VwGH vom 23.05.2012, 2011/08/0376

VwGH vom 23.05.2012, 2011/08/0376

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des B H in G, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom , Zl. LGS600/SfA/0566/2011-He/S, betreffend Einstellung der Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Unbestritten ist, dass dem im Notstandshilfebezug stehenden Beschwerdeführer, der Berufserfahrungen als Tischler-, Bau- und Fliesenlegerhelfer, Gartenarbeiter, Hilfsarbeiter im Gastgewerbe (Küchenhilfe und Abwäscher) sowie als angelernter Boden- und Plattenleger aufweist, von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice F (in der Folge: AMS) am eine Beschäftigung als Abwäscher beim Hotel R - mit möglichem Arbeitsantritt am - zugewiesen wurde. Der Beschwerdeführer hat diese Arbeit nicht angetreten.

Mit Bescheid des AMS vom wurde gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 10 iVm § 38 AlVG der Verlust der Notstandshilfe für den Zeitraum vom 10. März bis ausgesprochen. Nachsicht wurde nicht erteilt. Dies wurde damit begründet, dass der Beschwerdeführer nicht bereit gewesen sei, die vom AMS zugewiesene, zumutbare Beschäftigung beim Hotel R anzunehmen; Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen würden nicht vorliegen bzw. könnten nicht berücksichtigt werden.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, dass er am in diesem Betrieb einen Schnuppertag absolvieren sollte; dazu sei ihm aber - entgegen der Auskunft vom AMS, wonach er ohne Anmeldung nicht arbeiten dürfe - beim Aufnahmegespräch am von N und dem Küchenchef (seitens des potentiellen Dienstgebers) mitgeteilt worden, dass er für den Schnuppertag nicht angemeldet werden müsse.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung nicht stattgegeben und den erstinstanzlichen Bescheid bestätigt.

In ihrer Bescheidbegründung legte die belangte Behörde zunächst detailliert den Verfahrensgang dar und gab die im Berufungsverfahren eingeholte (per Email erstattete) Stellungnahme von N, der Geschäftsführerin des Hotels R, zum Vorbringen des Beschwerdeführers, wie folgt wieder (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):

"Gerne möchte ich zum Fall (des Beschwerdeführers) Stellung nehmen. Es ist für mich unverständlich, wie (der Beschwerdeführer) dies behaupten kann. Weder Herr (F), unser Küchenchef, noch ich würden so eine Vorgangsweise wünschen.

Für uns ist es selbstverständlich, dass man am Schnuppertag angemeldet ist bzw. wird und eine anderwärtige Aussage wurde von uns nicht getätigt.

Mir ist es ein besonderes Anliegen, dass es meinen Mitarbeitern gut geht. Nur dann können sie mit Begeisterung und Freude arbeiten und diese Botschaft an den Gästen weitergeben. Jede ¼ Stunde wird bezahlt, Wunschbuch für freie Tage, Verpflegung der Mitarbeiter, Pensionsvorsorge für Mitarbeiter, Genusspost für Mitarbeiter und vieles mehr wird in unserem Haus zum Wohlergehen meiner Mitarbeiter praktiziert.

Diese Vorgangsweise ist bestimmt nicht typisch für die Hotellerie. Dadurch haben wir auch ein sehr angenehmes Betriebsklima geschaffen.

Als sehr sozial eingestellte Führungskraft wird gegenüber neuen Mitarbeitern keine Ausnahme gemacht."

Im Weiteren führte die belangte Behörde nach Zitierung der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen aus, dass der Beschwerdeführer im Rahmen des Berufungsverfahrens über das gesamte erstinstanzliche Ermittlungsverfahren sowie jenes, welches im Berufungsverfahren getätigt worden sei, informiert und ihm in beiden Ermittlungsverfahren die Möglichkeit der Stellungnahme eingeräumt worden sei. Tatsache sei, dass ihm vom AMS eine Beschäftigung als Abwäscher beim Hotel R zugewiesen worden sei und er sich dort vorgestellt habe. Hinsichtlich der geplanten Anmeldung seines, mit dem potentiellen Dienstgeber dem Hotel R vereinbarten Arbeitsbeginnes am haben sich seine Aussagen von denen seitens des Hotels R grundlegend unterschieden.

Der Beschwerdeführer habe wiederholt betont, dass er zum geplanten Schnuppertag nicht angemeldet worden wäre. Seitens des Hotels R hingegen sei mehrmals bestätigt worden, dass er mit Arbeitsbeginn, somit auch für einen Schnuppertag angemeldet worden wäre. Den chronologischen EDV-mäßigen Aufzeichnungen der MitarbeiterInnen des AMS und denen der Serviceline sei zu entnehmen, dass das Hotel R das AMS vom Nichterscheinen des Beschwerdeführers zum geplanten Arbeitsantritt am informiert habe. Der Beschwerdeführer habe entschieden, nicht beim Hotel R zu arbeiten, er habe jedoch seinen potentiellen Dienstgeber darüber im Unklaren gelassen. Statt sich mit dem potentiellen Dienstgeber darüber auseinanderzusetzen, habe er sich im AMS/Serviceline telefonisch gemeldet und dort deponiert, dass er für den geplanten Schnuppertag nicht angemeldet worden wäre und die grundsätzliche Information der Mitarbeiterin der Serviceline, dass eine Probezeit nur mit Anmeldung möglich sei, als Zustimmung gewertet, dass er die Arbeit tatsächlich nicht annehmen müsste.

Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung eingewendet, dass er nach dem Telefonat mit dem AMS mit dem Hotel R in Kontakt getreten sei und von Frau X vom AMS angeboten worden sei, dass er bereit wäre, sofort bei der Firma zu erscheinen, wenn eine Anmeldung zum Schnuppertag erfolgen würde; die Antwort der Firmengeschäftsführung sei klar gewesen, nämlich, dass bei Leuten, die sich beim AMS um ihre Rechte und Rechtslage erkundigen würden, kein Bedarf bestehe, ein Arbeitsverhältnis zu begründen.

Tatsächlich habe - so die belangte Behörde weiter - dieses Telefonat von X vom AMS mit der Geschäftsführung im Beisein des Beschwerdeführers nicht stattgefunden - die Geschäftsführerin sei zu diesem Zeitpunkt nicht erreichbar gewesen. Erst am Nachmittag habe das AMS ein Gespräch mit der Geschäftsführerin N geführt, dessen Inhalt die Mitarbeiterin des AMS in einem kurzen Aktenvermerk in der EDV dokumentiert habe ("Kunde braucht nicht mehr zu kommen"). Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung genaue Angaben über den Inhalt dieses Gespräches gemacht, obwohl er den genauen Inhalt nicht habe kennen können, weil der bei diesem Telefonat nicht anwesend gewesen sei. Die belangte Behörde habe daher diesen Einwendungen keinen Glauben geschenkt. Der Beschwerdeführer habe (somit) nicht beweisen können, ob er für den Schnuppertag angemeldet worden wäre oder nicht, weil er die Arbeit im Hotel R nicht angetreten habe. Dienstgeber seien gesetzlich verpflichtet, neu eintretende Dienstnehmer vor Arbeitsantritt zur Sozialversicherung anzumelden; das heiße, die Anmeldung zur Pflichtversicherung müsse vor Arbeitsantritt des Dienstnehmers bei der GKK eingelangt sein. So hätte der Beschwerdeführer bereits kurz nach Arbeitsantritt überprüfen können, ob er angemeldet worden wäre oder nicht. Die Geschäftsführerin N des Hotels R habe im Berufungsverfahren ihre bereits im erstinstanzlichen Verfahren getätigte Aussage, nämlich, dass der Beschwerdeführer auch für einen Schnuppertag angemeldet worden wäre, eindeutig bestätigt; ihre zusätzliche persönliche Zeugeneinvernahme im Berufungsverfahren sei daher entbehrlich gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

1. § 9 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 AlVG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2007 lauten:

"§ 9. (1) Arbeitswillig ist, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 des Arbeitsmarktförderungsgesetzes (AMFG), BGBl. Nr. 31/1969, durchführenden Dienstleister vermittelte zumutbare Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis als Dienstnehmer im Sinn des § 4 Abs. 2 ASVG anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.

§ 10. (1) Wenn die arbeitslose Person

1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle oder einen vom Arbeitsmarktservice beauftragten, die Arbeitsvermittlung im Einklang mit den Vorschriften der §§ 2 bis 7 AMFG durchführenden Dienstleister zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder

2. sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch ihr Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt, oder

3. ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder

4. auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachzuweisen,

so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde."

Die genannten Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.

Nach ständiger hg. Rechtsprechung sind die Bestimmungen des § 9 Abs. 1 und § 10 Abs. 1 AlVG Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/08/0035 mwN).

2. Im vorliegenden Fall ist strittig, ob der Beschwerdeführer auf Grund des Vorstellungsgespräches am davon ausgehen hätte können, dass er vom Hotel R für den "Schnuppertag" am beim zuständigen Sozialversicherungsträger angemeldet worden wäre.

Die Beschwerde ist im Ereignis berechtigt, weil ein Arbeitsloser im Allgemeinen nicht verpflichtet werden kann, bei einem potentiellen Dienstgeber einen nicht näher definierten "Schnuppertag" zu absolvieren:

Das rechtlich zulässige Instrumentarium für Dienstgeber und Dienstnehmer, um den Arbeitsplatz und die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers kennenzulernen, besteht entweder aus einem - wegen der Befristung im Allgemeinen freilich nur aus wichtigem Grund kündbaren - befristeten Arbeitsverhältnis zur Probe oder der Vereinbarung eines Probemonats, während dessen ein Arbeitsverhältnis von beiden Teilen jederzeit gekündigt werden kann. Beide Wahlmöglichkeiten haben gemeinsam, dass für den Arbeitnehmer alle arbeitsrechtlichen Ansprüche, insbesondere auch ein Anspruch auf Entgelt, bestehen (vgl. näher Löschnigg, Arbeitsrecht10, 215 f; Spielbüchler/Grillberger, Arbeitsrecht I4 94 und 356 f).

Wenn daher ein potentieller Dienstgeber einem Bewerber weder das eine, noch das andere anbietet, sondern von ihm die Absolvierung eines "Schnuppertages" verlangt, dann ist nach der Verkehrssitte darunter im Zweifel weder ein Arbeitsverhältnis zur Probe noch ein Probemonat zu verstehen, sondern vielmehr die Absolvierung eines Arbeitstages ohne Entgeltanspruch. Wie der OGH (vgl. 9 ObA12/07s vom ) entschieden hat, hängt die Abgrenzung eines entgeltlichen Arbeitsvertrages von der Vereinbarung unentgeltlicher "Schnuppertage" von der Auslegung der Erklärung der Parteien im Einzelfall ab, wobei zwar im Zweifel von Entgeltlichkeit auszugehen, gemäß § 1152 ABGB aber auch Unentgeltlichkeit vereinbart werden kann.

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde durfte der Beschwerdeführer daher angesichts des vom potentiellen Dienstgeber ausgesprochenen Verlangens eines "Schnuppertages" davon ausgehen, dass darunter etwas zu verstehen ist, das ihm weniger Rechte einräumt als ein ohnehin jederzeit, auch stundenweise lösbares Probearbeitsverhältnis, wobei insbesondere das Fehlen einer Anmeldung zur Sozialversicherung im Hinblick auf die typischerweise zu unterstellende Unentgeltlichkeit eines Schnuppertages, nahe liegt.

Die nachfolgende Äußerung des potentiellen Dienstgebers, eine Anmeldung zur Sozialversicherung würde immer erfolgen bzw. wäre auch in diesem Fall vorgenommen worden, übergeht, dass der Eintritt der Sozialversicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 Z. 1 iVm Abs. 2 ASVG ausdrücklich unter der Voraussetzung der Entgeltlichkeit des Arbeitsverhältnisses steht, legt andererseits aber auch nicht dar, dass dem Beschwerdeführer im Zusammenhang mit dem Begehren nach einem "Schnuppertag" ein Entgeltanspruch ausdrücklich zugesichert worden bzw. aus welchen anderen Gründen andernfalls der Wunsch nach einem "Schnuppertag" (anstelle eines Probearbeitsverhältnisses) überhaupt zum Ausdruck gebracht worden ist. Die belangte Behörde hat - in Verkennung dieser Rechtslage - keine Feststellungen getroffen, welche begründen könnten, aus welchen Gründen dem Beschwerdeführer der Antritt eines nicht näher definierten, grundsätzlich aber im Zweifel hinter den arbeitsrechtlichen Ansprüchen eines Probearbeitsverhältnisses, insbesondere beim Entgeltanspruch, zurückbleibenden "Schnuppertages" hätte zumutbar sein sollen. In einer derartigen Konstellation kann der arbeitslose Bewerber um eine Stelle auch unter Berücksichtigung der Zwecke des Arbeitslosenversicherungsrechts nämlich regelmäßig nicht auf die Möglichkeit verwiesen werden, sein allfälliges Recht auf einen Entgeltanspruch für den "Schnuppertag" (vgl. zu einem vergleichbaren Sachverhalt der unentgeltlichen mehrstündigen Anfertigung eines "Probewerkstücks" etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/08/0180) im Gerichtswege durchzusetzen.

3. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am