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VwGH vom 29.03.2021, Ra 2020/13/0102

VwGH vom 29.03.2021, Ra 2020/13/0102

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Nowakowski und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien, Magistratsabteilung 6, Rechnungs- und Abgabenwesen, in 1010 Wien, Ebendorferstraße 2, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7400020/2020, betreffend Haftung (Kommunalsteuer und Wiener Dienstgeberabgabe) (mitbeteiligte Partei: K in V, Serbien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Mit Haftungsbescheid vom wurde der Mitbeteiligte für den Rückstand an Kommunalsteuer samt Nebenansprüchen der A GmbH für den Zeitraum Jänner bis September 2014 in Höhe von 3.087,02 € und für den Rückstand an (Wiener) Dienstgeberabgabe samt Nebenansprüchen der A GmbH für den Zeitraum Jänner bis September 2014 in Höhe von 412,08 € haftbar gemacht und aufgefordert, die offenen Beträge zu entrichten.

2Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde. Er machte geltend, er sei mit den Rechten und Pflichten als Geschäftsführer nicht bekannt gemacht worden, er sei in kein Arbeitsverhältnis eingetreten. Zur Zahlung der angegebenen Beträge seien die Gründer der Gesellschaft verpflichtet, die zur Zeit eine Freiheitsstrafe verbüßten. Die Gründer hätten offensichtlich rechtswidrige Handlungen unternommen.

3Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab.

4Der Mitbeteiligte beantragte die Entscheidung der Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht.

5Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde teilweise Folge. Es reduzierte die Haftungssumme an Kommunalsteuer für den Zeitraum Jänner bis September 2014 auf 1.412,36 € und die Haftungssumme an Dienstgeberabgabe für den Zeitraum Jänner bis September 2014 auf 188,53 €. Im Übrigen wies das Bundesfinanzgericht die Beschwerde als unbegründet ab. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Primärschuldnerin (die A GmbH) sei mit Gesellschaftsvertrag vom gegründet worden. Mit Generalversammlungsbeschluss vom sei der Mitbeteiligte zum neuen Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt worden; ebenfalls am sei der Geschäftsanteil an der Gesellschaft an den Mitbeteiligten abgetreten worden. Über die Rechtsgeschäfte seien Notariatsakte angefertigt worden, denen zu entnehmen sei, dass die Willensmeinung des Mitbeteiligten zu diesen Vorgängen durch einen allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetsch für die serbische Sprache, der den Inhalt der Dokumente übersetzt habe, erforscht worden sei. Am sei die Eintragung des Mitbeteiligten als neuer Geschäftsführer und Alleingesellschafter im Firmenbuch erfolgt. Am sei die Gesellschaft gemäß § 40 FBG im Firmenbuch infolge Vermögenslosigkeit von Amts wegen gelöscht worden.

7Grundlage für die Festsetzung der streitgegenständlichen Abgaben sei eine Kommunalsteuer-, Lohnsteuer- und Sozialversicherungsprüfung durch die Gebietskrankenkasse bei der Primärschuldnerin gewesen. Der Niederschrift über diese Prüfung sei zu entnehmen, dass bezüglich der Kommunalsteuer des Jahres 2014 Abfuhrdifferenzen festgestellt worden seien (Bemessungsgrundlage von 100.882,92 €). Das Prüforgan habe weiters festgestellt, es dürfte sich bei der Gesellschaft um eine Betrugsfirma handeln; eine Kontaktaufnahme mit den Unternehmensverantwortlichen sei nicht möglich gewesen. Erhebungen der Finanzpolizei und der Abgabenbehörde hätten bezüglich des Sitzes der Gesellschaft bereits im Jahr 2014 ergeben, dass die Gesellschaft an der angegebenen Anschrift (zugleich Meldeadresse des Mitbeteiligten) nicht existent gewesen sei; es habe dort auch keine Wohnmöglichkeit für den Mitbeteiligten bestanden.

8Dem Mitbeteiligten als Geschäftsführer der Abgabepflichtigen sei von seiner Eintragung im Firmenbuch bis zur Löschung im Firmenbuch die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft oblegen. Ob er nur „pro forma“ („nur auf dem Papier“) Geschäftsführer gewesen sei, sei für seine Pflichten und seine Haftung nicht entscheidend. Anlässlich der Unterschriftsleistungen, die zu seiner Bestellung als Geschäftsführer geführt hätten, hätten ihm zumindest Bedenken über die mit dieser Stellung verbundenen Rechte und Pflichten kommen müssen. In der Unterlassung von weiteren Erkundigungen liege ein fahrlässiges Verhalten des Mitbeteiligten.

9Da die gesetzlichen Voraussetzungen iSd § 6a KommStG und § 6a Dienstgeberabgabegesetz erfüllt seien, sei die Inanspruchnahme des Mitbeteiligten als Haftungspflichtiger im Ausmaß von insgesamt 3.499,10 € grundsätzlich zu Recht erfolgt. Die Verantwortlichkeit des Mitbeteiligten bestehe aber nur für die Dauer seiner Organfunktion, also für den Zeitraum bis . Die im Haftungsbescheid angeführten Abgaben (Kommunalsteuer und Dienstgeberabgabe für den Zeitraum Jänner bis September 2014) fielen nur zum Teil in diesen Zeitraum. Es seien die aliquoten Beträge für die Monate Jänner und Februar 2014 betreffend Kommunalsteuer und Dienstgeberabgabe aus der Haftungssumme auszuscheiden.

10Im Rahmen der Ermessensübung sei zu berücksichtigen, dass die Heranziehung der Haftung erst 4,5 Jahre nach Feststehen der Uneinbringlichkeit erfolgt sei. Der Haftungsbescheid sei damit nicht mehr zeitnah erlassen worden. Unter zusätzlicher Berücksichtigung des geringen Verschuldens des Mitbeteiligten erscheine im Rahmen einer Gesamtbetrachtung der vorliegenden Umstände die Reduzierung der Haftungsbeträge um 40% als gerechtfertigt.

11Es seien daher die aliquoten Haftungssummen für die Zeiträume März bis September 2014 - jeweils ohne Berücksichtigung von Nebengebühren - um 40% zu reduzieren gewesen.

12Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision der belangten Behörde. Zur Zulässigkeit wird u.a. geltend gemacht, das angefochtene Erkenntnis weiche von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Haftung des Vertreters betreffend die Entrichtung von allfälligen Rückständen bei Übernahme der Geschäftsführerfunktion ab. Weiters rügt die belangte Behörde die Ermessensübung des Bundesfinanzgerichts.

13Der Mitbeteiligte hat sich - nach Einleitung des Vorverfahrens - am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt.

14Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

15Die Revision ist zulässig und begründet.

16Gemäß § 6a Abs. 1 Kommunalsteuergesetz 1993 (KommStG) haften die in den § 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Kommunalsteuer insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. § 9 Abs. 2 BAO gilt sinngemäß.

17Gemäß § 6a Abs. 1 Wiener Dienstgeberabgabegesetz haften die in den § 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffende Dienstgeberabgabe insoweit, als diese Abgabe infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden kann, insbesondere im Fall der Konkurseröffnung. § 9 Abs. 2 BAO gilt sinngemäß.

18Die Kommunalsteuer ist gemäß § 11 Abs. 2 KommStG vom Unternehmer für jeden Kalendermonat selbst zu berechnen und bis zum 15. des darauffolgenden Monates (Fälligkeitstag) an die Gemeinde zu entrichten.

19Auch die Dienstgeberabgabe ist vom Abgabepflichtigen bis zum 15. Tag des darauffolgenden Monats zu entrichten (§ 6 Abs. 1 Wiener Dienstgeberabgabegesetz).

20Die Revision zeigt zutreffend auf, dass sich ein Geschäftsführer bei Übernahme seiner Funktion auch darüber zu unterrichten hat, ob und in welchem Ausmaß die von ihm nunmehr vertretene Gesellschaft bisher ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen ist, weil die Pflicht der Gesellschaft zur Abgabenentrichtung erst mit deren Abstattung endet. Die Gesellschaft bleibt verpflichtet, Abgabenschuldigkeiten, mit deren Abfuhr oder Einzahlung sie in Rückstand geraten ist, zu erfüllen und zur Erfüllung dieser Verpflichtung ist der Geschäftsführer der Gesellschaft verhalten (vgl. z.B. ; , 2012/16/0100; , 2013/16/0208; , Ro 2014/16/0019).

21Zutreffend ist überdies der Einwand der Revision, dass die Kommunalsteuer und die Dienstgeberabgabe für Februar 2014 erst mit und sohin zu einem Zeitpunkt fällig wurden, zu dem der Mitbeteiligte bereits zum Geschäftsführer bestellt war.

22Das angefochtene Erkenntnis, dem eine davon abweichende Rechtsansicht zu Grunde liegt, war daher schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf die in der Revision ebenfalls gerügte Ermessensübung des Bundesfinanzgerichts einzugehen war.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020130102.L00

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