VwGH vom 03.12.2021, Ra 2020/15/0080
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision der M GmbH in S, vertreten durch die Prof. Pircher & Partner Steuerberatungs GmbH in 6020 Innsbruck, Anton-Melzer-Straße 7, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/3100074/2020, betreffend Festsetzung eines ersten Säumniszuschlags, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Die Revisionswerberin entrichtete - nach den Feststellungen des Bundesfinanzgerichts (BFG) - die Umsatzsteuer 04/2019 mit Fälligkeit erst mit Wirksamkeit . Mit ihrer steuerlichen Vertretung hatte sie vereinbart, dass diese die Buchhaltung erledigt, die Umsatzsteuervoranmeldungen erstellt und einreicht und der Revisionswerberin im Falle einer Umsatzsteuer-Zahllast den Betrag mittels E-Mail mitteilt. Das E-Mail betreffend die Mitteilung der USt-Zahllast 04/2019 wurde ihr aufgrund eines EDV/Firewall-Problems nicht zugestellt, weshalb die rechtzeitige Entrichtung der Umsatzsteuer unterblieb. Das tatsächliche Zugehen der E-Mails an die Klienten über die Mitteilung der jeweiligen USt-Zahllasten wurde durch die steuerliche Vertretung nicht überwacht, die darauf vertraute, dass die entsprechenden E-Mails ankommen und von der Revisionswerberin gelesen werden. Im Hinblick darauf, dass nicht in jedem Monat eine Zahllast entstand, erfolgte keine Rückfrage seitens der Revisionswerberin.
2Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt gegenüber der Revisionswerberin einen ersten Säumniszuschlag in Höhe von 233,54 € fest, weil die Umsatzsteuer 04/2019 nicht bis zum entrichtet worden war.
3Die Revisionswerberin beantragte den Verzicht auf die Erhebung dieses Säumniszuschlages mit der Begründung, dass kein grobes Verschulden vorliege. Aufgrund eines EDV/Firewall-Problems sei ihr das E-Mail mit der Mitteilung der Zahllast aus der Umsatzsteuervoranmeldung nicht zugestellt worden. Sie habe seit der Gründung des Unternehmens alle ihre Zahllasten fristgerecht bezahlt.
4Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab. Der mit Geldvollmacht ausgestatteten steuerlichen Vertretung sei es - so das Finanzamt - im Hinblick auf die Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung bereits am zumutbar gewesen, für eine rechtzeitige Entrichtung bzw. für die Einreichung eines Zahlungserleichterungsansuchens bis zum Sorge zu tragen. Dies könne nicht von einer Mitteilung der Zahllast per E-Mail an die Klienten abhängig gemacht werden. Es könne daher nicht nur von einem nur minderen Grad des Verschuldens die Rede sein.
5In der dagegen erhobenen Beschwerde führte die Revisionswerberin im Wesentlichen aus, dass bei Betrachtung der Gesamtsituation, die zur Säumnis geführt habe, und ihrer Abgabenhistorie kein grobes Verschulden zu erkennen sei. Die Geschäftsführung sei immer darauf bedacht gewesen, allen Abgabenschuldigkeiten und sonstigen Abgabenverpflichtungen zeitgerecht nachzukommen. Immerhin würden seit vielen Jahren mehrere Firmen in Österreich betrieben, wobei es grundsätzlich nie zu Zahlungsversäumnissen gekommen sei. Das mit der steuerlichen Vertretung vereinbarte System der Zusammenarbeit solle gewährleisten, dass jede Zahllast zeitgerecht weitergeleitet werde, sodass die Klienten rechtzeitig ihre Abgaben einzahlen könnten, ohne ein Versäumnis befürchten zu müssen. Dieser Verpflichtung sei auch bis zu diesem Zeitpunkt lückenlos nachgekommen worden. Im Revisionsfall seien aufgrund der Bauträgertätigkeit nicht in jedem Monat Umsatzsteuerzahllasten zu erwarten, sondern bestehe oft auch ein Vorsteuerüberhang. In diesen Fällen werde die Revisionswerberin nicht sofort von den Gutschriften in Kenntnis gesetzt, weil es für sie zu keinen negativen Konsequenzen komme. Bei mehreren aktiven Betrieben sei es ihr schlicht und einfach nicht möglich, aufgrund der laufenden Geschäftsgebarung alle zu erwartenden Zahllasten im Kopf zu haben. Da es aufgrund eines technischen Zustellproblems mit der E-Mail, mit welcher die Zahllast mitgeteilt werden sollte, keine Zustellung an die Revisionswerberin gegeben habe, sei sie mit gutem Gewissen davon ausgegangen, dass keine Zahlungsverpflichtung entstanden sei. Die steuerliche Vertretung sei wiederum davon überzeugt gewesen, dass das E-Mail zugestellt worden sei. Die Zahlung sei erst drei Wochen später erfolgt, weil im Juni unter hohem Zeitdruck gearbeitet worden sei und eine Ausnahmesituation geherrscht habe. Es seien deshalb keine Ressourcen für administrative Tätigkeiten und Nachkontrollen zur Verfügung gestanden.
6Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, wies das BFG - nach einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung des Finanzamts und einem Vorlageantrag der Revisionswerberin - die Beschwerde ab. Begründend führte es aus, Voraussetzung für die Herabsetzung bzw. Nichtfestsetzung des Säumniszuschlages nach § 217 Abs. 7 BAO sei, dass hinsichtlich der verspäteten Entrichtung der Umsatzsteuer 04/2019 kein grobes Verschulden vorliege. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung, dass die Büroorganisation dem Mindesterfordernis einer sorgfältigen Organisation zu entsprechen habe. Dazu gehörten insbesondere die Vormerkung von Fristen und die Vorsorge durch entsprechende Kontrollen, dass Unzulänglichkeiten zufolge menschlichen Versagens voraussichtlich auszuschließen seien.
7Beim beschriebenen Kontrollsystem falle auf, dass die steuerliche Vertretung im Rahmen ihres Klientenmonitorings zwar den Status der Bearbeitung vom Einlangen der Buchhaltung bis zur Abgabe der Umsatzsteuervoranmeldung und der Mitteilung einer allfälligen Zahllast überwache, nicht jedoch die tatsächliche Zustellung des E-Mails über die Höhe der Zahllast an die Revisionswerberin. Ein Kontrollsystem, bei dem die Höhe der vom Vertretenen zu entrichtenden Umsatzsteuer mit einem E-Mail mitgeteilt werde, ohne dass gleichzeitig auch sichergestellt werde, dass dieses E-Mail den Empfänger auch tatsächlich erreiche bzw. eine allfällige Nichtzustellung rechtzeitig bemerkt werde (etwa durch Anforderung einer Lesebestätigung) entspreche nach Ansicht des BFG nicht den Anforderungen an ein effizientes Kontrollsystem. Es dürfe nämlich nicht dem Zufall überlassen werden, ob die Mitteilung diejenige Person auch erreicht habe, welche die Entrichtung der Abgabenschuld vorzunehmen habe. Ein Kontrollsystem, das auch eine mögliche und nicht auszuschließende Nichtzustellung eines E-Mails umfasse, sei von der Revisionswerberin bzw. ihrer Vertreterin somit nicht eingerichtet worden, obwohl allgemein bekannt sei, dass E-Mails durch Firewall-Einstellungen nicht selten nicht zugestellt würden bzw. im Spam-Ordner der Empfänger landeten und unbeachtet blieben. Das einfache Anfordern einer Lesebestätigung und die Überwachung des Einganges derselben wäre zumutbar gewesen.
8Die nicht rechtzeitige Entrichtung der Umsatzsteuer sei somit nicht auf ein Auswahlverschulden bzw. auf einen nachzusehenden Arbeitsfehler einer Arbeitnehmerin oder eines Arbeitnehmers zurückzuführen, sondern auf ein mangelndes Kontrollsystem. Soweit mit der Revisionswerberin vereinbart gewesen sei, dass sie nur im Falle einer Zahllast informiert werde und dass das Nichteinlangen eines entsprechenden E-Mails deshalb nicht zu einer Rückfrage führe, weil nur Zahllasten mitgeteilt würden, liege ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden seitens des Vertreters vor. Dieses Verschulden sei einem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten.
9Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, in der zur Zulässigkeit vorgebracht wird, der Verwaltungsgerichtshof habe sich noch nicht mit der Frage befasst, ob im Sinne des § 217 Abs. 7 BAO grobes Verschulden oder nur leichte Fahrlässigkeit vorliege, wenn die Zustellung von E-Mails an Klienten, mit denen über die zu entrichtende Steuerschuld und Fälligkeit informiert werde, nicht ihrerseits einer Kontrolle unterzogen werde. Hinzu komme, dass bislang keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Übertragbarkeit der von ihm zur postalischen Zustellung judizierten Grundsätze auf den elektronischen Postverkehr existiere. So müssten Parteienvertreter auch nicht eine ausdrücklich angeordnete Postaufgabe auf ihr tatsächliches Stattfinden hin kontrollieren (Hinweis auf ). Wenn aber schon die Aufgabe/Absendung keiner Kontrollpflicht unterliege, dann könne eine solche erst recht nicht für die Zustellung verlangt werden. Andernfalls wäre bei der postalischen Zustellung immer ein Rückschein erforderlich, weil mittels Einschreiben lediglich die Aufgabe des Poststücks nachgewiesen werden könne. Würde man von der steuerlichen Vertreterin verlangen, auch den Zugang von E-Mails zu kontrollieren, wäre die Überwachungspflicht der Parteienvertreterin überspannt und nicht mehr verhältnismäßig.
10Das Finanzamt hat - nach Einleitung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung erstattet, auf die die Revisionswerberin replizierte.
11Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
12Die Revision ist zulässig und auch begründet.
13Gemäß § 217 Abs. 7 BAO sind auf Antrag der Abgabepflichtigen Säumniszuschläge insoweit herabzusetzen oder nicht festzusetzen, als sie an der Säumnis kein grobes Verschulden trifft. Für die Herabsetzung oder Unterlassung der Festsetzung eines Säumniszuschlages kommt es auf die Umstände der konkreten Säumnis an. Grobes Verschulden fehlt, wenn überhaupt kein Verschulden oder nur leichte Fahrlässigkeit vorliegt. Leichte Fahrlässigkeit liegt vor, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht. Keine leichte Fahrlässigkeit liegt aber vor, wenn jemand auffallend sorglos handelt. (Grobes) Verschulden von Arbeitnehmern der Partei (oder der Parteienvertretung) ist nicht schädlich. Entscheidend ist diesfalls, ob der Partei selbst (bzw. ihrer Vertretung) grobes Verschulden, insbesondere grobes Auswahl- oder Kontrollverschulden anzulasten ist (vgl. ).
14Entscheidend für die Prüfung des Vorliegens groben Verschuldens ist im Revisionsfall - wie das BFG zutreffend ausgeführt hat - das Verhalten der Revisionswerberin und ihrer Vertreterin in Bezug auf ihre organisatorische Einrichtung, die Vormerkung der Fristen und die Vorsorge durch entsprechende Kontrollen sowie auch deren Bewährung in der Vergangenheit.
15Dazu stellte das BFG fest, dass nach der diesbezüglichen Büroorganisation der Revisionswerberin die Umsatzsteuervoranmeldungen seitens der steuerlichen Vertretung erstellt und eingereicht worden seien, wobei der Revisionswerberin im Falle einer Umsatzsteuer-Zahllast der Betrag mittels E-Mail mitgeteilt (und dann offenbar von dieser selbst zur Einzahlung gebracht) worden sei. Feststellungen zu den weiteren Abläufen und Verantwortlichkeiten auf Ebene der Revisionswerberin wurden nicht getroffen.
16Davon dass dieses System fallbezogen grundsätzlich nicht geeignet gewesen wäre, die rechtzeitige Abgabenentrichtung sicherzustellen, ist das BFG im Revisionsfall nicht ausgegangen. Vielmehr hat es das grobe Verschulden der Revisionswerberin bzw. der Vertreterin allein darin gesehen, dass keine zusätzliche Kontrolle erfolgt sei, ob die Mitteilung diejenige Person auch erreicht habe, welche die Entrichtung der Abgabenschuld vorzunehmen habe, obwohl „allgemein bekannt“ sei, dass „E-Mails durch Firewall-Einstellungen nicht selten nicht zugestellt“ würden bzw. im Spam-Ordner der Empfänger landeten und unbeachtet blieben. Das einfache Anfordern einer Lesebestätigung und die Überwachung des Einganges derselben wäre zumutbar gewesen.
17Wie das BFG zu der Feststellung gekommen ist, dass E-Mails wie auch die gegenständliche individuelle E-Mail der laufenden steuerlichen Vertretung - es handelt sich hierbei nicht um eine an einen breiten Empfängerkreis gerichtete Werbe-E-Mail - „durch Firewall-Einstellungen nicht selten nicht zugestellt würden“, wird in der Beweiswürdigung des Erkenntnisses nicht näher dargestellt und ist für den Verwaltungsgerichtshof folglich auch nicht nachvollziehbar. Nähere Feststellungen zu dem konkreten „EDV/Firewall-Problem“ im Hinblick auf sein „nicht seltenes“ Auftreten oder seine Singularität wurden ebensowenig getroffen.
18Zudem hat die Revisionswerberin auch bereits im Beschwerdeverfahren wiederholt darauf verwiesen, dass sie ihre Abgaben über Jahre hinweg rechtzeitig zum Fälligkeitszeitpunkt abgeführt hat. Auch darauf ging das BFG nicht weiter ein (zur einmaligen Fristversäumung vgl. ).
19Das angefochtene Erkenntnis erweist sich sohin angesichts der beschriebenen Feststellungsmängel als mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
20Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020150080.L00 |
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