VwGH vom 14.03.2012, 2009/04/0252
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Grünstäudl, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Dr. Greisberger, über die Beschwerde der
X AG in Y, vertreten durch Dr. Rainer Kurbos, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Roseggerkai 5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom , Zlen. Senat-AB-09-1054, Senat-AB-09-1055, betreffend vergaberechtliches Nachprüfungsverfahren (mitbeteiligte Parteien:
1. Land Niederösterreich, vertreten durch Urbanek Lind Schmied Reisch Rechtsanwälte OG in 3100 St. Pölten, Kremser Gasse 4,
2. A GmbH in B, vertreten durch Gugerbauer Partner Rechtsanwälte KG in 1010 Wien, Kärntner Ring 5-7; weitere Partei:
Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beteiligte sich im Jahr 2009 als Bieterin an einem offenen Vergabeverfahren der Erstmitbeteiligten (Auftraggeberin) im Oberschwellenbereich für die Lieferung von Auftausalz für die Verwendung auf Bundesstraßen B und L im Bereich der NÖ Straßenbauabteilung 6.
Nachdem ihr die Zuschlagsentscheidung der Auftraggeberin vom zugunsten der Zweitmitbeteiligten bekannt gegeben worden war, leitete die Beschwerdeführerin am ein Schlichtungsverfahren bei der NÖ Schlichtungsstelle für öffentliche Aufträge ein, das zu keiner gütlichen Einigung führte und am nach Durchführung einer Schlichtungsverhandlung beendet wurde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den - auf das Schlichtungsverfahren folgenden - Antrag der Beschwerdeführerin vom , die Zuschlagsentscheidung der Auftraggeberin für nichtig zu erklären, sowie den damit verbundenen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung "mangels Antragslegitimation" der Beschwerdeführerin zurück.
Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin wäre verpflichtet gewesen, alle zum Zeitpunkt der Einbringung des Schlichtungsantrages bekannten Fakten, welche dem Schlichtungsantrag zum Durchbruch verhelfen hätten können, geltend zu machen. In diesem Antrag habe die Beschwerdeführerin aber lediglich vorgebracht, dass bei rechtsrichtiger Vorgangsweise das Angebot der Zweitmitbeteiligten auszuscheiden und der Zuschlag an die Beschwerdeführerin zu erteilen gewesen wäre. Im Schlichtungsantrag sei mit keinem Wort erwähnt worden, dass das Angebot einer weiteren Bieterin (Fa. S.) das zweitgereihte gewesen sei, und es seien keine Argumente oder Fakten vorgebracht worden, welchen zu entnehmen gewesen wäre, dass die Beschwerdeführerin auch Einwände gegen das Angebot der Fa. S. gehabt hätte. Nach dem Schlichtungsprotokoll vom sei zu diesem Zeitpunkt von der Beschwerdeführerin erstmals vorgebracht worden, dass auch das Angebot der zweitgereihten Bieterin - aus näher dargestellten Gründen - auszuscheiden gewesen wäre. Da der Beschwerdeführerin bei Einbringung ihres Schlichtungsantrages bekannt sein habe müssen, dass sie für den Fall ihres Obsiegens in der Schlichtungsverhandlung bzw. im angestrengten Nachprüfungsverfahren hinter der Fa. S. gereiht wäre und deshalb nicht Bestbieterin sein hätte können, wäre sie verpflichtet gewesen, auch alle jene Tatsachen und Umstände im Schlichtungsantrag vorzubringen, welche das Ausscheiden der zweitgereihten Bieterin ermöglicht hätten. Da die Beschwerdeführerin die zweitgereihte Bieterin unbekämpft gelassen habe, habe sie deren Rang akzeptiert und es mangle ihr demnach auch an der gesetzlichen Voraussetzung des drohenden oder bereits eingetretenen Schadens iSd § 9 Abs. 1 Z. 4 NÖ Vergabe-Nachprüfungsgesetz (NÖ VNG), weil unter den von ihr im Schlichtungsantrag geltend gemachten Voraussetzungen die Erreichung der Erstreihung nicht möglich gewesen wäre. Eine stufenweise, gesonderte Befassung der Schlichtungsstelle in ein- und demselben Vergabeverfahren sei gesetzlich nicht vorgesehen. Sämtliche Argumente, welche zum Zeitpunkt der Einbringung des Schlichtungsantrages bekannt seien, müssten daher auch geltend gemacht werden, um es der Schlichtungsstelle zu ermöglichen, allen betroffenen Bietern Parteistellung einzuräumen. Hinzu komme, dass das Schlichtungsverfahren ein Teil des Nachprüfungsverfahrens sei und demnach die von der Beschwerdeführerin vertretene Rechtsauffassung, sie könne aufgrund der Hemmungswirkung des § 11 Abs. 4 NÖ VNG auch im Schlichtungsantrag versäumtes, entscheidungswesentliches Vorbringen nachschießen, das Nachprüfungsverfahren exorbitant in die Länge ziehen und dem Sinn der effizienten und zügigen Nachprüfung zuwider laufen würde. Der Rechtsauffassung, dass die Schlichtungsstelle den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln und würdigen hätte müssen, könne nicht beigepflichtet werden, weil sie dem § 9 Abs. 1 Z. 3 NÖ VNG widerspreche, welcher der Beschwerdeführerin die Verpflichtung zur Darstellung des maßgeblichen Sachverhalts auferlege. Da die Beschwerdeführerin im Schlichtungsantrag ausschließlich Argumente für das Ausscheiden des Angebots der Zweitmitbeteiligten vorgebracht und damit das Angebot der zweitgereihten Bieterin akzeptiert habe und "das Vorbringen zu diesem Punkt von der Formulierung des Schlichtungsantrages nicht enthalten" sei, seien die Einwendungen, welche erstmalig in der Schlichtungsverhandlung gegen die zweitgereihte Bieterin geltend gemacht worden seien, als verspätet zu qualifizieren, woraus sich die fehlende Antragslegitimation der Beschwerdeführerin hinsichtlich sämtlicher bei der belangten Behörde eingebrachten Anträge ergebe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, erstattete (wie auch die beiden Mitbeteiligten) eine Gegenschrift und beantragte, "der Beschwerde den Erfolg zu versagen".
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 2 Abs. 1 des Niederösterreichischen Vergabe-Nachprüfungsgesetzes in der hier noch maßgeblichen Fassung LGBl. 7200-1 (NÖ VNG) wird beim Amt der NÖ Landesregierung die NÖ Schlichtungsstelle für öffentliche Aufträge eingerichtet. Sie vermittelt in einem konkreten Vergabeverfahren bei Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Auftraggeber und einem oder mehreren Unternehmen (Streitteile).
Nach § 3 Abs. 1 NÖ VNG hat ein Unternehmer vor Befassung des Unabhängigen Verwaltungssenates bei der NÖ Schlichtungsstelle für öffentliche Aufträge die nachträgliche Prüfung (u.a.) einer gesondert anfechtbaren Entscheidung schriftlich zu beantragen. In dem Antrag ist ein bestimmtes Begehren zu stellen.
Die Streitteile haben am Schlichtungsverfahren nach § 3 Abs. 4 NÖ VNG durch Übermittlung der von der Schlichtungsstelle benötigten Unterlagen und Teilnahme an der Verhandlung mitzuwirken. Lässt sich ein Streitteil in die Verhandlung nicht ein, ist in der Niederschrift festzuhalten, dass keine gütliche Einigung zustande gekommen ist.
Die Schlichtungsstelle hat nach § 3 Abs. 5 NÖ VNG - ohne dabei an ein bestimmtes förmliches Verfahren gebunden zu sein - ehestmöglich, längstens jedoch innerhalb von zwei Wochen ab Einlangen des Antrages auf Schlichtung, in mündlichen, nicht öffentlichen Verhandlungen unter Anwendung eines objektiven Prüfmaßstabes auf eine gütliche Einigung der Streitteile hinzuwirken und allenfalls Vorschläge zur Beilegung der Meinungsverschiedenheit zu erstatten.
Von der Verhandlung sind auch Dritte zu verständigen, sofern sie von der Meinungsverschiedenheit betroffen sind. Diesen ist die Möglichkeit zu geben, an der Verhandlung teilzunehmen (§ 3 Abs. 6 NÖ VNG).
Gemäß § 4 Abs. 1 NÖ VNG obliegt die Durchführung des Nachprüfungsverfahrens dem Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich.
Anträge auf Nachprüfung der Zuschlagsentscheidung an ihn sind - ausgenommen den hier nicht relevanten Fall des § 11 Abs. 1 Z. 3 NÖ VNG - binnen 14 Tagen ab dem Zeitpunkt einzubringen, in dem der Antragsteller von der gesondert anfechtbaren Entscheidung Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen können (§ 11 Abs. 1 Z. 7 NÖ VNG). Die Zeit, in der ein Schlichtungsverfahren anhängig ist, wird (u.a.) in die Frist gemäß Abs. 1 nicht eingerechnet (§ 11 Abs. 4 NÖ VNG).
Ein Antrag auf Nichtigerklärung ist gemäß § 9 Abs. 2 Z. 2 NÖ VNG unzulässig, wenn er nicht innerhalb der in § 11 leg. cit. genannten Fristen gestellt wird; er ist nach § 9 Abs. 3 leg. cit. darüber hinaus nur zulässig, wenn ein Schlichtungsverfahren durchgeführt und keine gütliche Einigung erzielt wurde (Z. 1) oder die Schlichtungsstelle mitgeteilt hat, dass kein Schlichtungsverfahren durchgeführt wird (Z. 2), oder die Schlichtungsstelle innerhalb von zwei Wochen ab Einlangen des Antrages auf Schlichtung keine Verhandlung durchgeführt hat (Z. 3) oder im Schlichtungsverfahren zwar eine gütliche Einigung erzielt worden ist, der Bieter oder Bewerber jedoch glaubhaft macht, dass der Auftraggeber sich nicht an das Ergebnis der gütlichen Einigung hält oder gehalten hat (Z. 4). Ein Antrag auf Nichtigerklärung hat gemäß § 9 Abs. 1 Z. 9 NÖ VNG jedenfalls (auch) einen Nachweis über die Befassung der Schlichtungsstelle zu enthalten.
2. Im vorliegenden Fall ist unstrittig, dass die Beschwerdeführerin innerhalb der Frist des § 11 Abs. 1 Z. 7 NÖ VNG einen schriftlichen Schlichtungsantrag (beinhaltend ein bestimmtes Begehren iSd § 3 Abs. 1 NÖ VNG) gestellt hat. Auch die fristgerechte Einbringung des Antrages auf Nichtigerklärung bei der belangten Behörde nach Abschluss des Schlichtungsverfahrens steht nicht in Frage. Die Zurückweisung der Anträge der Beschwerdeführerin durch die belangte Behörde beruht vielmehr nur auf deren Rechtsansicht, dass die Beschwerdeführerin es unterlassen habe, bereits im Schlichtungsantrag das in der Schlichtungsverhandlung vom nachgetragene Vorbringen zu erstatten, auch die zweitgereihte Bieterin (Fa. S.) wäre auszuscheiden gewesen, weshalb der Beschwerdeführerin der Zuschlag erteilt werden hätte müssen.
3. Die Einrichtung eines Schlichtungsverfahrens mit dem Ziel, eine dem Nachprüfungsverfahren vorgelagerte gütliche Einigung von Streitfragen des Vergabeverfahrens zu ermöglichen, mag sinnvoll sein (vgl. zur praktischen Bedeutung des Schlichtungsverfahrens in Niederösterreich etwa Kodric in Schramm/Aicher/Fruhmann/Thienel, BVergG-Kommentar (2009), Exkurs: Rechtsschutz in Niederösterreich, Rz 7) und ist als solche rechtlich nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (jetzt: Union; EuGH) widerspricht es aber der Richtlinie 89/665/EWG (Rechtsmittelrichtlinie), den Zugang zu den dort vorgesehenen Nachprüfungsverfahren (die fallbezogen durch das Verfahren vor der belangten Behörde sichergestellt werden) an die vorherige Anrufung einer Schlichtungsstelle zu knüpfen (vgl. die , Fritsch, Chiari Partner u.a., und vom , Rs C-230/02, Grossmann Air Service, und das darauf bezugnehmende hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/04/0048).
Unter diesem Blickwinkel steht § 9 Abs. 3 NÖ VNG, der die Anrufung der Schlichtungsstelle zur obligatorischen Voraussetzung für die Geltendmachung von Nachprüfungsansprüchen vor der belangten Behörde macht, in Widerspruch zu den genannten unionsrechtlichen Vorgaben. Keinesfalls ist es nach dem bisher Gesagten daher zulässig, dass die belangte Behörde für den in § 3 Abs. 1 NÖ VNG vorgesehenen Schlichtungsantrag im Ergebnis eine - im NÖ VNG nicht vorgesehene - Eventualmaxime aufstellt, wonach sämtliches Vorbringen bereits im Schlichtungsantrag gestellt werden muss und ein Vorbringen wie im vorliegenden Fall, das im Schlichtungsantrag noch nicht enthalten war, im Schlichtungsverfahren und im anschließenden Nachprüfungsverfahren vor der belangten Behörde nicht mehr erstattet werden darf. Ausgehend davon ist der Rechtsansicht der belangten Behörde, wonach der Beschwerdeführerin die Antragslegitimation im Nachprüfungsverfahren fehle, nicht zu folgen.
Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
YAAAE-87167