VwGH vom 28.02.2012, 2011/09/0125

VwGH vom 28.02.2012, 2011/09/0125

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2011/09/0126

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerden des AW in M, vertreten durch Dr. Gerhard Rettenbacher, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stoß im Himmel 1/11, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich je vom , Zlen. 1.) Senat-PL-11-0041 und 2.) Senat-PL-11-0042, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist (weitere Parteien: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, Bundesministerin für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2010/09/0215 bis 0218, gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen. Im fortgesetzten Verfahren führte die belangte Behörde eine öffentliche mündliche Verhandlung durch und gab mit den angefochtenen Bescheiden den Anträgen des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand keine Folge.

Begründet wurde dies in beiden Bescheiden übereinstimmend im Wesentlichen wie folgt:

"Wie der Rechtsmittelwerber selbst ausführt, hat er zum Einen seine Kanzleitätigkeiten, welche auch die Verwaltung der rechtlichen Angelegenheiten des Unternehmens betreffen, so geregelt, dass er schriftlich auf den entsprechenden Eingangsstücken jene Schritte vermerkt, die die Kanzleikraft zu erledigen hat.

In diesem Fall hat er auf die beiden Schriftstücke 'berufen' vermerkt und damit gemeint, die beiden Schriftstücke seien dem Rechtsvertreter des Rechtsmittelwerbers zuzustellen. Er würde die Schriftstücke in die Postmappe einordnen und sodann wüsste die Kanzleikraft was damit zu tun sei (nämlich das Schriftstück unverzüglich dem Rechtsvertreter zuzustellen). Wegen der Übernahme der Kanzleitätigkeiten in Niederösterreich durch eine neue Buchhalterin bzw. Kanzleikraft, hätte diese vergessen, das Schriftstück dem Rechtsvertreter zuzuleiten und sei es bereits verfristet gewesen, als es dem Rechtsmittelwerber aufgefallen sei. Wie der Verwaltungssenat bereits ausgeführt hat, handelt es sich im vorliegenden Fall um einen Irrtum bzw. eine Unachtsamkeit einer neuen Mitarbeiterin im Unternehmen, welcher sich der Rechtsmittelwerber ohne Zweifel zurechnen lassen muss. Dies deshalb, weil es sich nicht nur um eine geringfügige Angelegenheit gehandelt hat, sondern eben um die Versäumung einer Berufungsfrist, die erhebliche Nachteile mit sich bringt. Da darüber hinaus diese Angelegenheit von einer erst kürzlich im Unternehmen beschäftigten Mitarbeiterin erledigt werden sollte, hätte der Rechtsmittelwerber seine ohnehin ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber der Kanzleiangestellten nachzukommen gehabt. Es genügt zweifelsfrei nicht, einen schriftlichen Vermerkt 'berufen' auf die gegenständlichen Schriftstücke anzubringen und diese wiederum in die Postmappe einzureihen. Es hätte vielmehr der persönlichen Kontrolle bedurft, ob die neu eingeschulte Kanzleikraft die einzelnen Schritte, nämlich 'Rechtsanwalt anrufen' und 'unverzüglich die Schriftstücke dem Vertreter übermitteln' auch durchführt.

Wie bereits ausgeführt, hätte der Rechtsmittelwerber ein besonderes Kontrollsystem vorsehen müssen, das im Falle des Versagens einer Mitarbeiterin Fristversäumungen auszuschließen, geeignet gewesen wäre. Ein Verschulden trifft den Rechtsmittelwerber in einem solchen Fall nur dann nicht, wenn dargetan wird, dass die Fristversäumung auf einem ausgesprochen weisungswidrigen Verhalten des entsprechenden Kanzleiangestellten beruht hätte.

Zeugin Frau P hat jedoch ausgeführt, dass sie einfach vergessen hätte, das Schriftstück dem Rechtsvertreter zuzuleiten. Da die Frage der Fristsetzung und Fristvormerkung daher keine Angelegenheit ist, die einer Kanzleiangestellten in alleiniger Verantwortlichkeit übertragen werden kann, obliegt dem Rechtsmittelwerber die Beaufsichtigungs- und Kontrollpflicht. Hier wäre dem Rechtsmittelwerber zwar eine regelmäßige Kontrolle rein manipulativer Tätigkeiten einer erfahrenen und zuverlässigen Kanzleikraft nicht zuzumuten, bei der kanzleimäßigen Bestimmung einer Rechtsmittelfrist handelt es sich jedoch nicht um einen solchen rein manipulativen Vorgang.

Da der Rechtsmittelwerber die Übersendung der Bescheide an den Rechtsvertreter seiner Kanzleikraft, die noch dazu neu gewesen ist, überließ, wäre es ihm im Rahmen der gebotenen Überwachungspflicht jedenfalls oblegen, diesen Vorgang zu kontrollieren.

Der Rechtsmittelwerber hat zwar vorgebracht, dass er etwa zwei Wochen später, gesehen hätte, dass der Akt noch in seinem Postordner gewesen sei und habe er nochmals 'berufen' darauf vermerkt und sich darauf verlassen, dass dies auch passieren würde. Über seine weitere Nachfrage wieder einige Zeit später, sei die Berufungsfrist bereits verstrichen gewesen. Da im vorliegenden Fall von einer wirksamen Maßnahme zur Kontrolle der Wahrung von Rechtsmittelfristen gegen wesentliche Schriftstücke keinesfalls entsprochen wurde, konnte dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist nicht stattgegeben werden."

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgebliche Bestimmung des § 71 AVG lautet auszugweise wie folgt:

"§ 71. (1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:

1. die Partei glaubhaft macht, daß sie durch ein

unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die

Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein

Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder

2. die Partei die Rechtsmittelfrist versäumt hat, weil

der Bescheid keine Rechtsmittelbelehrung, keine Rechtsmittelfrist oder fälschlich die Angabe enthält, daß kein Rechtsmittel zulässig sei.

(2) Der Antrag auf Wiedereinsetzung muß binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses oder nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Berufung Kenntnis erlangt hat, gestellt werden.

...

(5) Gegen die Versäumung der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages findet keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt.

…"

Der Beschwerdeführer hält die angefochtenen Bescheide für rechtswidrig, weil die belangte Behörde verkannt habe, dass beide Mitarbeiterinnen verlässlich gewesen seien und die neu eingetretene Mitarbeiterin Frau P. einer erweiterten Kontrolle unterworfen gewesen sei. Es sei sein Versehen höchstens von einem minderen Grad gewesen. Der Beschwerdeführer habe jede angemessene oder zumutbare Maßnahme gesetzt, um eine Fristversäumnis möglichst auszuschließen.

Der Beschwerdeführer hat, nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung vom , nachdem er seiner Erinnerung zwei Wochen nachdem er nach deren Posteingang auf die gegenständlichen Bescheide die Anweisung "berufen" vermerkte, wonach die Mitarbeiterinnen angewiesen wurden, mit Rechtsanwalt Dr. R. Kontakt aufzunehmen, um eine Berufung zu schreiben, bemerkt, dass sich die Bescheide noch in seinem Postordner befinden. Die zuständige, erst seit kurzem für das Unternehmen tätige und nach eigenen Angaben überforderte Frau P., war seiner Anweisung über etwa zwei Wochen hindurch nicht nachgekommen. Der Beschwerdeführer brachte auf die Bescheide nochmals den Vermerk an "berufen" und verließ sich ohne weitere diesbezügliche (persönliche) Kontaktaufnahme mit Frau P. darauf, dass dies auch geschehe.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes trifft eine Partei die Obliegenheit, bereits in ihrem Wiedereinsetzungsantrag alle Wiedereinsetzungsgründe innerhalb der gesetzlichen Frist vorzubringen und glaubhaft zu machen. Als "Ereignis" im Sinne des § 71 Abs. 1 Z. 1 AVG ist jegliches Geschehen, also auch psychologische Vorgänge wie etwa Vergessen, Verschreiben, Sich-Irren usw. anzusehen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, 1998, E 45 ff zu § 71 AVG wiedergegebene hg. Judikatur). Der Beschwerdeführer hat mit seinem Vorbringen ein solches "Ereignis" dargestellt und - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht - auch mangels einer anderen konkret denkbaren Variante des Geschehens glaubhaft gemacht. Es stellt sich daher die Frage, ob dieses Ereignis auf ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des Beschwerdeführers zurückzuführen ist. Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinn des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben. Dabei ist zwar an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige, bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligten Personen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/05/0122, mwN). Der Beschwerdeführer ist aber Unternehmer, er führt einen Betrieb. In dieser Eigenschaft müssen ihm die für die Leitung eines Unternehmens notwendigen Prinzipien im Umgang mit behördlichen Schriftstücken vertraut sein. Dem Beschwerdeführer musste daher auch bewusst sein, dass jenes Poststück mit dem von ihm selbst unterfertigten blauen Rückschein ein dringliches behördliches Schriftstück enthalten musste. Indem er offensichtlich keine konkreten Maßnahmen unternahm, um in seinem Betrieb verlässlich dafür zu sorgen, dass die Frist eingehalten wurde, hat er die ihm zumutbare Sorgfalt nicht aufgewendet, - es ist ja schon allgemein bekannt, dass die Einbringung einer Berufung einer Frist unterliegt - weshalb die Versäumung der Berufungsfrist im gegenständlichen Fall nicht als minderer Grad des Versehens beurteilt werden kann (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/09/0278).

Wenn der Beschwerdeführer meint, die belangte Behörde habe sich durch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung dahingehend festgelegt, dass den Anträgen auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Folge zu geben sei, so trifft dies nicht zu, weil auch die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Gegenstand der Verhandlung gewesen ist. Wenn in einer Verfahrensanordnung, mit der eine öffentliche mündliche Verhandlung anberaumt wurde, die Rede von einer fristgerechten Berufung gewesen sein sollte, so bedeutete dies keinen Abspruch über die Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Wenn der Beschwerdeführer rügt, dass die - im ersten Rechtsgang vom Verwaltungsgerichtshof aufgehobenen - Bescheide der belangten Behörde vom mehr als drei Jahre nach dem Ende des Zeitraums der Begehung der vorgeworfenen Tat erlassen worden seien und die Sache daher gemäß § 31 Abs. 3 VStG verjährt sei, so ändert dies nichts an der Zulässigkeit der Abweisung seiner Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, mit denen eine Strafe nicht verhängt wurde.

Da schon der Inhalt der Beschwerden erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, waren die Beschwerden gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

Wien, am