicht festgestellt werden.
Sie weisen durch die Ihnen vom bis von der Bezirkshauptmannschaft Tulln erteilte Niederlassungsbewilligung - Angehöriger keine fortgeschrittene Integration auf, da der Ihnen ausgestellte Aufenthaltstitel keine Möglichkeit zum permanenten Verbleib im Bundesgebiet sowie auch nicht jene zur Beschäftigungsaufnahme einräumt.
Ihnen kommt daher im gegenständlichen Verfahren keine Parteistellung und somit nicht das Recht auf Einbringung einer Berufung zu.
Ferner wurde Ihnen auch keine Bescheidausfertigung zugestellt, da die Übermittlung einer solchen an den Ausländer im Verfahren auf Ausstellung einer Sicherungsbescheinigung in den Bestimmungen des AuslBG nicht normiert ist.
Gemäß § 20 Abs. 6 AuslBG ist dem Ausländer unabhängig von der Stellung im Verfahren nur eine Bescheidausfertigung über die Beschäftigungsbewilligung bzw. den Widerruf einer solchen zuzustellen. Gleiches gilt für die Anzeigebestätigung nach § 3 Abs. 5 und für die Entsendebewilligung nach § 18.
Auch aufgrund dieses Sachverhaltes kommt Ihnen kein Berufungsrecht zu.
Ihr Hinweis auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) in der Sache Jurisic und Collegium Mehrerau sowie Coorplan-Jenni GmbH und Hascic jeweils gegen Österreicht, räumt Ihnen im gegenständlichen Verwaltungsverfahren kein Berufungsrecht ein. Dahingehend hat der EGMR lediglich über den Anspruch auf gerichtliches Gehör im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention abgesprochen, nachdem der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet abgewiesen bzw. zurückgewiesen hat.
Aufgrund des evidenten Sachverhaltes sind Sie gemäß § 21 AuslBG nicht zur Einbringung der Berufung berechtigt."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid unter Hinweis auf die bereits in der Berufung zitierten Urteile des EGMR für rechtswidrig. Es handle sich auch beim Verfahren zur Ausstellung einer Sicherungsbescheinigung um eine Angelegenheit, die zivilrechtliche Ansprüche im Sinne von Art. 6 Abs. 1 EMRK betreffe. Es sei ihm daher der Zugang zu einem Gericht zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang stellt er den Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge hinsichtlich des § 21 AuslBG einen Antrag auf Gesetzesprüfung (Unvereinbarkeit mit Art. 6 EMRK) stellen.
Des Weiteren finden sich Ausführungen zur Landeshöchstzahl.
Gegen die Begründung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer weise keine fortgeschrittene Integration auf, weil der ihm ausgestellte Aufenthaltstitel keine Möglichkeit zum permanenten Verbleib im Bundesgebiet sowie auch nicht jene zur Beschäftigungsaufnahme einräume, wendet er ein, dass der Grund, warum ihm kein Aufenthaltstitel für den längeren Verbleib in Österreich gewährt werde, die ihm verweigerte Sicherungsbescheinigung sei. Die Begründung der belangten Behörde sei ein Zirkelschluss. Des Weiteren rügt er die Unterlassung von Ermittlungen zur Frage seiner Integration.
Hinsichtlich der Rüge zur Überschreitung der Landeshöchstzahl könnte nun zwar im Hinblick auf § 21 AuslBG der Standpunkt vertreten werden, dass es sich bei der dabei aufgeworfenen Frage der Ausschöpfung der Landeshöchstzahl nicht unmittelbar um eine Rechtsfrage handelte, bezüglich welcher die persönlichen Umstände des Ausländers im Sinne dieser Gesetzesstelle maßgeblich für die Entscheidung wären (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/09/0024, mwN.)
Im vorliegenden Fall führt allerdings - wie in dem dem genannten Erkenntnis zu Grunde liegenden Fall - die Bejahung dieser Frage zur Notwendigkeit der Beurteilung einer zweifellos die persönlichen Umstände des Ausländers betreffenden Frage, nämlich die in der Berufung aufgeworfene Behauptung des Vorliegens seiner fortgeschrittenen Integration gemäß § 4 Abs. 6 Z. 2 AuslBG.
Schon im genannten Erkenntnis vom hat der Verwaltungsgerichtshof überdies darauf hingewiesen, dass der EGMR im Urteil Jurisic und Collegium Mehrerau gegen Österreich, Nr. 62539/00, die Beteiligung eines Ausländers im Verfahren über die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung als ein durch Art. 6 Abs. 1 EMRK geschütztes Recht qualifizierte (Gleichartiges wurde auch im Urteil Coorplan-Jenni GmbH und Hascic gegen Österreich, Nr. 10523/02, ausgeführt). Das Vorliegen ähnlicher Umstände, wie in dem diesen Urteilen zu Grunde liegenden Fällen, kann auch im vorliegenden Fall, im dem es nicht um die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung, sondern um die Ausstellung einer Sicherungsbescheinigung gemäß § 11 AuslBG geht, nicht verneint werden.
Daher ist dem Ausländer in einem solchen Verfahren der Zugang zu einem Gericht zu ermöglichen, das über die Sache in merito entscheidet. Die Zurückweisung einer Berufung als unzulässig schneidet aber diesen erforderlichen Zugang zu einem Gericht ab.
Da im gegenständlichen Fall der Beschwerdeführer schon gemäß § 21 AuslBG in merito am Verfahren zu beteiligen gewesen wäre, erübrigt sich die Klärung der Frage (und sohin ein Antrag auf Gesetzesprüfung an den Verfassungsgerichtshof), ob § 21 AuslBG zur Gänze den in den zitierten Urteilen des EGMR ausgeführten Kriterien entspricht. Auch die Ausführungen des Beschwerdeführers zur Landeshöchstzahl sind erst im Verfahren in der Sache selbst relevant.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Im Hinblick darauf, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Grundlage des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes zu überprüfen hat (§ 41 Abs. 1 VwGG), ist nicht ersichtlich, welchen Beitrag zur Feststellung des Sachverhaltes die vom Beschwerdeführer begehrte öffentliche mündliche Verhandlung hätte leisten können. Zudem wurde der Beschwerde im Ergebnis ohnedies stattgegeben, womit im fortgesetzten Verfahren weitere Ermittlungen anzustellen sind und der Beschwerdeführer die Möglichkeit hat, seinen Standpunkt im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens darzulegen. Angesichts der in der Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend gemachten Rechte sowie nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise war somit im vorliegenden Fall die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung ausnahmsweise nicht geboten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/12/0183).
Dem steht auch Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegen: Der EGMR sieht den Entfall der nach dieser Bestimmung grundsätzlich gebotenen öffentlichen Verhandlung dann als zulässig an, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine Ausnahme davon rechtfertigen (vgl. etwa die Urteile des EGMR in den Fällen Jussila gegen Finnland, , Nr. 73053/01; Bösch gegen Österreich, , Nr. 17912/05; Hofbauer gegen Österreich 2, , Nr. 7401/04). Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände etwa dann angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder hochtechnische Fragen betrifft, der Gerichtshof verwies in diesem Zusammenhang aber auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/09/0273).
Wien, am