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VwGH 23.07.2020, Ra 2020/15/0027

VwGH 23.07.2020, Ra 2020/15/0027

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssatz


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Norm
BAO §97 Abs1 lita
RS 1
Der Umstand, dass das BFG die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses unstrittig aufrechte Zustellvollmacht des Revisionswerbervertreters missachtet hat, begründet mit Rücksicht auf die aktenkundige Zustellung an das Finanzamt als Partei des Beschwerdeverfahrens keine Zweifel daran, dass die Erledigung als Beschluss wirksam geworden ist (vgl. ; , 2012/13/0043, mwN).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag des L, vertreten durch Mag. Wolfgang Moser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wächtergasse 1/11, der gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5100837/2019, betreffend Zurückweisung eines Vorlageantrags hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2006 bis 2015 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Lilienfeld St. Pölten), erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

1 Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof auf Antrag eines Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem zwingende öffentliche Interessen nicht entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des Bescheides oder mit der Ausübung der mit dem Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

2 Der Revisionswerber hat nähere Angaben zu seiner wirtschaftlichen Situation gemacht und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt, weil ihm aus näher dargestellten Gründen aus dem sofortigen Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses ein unverhältnismäßiger Nachteil drohe.

3 Durch den gegenständlichen Zurückweisungsbeschluss würden zahlreiche Leistungsbescheide im Ausmaß von mehreren hunderttausend Euros rechtskräftig, welche sodann zwangsvollstreckt werden könnten. Der Antragsteller sei jedoch lediglich unselbständig beschäftigt, weshalb eine Exekutionsführung auf sein Einkommen nur unwesentliche Einbehalte erbringen würde. Es sei sohin zu befürchten, dass eine Exekutionsführung auf Liegenschaftsanteile des Revisionswerbers geführt werden würden, was im Falle einer Zwangsversteigerung einen unwiederbringlichen Schaden und unverhältnismäßigen Nachteil auf seiner Seiten verursachen würde. Der einstweilige Vollzug würde einen Rechtsmittelerfolg des Revisionswerbers geradezu vereiteln, weil dieser auch im Falle des Obsiegens mit unumkehrbaren Folgen des einstweiligen Vollzuges konfrontiert wäre.

4 Das Finanzamt wies in seiner dazu ergangenen Stellungnahme vom darauf hin, aus der Perspektive der Einbringung der Abgabenschuld bestünden keine Bedenken gegen einen Aufschub des Vollzuges des angefochtenen Verwaltungsaktes, weil der fällige und vollstreckbare Rückstand derzeit ohnedies nicht einbringlich ist. Das Ermittlungsverfahren des derzeit anhängigen Finanzstrafverfahrens habe allerdings ergeben, dass (zumindest) für einen Teil der im Abgabenverfahren festgesetzten Abgaben ein Verdacht der Abgabenhinterziehung bestehe, weshalb insofern öffentliche Interessen dem Aufschub entgegenstünden.

5 Bei dieser Sachlage ist angesichts des vom Revisionswerber geschilderten drohenden Nachteils aus dem Vollzug des Beschlusses einerseits und der abgabensicherungsbezogenen Einschätzung durch das Finanzamt andererseits nicht zu erkennen, inwiefern aktuell einer Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung zwingende oder zumindest überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen, weshalb dem Antrag stattzugeben war.

Wien, am

Entscheidungstext

Entscheidungsart: Erkenntnis

Entscheidungsdatum:

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn sowie die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des L D in H, vertreten durch Mag. Wolfgang Moser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wächtergasse 1/11, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/5100837/2019, betreffend Zurückweisung eines Vorlageantrags hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2006 bis 2015 wegen Verspätung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss vom , mit dem auch die Revision für unzulässig erklärt wurde, wies das Bundesfinanzgericht (BFG) den vom Revisionswerber erhobenen Vorlageantrag gegen eine vom Finanzamt erlassene Beschwerdevorentscheidung hinsichtlich Umsatz- und Einkommensteuer 2006 bis 2015 als verspätet zurück.

2 Begründend führte das BFG aus, die streitgegenständliche Beschwerdevorentscheidung sei nachweislich bereits am dem ausgewiesenen Zustellungsbevollmächtigten X [er war laut der in den Verwaltungsakten einliegenden Beschwerde der Bilanzbuchhalter des Revisionswerbers] zugestellt worden. Der dagegen erhobene Vorlageantrag vom sei erst am beim Finanzamt eingelangt und trage den Eingangsstempel des Finanzamts mit diesem Datum. Wie aus der Anfragebeantwortung des Finanzamts vom an das BFG eindeutig hervorgehe, sei der Vorlageantrag verfristet gewesen. Mit der bloßen Vorlage einer Sendungsverfolgung durch die anwaltliche Vertretung sei der Beweis für einen rechtzeitig eingebrachten Vorlageantrag nicht gelungen. Unter Beweiswürdigung führte das BFG an, folgende Beweismittel seien bei seiner Entscheidung „gewürdigt“ worden: „Rückscheine der Beschwerdevorentscheidungen“; vom [Revisionswerber] vorgelegter „aktueller Sendungsstatus“; „Vorlageantrag, datiert mit , mit Stempel des FZ bzw. mit Eingangsstempel des Finanzamtes vom (!)“; sowie „Email des “ und „E-Mail des FA [...] v. “, wobei die beiden genannten Emails im Beschluss abgedruckt sind. Die anwaltliche Vertretung sei zudem von diesen zusätzlichen Beweiserhebungen des BFG „noch am im Wege eines E-Mails“ informiert und eingeladen [worden], innerhalb einer Frist von einer Woche dazu Stellung zu nehmen“.

3 Gegen den Beschluss des BFG wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der der Revisionswerber zur Zulässigkeit vorbringt, Rechtsfragen des Verfahrensrechts seien insbesondere dann von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG, wenn diese vom Verwaltungsgericht grob fehlerhaft beurteilt worden seien und dies zu einem unvertretbaren Ergebnis geführt habe. Dies sei im Revisionsfall aus näher dargestellten Gründen aufgrund der fehlerhaften Annahme einer Verspätung der Fall. Zudem sei der Beschluss des BFG - trotz eindeutiger (und im Verfahren mehrfacher) Vollmachtsbekanntgabe - bis dato nicht dem ausgewiesenen Revisionswerbervertreter, sondern fälschlicher Weise ausschließlich dem Revisionswerber zugestellt worden. Bereits mit Stellungnahme vom habe der Revisionswerber im gegenständlichen Verfahren die (ausschließliche) Bevollmächtigung des Revisionswerbervertreters bekannt gegeben, woran sich im gesamten Verfahren nichts geändert habe. Auch die Beschwerdevorentscheidungen ebenso wie zuvor die Bescheide seien „entgegen der ausschließlichen Bevollmächtigung laut Stellungnahme vom “ ergangen.

4 Im Rahmen der Aktenvorlage räumte das BFG ein, dass ihm in seiner Zustellverfügung ein Fehler unterlaufen sei und es das Erkenntnis nicht an den zustellungsbevollmächtigten Revisionswerbervertreter, sondern an den Revisionswerber selbst zugestellt habe.

5 Mit Verfügung vom leitete der Verwaltungsgerichtshof das Vorverfahren ein. Dabei forderte er das Finanzamt auch ausdrücklich um Stellungnahme zum Revisionsvorbringen auf, wonach die Beschwerdevorentscheidungen ebenso wie zuvor die Erstbescheide „entgegen der ausschließlichen Bevollmächtigung laut Stellungnahme vom “ und somit rechtsunwirksam ergangen seien.

6 Das Finanzamt erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der es u.a. vorbrachte, der Revisionswerbervertreter sei in einem Schreiben an das Finanzamt vom „wohl als Bevollmächtigter bekanntgegeben“ worden; am sei jedoch [der Bilanzbuchhalter des Revisionswerbers] X über Finanzonline als Zustellungsbevollmächtigter des Revisionswerbers bekanntgegeben worden. Laut Finanzonline sei diese Zustellungsbevollmächtigung bis aufrecht gewesen. Somit seien sowohl die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 2006 bis 2015 vom als auch die Beschwerdevorentscheidungen vom rechtswirksam an den ausgewiesenen Zustellungsbevollmächtigten X zugestellt worden. Die gesonderte Bescheidbegründung zu den Umsatz- und Einkommensteuerbescheiden 2006 bis 2015 sei zwar „tatsächlich (irrtümlich) auch an“ den Revisionswerbervertreter zugestellt worden, sie sei allerdings nachweislich auch dem Zustellungsbevollmächtigten X ordnungsgemäß zugestellt worden.

7 Mit Eingabe vom  legte der Revisionswerber seinerseits ergänzende Unterlagen vor.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die Revision ist zulässig und begründet.

10 Der angefochtene Beschluss des BFG wurde dem Revisionswerber zwar - wie vom BFG in Übereinstimmung mit dem Revisionsvorbringen eingeräumt wurde - nach der vorliegenden Aktenlage nicht rechtswirksam zugestellt. Der Umstand, dass das BFG die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses unstrittig aufrechte Zustellvollmacht des Revisionswerbervertreters missachtet hat, begründet mit Rücksicht auf die aktenkundige Zustellung an das Finanzamt als Partei des Beschwerdeverfahrens jedoch keine Zweifel daran, dass die Erledigung als Beschluss wirksam geworden ist (vgl. ; , 2012/13/0043, mwN).

11 Ist ein Beschluss eines Verwaltungsgerichts bereits einer anderen Partei zugestellt worden, kann gemäß § 26 Abs. 2 und 5 VwGG jedoch die Revision bereits ab dem Zeitpunkt erhoben werden, in dem der Revisionswerber von dem Beschluss Kenntnis erlangt hat, weshalb sich die eingebrachte Revision auch insofern als zulässig erweist.

12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes muss die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung erkennen lassen, welcher Sachverhalt ihr zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen das Verwaltungsgericht zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen es die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Die Begründung muss dabei in einer Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. zB , sowie grundlegend ).

13 Diesen Anforderungen an eine Begründung genügt der angefochtene Beschluss nicht, dessen Beweiswürdigung sich auf die beiden Hinweise beschränkt, dass einerseits „aus dem - über Ersuchen des E Mail des Finanzamts v.  eindeutig hervorgeht“, dass der streitgegenständliche Vorlageantrag verfristet gewesen sei, und dass andererseits mit der bloßen Vorlage einer Sendungsverfolgung der Beweis für einen rechtzeitig eingebrachten Vorlageantrag nicht gelungen sei.

14 Aus welchen Teilen der Vorhaltsbeantwortung des Finanzamts auf einzelne Fragen des BFG insbesondere zur internen Organisation der finanzamtsinternen Erfassung von Postsendungen das BFG den „eindeutigen“ Schluss auf eine vorliegende Verfristung gezogen hat, ist für den Verwaltungsgerichtshof damit nicht nachprüfbar, zumal vom BFG im Revisionsfall gerade auch mögliche Verzögerungen auf Seiten der Post eingehend zu würdigen gewesen wären.

15 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das BFG im Übrigen zunächst mit der im Revisionsverfahren aufgeworfenen Frage befassen müssen, ob - angesichts zweier möglicher Weise widerstreitender Zustellungsbevollmächtigungsverhältnisse - die Bescheide und Beschwerdevorentscheidungen überhaupt rechtswirksam erlassen worden sind, wozu entsprechende Feststellungen zu den jeweiligen Bevollmächtigungen, deren Umfang und allfälligen nachfolgenden Widerrufen zu treffen sein werden (zu parallelen Zustellbevollmächtigungen vgl. § 9 Abs. 4 Satz 2 ZustellG). Ist von einer rechtswirksamen Zustellung auszugehen, wird es sich sodann mit den (vom Revisionswerber auf einen Vorhalt des BFG hin verspätet erstatteten und vom BFG nicht mehr berücksichtigten) ausführlichen Beweisangeboten zum streitgegenständlichen Postaufgabevorgang (einschließlich der vorgebrachten Einschreibebestätigung der Postaufgabe und den Einvernahmeangeboten der befassten Mitarbeiterinnen des Revisionswerbervertreters) - auseinander zu setzen haben.

16 Der angefochtene Beschluss war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

17 Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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Norm
VwGG §30 Abs2
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020150027.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
OAAAE-87127