VwGH vom 22.09.2021, Ra 2020/15/0122
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der M GmbH in R, vertreten durch Univ.-Prof. MMag.Dr. Christoph Urtz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottenring 25, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7101495/2013, betreffend Energieabgabenvergütung für das Wirtschaftsjahr Juni 2010 bis Mai 2011, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Die Revisionswerberin, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die von ca. 65 Landwirten feldgefallenes Gemüse (Erdäpfel, Karotten, Zwiebeln und anderes Wurzelgemüse) zukauft, enterdet, reinigt, von Keimtrieben und anhaftendem Kraut befreit, sortiert, (teilweise) zuschneidet, verpackt und an den Lebensmittelhandel verkauft, beantragte die Energieabgabenvergütung für das abweichende Wirtschaftsjahr Juni 2010 bis Mai 2011.
2Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom ab und führte zur Begründung aus, gemäß § 2 Abs. 1 Energieabgabenvergütungsgesetz (EAVG) hätten nur mehr „Produktionsbetriebe“, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter bestehe, Anspruch auf Vergütung der Energieabgabe. Die Tätigkeit der Revisionswerberin bestehe jedoch überwiegend in der Erbringung von Dienstleistungen.
3Die Revisionswerberin erhob gegen den Bescheid vom Berufung (nunmehr: Beschwerde) und führt zunächst aus, dass die Einschränkung auf Produktionsbetriebe gemäß § 2 Abs. 1 EAVG idF des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, erst ab dem anwendbar sei. Sodann führte sie aus, dass sie ein Unternehmen betreibe, in dem aus Rohwaren marktgängige Produkte erzeugt würden. Das zugekaufte Gemüse würde in ihrem Betrieb derart behandelt, dass am Ende der Produktionskette ein marktfähiges Endprodukt an den Einzelhandel verkauft werden könne; ohne die in ihrem Betrieb erfolgenden Produktionsschritte wäre dies nicht möglich. Der Produktions- und Vermarktungsprozess erfolge auf das zivilrechtliche und wirtschaftliche Risiko der Revisionswerberin. Es käme nicht nur zu einer Übernahme fremder Waren zur Bearbeitung und einer nachfolgenden Zurückstellung an den Erzeuger des Gemüses. Vielmehr würden die Rohwaren durch Ankauf in das Eigentum der Revisionswerberin übernommen und im eigenen Produktionsbetrieb veredelt und vermarktet. Gegenstand des Unternehmens sei somit nicht die Erbringung einer Dienstleistung. Die Ware, die das Unternehmen verlasse, sei eine gänzlich andere, als jene die die Revisionswerberin zukaufe.
4Im Rahmen des Produktionsprozesses werde ein Wirtschaftsgut völlig anderer Marktgängigkeit geschaffen. Der Produktionsprozess umfasse die Verarbeitung des zugekauften Urprodukts und erfordere eine hohe - mit einem erheblichen Energieaufwand (Strom, Erdgas, Flüssiggas) verbundene - Anlagenintensität. Das Produktionsgelände der Revisionswerberin, auf dem sich große Produktionshallen befänden, in denen die Maschinen und Anlagen untergebracht seien, umfasse eine Fläche von rund 1,3 Hektar. Der Unternehmensgegenstand der Revisionswerberin sei vergleichbar mit anderen Produktions- und Veredelungsbetrieben wie beispielsweise Goldschmieden, Schmuckproduzenten, Tischlern oder Schlachtbetrieben.
5Die Revisionswerberin erbringe in untergeordnetem Ausmaß auch Dienstleistungen für Dritte, indem sie die für den Produktionsbetrieb erforderlichen Verpackungsanlagen zwecks besserer Auslastung auch für die Verpackung fremder Ware einsetze. Aufgrund des Überwiegens der Umsätze aus der Produktion sowie nach dem Gesamtbild der Verhältnisse liege der Schwerpunkt jedoch nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter.
6Mit einer teilweise stattgebenden Berufungsvorentscheidung wies das Finanzamt den Antrag nur mehr für den Zeitraum bis ab. Für den Zeitraum bis gewährte es die Vergütung der Energieabgabe und führte zur Begründung aus, dass für Dienstleistungsbetriebe, deren Schwerpunkt nicht in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter bestünde und die ihre Umsätze nach einem abweichenden Wirtschaftsjahr ermittelten, der Zeitraum, für den letztmalig eine Energieabgabenvergütung beantragt werden könne, mit ende.
7Ein Veredelungsbetrieb sei nur dann als Produktionsbetrieb anzusehen, wenn durch die Veredelung ein neues Produkt entstehe. Im gegenständlichen Fall entstehe durch das Waschen, Sortieren und Verpacken des Gemüses nach der hierfür maßgeblichen Verkehrsauffassung kein neues Produkt. Durch die von der Revisionswerberin vorgenommene Bearbeitung werde das Gemüse lediglich konsumentengerechter gestaltet, seine Wesensart jedoch nicht verändert. Daher könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Revisionswerberin um einen Produktionsbetrieb handle, und ab dem keine Energieabgabenvergütung mehr gewährt werde.
8Die Revisionswerberin beantragte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorzulegen.
9Das Bundesfinanzgericht setzte das Beschwerdeverfahren zunächst gemäß § 271 BAO aus, weil beim Verwaltungsgerichtshof ein Revisionsverfahren betreffend Inkrafttreten der Einschränkung der Energieabgabenvergütung auf Produktionsbetriebe anhängig war.
10Mit Erkenntnis vom , Ro 2016/15/0041, bestätigte der Verwaltungsgerichtshof seine Rechtsprechung, dass die mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 normierten Änderungen des EAVG mit in Kraft getreten seien.
11Unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom führte die Revisionswerberin in einem ergänzenden Schriftsatz vom aus, dass nur noch die Frage strittig sei, ob es sich bei der Revisionswerberin um einen Produktionsbetrieb iSd § 2 Abs. 1 EAVG handle. Sie verwies auf den bereits in der Beschwerde beschriebenen Produktionsprozess und legte zur Veranschaulichung Bildmaterial bei. Die Revisionswerberin sei einer der sowohl flächen- als auch kapazitätsmäßig größten Gemüseverarbeitungsbetriebe Österreichs, dessen marktgängige Endprodukte sich in den Regalen aller großen Lebensmitteleinzelhändler Österreichs fänden. Die Produktion erfolge überwiegend als Eigenproduktion und in untergeordnetem Ausmaß als Lohnproduktion. Die Einordnung der Tätigkeit der Revisionswerberin in die Wirtschaftsklassifikation ÖNACE 2008 erfolge unter „Abschnitt C - Herstellung von Waren, Abteilung 1D - Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, Gruppe 10.3 Obst- und Gemüseverarbeitung, Klasse 10.39-0 sonstige Verarbeitung von Obst und Gemüse“.
12Auch die Bearbeitung von körperlichen Wirtschaftsgütern, die zu einer wesentlichen Änderung der Marktgängigkeit der Wirtschaftsgüter führe, sei Herstellung iSd § 2 Abs. 1 EAVG. Entscheidend sei, dass durch chemische oder physikalische (auch mechanische) Einwirkung ein anderes Wirtschaftsgut entstehe.
13Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bediene sich das EAVG im Wesentlichen der Terminologie des UStG 1994, sodass die Bestimmungen umsatzsteuerrechtlich auszulegen seien. Gemäß § 3 Abs. 6 UStG 1994 gelte als Bearbeitung oder Verarbeitung jede Behandlung des Gegenstandes, durch welche nach der Verkehrsauffassung ein neues Verkehrsgut (ein Gegenstand anderer Marktgängigkeit) entstehe. Als Behandlung eines Gegenstands zähle jede gewollte Einwirkung, die auch in einem bewussten Geschehenlassen (Reifen, Gären, bloßes Stehenlassen) bestehen könne. Entscheidend sei die Verkehrsauffassung, das heißt die allgemeine Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise, wobei vor allem die Sicht des Abnehmers maßgebend sei (Hinweis auf Ruppe/Achatz, UStG5, § 3 Rz 112 und § 8 Rz 19 bis 21).
14Die dargestellte Abgrenzung entspreche auch der verfassungsrechtlich gebotenen gleichheitskonformen Abgrenzung zwischen Produktions- und Dienstleistungsbetrieben, wie sie der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom , B 321/12, vorgenommen habe (Punkt 6.2):
„Unter dem Aspekt des internationalen Wettbewerbs ist hingegen von Bedeutung, dass energieintensive Dienstleistungsbetriebe - und nur um diese geht es - nach wie vor durch Standort- und Personengebundenheit sowie durch das Zusammenfallen von ‚Produktion‘ und ‚Verbrauch‘ gekennzeichnet sind, auch wenn es - nicht zuletzt im Hinblick auf die moderne Informationstechnologie - bei einzelnen Dienstleistungen zu einer Trennung von ‚Produktion‘ und ‚Verbrauch‘ kommen kann.
Der typische Produktionsbetrieb erzeugt demgegenüber in der Regel Güter, die global gehandelt werden (können), für den Konsumenten mit ausländischen Produkten ohne weiteres austauschbar sind (wobei die Herkunft oft nicht erkennbar ist) und bei denen daher die Produktionskosten eine entscheidende Rolle spielen. Die Beschwerde übersieht, dass der inländische Produktionsbetrieb dem internationalen Wettbewerb nicht nur dann ausgesetzt ist, wenn er selbst seine Produkte im Ausland zu verkaufen versucht, sondern auch dadurch, dass im Gefolge der Globalisierung ausländische Produkte auf dem Inlandsmarkt angeboten werden und damit in Wettbewerb zu inländischen Produkten treten.“
15Die von der Revisionswerberin produzierten Endprodukte stünden - wie ein Blick in die Supermarktregale zeige - in unmittelbarer Konkurrenz zu den Produkten anderer nationaler und internationaler Anbieter. Es liege somit kein standortgebundener Dienstleistungsbetrieb, sondern ein im nationalen und internationalen Wettbewerb stehender Produktionsbetrieb vor.
16In einer Stellungnahme vom vertrat das Finanzamt den Standpunkt, dass durch den Wasch- und Verpackungsvorgang, dem das Gemüse unterzogen werde, kein Produkt anderer Marktgängigkeit entstehe. Gemüse bleibe Gemüse, auch wenn es gewaschen und verpackt werde. Die Revisionswerberin sei ein Dienstleistungs- und kein Produktionsbetrieb.
17Die Revisionswerberin führte dazu in einer Replik aus, das Finanzamt verkenne mit seiner Darstellung, den vorliegenden anlagen- und energieintensiv durchgeführten Be- und Verarbeitungsprozess, bei dem durch physikalische und mechanische Einwirkung Wirtschaftsgüter anderer Marktgängigkeit produziert würden. Es übersehe auch, dass durch die Be- und Verarbeitung eine wesentliche Änderung der Marktgängigkeit der Wirtschaftsgüter eintrete. Erst durch die jeweils erforderlichen Produktionsschritte entstünden marktfähige Produkte für den Handel.
18In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesfinanzgericht führte der steuerliche Vertreter der Revisionswerberin u.a. aus, schon allein aufgrund der hohen Anlagenintensität liege ein Produktionsbetrieb vor. Weiters wies er auf den hohen Erdanteil des zugekauften feldgefallenen Gemüses (40-50% bei Karotten) und die Wertschöpfung hin, die durch die Be- und Verarbeitung (156% bei Bioerdäpfeln bzw. 383% bei konventionellen Karotten) entstehe.
19Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine ordentliche Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde - wie bereits die Beschwerdevorentscheidung - teilweise statt, indem es der Revisionswerberin die Vergütung von Energieabgaben für den Zeitraum bis mit der Begründung gewährte, dass die mit dem Budgetbegleitgesetz 2011 erfolgte Einschränkung des Anspruchs auf Energieabgabenvergütung auf Produktionsbetriebe mit in Kraft getreten sei.
20Strittig sei, ob es sich beim Betrieb der Revisionswerberin um einen solchen handle, dessen Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter bestehe.
21Da das Energieabgabenvergütungsgesetz auf die Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter abstelle, sei - so das Bundesfinanzgericht - festzuhalten, dass Diktionen, die von außenstehenden Institutionen (wie beispielsweise der Statistik Austria im Rahmen der Zuordnung eines Unternehmen zu einem Wirtschaftszweig gemäß der Wirtschaftstätigkeitenklassifikation ÖNACE 2008 oder von der Wirtschaftskammer Österreich) verwendet würden, keinen Einfluss auf die Beantwortung der Frage haben könnten, ob es sich bei der Revisionswerberin um einen Betrieb handle, dessen Schwerpunkt in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter liege.
22Das Energieabgabenvergütungsgesetz definiere den Begriff „Herstellung“ nicht. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei die Herstellung auf die Schaffung bisher nicht in dieser Form vorhandener Wirtschaftsgüter gerichtet. Dabei sei entscheidend, dass durch den Prozess der Herstellung ein Produkt anderer Marktgängigkeit entstehe (Hinweis auf ; und , Ro 2015/15/0038).
23Im Revisionsfall werde zugekauftes feldfallendes Gemüse durch physikalische und mechanische Einwirkung enterdet, gewaschen, von Keimtrieben und anhaftendem Kraut befreit, geschnitten, sortiert, marktfähig verpackt und an den Lebensmittelhandel verkauft. Das Gemüse bleibe nach den geschilderten Bearbeitungsschritten seiner Art nach dasselbe. Es handle sich sowohl vor als auch nach der Bearbeitung durch die Revisionswerberin um Gemüse. Dieses sei nur für den Lebensmittelhandel aufbereitet worden und werde dort im Rohzustand und daher seinem Wesen nach unverändert verkauft. Durch die Tätigkeit der Revisionswerberin entstünden nach der Verkehrsauffassung keine anderen Wirtschaftsgüter und auch keine Produkte anderer Marktgängigkeit.
24Auch in Anbetracht des Umstands, dass das gegenständliche Gemüse vor dem Zukauf durch die Revisionswerberin von Landwirten mit Hilfe der Naturkräfte unter Einsatz der erforderlichen Arbeit und der erforderlichen Hilfsmittel gewonnen und somit von diesen hergestellt bzw. produziert werde, seien die von der Revisionswerberin vorgenommenen Tätigkeiten - enterden, waschen, sortieren, zerkleinern und verpacken - nicht als Herstellung iSd § 2 Abs. 1 EAVG zu beurteilen. Daher bestehe der Schwerpunkt des Betriebs der Revisionswerberin nicht in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter.
25Der Verfassungsgerichtshof habe im Erkenntnis vom , B 321/12, u.a. ausgeführt, es stehe dem Gesetzgeber frei, im Hinblick auf die typischerweise unterschiedliche Wettbewerbssituation im Recht der Energieabgabenvergütung zwischen Produktions- und Dienstleistungsbetrieben zu differenzieren. Entscheidend sei, dass im Hinblick auf die grundsätzliche Wettbewerbssituation im Regelfall nach wie vor deutliche Unterschiede zwischen Produktions- und Dienstleistungsbetrieben bestünden. Damit sei der Gesetzgeber - unter Inkaufnahme von Härtefällen - berechtigt, eine Entlastung von Energieabgaben den Betrieben vorzubehalten, die dem internationalen Wettbewerb typischerweise anders und intensiver ausgesetzt seien als Dienstleistungsbetriebe.
26Die Energiesteuer-Richtlinie 2003/96/EG belasse den Mitgliedstaaten einen weiten Gestaltungsspielraum und sehe insbesondere keine obligatorische Verpflichtung zur steuerlichen Entlastung energieintensiver Betriebe vor. Nach Art. 17 können Mitgliedstaaten Steuerermäßigung für energieintensive Betriebe vorsehen. Führe ein Mitgliedstaat Vergütungsregelungen ein, sei er nicht automatisch dazu verpflichtet, diese Vergütungsregelungen auf sämtliche Betriebe anzuwenden. Art. 17 Abs. 1 lit. a ermögliche den Mitgliedstaaten explizit die Anpassung des Betriebsbegriffs an verkaufswert-, prozess- und sektorbezogene Gegebenheiten. Wenn ausschließlich der Sektor der Produktionsbetriebe energiesteuerlich begünstigt werden solle, stehe dies im Einklang mit dieser Richtlinienbestimmung.
27Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete außerordentliche Revision trägt zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob der Schwerpunkt des Betriebs der Revisionswerberin nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter iSd § 2 Abs. 1 EAVG bestehe. Zudem weiche das Bundesfinanzgericht im angefochtenen Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, weil es den Begriff der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter nicht im umsatzsteuerrechtlichen Sinn und in Anknüpfung an § 3 Abs. 6 UStG 1994 ausgelegt habe. Das Bundesfinanzgericht habe auch die Einordnung der von der Revisionswerberin ausgeübten nach der Wirtschaftstätigkeitenklassifikation ÖNACE 2008 und die hohe Anlagenintensität nicht berücksichtigt, obwohl diese nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes das Vorliegen eines Produktionsbetriebs indiziere. Schließlich lasse sich aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes das Gebot einer sachgerechten und wettbewerbsneutralen Abgrenzung von Produktions- und Dienstleistungsbetrieben ableiten, die eine verfassungskonforme, gleichheitskonforme und wettbewerbsneutrale Auslegung des - an das UStG 1994 anknüpfenden - Herstellungsbegriffs erfordere. Im Revisionsfall läge kein standortgebundener Dienstleistungsbetrieb, sondern ein im nationalen und internationalen Wettbewerb stehender Produktionsbetrieb vor.
28Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
29Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
30Die Revision ist zulässig und begründet.
31Die mit dem Budgetbegleitgesetz 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, normierten Änderungen des EAVG sind mit in Kraft getreten (vgl. ). Gemäß § 2 Abs. 1 EAVG idF BGBl. I Nr. 111/2010 ist ab diesem Zeitpunkt ein Anspruch auf Vergütung nur (mehr) für Betriebe gegeben, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter besteht und soweit sie nicht die in § 1 Abs. 3 EAVG genannten Energieträger (Strom, Erdgas, Kohle, Heizöl, Flüssiggas) oder Wärme (Dampf oder Warmwasser), die aus den in § 1 Abs. 3 EAVG genannten Energieträgern erzeugt wurde, liefern.
32Nach den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum Budgetbegleitgesetz 2011 (vgl. 981 BlgNR 24. GP 141) sollen alle Betriebe, deren Schwerpunkt in der Erbringung von Dienstleistungen besteht, keinen Anspruch auf Energieabgabenvergütung haben (vgl. ).
33Zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Unterscheidung zwischen Betrieben mit Schwerpunkt in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter und anderen Betrieben hat der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom , B 321/12, ausgesprochen, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die typischerweise unterschiedliche Wettbewerbssituation im Recht der Energieabgabenvergütung zwischen Produktions- und Dienstleistungsbetrieben differenzieren und letztere davon ausschließen durfte. Dienstleistungsbetriebe (auch energieintensive Dienstleistungsbetriebe) seien durch Standort- und Personengebundenheit sowie durch das Zusammenfallen von „Produktion“ und „Verbrauch“ gekennzeichnet, auch wenn es - nicht zuletzt im Hinblick auf die moderne Informationstechnologie - bei einzelnen Dienstleistungen zu einer Trennung von „Produktion“ und „Verbrauch“ kommen könne. Der typische Produktionsbetrieb erzeuge demgegenüber in der Regel Güter, die global gehandelt werden könnten, für den Konsumenten mit ausländischen Produkten ohne weiteres austauschbar seien und bei denen daher die Produktionskosten eine entscheidende Rolle spielten. Der inländische Produktionsbetrieb sei dem internationalen Wettbewerb auch dadurch ausgesetzt, dass ausländische Produkte auf dem Inlandsmarkt angeboten und damit in Wettbewerb zu inländischen Produkten treten würden.
34Strittig ist, ob der Schwerpunkt der Tätigkeit der Revisionswerberin in der Herstellung von körperlichen Wirtschaftsgütern iSd § 2 Abs. 1 EAVG besteht.
35Das Bundesfinanzgericht stützt seine Ansicht, dass der Schwerpunkt der Tätigkeit der Revisionswerberin nicht in der Herstellung von körperlichen Wirtschaftsgütern bestehe, darauf, dass sich durch die im Betrieb der Revisionswerberin vorgenommenen Behandlungsschritte am Wesensgehalt des bearbeiteten Gemüses nichts ändere und beispielsweise eine feldgefallene Karotte auch gewaschen, vom Kraut befreit, zerschnitten und verpackt eine Karotte bleibe.
36Entscheidend dafür, ob eine Bearbeitung zugleich als Herstellung eines Wirtschaftsguts iSd § 2 Abs. 1 EAVG gilt, ist zunächst, ob durch die Bearbeitung ein Produkt anderer Marktgängigkeit entsteht (vgl. ; und , Ro 2020/15/0001). Für die Beurteilung, ob ein Produkt anderer Marktgängigkeit entstanden ist, ist die Verkehrsauffassung, das heißt die allgemeine Auffassung der beteiligten Wirtschaftskreise und hier vor allem die Sicht des Abnehmers maßgeblich (vgl. etwa zur Umsatzsteuer Ruppe/Achatz, UStG4, § 3 Tz 112 sowie § 8 Tz 19 ff).
37Mit der Einschränkung der Energieabgabenvergütung auf Betriebe, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter besteht, hat der Gesetzgeber eine Unterscheidung zwischen Produktionsbetrieben und Dienstleistungsbetrieben getroffen (vgl. 981 BlgNR 24. GP 141). Dabei wurde auf die unterschiedliche Konkurrenzsituation zwischen diesen Betriebsarten abgestellt. Ein Produktionsbetrieb erzeugt typischerweise Güter, die für den Konsumenten mit ausländischen Produkten ohne weiteres austauschbar sind und der damit dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt ist, etwa, weil er seine Produkte im Ausland verkauft, oder auch dadurch, dass ausländische Produkte auf dem Inlandsmarkt angeboten werden und damit in Wettbewerb zu seinen Produkten treten (vgl. ).
38Der Betrieb der revisionswerbenden Partei umfasst ein Betriebsgelände im Ausmaß von rund 1,3 Hektar, auf dem sich große Werkshallen mit Maschinen und Anlagen befinden. Die revisionswerbende Partei verkauft ihre Produkte an den Lebensmittelhandel. Sie finden sich - nach dem unwidersprochenen Beschwerdevorbringen - in den Regalen großer österreichischer Lebensmitteleinzelhändler. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes erweisen sich die beschriebenen Tätigkeiten (Enterden, Reinigen, Befreien von Keimlingen, Sortieren, Zerschneiden und Verpacken) als produktionsbezogene Verarbeitungsschritte, die noch Teil des Entstehungsprozesses der für den Handel aufbereiteten Endprodukte sind.
39Entgegen dem im angefochtenen Erkenntnis vertretenen Standpunkt kommt bei der Beurteilung, ob ein Produktionsbetrieb iSd § 2 Abs. 1 EAVG vorliegt, auch der richtigen Einordnung einer Tätigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 1893/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Aufstellung der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige NACE Revision 2 bzw. der von der Statistik Austria herausgegebenen Systematik der Wirtschaftstätigkeiten ÖNACE 2008, eine gewisse Indizwirkung zu (vgl. ).
40Das Bundesfinanzgericht hat der Änderung der Marktgängigkeit des hier in Rede stehenden Gemüses vor und nach der Bearbeitung keine Bedeutung beigemessen. Auch das Vorbringen im ergänzenden Schriftsatz der revisionswerbenden Partei vom , wonach ihre Tätigkeit in der Wirtschaftsklassifikation ÖNACE 2008 unter „Abschnitt C - Herstellung von Waren, Abteilung 1D - Herstellung von Nahrungs- und Futtermitteln, Gruppe 10.3 Obst- und Gemüseverarbeitung, Klasse 10.39-0 sonstige Verarbeitung von Obst und Gemüse“ zu subsumieren sei, erachtete das Bundesfinanzgericht als völlig unbeachtlich.
41Dadurch hat es die Rechtslage verkannt, weshalb das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
42Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150122.L00 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.