VwGH vom 25.06.2020, Ra 2020/14/0178

VwGH vom 25.06.2020, Ra 2020/14/0178

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des C D in X, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen Spruchpunkt A.IV. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W137 2114983-1/23E, betreffend Kostenersatz nach § 35 VwGVG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A.IV. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Syriens, wurde am zusammen mit seiner Familie in einem Zug in Wien angetroffen und zunächst gemäß § 39 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) festgenommen. Da sowohl der Revisionswerber als auch seine Familienmitglieder Anträge auf internationalen Schutz stellten, wurde sodann die Festnahme gemäß § 40 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) ausgesprochen. Sämtliche Personen wurden bis , 23.10 Uhr, angehalten.

2Dagegen erhob der Revisionswerber gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG Beschwerde, wobei er auch die Feststellung begehrte, „durch die Umstände der Anhaltung“ in den durch Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC gewährleisteten Rechten verletzt worden zu sein.

3Mit Erkenntnis vom gab das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung der Beschwerde statt und erklärte die Festnahme und die Anhaltung für rechtswidrig (Spruchpunkt A.I.), stellte fest, dass die Umstände der Anhaltung den Revisionswerber nicht in seinen Rechten nach Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC verletzt hätten (Spruchpunkt A.II.), wies den Antrag auf Befreiung von der Eingabengebühr zurück (Spruchpunkt A.III.) und den Antrag auf Kostenersatz gemäß § 35 VwGVG ab (Spruchpunkt A.IV.). Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 25a Abs. 1 VwGG iVm Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4In der Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen davon aus, dass der Revisionswerber Staatsangehöriger Syriens sei und am einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Am sei der Revisionswerber um 3.40 Uhr gemäß „§ 40 Abs. 2 FPG“ festgenommen worden, die Anhaltung habe am , 23.10 Uhr, geendet. Die Anordnung der Festnahme sei durch „der Landespolizeidirektion Wien zuzurechnende Personen“ auf Anweisung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl erfolgt.

Die im Jahr 2002 geborene Tochter des Revisionswerbers habe zu diesem Zeitpunkt bereits einige Tage an einer Pilonidalzyste gelitten, die der Revisionswerber, anders als seine Frau, nicht in Augenschein genommen gehabt hätte. Die Erkrankung der Tochter sei dem diensthabenden Arzt nicht ersichtlich gewesen. Am hätten weder der Revisionswerber noch seine Tochter „die Mitarbeiter der Unterkunft“ über die konkrete „medizinische Problematik“ informiert. Am habe der Revisionswerber einen Arzttermin für die Tochter erwirkt. Beide hätten aber die Untersuchung durch den männlichen Arzt verweigert. Der Arzt sei weder über die Zyste noch über den Wunsch auf Untersuchung durch eine Ärztin informiert worden. Es seien ihm lediglich „Schmerzen“ mitgeteilt worden, woraufhin der Arzt eine entsprechende Medikation angeordnet habe. Die Zyste habe sich am Vormittag des eröffnet. Dies sei mit massiven Schmerzen sowie mit dem Austritt von Blut und Eiter verbunden gewesen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sei „die medizinische Problematik“ für jeden Laien klar ersichtlich gewesen. Die diensthabenden Mitarbeiter hätten weder einen Arzt beigezogen noch andere adäquate Maßnahmen gesetzt, obwohl dies angezeigt gewesen wäre. Spätestens um 12.00 Uhr dieses Tages hätte die Tochter des Revisionswerbers die erforderliche ärztliche Hilfe erhalten oder in ein Krankenhaus transferiert werden müssen. Dies sei aufgrund der Unterlassung seitens der Betreuung in der Familienunterkunft nicht geschehen.

5In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Bundesverwaltungsgericht zur Frage der Rechtmäßigkeit der Festnahme und der damit einhergehenden Anhaltung aus, dass die Festnahme lediglich auf § 40 Abs. 2 BFA-VG ohne Angabe eines konkreten Tatbestandes gestützt und auch der Grund der Festnahme nicht beschrieben worden sei. Dies reiche für die gerichtliche Nachprüfung der Festnahme auf ihre Rechtmäßigkeit nicht aus. Die Festnahme und die Anhaltung im Rahmen der Festnahme seien deshalb rechtwidrig erfolgt. Auf das weitere Beschwerdevorbringen sei nicht mehr einzugehen.

6Den Kostenausspruch in Spruchpunkt A.IV. begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, dass der Revisionswerber nicht vollständig obsiegt habe. Bei nur teilweisem Obsiegen sei ein Kostenersatz gesetzlich nicht vorgesehen.

7Gegen den Kostenausspruch in Spruchunkt A.IV. des Erkenntnisses richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

8Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, dass das Bundesverwaltungsgericht mit der Kostenentscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei. Er habe mehrere Verwaltungsakte bekämpft und sei mit der Bekämpfung von Festnahme und Anhaltung erfolgreich gewesen. Die Abweisung des Antrags auf Ersatz seiner Aufwendungen erweise sich daher als rechtswidrig.

9Die Revision erweist sich als zulässig und begründet.

10Ein Anspruch auf Kostenersatz im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht besteht gemäß § 35 VwGVG dann, wenn sich eine Maßnahmenbeschwerde gegen mehrere Verwaltungsakte richtet und mit der Bekämpfung zumindest eines davon erfolgreich ist (vgl. ). Für den Ersatzanspruch des Beschwerdeführers kommt es darauf an, wie viele Verwaltungsakte der Revisionswerber mit einer Maßnahmenbeschwerde erfolgreich angefochten hat.

11Bei der Ermittlung der Anzahl der Verwaltungsakte kann allerdings nicht allein darauf abgestellt werden, wie die zu Grunde liegende Beschwerde strukturiert ist und wie viele Einzelakte sie im Rahmen des bekämpften Amtshandelns zu erkennen vermeint. Wesentlich sind vielmehr die behördlichen Feststellungen über das angefochtene Verwaltungsgeschehen, anhand derer zu beurteilen ist, wie viele sachlich und zeitlich trenn- und unterscheidbare Akte, die einer isolierten Betrachtung zugänglich sind, vorliegen, wobei für diese Beurteilung auch der jeweils verfolgte Zweck der Amtshandlung(en) und die in Frage kommenden Rechtsverletzungen eine Rolle spielen (vgl. dazu etwa , Rn. 23 bis 24, mwN).

12Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die Festnahme und die (regelmäßig) mit ihr verbundene und unmittelbar darauf folgende Anhaltung als einen Verwaltungsakt beurteilt (vgl. etwa , Rn. 41 bis 46; , Ra 2019/21/0169 und , mwN).

13Die Beschwerde des Revisionswerbers stützte sich auf § 22a Abs. 1 Z 1 und 2 BFA-VG und richtete sich gegen die Festnahme und die Anhaltung. Dass eine weitere Maßnahme als davon gesondert zu betrachtendes Geschehen in Beschwerde gezogen worden wäre, ist weder der Beschwerde zu entnehmen noch wird dies in der Revision behauptet.

14Die gegenständliche Festnahme und die mit ihr verbundene und unmittelbar darauf folgende Anhaltung wurden vom Bundesverwaltungsgericht - unangefochten - für rechtswidrig erklärt. Dies führt dazu, dass auch die zur Umsetzung der Festnahme und Anhaltung gesetzten und nachfolgenden Akte, die mit dieser eine Einheit bilden, rechtswidrig sein müssen (vgl. , Rn. 42 mit Verweis auf ).

15Auf die Frage der Modalitäten der Anhaltung kommt es hier sohin - ausgehend von der Rechtswidrigkeit der Festnahme und der Anhaltung - nicht weiter an, weil diese vom Revisionswerber evident nicht als eigenständige Maßnahmen verwaltungsbehördlicher Befehl- und Zwangsgewalt bekämpft wurden. Insoweit werden in Bezug auf den Revisionswerber auch keine konkreten Handlungen von Organen beschrieben. Aus den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich nichts, was im Licht der dargestellten Judikatur zu einer anderen Beurteilung zu führen hätte. Auch die Ausführungen in der Revision bekräftigen diese Einschätzung, weil diese selbst nur von der „Festnahme“ und „Anhaltung“ und Kostenersatz für das insoweit gegebene Obsiegen spricht. Demnach bestand für eine eigenständige Entscheidung über die Modalitäten der Anhaltung kein Raum. Dem ebenso in Rechtskraft erwachsenen Spruchpunkt A.III. des angefochtenen Erkenntnisses, wonach keine Verletzung von Art. 3 EMRK festgestellt werde, kommt demnach im vorliegenden Zusammenhang keine eigenständige Bedeutung zu. Dieser insoweit nicht eindeutige und daher auslegungsbedürftige Spruchteil bezieht sich - vor dem Hintergrund der Begründung - zweifellos nur auf die Anhaltung.

Der Prozessgegenstand des Verfahrens über eine Maßnahmenbeschwerde ist die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes. Mit der Maßnahmenbeschwerde wird aber kein subjektiv-öffentliches Recht dergestalt eingeräumt, dass ein Anspruch auf die Feststellung bestünde, in welchen einzelnen Rechten der Betroffene verletzt wurde. Das subjektiv-öffentliche Recht eines Maßnahmenbeschwerdeführers besteht alleine darin, dass der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird. Die Gründe der Rechtswidrigkeit haben sich dagegen aus der Begründung der Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zu ergeben (vgl. nochmals VwGH Ra 2019/14/0290, mwN). Somit ist die vom Bundesverwaltungsgericht zusätzlich in seinem Spruch zum Ausdruck gebrachte Ansicht, der Revisionswerber sei im dort genannten Recht nicht verletzt worden, im vorliegenden Fall, in dem am Boden des Inhalts der Entscheidung mit diesem Spruchteil nicht eine weitere eigenständig zu beurteilende Maßnahme für rechtswidrig erklärt wurde, für die Bestimmung des Prozessgegenstandes nicht weiter von Belang.

16Da der Revisionswerber mit der Bekämpfung des hier als Einheit zu sehenden Verwaltungsaktes „Festnahme samt anschließender Anhaltung“ erfolgreich war, hätte ihm gemäß § 35 VwGVG insoweit Aufwandersatz zuerkannt werden müssen. Das Erkenntnis war daher im angefochtenen Spruchpunkt A.IV. gemäß § 42 Abs. 1 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

17Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140178.L00
Schlagworte:
Trennbarkeit gesonderter Abspruch

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